Ferrari Roma, McLaren GT & Porsche 911 Turbo S
Die ultimativen Gran Turismos?

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Das Konzept des Gran Turismo lebt vom Gleichgewicht aus Performance und Gelassenheit, bekommt von Ferrari Roma, McLaren GT und Porsche 911 Turbo S aber einen schärferen Dreh. Ein Charakterfest für G-Kraft-Gourmands.

Ferrari Roma, McLaren GT, Porsche 911 Turbo S, Exterieur
Foto: Rossen Gargolov

Auch wenn sich die Hersteller aktuell lieber mit Grünzeug als mit Leistung schmücken, läuft die Sportwagenmaschinerie weiterhin auf Hochtouren. Sie rattert und zischt, treibt bestehende Modellreihen voran, stampft zwischendurch aber auch echte Neuheiten aus dem Boden. Natürlich steckt hinter jedem Produkt ein komplexes Gebilde aus Plattformstrategien, Kostenstrukturen und Modellpolitik; die Charakterzüge jedoch, die hängen wie eh und je von der Einstellung ab. Oder um es zu verbildlichen: von der Stellung zweier Hebel. Auf dem einen steht "Performance", auf dem anderen "Gelassenheit".

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Je mehr man einen der beiden Hebel nach vorne schiebt, desto weiter weicht der andere zurück: mehr Performance gleich weniger Gelassenheit. Und andersrum. So kommen die unterschiedlichsten Kreationen raus. Das eine Extrem sind Tracktools à la 911 GT3, Huracán STO oder ganz krass: McLaren Senna. Gegenüber kochen Luxuslabels ein anderes Süppchen, das Schaumsüppchen.

Die goldene Mitte

Eine ganz besondere Spezialität jedoch, die liegt genau dazwischen, sozusagen in der Mittelstellung beider Hebel. Wenn sich Gelassenheit und Performance gleichwertig gegenüberstehen, entsteht – Trommelwirbel – das Filetstück des Sportwagenbaus: der Gran Turismo. Er treibt die Performance-Zufuhr genau so weit, dass die Gelassenheit noch an die Oberfläche gelangt, lässt gleichzeitig aber nie mehr Gelassenheit zu, als die Performance verträgt. Ein Balanceakt, der weitaus seltener gelingt, als die GT-Bezeichnung verwendet wird, sich mit der Zeit aber auch verändert hat. In seiner Gewichtung, in der Bedeutung und in den technischen Zusammenhängen, aus denen er entsteht.

Ferrari Roma, McLaren GT, Porsche 911 Turbo S, Exterieur
Rossen Gargolov
Diese Geschichte dreht sich um eine relativ junge Facette der Gran Touristik – dieser weitverbreiteten Ansicht, alles unter einen Hut kriegen zu können, wenn man nur kräftig genug stopft.

Früher, in den 50er- und 60er-Jahren, waren GT noch das Äquivalent des Sportwagens, was schlicht damit zusammenhing, dass die Performance noch nicht in der Lage war, die Gelassenheit komplett auszulöschen. Mit dem fahrdynamischen Fortschritt begann dann die Aufspaltung. Die meisten hechteten im Windschatten technischer Errungenschaften in die Schneller-höher-weiter-Spirale, andere zogen sich in die Komfortzone zurück, während die goldene Mitte sukzessive ausdörrte. Wenn Sie mich fragen, dann ist von den ursprünglichen, den traditionellen GT heute nur noch einer übrig: der Aston Martin DB11. Er hat das Format, das fokussierte, zugleich aber erhabene Handling, die obligatorische Leistung, aber auch die nötige Gelassenheit im Umgang mit ihr. Warum er in dieser Geschichte fehlt? Nun, weil die sich um eine andere Facette der Gran Touristik dreht, eine relativ junge, die sich mit dem Trend zum Crossoverkill herausgebildet hat – dieser weitverbreiteten Ansicht, alles unter einen Hut kriegen zu können, solange man nur kräftig genug stopft. Schauen Sie sich einfach mal den neuen Monster-Cayenne an: Er ist offensichtlich ein SUV, begreift sich als Coupé und wird bei Bedarf zum Sportwagen.

Bei so viel Flexibilität in den Wesenszügen, da wäre es doch gelacht, wenn sich Performance und Gelassenheit nicht auch gemeinsam steigern ließen – hat sich McLaren gedacht, die beiden Hebel seiner Sportwagenmaschinerie auf Anschlag geknallt und ratter, ratter ein neues Modell auf die Räder gestellt. Den GT.

Erster Gedanke, wenn man der Flunder in die Mandelaugen blickt: Nette Idee mit der Verrenkung, ging leider völlig daneben. Aber sei’s drum, wahrscheinlich könnt ihr da oben auf der Insel einfach nicht aus eurer supersportlichen Haut, ist aber trotzdem ein rattenscharfes Gerät geworden, dieser sogenannte "Geee Teee".

McLaren GT, Interieur
Rossen Gargolov
Der GT besteht aus den üblichen McLaren-Zutaten, wird aber lieblicher angerichtet.

Doch dann kommt man sich näher und merkt, dass der Kern zwar so hart wie üblich ist, die Schale aber einen, wie soll ich sagen, soften Touch bekommen hat. Oder ohne heißen Brei drumrum: superleichtes Kohlefaser-Monocoque, Drehzahlen über 7.000 Umdrehungen und Flügeltüren auf der einen Seite. Klavierlack, ein dimmbares Glasdach, üppig gepolsterte Sitzschalen und eine weitflächige Gepäcklounge auf der anderen.

Ein schräger Mix? Aber hallo. Allerdings haben die verknoteten Gegensätze durchaus ihren Reiz. Zumal das
typische Fahrgefühl, dieser ultimative Fahrbahnkontakt, vom zugeführten Weichspüler nicht zu verwaschen scheint. Im Gegenteil: Die Grundzüge sind exakt die, die einen McLaren so außergewöhnlich machen: die glasklare Hydrauliklenkung, die extreme Verwindungssteifigkeit der Karosserie, der unverbaute Blick zur Straße und der Universal-V8, der einen mit mechanischer Macht in die Zange nimmt. Physisch sitzt er dir im Nacken, sein besonderes Wesen jedoch, das kriecht dir von unten in die Gasfußsohle. Im Ernst: Wir kennen einige Biturbo-Aggregate in dieser Leistungsklasse, und vielleicht gibt es ein paar wenige, die ihre Lader noch zügiger auf Trab bringen, aber es gibt keinen, der so filigran und so natürlich reagiert. Egal in welchem Lastzustand sich der Hochoktan-Cocktail aus zwei Twin-Scrollern und vier Litern Hubraum befindet, jede Fahreraktion wird hyperdirektproportional in Motorreaktionen übersetzt.

Das ESC als GT-Stilbildner

Und das begünstigt die Wirkung beider Hebel. Einerseits schmeichelt es der Gelassenheit, wenn der Antrieb nicht ständig wie eine Töle am Hosenzipfel zerrt, andererseits profitiert die Performance in hohem Maße von der Möglichkeit, das Drehmoment newtonmillimetergenau portionieren zu können. Kurzum – die Bindung könnte inniger kaum sein, eine Sollbruchstelle jedoch bleibt: an der Hinterachse, die mit 630 Nm fertigwerden muss.

McLaren GT, Exterieur
Rossen Gargolov
Solange man es mit dem fahrerischen Ehrgeiz nicht übertreibt, ist der McLaren GT die mit Abstand spektakulärste Kombination aus GT-Prinzipien, Showeffekt und Supersportlichkeit.

Also doch eher Höllenhund als Schmusetiger? Ich sag mal so: Je tiefer man in den Schlund des Vortriebs taucht, desto heftiger beginnt der Gelassenheitshebel zu vibrieren. Doch siehe da, anders als bei den S- und LT-Modellen, die bei forscher Gangart schon mal mit der Flosse schlackern, halten die Pirellis der Beschleunigungsorgie stand. Sicher, mit seinen 620 PS ist der GT etwas geringer bemittelt, als es McLaren dieser Größenordnung mittlerweile sind. Dennoch ist es am Ende vor allem die Regelelektronik, die das Gefühl eines Kräftegleichgewichts erzeugt. Sie hat das GT-Thema voll und ganz verinnerlicht, reguliert den Motorpunch in Abhängigkeit der Lenkwinkel zurück – und zwar schon bevor’s rundgeht da hinten. Dieses Herumgegrapsche am Heck ist zwar nichts, worauf irgendjemand scharf wäre. Allerdings werden die Eingriffe hier derart akkurat in den Kraftfluss eingeleitet, dass sie die Personality des GT eher schärfen als verweichlichen.

Ein emotionaler Parabelflug

Und doch ist der McLaren kein Gradmesser für die gnadenlose Effektivität eines 911 Turbo S. Der Porsche muss nichts zurechtkneten, er nimmt’s, wie’s kommt. Immer und überall. Einfach reinsetzen und reinlatschen, dann pumpen einem seine beiden nun spiegelbildlich aufgebauten Turbolader 800 Nm ins Kreuz und die 1.640 Kilo hexenschießen baboom in einen anderen Orbit. Triebfeder des emotionalen Parabelflugs: der Allradantrieb, der Performance und Gelassenheit quasi per Lamellenkupplung zusammenspannt.

Im Gegensatz zum McLaren wurde der Big Boss des Elfer-Clans jedoch nie explizit zum Supersport-GT ernannt; nein, er ist im Zuge seiner Evolution hineingewachsen in diese Doppelrolle. Weil Zuffenhausener Schwaben und Schwaben allgemein geschäftstüchtige Leute sind, haben sie den Turbo stets in die Richtung getrieben, in der er sich am besten verkauft. Das tat er zwar von Beginn an, und das sogar so gut, dass er wahrscheinlich den ganzen Sportwagen-Stammbaum vorm Umtopfen in Richtung 928 bewahrt hat. Manche Leute jedoch bekamen Angst vor ihm. Angst vor seiner tollwütigen Leistungsentfaltung, und das keineswegs zu Unrecht. Angst schürt anfangs zwar die Faszination, kostet auf Dauer aber Kunden. Vor allem jene, die heutzutage mit Vorliebe zum Turbo greifen – was jetzt aber nicht heißen soll, dass Kieferorthopäden und Notare automatisch Schisser sind.

Porsche 911 Turbo S, Exterieur
Rossen Gargolov
Mit größeren Spurweiten, bombastischen 650 PS und einem feinjustierten System-Kanon biegt der 911 die physikalischen Grenzen auseinander.

Jedenfalls hat man dem Ungeheuer im Laufe der Generationen nach und nach den Charakter gekämmt, hat den Aufruhr gelegt, die Leistungsentfaltung geföhnt und schließlich mit der Allradtraktion zum Dutt verknüpft. Ergebnis: eine Presspassung für den Grenzbereich, Brutalität in der Fango-Packung und damit die perfekte Synthese aus Sportwagen und GT – wobei "GT" im Hause Porsche eben auch für etwas anderes steht: für die Kollegen GT2 bis 4, die das genaue Gegenteil eines Gran Turismo sind.

Die Mehrdeutigkeit hat mit der GT-Klasse im Motorsport zu tun. Sie stammt aus besagter Zeit, als GT gleichzeitig Sportwagen waren, und dient seither als Abgrenzung zu den Prototypen, die früher wiederum Sportwagen genannt wurden. Das Ganze ist ein riesiges Begriffskuddelmuddel, das aber insofern ganz gut zum jüngsten Turbo passt, als er inzwischen selbst so ein bisschen hin- und hergerissen ist von unterschiedlichen Auffassungen.

Sie haben recht, das ist nichts Neues. Schon der Vorgänger klemmte im Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit, allerdings wurde der Bogen nun noch mal nachhaltig gespannt. Auf der einen Seite hat sich die Gelassenheitsfraktion ins Zeug gelegt. Sie hat bessere Nässe-Eigenschaften herausgearbeitet und den Verzicht auf die bis dato optionalen Semislicks durchgesetzt. Argumentation: Hat keiner gekauft, wird keiner kaufen, und Ring-Rekorde zur Selbstbeweihräucherung braucht einer wie der Turbo nicht – also Schluss mit dem Unsinn. Klingt alles supernachvollziehbar, würde gegenüber nicht auch die Performance-Abteilung an ihrem Hebel ziehen – mit erhöhten Spurweiten, größeren Raddimensionen, mit allerlei Leichtbau-Optionen, mit einem reformierten Kühlsystem und dem größten Leistungssprung der Modellgeschichte: von 560 auf 650 PS.

Der lösbare Streitpunkt

Porsche 911 Turbo S, Exterieur
Rossen Gargolov
Mit Optionsfahrwerk wird der Elfer gegenüber dem gefühlvoll federnden McLaren zur stocksteifen Rüttelplatte.

Der Eindruck dieses Kompetenzgerangels variiert je nachdem, ob man das mit dem GT im eigentlichen oder im Porsche-Sinn versteht. Immerhin: Ein Streitpunkt stammt aus der Aufpreisliste und ist damit ein lösbarer. Die Rede ist vom optionalen PASM-Sportfahrwerk, das einem die Flausen von wegen Gelassenheit recht schnell und recht heftig aus dem Kopf schlähähägt.

Anders als der McLaren, der einem seine extreme Machart auf erstaunlich einfühlsame Weise nahebringt, überaus gelassen federt und respektvoll dämpft, wird der an sich eher glatte Elfer durch die stocksteife Kinematik zur Rüttelplatte. Die Räder rempeln in Fugen, nach Bodenwellen landet man hart auf der eigenen Wirbelsäule, was den Turbo S zwar definitiv zu einem Gran Performer macht, aber eben auch zum Torturismo.

Also Standardfahrwerk reinbestellen, und alles dufte? In jedem Fall passt die sanftere Note besser ins Gesamtkonzept. Wobei man dann auch wieder Gefahr läuft, dass die Gelassenheit überhandnimmt. Im Gegensatz zu anderen Vertretern dieser Leistungsklasse hört sie nämlich auch dann nicht auf zu existieren, wenn man sie mutwillig aus dem Auto prügelt. So unfassbar es ist, aber so ein Turbo S lässt sich nicht aus der Fassung bringen, durch nichts und niemanden.

Auf den Scheitelpunkt gebraten

Porsche 911 Turbo S, Interieur
Rossen Gargolov
Früher angsteinflößend, heute gezähmt: Im Alltag perlt die Faszination des Turbo S von der Oberfläche ab.

Und so kommen wir wieder an der Stelle raus, an der die Eier legende Wollmilchsau durchs Dorf getrieben wird. Klar, der Vergleich drängt sich auf, ist aber eigentlich zu kurz gesprungen. Denn das 221.782 Euro teure Hightech-Kompendium ist nicht nur Erzeuger sämtlicher Performance-Rohstoffe, es bereitet sie dir auch hochgenussfertig zu, wird mit zunehmendem Tempo zu einem Thermomix der Fahrdynamik, der sämtliche Schikanen beherrscht. Nur eines fehlt im Repertoire: die Fähigkeit, dir abseits der Rennstrecke mal eine Kostprobe des Potenzials zu geben; einfach zack auf die Hand, mit Senf, Ketchup und ’nem Guten dazu! Ich meine, man bekommt hier den Supadupasport-GT kredenzt, ein auf den Scheitelpunkt gebratenes Stück Ingenieurskunst, und dann bist du wegen der Ausmaße der Qualitäten zum Genuss der Beilagen verdammt.

Ja, es stimmt, mit dem Switch zum 992 hat der Turbo mehr Stammwürze abbekommen. Die neue Sportabgasanlage holt ein dumpfes Knurren aus dem Tosen der Lader hervor, und natürlich reicht dem gemästeten Heck-Boxer im Zweifel auch ein Häppchen Gas, um allen Beteiligten direkt zu zeigen, was er für eine Sechs-Bombe ist.

Die Handling-Aromen jedoch, die entfalten sich weiter erst am fernen Limit. Dann, wenn der Mode-Schalter auf "Sport Plus" einrastet, die beiden Ausfahrspoiler im Luftstrom ankern und sich Quersperre, Hinterachslenkung und Momentenverteilung zu einem gigantischen Gesäßmuskel verquicken, der einen nun noch kräftiger, noch neutraler und vor allem noch agiler durch Kurven pusht. Doch dann plumpst du von der Ideallinie zurück in den Alltagstrott, das PDK flackt im achten Gang herum, und die Faszination reduziert sich puff auf das grundlegende Porsche-Gefühl, das überaus deliziös sein mag, fürs halbe Geld aber auch im Carrera steckt.

McLaren GT, Exterieur
Rossen Gargolov
Dass der GT bewusst weichere Beine vorzeigt und nicht nach Rekorden jagen will ist keinesfalls ein Vorwurf, lediglich eine Feststellung.

Sicher, auch beim McLaren ist die Sehnsucht stets größer als der Rahmen des Erlaubten, dennoch wiegt die Fußfessel der StVO bei ihm nicht ganz so schwer. Das hängt damit zusammen, dass sich das außerirdische Flair von der Realität nicht anstecken lässt. Dank der Mittelmotor-Anatomie fühlt sich der GT per se nach Mondrakete an, egal ob man gerade mit galaktischen 326 km/h die Bahn hinunterhagelt oder sich hinter einem Hundefrisör-Smart Richtung Schwieberdingen einfädelt. Andererseits hält sich aber auch die Gier zurück, weil man, na ja, schon auf der Landstraße spürt, dass die Performance engere Grenzen hat als im 911. Direkter und realer mag der GT sein, auch kribbelt es wegen der Intensität des Fahrbahnkontakts stärker in den Fingerspitzen, doch während sich der 110 Kilo schwerere (!) Porsche einfach an seinen aktiven Stabis in Kurven lehnt, zieht die Querbeschleunigung dem McLaren irgendwann die Federbeine weg. Erst knickt die Vorderachse ein, ehe der ganze Kerl zu torkeln beginnt.

Körperkontrolle sieht definitiv anders aus. Die Frage ist nur, ob man ihm die weichen Knie vorwerfen sollte; ihm, der sich mit seinen straffen Markenprinzipien ja demonstrativ in die Hängematte legt, anstatt sich zu Rekorden zu hangeln. Die Antwort lautet: Nein, kein Vorwurf. Nur die Feststellung, dass die Vollflexibilität der Hebel in Woking noch nicht hergestellt ist, die Performance also weiterhin für Gelassenheit bluten muss – oder in der Regel eben umgekehrt.

Doch wie gesagt, es geht bei einem Gran Turismo nicht um Maxima, es geht um das maximal Mögliche mit Rücksicht auf das jeweils andere – letztlich also auch um Kompromiss. Und Kompromisse sind immer etwas Scheußliches, es sei denn, man ist in der Lage, sie heimlich schließen zu können, also ohne dass man sie an Bord bemerkt. Damit benvenuto im Ferrari, dem sein Selbstverständnis schon ins liebliche Gesicht geschrieben steht. Und in die Typenbezeichnung: Roma, nicht Monza oder Imola.

Ferrari Roma, Exterieur
Rossen Gargolov
Im Roma paart sich die üppige Muskulatur eines Flatplane-V8 mit gierig-grazilen Handlingzügen zur Galaform des Sport-GT.

Bei ihm sieht die Balance aus Performance und Gelassenheit auch deshalb so gelungen aus, weil er in dieser Kombination weitgehend eigenständig ist. Und das passt insofern ins Bild, als auch die großen GT der Ferrari-Geschichte nie Ableitungen oder Varianten waren, sondern allenfalls Ausgangspunkte für (noch) sportlichere Vorhaben. Siehe einst den 250 GT, der sich unter Enzos Ehrgeiz zwar zum radstandverkürzten 250 GT SWB und schließlich zum GTO fortpflanzte, aber selbst nie Stieftöchterchen von Modell Soundso war.

Andere Zeiten, schon klar. Doch die Tatsache, dass man heute mit mehr System entwickelt, führt nun mal dazu, dass dir stets – wie bei McLaren und 911 – die gesammelte Verwandtschaft mit im Auto hockt. Oder besser: als Messlatte im Hinterkopf.

Das Blaue vom Himmel?

Natürlich ist auch der Roma nicht vom Himmel gefallen, man hat ihn nur ausgesprochen clever an allen bestehenden Modellen vorbeikomponiert. Das Grundgerüst stammt vom Portofino, ist hier jedoch von der Bürde des Cabriodachs befreit; der drehwütige 3,9-Liter-V8 wurde vom mittelmotorisierten F8 Tributo transplantiert, der Achtgang-Doppelkuppler ist vom SF90 abgeleitet, die Transaxle-Architektur gleicht dem 812 Superfast, ist hier aber besser dosiert: schmaler, kürzer. Und vor allem: leichter.

Ferrari Roma, Exterieur
Rossen Gargolov
Neben dem Styling flirtet auch die Architektur mit den großen GT-Modellen der Ferrari-Geschichte, verankert sich mit der scharfen Vorderachse aber fest im Hier und Jetzt.

Überhaupt: Die Dosierung, sie erreicht im Roma Idealzustand. Viel mehr Alltagsflair als im 911 Turbo S, mehr Performance-Potenzial als im McLaren. Zwar ist das Gaspedal nicht sonderlich natürlich in seiner Anbindung, wirkt eher anstiftend als verbindlich, phasenweise sogar überambitioniert. Gleichzeitig fehlt den Fahrwerksreaktionen dieses Vollstreckerische, das der Porsche aus jedem Befehl zu ziehen vermag. Vielleicht fährt der Roma sogar schlaksiger, da sein Aufbau auf üblen Strecken schon mal einen kleinen Wackler kriegt.

Dafür besitzt er als Einziger diese GT-stilbildende Fahrer-Empathie; diese Fähigkeit, sich gemeinsam mit dir hochzuschaukeln. Anfangs sitzt man nur nett beisammen. Anregendes Zwiegespräch, Sympathie, Blickkontakt, aber auch Distanz. Erst mit der Drehzahl wachsen Anziehungskraft und Körperspannung, der Puls beschleunigt. Dann: Herzklopfen. Die Signorina von gegenüber schüttelt ihre Mähne auf, scheint sich neckisch auf die Unterlippe zu beißen, während sie mit ihren lackierten Fingernägeln abwechselnd auf die beiden Hebel tippt.

Performance oder Gelassenheit, zu mir oder zu dir? Irgendwann macht’s klick zwischen Mensch und Maschine, das Manettino schnappt auf "Race", das Auspuff-Brodeln bekommt diesen Unterton, die Absichten gewinnen an Eindeutigkeit, und die Fahrgefühle überschlagen sich.

Ferrari Roma, Interieur
Rossen Gargolov
Im Roma hat der Rotstift stellenweise deutliche Spuren hinterlassen: Digitaldisplay statt Analoganzeigen, Tastensterben bedenklichen Ausmaßes, dazu ein begriffsstutziges Tablet-Infotainment.

Nicht dass wir uns missverstehen, auch 911 und McLaren setzen dich nicht zu Tante Edda an den Canasta-Tisch, im Gegenteil. Doch der Roma entwickelt im Alltag einfach mehr Lust, mehr Strebensfreude, mehr Drama, Baby! Weil? Weil er seine 620 PS nicht einfach nur entlädt, sondern zelebriert, den rappigen Rhythmus seiner 180-Grad-Kurbelwelle aus der Ladedruckschwemme emporvibrieren lässt und das wahrhaft furiose Drehzahlfinale mit der Lichtorgel im Lenkradkranz zu feiern weiß; weil der Doppelkuppler den Takt antizipiert, die Drehzahlbänder bei lockerer Gangart zu Schleifchen bindet, nur um dich zu fortgeschrittener Stunde mit ihnen auszupeitschen; und weil du dich irgendwann Hals über Kopf in seine vielen Details verliebst: in Kleinigkeiten wie das Steuerpult des Getriebes, das an die offenen Handschaltkulissen vergangener Tage (leider nur) erinnert; in den Schlüssel, der nichts anderes ist als das Markenemblem für die Hosentasche; und in das Styling, das bewusst mit Traditionen bricht, sie gleichzeitig aber hochleben lässt.

Doch all das wäre nur Kitsch, hätte das Fahrverhalten nicht dieselbe dolcevitale Raffinesse. Im Gegensatz zu Porsche und McLaren, die nie beziehungsweise schon recht früh die Contenance verlieren, trifft der Ferrari zwischen Zucht und Unordnung die Mitte. Die Vorderachse wird von der leichtgängigen Lenkung zum Skalpell geschliffen, cuttet lange Kurven exakt an der Linie entlang oder dolcht in Ecken, das Heck jedoch hat immer Spiel. Nicht in dem Sinn, dass du ständig am Korrigieren bist, aber doch genug, um zu spüren, wo die Musik spielt. Und: wie. Stilrichtung? Die große GT-Gestik vergangener Tage, dargeboten von einem Techno-Orchester aus Aktivdifferenzial, Traktionskontrolle und Side Slip Control – Dissonanz in perfekter Harmonie.

Alte Werte, neue Zwänge

Am Ende also wieder das alte Italo-Lied von wegen Bellezza, F1-Know-how und Basilikum? Nun, der Stallgeruch spielt bei Geschmacksfragen immer mit rein, na klar, allerdings sind auch in Maranello die ganz romantischen Zeiten vorüber, in denen man abends in der Trattoria saß, um sich zwischen Saltimbocca und Barolo einen Daytona auszudenken. Oder zu fortgeschrittener Stunde: den 400i. Nein, selbst hier baut man heute modular. Leistungszahlen ranken sich immer öfter an Grünzeug empor.

Ferrari Roma, McLaren GT, Porsche 911 Turbo S, Exterieur
Rossen Gargolov
Am Ende gibt sich der Roma nicht nur optisch dynamischer als der McLaren und gleichzeitig theatralischer als der Porsche.

Und auch der Rotstift wird längst nicht mehr nur für den Lack gebraucht. Im Roma hat er stellenweise sogar deutliche Spuren hinterlassen: Digitaldisplay statt Analoganzeigen, Tastensterben bedenklichen Ausmaßes, dazu ein begriffsstutziges Tablet-Infotainment, das auch davon nicht zeitgemäß wird, dass es moderner ist als das bisherige. Sogar dieser reizvolle Spleen, die Aerodynamik grundsätzlich subkutan, also ohne störende Flügel-Extremitäten, zu organisieren, ist offenbar nicht mehr ganz so groß wie der Kostendruck – wie einem der banale Ausfahrbürzel recht unverblümt vor Augen führt.

Doch auch wenn die Wertschöpfung südlich der Alpen inzwischen denselben Prinzipien folgt wie überall sonst, die Prioritäten werden anders gesetzt. Nach wie vor. Hebel für Performance und Gelassenheit, die gibt’s zwar auch hier. Und ähnlich wie jene in Zuffenhausen scheinen sie relativ frei beweglich zu sein. Aber hintendran an dieser zischenden Sportwagenmaschinerie, da, wo die Pferdchen das Springen lernen, da muss noch irgendetwas anderes sein. Bestimmt so eine Art Drehregler mit der Aufschrift "Emozioni", der auf Stellung "grande" festgerostet ist.

Technische Daten
Ferrari Roma McLaren GT Porsche 911 Turbo S Turbo S
Grundpreis212.147 €193.008 €246.848 €
Außenmaße4656 x 1974 x 1301 mm4683 x 1213 mm4535 x 1900 x 1303 mm
Kofferraumvolumen272 bis 387 l420 l128 l
Hubraum / Motor3855 cm³ / 8-Zylinder3994 cm³ / 8-Zylinder3745 cm³ / 6-Zylinder
Leistung456 kW / 620 PS bei 5750 U/min456 kW / 620 PS bei 7500 U/min478 kW / 650 PS bei 6750 U/min
Höchstgeschwindigkeit320 km/h326 km/h330 km/h
0-100 km/h3,2 s2,7 s
Verbrauch10,3 l/100 km10,8 l/100 km
Testverbrauch13,2 l/100 km11,7 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten