Autonomes Fahren
Warum schon Level 3 so lange dauert

Autonome Autos werden von langwierigen Genehmigungsverfahren gebremst. Die Autobauer haben jetzt einen Leitfaden erstellt – für die Behörden.

Birgit Priemer
Foto: Hans-Dieter Seufert

Den Autobossen brennt das Thema hautomatisierte Level-3-Fahrzeuge arg unter den Nägeln: Sie brauchen endlich Planungssicherheit, wie und wann sie ihre Flaggschiffe mit einem Autobahn-Piloten (Level 3) zulassen können. Das Problem: Bis dato gibt es keine Regeln für Genehmigungsverfahren. Um voranzukommen, haben elf Unternehmen jetzt einen Leitfaden für Behörden entwickelt.

Der Audi A8 könnte schon seit 2017 hochautomatisiert fahren, die Software im Auto darf aber nicht freigeschaltet werden. Und Daimler-Chef Dieter Zetsche kündigte bei seinem letzten Auftritt als Konzernchef im Mai noch an: „Mit der kommenden S-Klasse machen wir 2020 den nächsten Schritt. Auf Level 3 wird das Auto in der Lage sein, auf der Autobahn längere Strecken komplett selbstständig zu fahren.“ Auch BMW kündigt seinen Imageträger iNext für 2021 mit entsprechender Software an und plant, damit den Führungsanspruch beim autonomen Fahren zu untermauern.

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Die Legislative lahmt

Der Gesetzgeber, das Bundesverkehrsministerium in Berlin, vertröstet auf das kommende Jahr: „Derzeit werden auf internationaler Ebene die Anforderungen zum sicheren Betrieb eines automatisierten Spurhaltesystems auf Autobahnen erarbeitet. Dieses System soll voraussichtlich vor allem im Stau zur Anwendung kommen und nach Aktivierung die Quer- und Längsführung des Fahrzeugs, die Überwachung des Umfelds, die sichere Reaktion auf Verkehrssituationen und die Interaktion mit anderen Verkehrsteilnehmern übernehmen. Währenddessen kann der Fahrzeugführer die Hände vom Lenkrad nehmen – muss jedoch jederzeit in der Lage sein, die volle und sichere Kontrolle des Fahrzeugs wieder aufzunehmen, wenn ihn das System dazu auffordert. Die Fertigstellung dieser ersten, international harmonisierten technischen Vorschrift für automatisierte Fahrfunktionen wird für März 2020 erwartet“.

Die Zulassungsbehörde, das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg, spielt den Ball in Richtung Autohersteller zurück: „Das KBA unterstützt die Hersteller beim Inverkehrbringen von neuen Techniken und Konzepten gemäß Artikel 20 der Richtlinie 2007/46/EG, wenn die Sicherheit und Umweltschutz mindestens in dem gleichen Maß gewährleistet wird. Zum zeitlichen Aspekt können wir ihnen keine gesicherte Auskunft erteilen“.

Und Audi, der erste Autohersteller mit einem Level-3-fähigen Fahrzeug, erläutert dazu mit Frustration im Unterton: „Bei der Planung der exakten Einführungsszenarien für automatisierte Systeme ab Level-3 und höher bewegt sich Audi in einem intensiven Wechselspiel zwischen den Erkenntnissen aus der Erprobung und den Anforderungen, die der Gesetzgeber sowie die Zulassungsbehörden derzeit für das hochautomatisierte Fahren definieren. Wir sind in regelmäßigem Austausch mit den öffentlichen Stellen. Eine seriöse zeitliche Vorhersage zu treffen, ist uns als Autohersteller allerdings nicht möglich. Wir benötigen die final formulierten Vorschriften, die derzeit auf UNECE-Ebene erarbeitet werden. Im Anschluss daran müssen wir noch einen zeitlichen Spielraum einplanen, um die Vorschriften exakt zu interpretieren und Fahrfunktionen auch intern freizugeben. Die Regelungen stellen stets ein Mindestmaß an Anforderungen dar, wir haben jedoch zusätzlich interne Freigabekriterien definiert, die wir erfüllen müssen“.

Unternehmen erklären Behörden, wie genehmigen geht

Das UNECE-Papier ist also zunächst für März 2020 avisiert. Die Gruppierung von 56 Mitgliedsstaaten erstellt technische Regelungen, die von der Mehrheit der Mitglieder angenommen und jeweils in nationales Recht umgewandelt werden. Selbst wenn das Papier im kommenden Frühjahr fertig sein sollte, müssen die Autohersteller die (noch unbekannten) Vorschriften in der Software umsetzen. „Bis zur finalen Zulassung werden sicherlich weitere Monate vergehen“, reklamiert ein BMW-Experte.

Das wollten BMW, Daimler sowie neun weitere Unternehmen aus der Autoindustrie nicht mehr abwarten und veröffentlichten ein 157 Seiten langes Dokument namens „Safety First for Automated Driving (SaFAD)“. Es steckt den Rahmen für Entwicklung, Test und Validierung von sicheren automatisierten Pkw ab. Es handelt sich quasi um eine Anleitung dafür, wie man ein sicheres automatisiertes Fahrzeug baut, testet und betreibt. „Und ist als Blaupause für die Behörden gedacht“, gibt der Experte zu.

Neben dem Premium-Gespann BMW und Daimler verloren auch Audi, Volkswagen, Fiat Chrysler Automobiles, Baidu, Continental, Aptiv, Here, Intel und Infineon offenbar die Geduld. Die Intention der Gruppe: Sicherheit schaffen – und zwar für die Entwickler durch die Etablierung eines Quasi-Standards. Weitere Unterstützer seien willkommen, heißt es.

Einen Tag nach Veröffentlichung des Dokuments teilten BMW und Daimler mit, gemeinsam auch die nächste Generation an Fahrerassistenzsystemen (sogar bis Level 4) zu entwickeln. Sicher ist sicher.

Auch die Zulieferer formieren sich

Der Europäischen Verband der Automobilzulieferer (CLEPA) hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit Zulassung und Standards für hochvernetzte automatisierte Fahrzeuge beschäftigt. Diese wird von NVIDIA geleitet. Diese Gruppe, bestehend aus Experten aus der europäischen Automobilzulieferer-Riege, soll unter anderem auch die Entwicklung neuer UNECE-Bewertungsmethoden für automatisierte Fahrzeuge vorantreiben.

NVIDIA arbeitet bereits mit den wichtigsten internationalen Organisationen zusammen, die Standards und Vorschriften für automatisierte Fahrzeuge formulieren. Das sind: die International Standards Organization (ISO), die United Nations Economic Commission of Europe (UNECE), die National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) und die Association for Standardization of Automation and Measuring Systems (ASAM). NVIDIA überreichte kürzlich einen umfassenden Bericht an die NHSA, der die Erfahrungen des Test-Teams von NVIDIA beim Einsatz von autonomen Testfahrzeugen zusammenfasst. Aber auch in den USA sind noch einige Genehmigungshürden zu nehmen.

Fazit

Es mag in der Tat kein leichtes Unterfangen sein, die Programmierung eines Autobahn-Assistenten so auszulegen, dass dieser bis zu einer Geschwindigkeit von 120 oder 130 Stundenkilometern sicher die Spur hält und im regulären Verkehr „mitschwimmen“ kann – also selbstständig bremst und beschleunigt. Eine bequeme Sache, um vor allem im Stau den Fahrer zu entlasten. Die größte Schwierigkeit ist allerdings, eine Lösung zu finden, um die Rückgabe der Verantwortung vom System an den Fahrer so auszulegen, dass er innerhalb kürzester Zeit vom „Hands-off-Modus“ wieder in den „Fahrer-Modus“ gelangt. Gerade in brenzligen Situationen sollte der Fahrer jederzeit in der Lage sein, die volle und sichere Kontrolle des Fahrzeugs wieder aufzunehmen, wenn ihn das System dazu auffordert. Da aber alle Menschen nicht gleich schnell reagieren und sich während des Hands-off-Modus auch sicherlich unterschiedlich beschäftigen, bildet dies den Knackpunkt für die Freigabe der Systeme. Fakt ist aber, wenn die Behörden – egal auf welcher Ebene – gleich den Autoherstellern zugeschrieben hätten, ihren Standard selbst festzuschreiben, wäre nicht wertvolle Zeit verloren gegangen.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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