Jeep Grand Cherokee im Supertest
Nagelprobe für das neue Jeep-Flaggschiff

Die vierte Generation des Familienhäuptlings muss sich im 4Wheel Fun Supertest beweisen. Ist der Jeep Grand Cherokee auch im Gelände ein Maßstab?

Nagelprobe für das neue Jeep-Flaggschiff
Foto: Torsten Seibt

Für Jeep ist der neue Grand Cherokee ein Befreiungsschlag. Der rundum neu konstruierte Oberklasse-Offroader sucht den Anschluss an die etablierte europäische Konkurrenz. On Road sehr erfolgreich, wie unsere ersten Tests bewiesen haben. Der Verkaufserfolg des neuen Jeep-Flaggschiffs gibt den Entwicklern recht, nach Jahren des Stillstands geht es für die legendäre Geländewagenmarke auch in Deutschland wieder steil aufwärts.

Jeep Grand Cherokee 3.0 CRD Overland

Zum 4Wheel Fun Supertest trat der Jeep Grand Cherokee in der Variante an, die in Deutschland am meisten geordert wird und innerhalb der Modellreihe theoretisch die besten Offroad-Gene hat: Mit dem neuen Dreiliter-V6-Diesel stark und wirtschaftlich motorisiert, hat der Jeep Grand Cherokee 3.0 CRD Overland in der Top-Version außerdem die maximale Technik verbaut: Quadra-Drive-II-Allrad und höhenverstellbare Luftfederung. Damit lässt sich die Bodenfreiheit variieren, der Jeep um bis zu acht Zentimeter gegenüber den Stahlfeder-Modellen nach oben fahren. 275 Millimeter Bodenfreiheit liegen dann an, ein ansehnlicher Wert.

Unsere Highlights

Tolles Reisefahrzeug

Auf dem Weg ins Supertest-Gelände in Horstwalde beweist der Jeep Grand Cherokee seine Qualitäten als Reisefahrzeug. Zum Vorgängermodell ein echter Quantensprung. Nicht nur durch die stark verbesserte Ausstattung und Verarbeitung – bis hin zu klimatisierten Ledersitzen und Lenkradheizung ist beim Overland wirklich alles an Bord. Auch das deutlich verbesserte Platzangebot, der durch bessere Geräuschdämmung und aufwändiges Einzelradaufhängungs-Fahrwerk spürbar höhere Fahrkomfort und die erheblich verbesserte Fahrdynamik lassen das bis 2010 gebaute Vorgängermodell wie ein Relikt aus einer anderen Zeit wirken.

Jeep Grand Cherokee 2011 mit neuem Diesel

Der von VM in Italien entwickelte und von Fiat mit konzerneigener Einspritztechnik optimierte Sechszylinder-Diesel zieht wie der sprichwörtliche Büffel über das gesamte Drehzahlband. Erst bei hohem Autobahntempo würde man sich dann allerdings doch eine sechste Fahrstufe wünschen, um das hohe Drehzahlniveau und den dann stark steigenden Verbrauch etwas einzudämmen. Im Testmittel genehmigte sich der Jeep Grand Cherokee 3.0 CRD 9,6 Liter Diesel auf 100 Kilometer, mit sparsamer Fahrweise sind im Überland-Verkehr Werte um acht Liter realisierbar. Die verbaute Elektronik des Testwagens war im Straßeneinsatz nicht vollständig überraschungsfrei. Der Kollisionswarner, Bestandteil des kameragesteuerten Abstands-Tempomaten, nahm des öfteren Hecken oder Verkehrsschilder auf kurvigen Straßen zum Anlass für Fehlalarme. Auch der prinzipiell gut abgestimmte Abstands-Tempomat wusste nicht restlos zu überzeugen, legte des öfteren rüde Bremsmanöver hin und fuhr in anderen Situationen mit hohem Tempo weiter, obwohl vorausfahrende Fahrzeuge langsamer wurden. Ein vorausschauender Fahrer ist dem System klar überlegen.
 
Über die Geländefähigkeiten des neuen Jeep Grand Cherokee gab es andernorts bereits allerlei zu lesen. Was davon der Realität entspricht, lässt sich allerdings auf Feldwegen und in Kiesgruben kaum feststellen – gut, dass es den Supertest gibt. Wie sich der Jeep Grand Cherokee Overland 3.0 CRD hier geschlagen hat, finden Sie in unseren Einzelwertungen. Weitere Infos haben wir in unserer Fotoshow zusammengefasst.

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Test Wertungen
Unterboden
33
maximal 10 Punkte

Optisch wirkt der Jeep „untenrum“ aufgeräumt und gut gegliedert. Die Abgasanlage ragt etwas über die Schweller hinaus und ist stellenweise der tiefste Punkt des Autos, entsprechend gefährdet. Unterfahrschutz-Maßnahmen hat der Overland nicht zu bieten. Die Verkleidung unter dem Motor dient alleine dem Lärmschutz. Es ist zwar möglich, die Frontschürze zu demontieren, beim Overland mit seinem feststehenden Kamera-Auge, das dann als tiefster Punkt an der Front sitzt, ist diese Aktion aber weitgehend sinnfrei. Also bleibt die Schürze im Supertest dran. Überzeugend massiv sind die Achslenker ausgeführt, alle Leitungen und Kabel sauber und sicher verlegt. Sehr großzügige und massive Bergeösen – offen, damit man auch einen Gurt schnell drüberwerfen kann – zeigen dann doch, dass Jeep eine Geländewagenmarke ist. Dennoch wäre ein besserer Aggregateschutz wünschenswert, hier ist Raum für Nachrüstarbeit durch den Kunden.

Torsten Seibt
Verschränkung
128
maximal 200 Punkte

Erste Mutprobe für den neuen Chef-Indianer. Die Geländesteuerung im „Rock“-Modus pumpt das Fahrwerk in die höchste Stufe. Das ließe sich zwar manuell wieder ändern, auf der Verwindungsbahn wird aber jeder Milimeter Bodenfreiheit gebraucht. In der höchsten Stufe steht praktisch kaum noch Federweg zur Verfügung, unbeholfen wippt der Grand Cherokee schon durch die erste, harmlose Verwindungsstrecke. Die Traktionskontrolle arbeitet in der ersten Bahn zufriedenstellend, braucht aber Ermunterung durchs Gaspedal. In der zweiten Verschränkungssektion wird es wirklich ungemütlich.

Der Jeep fällt von einer Seite auf die andere, plumpst vorne herunter und streckt das Hinterteil gen Himmel. Jetzt ist schon reichlich Gas- und Bremseneinsatz nötig, um einen Rest an kontrollierter Fahrt zu ermöglichen. Die Traktionskontrolle kommt bei zwei abhebenden Rädern aus dem Konzept, manche Welle lässt sich nur mit Anlauf bewältigen. Für die Schlüsselstelle in der Mitte der Verschränkungsbahn genügt die Bauchfreiheit nicht, an anderen Sektionsteilen setzt der Jeep geräuschvoll mit der hinteren Bergeöse auf, die den Böschungswinkel einschränkt. Immerhin: auch in voller Verschränkung öffnen und schließen alle Türen problemfrei, die Karosserie verwindet sich kaum.

Torsten Seibt
Fahrwerk
67
maximal 100 Punkte

Was sich schon auf der Verbindungsstrecke zur Sektion abzeichnete, wird beim Fahrwerkstest im Geröllhang zur Gewissheit: in der höchsten Stufe des Luftfederfahrwerks ist der Grand Cherokee fast unfahrbar, stürzt mit wild regelnder Hill-Descent-Control bergab. Auch in der zweithöchsten Fahrwerksstufe ist die Federung viel zu holperig, um kontrolliertes Fahren zu ermöglichen. Also wieder Straßen-Modus: hier arbeitet die Federung befriedigend, allerdings nicht wirklich geschmeidig. Das Anfahren im Geröllhang macht dem Grand Cherokee keine Probleme.

Torsten Seibt
Steigfähigkeit
178
maximal 200 Punkte

Auch hier zuächst der Versuch in der Rock-Einstellung mit selbsttätig hochgefahrenem Fahrwerk. Das geht fast schief: in der Mitte der steilsten Steigungsbahn beginnt der Grand Cherokee mangels Federweg unkontrolliert zu springen, verliert den Bodenkontakt, droht rückwärts abzurutschen. Nur mit Vollgas und leicht erhöhtem Adrenalinspiegel schaffen wir es nach oben. Klare Empfehlung also: bei Steilfahrten im Gelände stets die normale Straßeneinstellung des Luftfederfahrwerks vorwählen! Mit der gelingt auch die steilste Bahn bergauf wie bergab lehrbuchmäßig.

Die Berganfahrkontrolle hält den Wagen rund vier Sekunden in der Steigung, mehr als genug Zeit, um vom Brems- auf das Gaspedal zu wechseln. Vorbildlich: die elektronische Bergabfahrkontrolle. Sie lässt sich über den Getriebe-Schalthebel steuern, je nach vorgewähltem Gang wird das Tempo variiert. In der ersten Stufe kriecht der Jeep mit 1-2 km/h den Berg hinunter. In der Untersetzung ist die Bergabfahrkontrolle immer aktiviert und kann nicht abgeschaltet werden. Ab 35 Prozent Gefälle wird sie automatisch aktiv, bis dahin reicht im ersten Gang die reine Motorbremse.

Torsten Seibt
Handling
82
maximal 100 Punkte

Auf der Handlingstrecke liegt es am Fahrer, wie er die Aufgabe bewältigen möchte. Im Sand-Modus fährt das Fahrwerk abermals nach oben – manuell runter damit. Das abgeschaltete ESP bleibt mit einer Restregelung aktiv, bremst den Jeep bei flotten Fahrmanövern kräftig ein. Die Lenkung braucht zwar erhöhte Kurbelarbeit, ist aber direkt und zielgenau. Für einen Fullsize-Offroader mit 2,4 Tonnen Kampfgewicht gibt sich der Grand Cherokee beim Sandwedeln erstaunlich handlich. Kraft hat der Wagen im Überfluss, die Untersetzung wird nicht benötigt, um den lockeren Sand machtvoll umzupflügen.

Torsten Seibt
Wat-Verhalten
80
maximal 100 Punkte

508 Millimeter Wattiefe erlaubt Jeep dem Grand Cherokee, die schräge Zahl ist der metrischen Umrechnung der US-Werte geschuldet. Die Luftansaugung geschieht in Höhe der oberen Kühlertraverse direkt am Abschluss der Motorhaube, leidlich geschützt von einem Stück Moosgummi. Flotte Wasserspiele sind damit also tabu, die Bugwelle könnte in die Ansaugung eindringen. Die Aggregate des VM-Motors (Lichtmaschine und Klima-Kompressor) liegen sehr tief unten im Motorraum. Der elektrische Lüfter schaltet sich auch während der Wasserdurchfahrt an, schaufelt den Motrorraum voll – tiefe Schlammwasser-Durchfahrten sollte man mit dem neuen Grand Cherokee besser meiden. Die Leuchten bleiben im Tauchbad dicht, der Innenraum gleichfalls, kein Tropfen mogelt sich an den Türdichtungen vorbei.

Torsten Seibt
Übersichtlichkeit / Wendigkeit
57
maximal 100 Punkte

Der Grand Cherokee ist ein stattlicher Geländewagen – mit 215 Zentimeter Außenbreite zwischen den Spiegelkanten passt er gerade so durch unsere Trial-Tore. Mit per Knopfdruck angelegten Ohren reduziert sich die Breite auf 195 Zentimeter. Die hohe Fensterlinie schränkt die Übersicht etwas ein, besonders die Front lässt sich nur schwer einschätzen. Dafür sorgt im Heckbereich die sehr präzise abbildende Rückfahrkamera dafür, dass man buchstäblich auf den Zentimeter genau an Hindernisse heran rangieren kann. Hilfreich nicht nur im engen Wald, sondern beispielsweise auch beim ankuppeln eines Anhängers.

Torsten Seibt
Traktion
41
maximal 50 Punkte

Mit ein wenig Wühlarbeit lässt sich der Grand Cherokee nicht aus der Fassung bringen. Der VM-Diesel treibt den Jeep wuchtig durch das Tiefsandbecken, das Anfahren im tiefen Sand gerät zur Nebensächlichkeit. Die Spurhaltung ist ebenfalls gut, die Traktionskontrolle geht ihrer Arbeit  in dieser Testsektion vorbildlich nach. Auffällig allerdings: selbst im Sand-Modus der Geländeprogramme bleibt das ABS giftig und mit niedriger Regelschwelle, was auf losem Untergrund den Anhalteweg sehr deutlich verlängert.

Torsten Seibt
Antriebssystem
53
maximal 100 Punkte

Ratlosigkeit herrscht im Sandhang, wo wir im Supertest auch tiefe Schlammdurchfahrten simulieren und dabei das Antriebssystem unter die Lupe nehmen. Mit geschalteter Untersetzung war es nahezu unmöglich, den großen Jeep zur Weiterfahrt zu überreden. Die Traktionskontrolle liefert hier eine merkwürdige Vorstellung ab. Sie massiert nicht nur die Bremsen ausgiebig, sondern greift auch in die Motorsteuerung ein.

Das bedeutet, dass der festsitzende Wagen, der zur Weiterfahrt eigentlich kräftig durchdrehende Räder bräuchte, bewegungslos bleibt. Die Drehzahl schwankt im Sekundentakt zwischen 1800 und 4000 Umdrehungen, dann wird wieder abgeregelt. Selbst mit reichlich Anlauf endet die Fahrt in der Mitte des Hangs. Keines der ausgetesteten Geländefahrprogramme brachte irgendeine Änderung in diesem Verhalten.

Einzige Lösung: Straßen-Allrad aktiviert und die Geländesteuerung auf Normal-Modus. Erst dann stellt der Motor ausreichend Kraft und Raddrehzahl bereit, um das Hindernis zu bewältigen. Von der hinteren elektronisch geregelten Differentialbremse des Quadra-Drive-II-Antriebs, von Jeep als Differentialsperre bezeichnet, ist nichts zu spüren. Ebenfalls unschön: trotz handgeschalteter Gangstufe schaltet die Automatik eigenmächtig weiter durch. Die gute Nachricht zum Schluss: thermisch ist der Grand Cherokee CRD nicht aus der Ruhe zu bringen, sowohl Getriebe als auch Motor bleiben bei der Schinderei temperaturmäßig unauffällig.

Torsten Seibt

Fazit

Bei Verarbeitung, Ausstattung und Fahrkultur ist der neue Jeep Grand Cherokee ein echter Meilenstein für die Marke. Im Gelände hat er aber gegenüber dem Vorgänger stark abgebaut. Nicht nur das neue Einzelradaufhängungs-Fahrwerk trägt hierfür Verantwortung, in erster Linie sind es die unflexible, kaum Verschränkung erlaubende Luftfederung und die nicht optimal arbeitenden elektronischen Fahrhilfen. Klarer Tipp: wer den Jeep Grand Cherokee öfter im Gelände einsetzen möchte, sollte zu der Version mit konventioneller Stahlfederung greifen (Laredo oder Limited). Die lässt sich bei Bedarf mit Zubehörfedern dauerhaft höherlegen, ohne an Federweg einzubüßen. Außerdem scheint der Quadra-Trac-Allrad mit seiner starren Kraftverteilung in der Untersetzung dem aufwändigen elektronisch geregelten Quadra-Drive-System des Grand Cherokee Overland mindestens ebenbürtig. Simple Mechanik ist im Gelände nach wie vor das Maß der Dinge.

Technische Daten
Jeep Grand Cherokee 3.0 V6 Multijet 4x4 Overland
Grundpreis59.800 €
Außenmaße4822 x 1943 x 1781 mm
Kofferraumvolumen782 bis 1554 l
Hubraum / Motor2987 cm³ / 6-Zylinder
Leistung177 kW / 241 PS bei 4000 U/min
Höchstgeschwindigkeit202 km/h
0-100 km/h8,7 s
Verbrauch8,3 l/100 km
Testverbrauch12,4 l/100 km