Range Rover 4.6 HSE Fahrbericht
Großes Auto kleiner Preis

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Der Range Rover II verströmt dank feinem Lederinterieur Luxusambiente. Wer hohe Unterhaltskosten nicht scheut, bekommt beim englischen Geländewagen viel Auto fürs Geld.

Range Rover 4.6 HSE, Frontansicht
Foto: Hardy Mutschler

Natürlich war es der falsche Tag für den Ausflug. Der Himmel trüb und wolkenverhangen, auf der Ostalb hatte es geschneit. Kein Mensch auf der Straße, noch nicht mal einen Hund hatte sich bei dem Schmuddelwetter vor die Tür verirrt. Doch ein Dreh am Zündschlüssel des Range Rover II und der V8 säuselt seinen Fahrer in den Traum: „Welcome to the club, wir bevorzugen die leisen Töne, Hektik ist so unpassend wie die Büchse Bier zum Fünf-Uhr-Tee“, schrieb der Testredakteur von auto motor und sport im November 1994.

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Ihm ging es vor gut 20 Jahren also ähnlich. Die zweite Generation des Range Rover war da gerade neu auf den Markt gekommen. 750 Millionen Pfund hatte Land Rover investiert, um den 1970 erstmals präsentierten Ur- SUV auf den neuesten Stand zu bringen. Heute ist der P38A, wie unser Raum-Gleiter aus England intern hieß, ein vom Einstandpreis her günstiger Youngtimer.

Range Rover II für unter 10.000 Euro

Gute Exemplare der Range Rover II-Familie gibt es für Preise unterhalb der 10.000 Euro-Grenze. Dafür steigt man ohne Zwischenstation in die Luxuskategorie auf. Allein schon die Ledersessel für Fahrer und Beifahrer würden einem piekfeinen Club in West Sussex zur Ehre gereichen. Die an einen Lastwagen erinnernde Sitzposition fällt bei dem edlen Leder nicht ins Gewicht. Sie verstärkt vielmehr das erhabene, ja leicht versnobte Fahrgefühl, über den Dingen zu schweben. Die elektronisch gesteuerte Luftfederung, die Land Rover dem anspruchsvollen Spross mit der glatt gezogenen Karosserielinie wie auch schon den letzten Exemplaren des Vorläufers spendierte, unterstreicht dieses Flair.

Der V8-Motor aus Aluminium stammte noch nicht aus der Entwicklungabteilung des damals neuen Hausherrn BMW. Vielmehr geht das Kraftpaket im Range Rover II mit einem Drehmoment von 380 Newtonmeter noch auf den ursprünglichen Rover-Motor zurück, der von einem Buick-Motor abstammte. Das Aggregat mit dem Hubrauminhalt dreier Magnumflaschen feinsten Champagners scheint prickelnde Kraft für alle Lebenslagen zu bieten. Nur an den Bergaufpassagen tut sich der Rover mit seinen 2200 Kilogramm ein wenig schwer.

Man ahnt, was der ams-Tester nach seiner Premiere im neuen Range Rover II meinte: „Der vornehme Brite aus den West Midlands macht aus jedem Vollgastier einen Gentleman, aus dem Punker der Autobahn den netten Herrn der Schnellstraßen.“ Du wolltest einen Tag mit englischen Feeling, also benimm dich am Steuer auch angemessen, scheint der V8 vornehm zu flüstern.

George Thomson sticht mit Range Rover-Entwurf Bertone aus

Schon die geglättete Karosserieform des Range Rover II, die so stramm sitzt wie der schwarze Anzug eines Butlers auf dem englischen Landsitz, wirkt distinguierter und eleganter als beim Urmodell. Das war fast ein Vierteljahrhundert lang auf dem Markt, ein äußerst langlebiger Klassiker aus England, der sich trotz Wind und Wetter der Märkte vom Kontinent standhaft dem Jugendwahn zur Wehr setzen konnte. Um ihm die Falten aus dem wettergegerbten Gesicht zu ziehen, wurden nach einer neumodischen Sitte Designer aus einiger Herren Länder zurate gezogen. Doch dem Land Rover-Formgestalter George Thomson gelingt wohl der letzte große Triumph der britischen Automobilbautradition: Sein Entwurf für den P38A sticht den Vorschlag aus dem Haus des italienischen Stardesigners Bertone aus.

So bleiben dem Range Rover der zweiten Baureihe zumindest einige der Ecken und Kanten erhalten, die den Ahnherrn aller Range Rover und Sport Utility Vehicles unverwechselbar machen. Doch unter der geglätteten Haut ließen die Ingenieure nichts beim Alten. Mit einem großen Budget entwickelten und testen sie den Nachfolger: Der Leiterrahmen aus Stahl wurde neu konzipiert und wesentlich verwindungssteifer ausgelegt. Die Starrachsen waren bei weniger Gewicht noch robuster und die Federung übernahm das mit EAS abgekürzte Luftfederungssystem. Damit ließ sich das Fahrwerk auf fünf verschiedene Höhenniveaus über einen Bereich von 105 mm einstellen, je nach Einsatzbereich. Der permanente Allradantrieb mit der Visco-Sperre am Zentraldifferenzial wurde mit einer elektronischen Traktionskontrolle verfeinert.

Musterschüler in der Disziplin „Traktion“

Das neumodisch ETC abgekürzte System nutzte die Steuerung des ABS, um das Durchdrehen der Räder zu verhindern. In der Disziplin „Traktion“ war der Range Rover II damit ein Musterschüler: Das bescheinigte ihm auch der Wintervergleichstest von auto motor und sport im Januar 1995 mit vier Autos mit permanentem Allradantrieb. Für den Einsatz im harten Gelände verfügt der Range Rover zudem über ein zweistufiges Reduktionsgetriebe. Doch für einen deftigen Ritt durchs Gelände scheint der noble Youngtimer zu schade.

Der Tag mit der Range Rover II offenbarte natürlich auch einige Schwächen. Die Schalter für die elektrischen Fensterheber sind an der Mittelkonsole angebracht und ein Fall für echte Kenner, wie bei einem guten Whisky von den schottischen Inseln. Es dauert eine Weile, bis man das richtige Knöpfchen für das gewünschte Fenster identifiziert hat.

Doch den größten Kummer bereitet der Durst des V8. Für die 224 PS starke Maschine sprechen zwar ihr ehrlicher, unverfälschter Kern und die bei anstrengender Arbeit rauchige Stimme. Doch dabei leistet sich das Aggregat den gesunden Durst, der mit dem Bierverbrauch eines Stahlarbeiters im Black Country nach Feierabend zu vergleichen ist. Bei fast 20 L/100 km lag der durchschnittliche Verbrauch für den Benziner 1994 im Test von ams. Im Maximalfall ließ der Achtzylinder über 23 L durch die Benzinleitung rinnen: Dann reichte der Tankinhalt für weniger als 300 km. Doch neben der Fahrt über raue Abwege sollte man sich bei einem Range Rover auch allzu forsche Landstraßenmanöver verkneifen, eben Gentleman statt Vollgastier. Dann trägt man die distinguierte Britishness weit effektvoller zur Schau als mit einem verschreckten Blick auf die Tankanzeige.

Aufschaukelnde Karosserie mahnt zu besonnenem Fahren

Auch die über 1,80 Meter hohe Karosserie mit ihrer Schaukelneigung sowie die bei mehrfacher Nutzung schnell nachlassenden Bremsen geben dem Chauffeur des Range Rover II unvermittelt die wenig vornehme Mahnung, sich jetzt aber bitte zu mäßigen. Doch wer später ankommt, kann am Ende aller Tage länger genießen.

Für den gediegenen Genuss am Fahren scheinen die Range Rover gebaut worden zu sein. Unterstützt von der unauffällig wie mit weißen Seidenhandschuhen agierenden ZF-Viergangautomatik schwebt der Range Rover der zweiten Generation durch die Landschaft. Irgendwann im Laufe des Tages, wenn die Welt da draußen sich unverändert von der schmuddeligen Seite zeigt, fragt man sich, warum man diesen Lederclubsessel überhaupt verlassen muss. Kein anderes Auto löst so sehr das Versprechen ein, mit seinen Insassen so stilvoll durch dick und dünn zu gehen, Pferde stehlen inklusive. So einen lässt du nicht mehr von der Leine. „My car is my castle“, war gestern. „Mein Auto ist mein Landgut“, lautet die moderne Losung und der Range Rover ist die beste Verkörperung.

Fazit

Let's put it in a nutshell, machen wir es kurz: An dem trüben Frühwintertag in der Ostalb hat mich der Range Rover II in einen Kurzurlaub nach England entführt. Dieses Interieur mit der Volllederausstattung, die erhabene Sitzposition und der schnurrende V8 haben einfach Spaß gemacht. Landlord müsste man sein.


Technische Daten
Range Rover 4.6 HSE
Grundpreis58.850 €
Außenmaße4713 x 1853 x 1817 mm
Kofferraumvolumen520 bis 1640 l
Hubraum / Motor4553 cm³ / 8-Zylinder
Leistung165 kW / 224 PS bei 4750 U/min
Höchstgeschwindigkeit196 km/h
Verbrauch16,3 l/100 km