Elektro-Strategie „Nissan Ambition 2030“
Nächster Juke und Qashqai kommen elektrisch

Nissan setzt voll auf Elektromobilität. Jetzt beschleunigen die Japaner ihren Plan "Nissan Ambition 2030", was die Perspektiven für ihr Werk in Sunderland verbessert.

Nissan EV36Zero Elektroauto-Strategie
Foto: Nissan Motor Corporation

Nissan bezeichnet sich selbst als Elektroauto-Pionier. Tatsächlich waren die Japaner mit dem seit 2010 in Serie gebauten Elektro-Kompaktauto Leaf früh dran. Allerdings lässt Tesla mit seinem Innovationsdruck und seiner Strahlkraft den selbst ernannten Vorreiter inzwischen recht alt aussehen. Nissan hat das erkannt und stellt mit Milliardeninvestitionen die Weichen in Richtung Elektrozukunft. Diese Strategie umreißt der bereits im Herbst 2021 aufgestellte und im vergangenen Sommer aktualisierte Elektro-Fahrplan "Nissan Ambition 2030".

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Qashqai und Juke werden elektrisch

Dabei bleibt der Leaf auch künftig ein Teil der Nissan-E-Auto-Flotte. Wie der Hersteller bekannt gab, will er "alle derzeit im britischen Werk Sunderland gefertigten Modelle fit für die Zukunft" machen. Dazu gehören neben der dritten Leaf-Generation der Quashqai und der Juke; jeder Vertreter dieses Trios wird künftig rein elektrisch angetrieben sein. Ihre Charaktere dürften sie bei dieser Transformation jedoch leicht ändern. Als Inspirationsquellen dienen mit dem Hyper Urban (Qashqai) und dem Hyper Punk Concept (Juke) zwei jüngst bei der Japan Mobility Show in Tokio präsentierte Konzeptstudien sowie der bereits 2021 gezeigte Chill Out Concept (Leaf). Ob die Modelle ihre jetzigen Namen behalten und wann ihre Markteinführungen geplant sind, will Nissan zu einem späteren Zeitpunkt mitteilen.

Jeder neue Nissan mit E-Antrieb

Erst Ende September 2023 hatten die Japaner ihre Elektro-Strategie für die Zukunft präzisiert und dabei das Elektro-Showcar Nissan Concept 20-23 (siehe Video unter diesem Absatz) vorgestellt. Ab sofort werde jedes neu in den Markt eingeführte Nissan-Modell über einen vollelektrischen Antrieb verfügen, hieß es damals. Mehr noch: Bereits 2030, fünf Jahre vor dem geplanten EU-Aus für Verbrenner, will Nissan in Europa ausschließlich Elektrofahrzeuge verkaufen und Verbrennermotoren komplett aus dem Programm nehmen. "Jetzt gibt es kein Zurück mehr", sagte damals Makoto Uchida, Präsident und CEO von Nissan.

2021 hatte Nissan beschlossen, bis zu diesem Jahr 15,5 Milliarden Euro in den Umbau seines Konzerns zu investieren – das meiste davon in die Elektromobilität. Doch inzwischen haben sich die Vorzeichen geändert: Allianzpartner Renault hat seine Anteile an Nissan von 43,4 auf 15 Prozent reduziert – genauso viele Anteile halten die Japaner am französischen Konzern. Trotzdem wollen die Partner künftig enger zusammenarbeiten. Was in erster Linie bedeutet: Es wird mehr gemeinsam genutzte Plattformen geben. Und Nissan wird sich – genau wie Mitsubishi, der dritte Vertreter der französisch-japanischen Allianz – an Renaults neuer Elektro- und Software-Sparte Ampere beteiligen. Die nächste Generation von Elektroautos soll so bereits 30 Prozent preisgünstiger werden, bis 2030 soll die E-Modelle sogar auf dem Preisniveau von Verbrennern angekommen sein.

So sehen die ambitionierteren Pläne aus

Das versetzt Nissan in die Lage, seine 2021 formulierten und 2023 verschärften Ziele noch ambitionierter zu gestalten. Aktuellen Angaben zufolge möchte die Marke bis 2030 insgesamt 34 elektrifizierte Modelle über alle Segmente hinweg auf den Weltmarkt zu bringen. Für den europäischen Markt sind sechs neue Modelle vorgesehen. 2030 sollen elektrifizierte Autos rund 60 Prozent des Gesamtabsatzes von Nissan und der Schwestermarke Infiniti ausmachen (laut Plan 2021: 50 %; laut Plan 2023: 55 %).

2030 will Nissan in Europa nur noch Elektroautos im Angebot haben. Bereits 2026 sollen auf unserem Kontinent bis zu 98 Prozent des Gesamtabsatzes auf elektrifizierte Modelle entfallen (vorherige Planung: über 75 %), während für den US-Markt unverändert 40 Prozent, und das auch erst im Jahr 2030, angepeilt sind. Japan und China sollen bis 2026 mit 58 (zuvor 55) beziehungsweise 35 (zuvor 40) Prozent dabei sein. Weltweit soll der Anteil an elektrifizierten Nissan-Neuwagen 2026 mehr als 40 Prozent betragen; ursprünglich waren exakt 40 geplant.

Investitionen in Batterietechnik

Technische Details von Nissans Elektro-Zukunftsplänen sind die Einführung von kobaltfreien Lithium-Ionen-Batterien, die Entwicklung einer firmeneigenen Feststoff-Batterie (Start 2028), der Aufbau eines globalen Batterie-Liefersystems und die Einführung von Mobilitätsdiensten. Kobaltfreie Batterien sollen unter anderem bei der Kostensenkung helfen. Bis zum Jahr 2028 sollen die Preise für eine Kilowattstunde Speicherkapazität auf 67 Euro sinken – später sollen sogar 58 Euro möglich sein. Aktuell beträgt der Preis noch circa 80 Euro. Bei 58 Euro wäre eine Kostengleichheit zwischen Elektroautos und Benzinern erreicht, frohlockten die Nissan-Verantwortlichen 2021.

Sowohl kobaltfreie Akkus als auch Feststoffbatterien (All-Solid-State-Batteries – ASSB) baut Nissan ab 2024 in seinem Pilotwerk nahe der Firmenzentrale im japanischen Yokohama. Bis zum Geschäftsjahr 2026 soll die globale Batterie-Produktionskapazität auf 52 Gigawatt-Stunden steigen. 2030 sollen dann bereits 135 Gigawattstunden zusammenkommen.

Digitaler in die Zukunft

Konkrete Angaben zu seinen künftigen Mobilitätsdiensten macht Nissan noch nicht. "Nissan wird seine Connected-Car-Service-Strategie von angereicherten Bordinhalten bis hin zu On-Demand-Funktionen ausbauen", heißt es in einer Stellungnahme. Das Unternehmen wolle dies durch "software-definierte Fahrzeuge" erreichen. Außerdem möchte Nissan die autonomen Fähigkeiten seiner Fahrzeuge ausbauen und bis 2030 sämtliche Modelle mit einem Lidar-System (Light detection and ranging – System zur optischen Abstands- und Geschwindigkeitsmessung) ausrüsten.

Ausbau des Standorts Sunderland

Seine Entwicklungen möchte Nissan über EV-Kompetenzzentren vorantreiben. Das erste dieser Zentren steht bereits in Sunderland im Nordosten Englands und trägt den Namen "EV36Zero". Der Hersteller investiert dort drei Milliarden britische Pfund (aktuell umgerechnet etwa 3,45 Milliarden Euro), um nicht nur die Produktionsstätten für die drei elektrischen Nachfolger des Leaf, Qashqai und Juke dort zu bauen. Sondern auch, um dort drei Gigafactorys für die Batteriefertigung anzusiedeln. Allein bei Nissan sollen etwa 7.000 Menschen arbeiten, während in der angeschlossenen Lieferkette ungefähr 30.000 Personen beschäftigt sein sollen.

Weitere solcher Zentren sollen in Japan, China und den USA folgen. Ein System zum Batterie-Recycling soll in Europa in Kürze und in den USA bis 2025 etabliert sein – in Japan arbeitet Nissan bei der Wiederaufbereitung von Akkus seit Jahren mit der Firma 4R Energy zusammen. Um seine Elektro-Zukunftsprojekte stemmen zu können, möchte Nissan 3.000 weitere Mitarbeiter für Forschung und Entwicklung einstellen. Zusammen mit Renault plant der Hersteller zudem ein eigenes Ladenetz, das bei den europäischen Händlern beider Marken aufgebaut werden soll. Bis 2050 möchte Nissan dann nur noch Produkte anbieten, die über ihren gesamten Lebenszyklus klimaneutral sind.

Neue Skateboard-Plattform

Für seine Elektrozukunft entwickelt Nissan eine neue Plattform, auf der vielfältige Modelle möglich sind. Wie viele andere Hersteller setzt Nissan in Zukunft auf eine sogenannte Skateboard-Plattform. Zwischen den Achsen des Skateboards soll eine Feststoff-Batterie sitzen. Jede Achse ist für die Montage von Antriebsmotoren geeignet – die Gewichtsverteilung der nach Herstellerangaben ultraleichten Konstruktion soll 50 zu 50 Prozent zwischen vorn und hinten betragen. Algorithmen zu sogenannter Künstlicher Intelligenz (KI), also zu maschinenbasiertem Lernen, sollen während der Fahrt die Präzision und die Agilität verbessern.

Modelle und Plattformen

Mit welchen konkreten Modellen der Elektro-Fahrplan beschleunigt werden soll, lässt Nissan – von den drei eingangs erwähnten Baureihen abgesehen – bisher offen. Klar ist: China erhält 2024 ein speziell für den dortigen Markt entwickeltes E-Auto. Für Lateinamerika planen die Japaner einen Stromer des A-Segments, der auf der CMF-AEV-Plattform basiert. Eine Nummer größer wird der neue elektrische Micra, der die CMF-BEV-Architektur nutzt und so technisch ein Ableger der neuen elektrischen Renault-Modelle R4 und R5 wird. Darüber siedelt sich die CMF-EV-Plattform an, die für schnelle Ladezeiten auf 800 Volt aufgerüstet werden könnte. Der für 2026 geplante Renault FlexEVan, den der Hersteller als sein "erstes software-definiertes Fahrzeug" bezeichnet, nutzt diese Plattform und soll in Europa ebenfalls als Nissan auf den Markt kommen.

Was sonst noch kommen könnte, hatte Nissan 2021 und 2023 mit jeweils mehreren Studien demonstriert. Jüngst debütierte bei der Japan Mobility Show das Hyper-Concept-Quintett, das unter anderem einen Ausblick auf den nächsten, dann rein elektrisch angetriebenen GT-R gewährte (siehe Fotoshow über diesem Absatz). Zwei Jahre zuvor wies ein Studien-Quartett (siehe Fotoshow ganz oben im Artikel und Kurzbeschreibungen in den nächsten Absätzen) in eine ähnliche Richtung. Während mit dem Hang Out, dem Surf Out und dem Max Out drei von ihnen auf der neuen Skateboard-Architektur basieren, baut der Chill Out auf der bereits bekannten CMF-EV-Plattform auf.

Hang Out: Homeoffice-SUV mit Wohn-Innenraum

Der Nissan Hang Out sieht aus wie ein großes SUV. Laut Hersteller ist es mit einer Dämpfung ausgerüstet, die Vibrationen und Erschütterungen so weit mindert, dass das Auftreten einer Reisekrankheit unwahrscheinlich ist. Der Innenraum erinnert an ein Wohnzimmer, die vorderen Sitze lassen sich um 180 Grad drehen. Nissan verspricht für den Hang Out störungsfreies Arbeiten von unterwegs, der Innenraum lässt sich durch ein Vorzelt erweitern. Die Rücksitze sind leicht erhöht, damit die Fondpassagiere besser nach vorn herausschauen oder einen vor die erste Reihe projizierten Film schauen können. Der Innenraum des Hang Out ist sehr stark von dem des Renault Symbioz inspiriert, den Nissans Kooperationspartner 2017 auf der IAA vorgestellt hat.

Surf Out: Elektro-Pick-up mit Fußraum-Frontscheibe

Der Nissan Surf Out soll im aktuell schwer angesagten Segment der Elektro-Pick-ups wildern. Das Fahrzeug ist geländetauglich und folglich anscheinend mit Allradantrieb unterwegs. Die niedrige ebene Ladefläche erhöht den Nutzfahrzeugcharakter des Surf Out. Eine Besonderheit ist die als Fenster gestaltete Fahrzeugfront, hinter der der Surf-Out-Fußraum zu sehen ist.

Chill Out: seriennahes SUV-Coupé

Der Chill Out basiert noch auf der aktuellen CMF-EV-Plattform (Common Module Family) von Renault-Nissan und ist somit seriennaher als seine auf der Skateboard-Plattform basierenden Studiengeschwister. Das SUV-Coupé hat glatte Oberflächen, in den Türen versenkte Griffe und fällt durch die Abwesenheit von Sicken und Kanten auf. Nissan verspricht für den Chill Out fortschrittliche Sicherheitstechnologien, ein hohes Komfortniveau und ein "anregendes" Interieur. Als Antrieb ist ein elektrischer Allradantrieb vorgesehen.

Max Out: Sportwagen-Cabrio

Auch der Max Out ist mit einem Allradantrieb ausgerüstet – aber nicht, damit er auch in schwierigem Gelände vorankommt, sondern damit er auf Asphalt besonders viel Traktion hat. Der Max Out soll nämlich ein ultraleichtes und somit agiles Cabrio sein. Nissan verspricht ein dynamisches Kurvenverhalten, eine präzise Lenkung und minimierte Karosseriebewegungen, was dem Fahrer das Gefühl geben soll, eins zu sein mit dem Auto. Der Max Out ist als Zweisitzer ausgelegt, beide Sitze lassen sich im Boden versenken.

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Fazit

Wer als Autohersteller in Zukunft überleben möchte, muss auf Elektromobilität setzen. Das hat Nissan zwar früh erkannt, dann aber den Anschluss verloren. Um den Rückstand aufzuholen, nehmen die Japaner bis 2030 sehr viel in die Hand – Geld, das für die Erforschung von kobaltfreien Akkus, Feststoffbatterien, neuen digitalen Diensten sowie Elektro-Plattformen gedacht ist. Und für mehr elektrifizierte Autos als ursprünglich geplant, zu denen neben der dritten Leaf-Generation auch die Nachfolger von Qashqai und Juke gehören. Erste Hinweise, was von Nissans neuer E-Auto-Flotte zu erwarten ist, gab der Hersteller mit zwei Konzeptstudien-Reihen, die 2021 sowie kürzlich bei der Japan Mobility Show in Tokio vorgestellt wurden.

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AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024
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Erscheinungsdatum 25.04.2024

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