VW Polo 6
Polo gebraucht besser als Golf?

Seit Jahren steht im Autolexikon neben der Floskel "Erwachsen" ein Bild vom VW Polo. Wie schlägt sich der Freund der Langstreckensparer als Gebrauchter?

Gebrauchtwagencheck VW Polo
Foto: Sven Krieger

Nein, was bist du groß geworden – Kinder kennen diesen Ausruf, der auch beim aktuellen VW Polo passt. Damals vor 48 Jahren startete die Baureihe als Minimalmobil – 3,51 Meter kurz, mit Türverkleidungen aus Pappe und einstufigen Wischern, die beim Abschalten auf der Scheibe stehen blieben.

Das änderte sich auch in der Nachfolge-Generation nur unwesentlich, denn bei Volkswagen galt stets die Devise, dass der kleinere Wagen keinesfalls dem Umsatzbringer Golf gefährlich werden durfte. Erst Ferdinand Piëch setzte als VW-Chef ab 1993 durch, dass jede neue Modellreihe stets mit der besten verfügbaren Technik und dem attraktivsten Design ausgestattet sein sollte. So ließ er den Polo III kurz vor Serienanlauf noch einmal auf links drehen.

Das große Gebrauchtwagen-Spezial

Karosserie: Der erste Eindruck zeigt's

Wohin das letztlich führte, kann man bestens am aktuellen Polo betrachten. In sechster Auflage ist er im Vergleich zur ersten um 54 Zentimeter in der Länge gewachsen, und seine Innenbeleuchtung erstrahlt nun auch beim Öffnen der Beifahrertür. Keine Frage, da steht ein selbstbewusstes Auto, aber beileibe kein Kleinwagen mehr.

Gebrauchtwagencheck VW Polo
Sven Krieger

Kompakt und in unauffälligem Weiß wirkt der Polo gefällig und seriös. Aber: Von weitem könnte hier auch ein Golf auf uns zu fahren.

Mit 4,07 Meter Außenlänge gehört der Polo klar zu den Größten seiner Zunft. Anders als alle Vorgänger wurde und wird er ausschließlich als Fünftürer gebaut. Das bewirkten die entsprechenden Verkaufszahlen des Vorgängers, sowie die Sonderstellung des Polo 6 auf dem lateinamerikanischen Markt, wo er 2022 als teils stark versimpelte Sparversion den einstigen brasilianischen Verkaufsstar Gol ablöste. Im Regenwaldklima zählt für letzteren das Thema Korrosionsschutz wohl weniger als hierzulande. Doch keine Sorge: die Karosserie des Polo ist nicht nur blitzsauber verarbeitet, sondern auch rostresistent. Zeigt ein Exemplar doch mal Bläschenbildung, kann dies eigentlich nur für einen unsachgemäß reparierten Unfallschaden sprechen, oder für einen totalen Pflegemangel im Hinblick auf tiefe Steinschläge oder Kratzer. Wer also meint, dass beim Kleinwagen auch zwangsläufig an der Haltbarkeit gespart wird, irrt.

Innenraum: Polo im Golf-4-Format

Wobei "klein" ja immer relativ ist. Jedenfalls hat mal jemand ausgerechnet, dass der aktuelle Polo nun so viel umbauten Raum habe wie einst der Golf IV, was ja für eine gewisse Bewegungsfreiheit im Inneren spricht. Tatsächlich sitzt man einigermaßen ungedrängt, kürzere Reisen scheinen auch zu viert nicht unmöglich. Wer den beweglichen Gepäckraumboden in der tiefsten Stellung montiert, darf sich zudem über 351 Liter Ladevolumen freuen – vollkommen ausreichend für Wochenendtrips.

Gebrauchtwagencheck VW Polo
Sven Krieger

Klare Linien und strenges Grau prägen das Cockpit unseres Fotoautos. Viele Polos besitzen als Zierblende noch einen Farbtupfer. Hochwertig verarbeitet sind sie allerdings alle.

Einen Beitrag zum luftigen Raumgefühl leistet auch die gegenüber dem Vorgänger um sieben Zentimeter gewachsene Breite. Schmaler hat’s der Modulare Querbaukasten (MQB) halt nicht. Der bringt weiterhin 96 Millimeter mehr Radstand mit, die sich außer im Raumangebot auch in einem deutlich kürzeren vorderen Überhang bemerkbar machen.

Und was erwartet uns außer viel Platz im Cockpit? Ein geradliniges Design, welches sich stilistisch zwischen Golf VII und T-Roc einordnen lässt. Hübsch! Und übersichtlich noch dazu. Dass hier klassentypisch an vielen Stellen Hartplastik verwendet wird, ist kaum ein Stein des Anstoßes, schließlich ist es, wo immer Auge und Hand auftreffen, hochwertig verarbeitet und wirkt nicht billig. Klapper- und Knarzgeräusche? Fehlanzeige. Zu bemängeln haben wir nur die teureren Infotainmentsysteme nach der Modellpflege 2022. Sie nerven mit schlechter Bedienlogik und häufigen Ausfällen. Ein leicht zu merkender Rat: Bevorzugen Sie in jedem Fall Exemplare mit Lautstärkedrehregler – das beugt auch Unzuverlässigkeiten vor.

Motoren: Robuste Drei- und Vierzylinder

Hören Sie was? Nein? Eben! Speziell die Dreizylinder laufen im Stand nahezu unhörbar und lassen Erinnerungen an den alten Rolls-Royce-Slogan aufkommen, wonach das lauteste Geräusch das Ticken der Uhr sei. Die ist im Polo natürlich digital und ohnehin lautlos.

Bleibt die Frage nach dem besten Antrieb: Am einfachsten zu finden wegen der größten Verbreitung ist der Dreizylinder-1.0-TSI mit 95 PS. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber um einiges fröhlicher bei kaum höheren Kosten dreht die Ausführung mit 110 oder 115 PS. Wer dagegen Turbolader immer noch für Teufelszeug hält, wird vielleicht mit den selbstsaugenden Basistriebwerken zwischen 65 und 80 PS glücklich. Ihre im kleinen Up so ansteckende Quirligkeit bekommt im schwereren Polo allerdings einen Dämpfer, weil das Drehmoment mit maximal 93 Nm schon recht mau ist. Am oberen Leistungsende der herkömmlichen Benziner-Palette stand zweieinhalb Jahre lang der 1.5 TSI mit 150 PS, der jedoch nur in 1,6 Prozent der gebrauchten Polo zu finden ist.

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Sven Krieger

Den haltbaren und sparsamen 1.6 TDI gab es im Polo leider nur bis 2020. Das Aggregat ist technisch eng mit dem VW-Millionenseller 2.0 TDI verwandt.

Haben wir noch was vergessen? Ach ja, es gibt noch eine Erdgas-Version. Die fährt zwar unerreicht preiswert, aber auch sehr trantütig. Die angegebenen 90 PS nimmt man dem aufgeladenen Dreizylinder jedenfalls nicht ab. Dafür fahren CNG-Polo (Compressed Natural Gas) wirtschaftlicher und sauberer als die TSI. Theoretisch, denn praktisch sind sie mit 0,7 Prozent Anteil unsichtbar.

Wer unbedingt vier Zylinder will, muss ohnehin einen Diesel kaufen. Wer beruflich auf langen Strecken pendelt, sowieso. Hier ist die Kombination aus einem erwachsenen (da war das Wörtchen wieder) Dieselmotor und einem leichten Kleinwagen ein Garant für erstklassige Verbräuche. Günstiger geht es praktisch nicht. Leider hat VW diese Option 2020 aus dem Programm gestrichen – sehr zum Verdruss von Vielfahrern, die auf dem Land leben. Der prinzipiell immer gleiche 1,6-Liter-TDI schafft im Polo stets Euro 6 und liefert tatsächlich erreichbare Dreiliter-Verbräuche. Zu haben war er mit 80 bzw. 95 PS.

Dann wären da noch die GTI. Deren Anteil am Gebraucht-Polo-Markt liegt mit 13 Prozent erstaunlich hoch, ihren drangvollen Vortrieb verdanken sie dem Zweiliter-Vierzylinder namens EA888, der es im Golf R Performance auf immerhin 333 PS bringt. Der Polo muss sich mit weniger als zwei Dritteln davon zufriedengeben. Bis zum Facelift leistete der GTI 200 PS, seither sind es 207 PS – ein bisschen Respektabstand zum Golf muss also wohl doch noch sein.

Getriebe: Viele Doppelkuppler

Übrigens verbandelte VW den GTI fast obligatorisch mit dem DSG-Getriebe, um Kupplungsquäler mit den drehmomentstarken Motoren nicht zu überfordern. Bis zum Facelift mit sechs Gängen, danach mit dem aktuellen DQ381 und sieben Stufen. Lediglich um 2019 herum konnte der GTI auch mit Sechsgang-Handschaltung geordert werden. Doch die Mehrarbeit kann man sich sparen, denn die einst viel gescholtenen Doppelkupplungsgetriebe haben mit dem Polo inzwischen einen hohen Reifegrad erreicht, Beanstandungen sind selten. Bekannt sind ein paar Undichtigkeiten, doch die können überall vorkommen, wo Öl drin ist.

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Sven Krieger

Es wird: Anders als früher erweisen sich die Doppelkupplungsgetriebe haltbarer und einen hauch weniger holzbeinig im Schaltverhalten - wenn die Justierung stimmt.

Außerdem muss man zur Ehrenrettung sagen, dass noch immer viele Werkstätten mit der Einstellroutine der DSG-Getriebe überfordert sind. So sind nach einem Kupplungswechsel zum Beispiel zunächst die alten Daten zurückzusetzen, ehe die neue Kupplung angelernt wird. Unterbleibt dies, ruckt das Getriebe nicht nur beim Schalten, auch die Synchronisierung kann Schaden nehmen.

Das DSG in unserem Fotofahrzeug schaltet jedenfalls vortrefflich, auch das Anfahren gelingt ohne Bocksprünge. Es ist ein Polo 1.6 TDI, zur Verfügung gestellt vom VW-Vertragshändler Spreckelsen in Zeven. Er hat seit Oktober 2019 bislang 50.800 Kilometer abgespult und ist mit 17.900 Euro fair bepreist.

Fahrwerk: Kleiner Kurvenkünstler

Sein langer Radstand und die breite Spur sind Garanten für eine gute Straßenlage. Deshalb verwundert es, dass VW die Federung trotzdem verhältnismäßig straff abgestimmt hat. Das bringt zwar Bestwerte in Dynamiktests, bewirkt aber auf vernachlässigten Straßen eine störende Rumpeligkeit. Zwar absorbieren die Gummilager der Federbeine und die Stoßdämpfer feinste Anregungen zuverlässig, aber Holperpisten erzeugen doch einige Unruhe – mehr als im Vorgänger. Und, so viel sei schon verraten, auch mehr als im größeren Bruder, dem VW Golf. Der ist dem Polo außerdem in der Geräuschdämmung überlegen. Wie schon beim Audi A1 bemängelt, dringen in tiefster Stellung des variablen Ladebodens Fahrgeräusche durch die dann offene Zwangsentlüftung nach drinnen.

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Sven Krieger

Das straffe Fahrwerk und die VW-typisch direkte und leichtgängige Lenkung sorgen dafür, dass sich der Polo sehr zackig bewegen lässt. Für sanfte Naturen dürfte es im Zweifel auch eine Nummer weicher sein.

Mängel: Meist nur Elektronik-Ärger

Zuverlässig sind diese Polos, über die Motoren werden kaum Klagen laut. Die noch beim Vorgänger präsenten Steuerkettenschäden umgeht VW hier elegant mit einem solide ausgeführten Zahnriemenantrieb der Nockenwellen. Einen Kettentrieb besitzt nur der GTI, aber der macht ebenfalls keinen Ärger. So konzentrieren sich die Sorgen der Polo-Piloten meistens auf die Elektronik und ihre Peripherie.

Der Bildschirm des Navis gehört dazu, er zeigt manchmal Läufer, Streifen oder nur noch Blau. Hin und wieder stürzt das System ab und startet wieder, errechnet auch mal abstruse Routen mit Umwegen oder eine fantasievolle Uhrzeit. Update heißt das Zauberwort, es soll auch helfen, wenn das kabellose Handy-Laden nicht funktioniert, die Frontkamera den Abstandstempomaten eine Vollbremsung veranlassen lässt, die Airbaglampe leuchtet oder kein Radiosender mehr reinzubekommen ist. Nichts Gravierendes also, aber lästig.

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Sven Krieger

Ein hochauflösender Touchscreen, zwei ideal bedienbare Drehregler und ein Softwarestand mit halbwegs akzeptabler Zuverlässigkeit machen unser Discover Media vor dem Facelift zur Idealbesetzung. Smartphones kann es übrigens auch schon spiegeln.

Schade zudem, dass VW diese Problemchen auch mit dem Facelift nicht in den Griff bekam. Im Gegenteil, die neue, aus dem Golf VIII berüchtigte Software neigt zu Totalabstürzen. Und liefert so den besten Grund, einen alten Bekannten in die engere Wahl zu ziehen. Denn wer etwa tausend Euro mehr investiert, bekommt einen Golf VII – der insbesondere beim Fahrkomfort dann halt doch spürbar erwachsener wirkt.

Preise: Gefährlich nah am Golf

Ungefähr 5500 Gebrauchte tummeln sich in den Online-Börsen, allerdings finden sich unter 10.000 Euro nur Kilometerfresser. Der Anteil des Diesels liegt bei knapp neun Prozent, jener des GTI übrigens bei 13. Doch den Löwenanteil machen ganz klar die Einliter-Dreizylinder unter sich aus. Allein die 95-PS-Version kommt schon auf 44 Prozent. Kombiniert mit ein paar netten Alufelgen und einigen Extras, landen solche Exemplare unterhalb von 100.000 Kilometern im Regelfall bei 13.000 bis 15.000 Euro. Für weniger Kilometer oder mehr PS steigen die Preise rasch an und drücken den Polo in die Ecke – einerseits naht dann ein preiswerter Neukauf, andererseits der kaum teurere und ebenso lang haltbare Golf VII.

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Für den kleinen Aufpreis nehm' ich den Golf!Polo! Der ist zwar nicht billig, hat aber praktische Kleinwagen-Vorteile.

Fazit

Das Bessere ist des Guten Feind. So gesehen, wäre der Golf dem Polo überlegen. Zumindest bei den sich überschneidenden Baujahren von sechster Polo- mit der siebten Golf-Generation. Denn Letztere kommt gebraucht kaum teurer, trotz deutlich höherem Gegenwert. Bei jüngeren Fahrzeugen geht diese Rechnung nicht mehr auf, hier ist der Polo der preiswertere VW. Aber nicht der bessere, denn das mit dem Facelift geänderte Bedienkonzept ist da wie dort ein Krampf.

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024

Erscheinungsdatum 25.04.2024

148 Seiten