Selbstheilender Lack aus Mais
So reparieren sich Kratzer in einer Minute selbst

Saarbrücker Forscher haben gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für Neue Materialien einen selbstheilenden Lack erfunden. Kleinere Kratzer könnten schon in fünf Jahren per Föhn daheim entfernt werden.

Transparente, selbst-heilende Nanomer®-Beschichtung als Schutzlack für Hochglanz-Oberflächen: Oberflächliche Mikrokratzer heilen unter Wärmeeinwirkung innerhalb weniger Minuten komplett aus.
Foto: Uwe Bellhäuser

Einmal den Schlüsselbund auf das Autodach gelegt und schon ist es passiert: Kratzer. Keine tiefen, aber durchaus von jedermann bestens zu sehen. Polieren scheint unausweichlich. Oder der Griff zum Föhn. Wie bitte? Ja. Saarbrücker Forscher haben in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Neue Materialien, kurz INM, einen Lack entwickelt, der sich bei bestimmten Temperaturen selbst heilt.

Bevor jetzt Tausende von Schlüssel-Opfern zum Telefon greifen, sollte eines klargestellt werden: Repariert werden können nur Mikrokratzer von bis zu zehn Mikrometern Länge und einer Tiefe von 20 Mikrometern. Also feinste Kratzer, wie sie unter anderem auf Smartphoneoberlächen, lackierten Flügeln oder eben Autooberflächen vorkommen. Die vom Vandalen in einer Nacht- und Nebelaktion durchgeführte Lackzerstörung ist an dieser Stelle (noch) nicht gemeint.

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Sandburgenbau im Mikrometerbereich

Die große Frage ist natürlich: "Wie geht das?" Die Antwort liest sich auf den ersten Blick wie reinstes Fach-Chinesisch, ist aber eigentlich nur simple Chemie. Das zu Polyrotaxanen aufgefädelte Cyclodextrin füllt die durch einen Kratzer entstandene Lücke im Lack wieder auf. In Kombination mit Heteropolysiloxanen und anorganischen Nanopartikeln kann die Selbstheilung bei Temperaturen von 80 Grad stattfinden. Verstanden?

Falls nicht, kommt hier die etwas vereinfachte Version: Bei einem Mikrokratzer wird Material, sprich Moleküle, verdrängt. Ähnlich dem Abraumsand, der beim händischen Ausheben eines Wassergrabens am Strand nach oben hin verdrängt wird, entsteht auch im Lack ein Graben. Der jetzt entwickelte Lack besteht unter anderem aus Cyclodextrin, einem Bestandteil von Maisstärke. Um eine netzartige Struktur zu schaffen, die zur Selbstheilung notwendig ist, fädelten die Forscher diese Maisstärke wie Perlen auf langkettige Kunststoffmoleküle auf. Diese Perlenkette wird Polyrotaxan genannt (Poly für viele / Rotaxan ist ein Kunstwort für molekulare Perlen auf einem molekularen Faden).

Ein Lack wie ein Strumpf

Die so aufgefädelte Maisstärke befindet sich zwischen zwei Stoppermolekülen, damit sie zu keiner Seite herab fallen können – ähnlich einer Gardine auf einer Gardinenstange. Zwischen den Stoppern ist sie jedoch frei beweglich. Und da eine Perlenkette beziehungsweise Gardinenstange nicht reicht, werden diese über eine chemische Reaktion miteinander verbunden. In der Chemie wird an dieser Stelle von Vernetzung gesprochen. "Das entstehende Netzwerk ist beweglich und elastisch wie ein Strumpf", erklärt Carsten Becker-Willinger, Leiter des Programmbereichs Nanomere am INM.

Wird nun Wärme hinzugefügt, werden diese Molekülnetze wieder beweglich und die im Lack entstandene Lücke (der Graben der Strandburg) von Molekülen von selbst wieder zugeschüttet. Bei einer Temperatur von rund 100 Grad Celsius sollen so Mikrokratzer nach einer Minute repariert sein. Die Serienreife könnte, starke Kooperationspartner vorausgesetzt, in zwei bis fünf Jahren erreicht sein. Die Entwickler stellen den Lack vom 1. bis 5. April auf der diesjährigen Hannover Messe in einer Live-Demonstration am Stand C54 in Halle 5 vor.

Fazit

In rund fünf Jahren soll der selbstheilende Lack auf den Markt kommen können. Wie lange es wohl noch dauert, bis tiefere Kratzer wie von Zauberhand verschwinden?