Kia Niro EV und MG4 im Test
Duell der Elektro-Kassenschlager

Nach Japan und Korea strebt die dritte asiatische Automacht nach Europa. Der MG4 ist das erfolgreichste chinesische Auto in Deutschland. Reicht das gegen die etablierte Elektrogröße Kia?

Kia Niro EV, MG4
Foto: Achim Hartmann

Gespannt erwartet man News aus dem Bundestag, aus Krisengebieten, zum Wetter. Die Melodie, mit welcher der Kia Niro EV beim Einsteigen grüßt, erinnert an das Intro eines Nachrichtenmagazins. Der MG wählt die Direktansprache. In etwas wackeliger Computerstimme wünscht er einen schönen Tag oder, wenn man abends einsteigt: "Gehen sie aus, haben Sie Spaß."

Dann gehen wir mal feiern mit dem erfolgreichsten chinesischen Auto in Deutschland. Knapp 8.000 Neuzulassungen verzeichnete der MG4 bereits zwischen Januar und September 2023. Mehr als manch etablierter Kompaktkonkurrent aus Frankreich wie Peugeot 308 oder Renault Megane.

Der große E-Ratgeber

Bekannt von der Straße

Kia Niro EV
Achim Hartmann

34,8 Meter reichen dem MG, um aus 100 km/h mit kalten Scheibenbremsen rundum zum Stillstand zu kommen.

Aus dem Straßenbild kennt man den MG4 bereits. Und auf der Straße gibt er auch ein passables Bild ab. Bei langsamem Tempo verarbeitet sein weiches Fahrwerk mit MacPherson-Vorder- und aufwendiger Fünflenker-Hinterachse Unebenheiten gut, aber harte, beidseitige Anregungen krachen lautstark ins Chassis.

Gröbere Bodenwellen lösen Aufbaubewegungen aus, die jedoch nie kritisch werden. Dank des 150 kW starken Heckmotors spurtet der MG zügig voran, muss jedoch nach ein paar Sprints auf dem Testgelände wie auf Landstraßen schnell Federn lassen, was ihm Punkte bei der Leistungsentfaltung kostet.

Die Lenkung agiert leichtgängig, aber nicht sonderlich präzise. Zwar ist ihr Rückstellmoment angenehm, bei schnelleren Richtungswechseln wirkt sie jedoch seltsam spitz und undefiniert, ohne dabei wirklich direkt zu sein. Die Fahrmodi Eco, Normal, Sport, Schnee und Benutzerdefiniert nehmen wenig Einfluss auf das Gesamtbild, sie verändern hauptsächlich das Ansprechverhalten von Brems- und Strompedal, und auf Schnee setzt die Rekuperation vorsichtiger ein. Dennoch turnt der MG4 neutral bis leicht untersteuernd und gar nicht mal spaßbefreit über Land, neigt sich in die Federn, drückt unter Last aus engen Kehren sanft mit dem Heck, bevor das ESP die kleinen Rutscher sicher korrigiert.

Sparsamer Schnelllader

MG4
Achim Hartmann

An der Ladesäule lässt der MG den Kia alt aussehen. Er hält über 100 kW Ladeleistung bis knapp 60 Prozent SOC. Ein Wert, den der Kia nicht mal im Peak erreicht.

Rekuperieren kann der MG4 mit maximal 55 kW in vier Modi inklusive einer adaptiven, sich dem Verkehrsfluss anpassenden Einstellung. Bei spätsommerlich milden Temperaturen fährt der MG günstige Verbräuche ein. Mit 21,5 kWh/100 km im Test und 18,9 kWh/100 km auf der Eco-Runde inklusive Ladeverluste springt er mit seinem aus NMC-Zellen bestehenden 64-kWh-Akku über die 300-km-Marke bei der Testreichweite. Zwar ist sein Sparpotenzial auf der Eco-Runde nicht so riesig, dennoch gehört er zu den Sparsameren seiner Klasse und gleichzeitig zu den Schnellsten an der Ladesäule (siehe übernächste Seite), was ihn einigermaßen langstreckentauglich macht.

Hier kommt schon das Aber: Weder verfügt der MG4 über eine Laderoutenplanung, die längere Trips auch ohne Planungsaufwand möglich macht, noch über eine vernünftig abgestimmte Fahrerassistenz. Arbeitet der Abstandstempomat noch ordentlich mit, nerven die planlose Verkehrszeichenerkennung und die äußerst nervöse adaptive Spurführung, die gefühlt keinen Meter geradeaus fahren möchte.

Akustisch stürmt der Wind ab 130 km/h präsent um das Auto, während innen VW-Gefühle aufkommen. Weniger durch die etwas haltlosen Sitze, denen eine Sitzflächenneigungsverstellung guttun würde, als durch die etwas triste, aber mit akkurater Verarbeitung glänzende Cockpitgestaltung. Echte Lenkradtasten und ein paar Knöpfe für Spiegel, Lautstärke und Heckscheibenheizung bleiben dem Fahrer, der Rest läuft über das Infotainmentdisplay, auch die Steuerung der Klimaautomatik. Die sollte stets drei Grad über Wunschtemperatur eingestellt sein, da sonst ein arktischer Wind im Cockpit weht.

Digital-Handicap

MG4
Achim Hartmann

Winzige Schrift sowie Trennungs- und Übersetzungsfehler erschweren die Bedienung des Touchscreens unnötig.

Der Touchscreen wäre mit seiner halbwegs logischen Menüstruktur besser zu bedienen, wären Symbole und Tastatur nicht gar so winzig. Zudem neigt er zu Spiegelungen bei Sonneneinstrahlung und glänzt analog zu VW nicht mit Zuverlässigkeit. Staus erkannte das System weit weniger zuverlässig als Schulen und Hänge mit Erdrutschgefahr.

Android Auto und Apple Carplay beherrscht das System via Kabel, doch die Verbindungen waren oft instabil oder bauten sich erst gar nicht auf. Einmal blieben Tacho- und Mitteldisplay sogar schwarz. Die Sprachsteuerung hat auch ihre Launen, versteht kaum Befehle oder deaktiviert sich direkt wieder nach gesprochener Anweisung. Von der oft kolportierten chinesischen Software-Überlegenheit ist im MG nichts zu spüren.

Positive VW-Parallelen notieren wir bei der bequem ausgeformten Rückbank, dem ordentlichen Platzangebot im Fond und dem brauchbaren, wenn auch nicht riesigen Kofferraum, der leider nicht durch einen Frontkofferraum für Ladekabel ergänzt wird. So einen bietet der Kia Niro EV, das Kabel bringt man dort aber nur mit viel Wohlwollen unter.

Im Gegensatz zum MG basiert der Frontmotor-Koreaner nicht auf einer reinen Elektroplattform, sondern auf einer Mischarchitektur. Außergewöhnliche Fahrtalente hat er mit seiner um die Mittellage teigigen, wenig präzisen Lenkung und dem strikt untersteuernden, wenig mitreißenden Handling nicht zu bieten. Dafür federt er feiner, neigt dabei zu deutlichen Aufbaubewegungen, die er jedoch gekonnter und weicher auffängt als der MG.

Das niedrigere Innengeräusch-Niveau und die nach mehreren Beschleunigungsphasen noch uneingeschränkt antretenden 150 kW lassen ihn ausgereifter wirken. Gleiches trifft auf die Fahrerassistenz zu, die einen merklich besseren Job macht, wenn man von der miesen Verkehrszeichenerkennung absieht.

Altgedienter Stromsparer

Kia Niro EV, MG4
Achim Hartmann

16,7 kWh reichen dem Kia auf der Eco-Runde im Schnitt für 100 Kilometer.

Obwohl der Antrieb noch in Grundzügen auf dem des ersten e-Niro aus Ende 2018 basiert, sind die Effizienz und die daraus resultierende Reichweite für einen Kompaktstromer erstklassig. Bei gemäßigter Fahrweise sind über 400 Kilometer machbar. Das Antriebsalter wird dir schlagartig bewusst, wenn es an die Schnellladesäule geht, an der der Kia sehr viel Zeit auf den MG verliert.

So chancenlos wie der Kia an der Ladesäule ist, so düster sieht es für den MG im Karosseriekapitel aus. Der längere und höhere Kia bietet in beiden Reihen mehr Platz und den klar größeren Kofferraum. Der bequemere Einstieg, die neigungsverstellbare Rücksitzlehne, ein kleiner Frunk und ein großes Unterflurfach machen ihn schlicht praktischer. Dazu bietet sein Cockpit mehr fürs Auge, gefällt mit hübscheren Materialien und einer weniger tristen Gestaltung.

Bedienen lässt sich der Kia ebenfalls leichter, dank höherer Tastendichte. Spurhalter, Sitzheizung, Temperatur – vieles lässt sich mit analogen Bedienelementen ein- und ausschalten. Der Touchscreen könnte etwas griffgünstiger positioniert sein und die Umschaltleiste, die auf Touchbefehl zwischen Klimafunktionen und Direktwahl für Infotainmentmenüs wechselt, trifft auf gemischte Reaktionen bei den Testern.

Dafür bietet Kia für den Niro endlich eine Laderoutenplanung an. Die ist zwar von eher einfacher Natur, erlaubt kaum Einstellmöglichkeiten oder Präferenzen, aber dennoch: besser als nichts. Kia senkte den Einstiegspreis, indem man dem Topmodell Inspiration die etwas schlechter ausgestattete Linie Vision zur Seite stellte und die Wärmepumpe zum 1.000-Euro-Aufpreis-Extra machte. Clever oder gemein, Sie entscheiden.

Die Überraschung: Der MG ist bei ähnlichem Ausstattungslevel zwar günstiger, aber längst nicht billig. Als Luxury kostet er 41.990 Euro, bietet sieben Jahre Garantie wie der Kia und kostet im Unterhalt mit jährlicher Wartung und höherem Wertverlust sogar mehr. Trotzdem liefert er abgesehen von seinen Software-Malaisen mit guter Reichweite, hoher Ladepower und kurzen Bremswegen einen gelungenen Einstand ab.

Der Kia kommt spürbar teurer, fühlt sich aber auch wertiger und geschliffener an. Daher tanzt er und nicht der feiermotivierte MG mit dem Testsieg in die Nacht.

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Fazit

1. Kia Niro EV
583 von 1000 Punkte
2. MG4
547 von 1000 Punkte
Technische Daten
MG 4 Electric LuxuryKia Niro EV Vision
Grundpreis37.990 €45.690 €
Außenmaße4287 x 1836 x 1504 mm4420 x 1825 x 1570 mm
Kofferraumvolumen363 bis 1165 l475 bis 1412 l
Höchstgeschwindigkeit160 km/h167 km/h
0-100 km/h8,0 s7,8 s
Verbrauch16,1 kWh/100 km0,0 kWh/100 km
Testverbrauch21,5 kWh/100 km21,3 kWh/100 km