Mercedes-AMG GT 63 S vs. Porsche Panamera Turbo S
Wer ist der King im Ring?

Auf der Nordschleife lieferten sich der Porsche Panamera Turbo S und der viertürige Mercedes-AMG GT ein Fernduell, jetzt und hier gibt es den direkten Schlagabtausch: 630 gegen 639 PS, Superheld gegen Oberbösewicht.

Mercedes-AMG GT 63 S, Porsche Panamera Turbo S, Exterieur
Foto: Rossen Gargolov

Ölflasche auf dem Boxendach, Curbs wie die Fanschals der Sechz’ger, motodromantische Lichtstimmung – Sie sehen: Diese Geschichte spielt in Hockenheim. Ihre besondere Brisanz jedoch zieht aus Richtung Eifel herein – von der Nordschleife, wo sich diese beiden zuletzt ein erbittertes Duell geliefert haben. Oder wie manche meinen: ein ziemliches Gegockel.

Angefangen hat AMG. Im Oktober 2018 brannte deren viertüriger GT eine neue Oberklassenbestzeit in die Grüne Hölle, die weltweit für Furore sorgte. Und: für grantige Gesichter in Stuttgart-Zuffenhausen.

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Mercedes als Herr des Rings? Das konnten die Gralshüter schwäbisch-gründlicher Sportlichkeit ja unmöglich auf sich sitzen lassen. Das Dumme: Porsche fehlte das Gegenmittel – ein Meister Proper, der den Fleck wieder rauskriegt aus der weißen Weste. Der reguläre Panamera Turbo war mit seinen 550 PS schlicht zu schwach, um dem 639 PS starken AMG gefährlich zu werden. Der Turbo S E-Hybrid hätte in Gestalt epischer 680 PS zwar die nötige Power, steckt wegen der ganzen Elektromotorik aber in einer Bleiweste. Was tun? Ein Glückwunschkärtchen nach Affalterbach schicken und artig hinten anstellen? Passt nicht zum Selbstverständnis! Also hat man aus der Not im Zuge des Panamera-Facelifts eben eine Tugend, genauer: ein Modell, gemacht: Den neuen Turbo S ohne E-Zusätze, der mit 630 PS genau auf den Erzrivalen zielt.

Mercedes-AMG GT 63 S, Porsche Panamera Turbo S, Exterieur
Rossen Gargolov
Zweimal Ü-fünf-Meter-Limo. Zweimal V8 mit Turbo. Zweimal Allradantrieb. Doch anders als am Ring entscheidet hier die Gesamtheit aller Fahrfertigkeiten.

Im August stand die designierte Retourkutsche dann an der Nordschleife und holte zum Gegenschlag aus. Mit Erfolg. Doch wer dachte, Porsche hätte die Kräfteverhältnisse nun ein für allemal geklärt, der irrte. Lediglich 0,3 Sekunden konnte der frisch gebackene Turbo S dem AMG abknapsen. Und ganz ehrlich? Auf einer 20,8 Kilometer langen Strecke fällt das fast schon in die Kategorie Messtoleranz.

Bei AMG ließen sie sich jedenfalls nicht zweimal bitten und schickten die jüngste, elastokinematisch optimierte Version ihres Altstars zurück ins Rennen. Nach 7.27,800 Minuten war klar: A bisserl was geht alleweil! Runde zwei Sekunden Vorsprung auf Porsche, Spieß umgedreht!

Nun kann man sich zu diesem Ringelpiez natürlich vieles fragen. Ob es das nun gewesen ist? Ob Porsche noch was im Köcher hat? Notfallpläne für einen Turbo RS vielleicht? Oder aber: Was das Ganze eigentlich soll? Ob es wirklich nottut, sich mit zwei Tonnern um die Ohren zu fahren, bloß damit man sich danach hochoffiziell auf die Brust trommeln und brunftige Facebook-Posts absetzen kann?

Der springende Punkt: Die Nordschleifen-Zeiten ziehen, erregen Aufmerksamkeit. Oder wie man heute sagt: Sie gehen steil. Vielleicht sind sie inzwischen sogar das, was früher mal der Null-hundert-Wert gewesen ist – also die harte Stammtischwährung. Jedoch gibt es ein Problem: ihre Vergleichbarkeit. Sicher, sämtliche Rekorde werden inzwischen notariell beglaubigt. Die Zeiten fadenscheiniger "Beweisvideos" dürften damit vorbei sein, allerdings sind die Damen und Herren, die da ihren Servus unter die Messung setzen, eben auch keine technischen Kommissare, die Gewichte überprüfen, Leistung messen et cetera.

Mercedes-AMG GT 63 S, Porsche Panamera Turbo S, Motoren
Rossen Gargolov
Beide Kontahenten verpuppen die Kraft von vier Liter großen V8-Motoren mit dem Nachdruck zweier Lader. Das Porsche-Aggregat schüttet 820 Nm aus, der AMG gar 900.

Um Himmels willen, wir wollen hier niemandem was unterstellen. Aber, wie sagt man doch gleich: Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Und aus diesem Grundsatz lassen wir die Streithähne nun eigenhändig aufeinander los: am selben Tag, unter identischen Bedingungen, nach unseren Regeln. Kurz: in einem Vergleichstest. Die Schwierigkeit: Anders als am Ring entscheidet hier die Gesamtheit aller Fahrfertigkeiten – obwohl die Rundenzeit als Königsdisziplin natürlich im Mittelpunkt steht. Grundsätzlich, und im Falle dieses Rekordjagd-Geschwaders umso mehr.

Zu den Vorzeichen. Beide verpuppen die Kraft von vier Liter großen V8-Motoren mit dem Nachdruck zweier Lader. Das Porsche-Aggregat schüttet 820 Nm aus, der AMG gar 900. Zu Fuße der jeweiligen Muskelberge liegen hochvariable Allradantriebe, die sich mit Wankstabilisatoren und Hinterachslenkungen zu regelrechten Fahrdynamik-Kartellen zusammenschließen. Deren gemeinsames Ziel: Ü-fünf-Meter-Limos möglichst klein zu kriegen. Das Kunststück gelingt hüben wie drüben – in teils absurdem Maße, aber auf jeweils eigene Art.

Und damit sind wir bei Unterschieden, die weit größer ausfallen als jede Rundenzeit-, Preis- oder Punktedifferenz. Wäre das hier Hollywood, dann trüge diese Story wahrscheinlich den Titel "Der Schöne und das Biest". Oder etwas actionlastiger: "Spiderman versus King Kong" Wer wen verkörpert? Sollte klar sein, zumal die Farbgebung den Assoziationen ein bisschen auf die Sprünge hilft. Aber auch die Charakterzüge passen fabelhaft ins Bild.

Spiderman versus King Kong

Porsche Panamera Turbo S, Exterieur
Rossen Gargolov
Die Handlungsstränge des Panamera um­garnen einen wie ein Spinnennetz: fili­gran und hochsensibel. Erst am Limit leiert die Bindung etwas aus.

Porsche baut den klassischen Superhelden. Den schizophrenen Good Guy, der abseits der Rennstrecke ein ganz normales Leben führt. Anschmieg­sames Luftfahrwerk, distinguierter Doppelkuppler, dazu eine vielschichtige Leistungsentfaltung mit wolligem Klang und reichlich Turbo-Flausch. Erst wenn man den Ernstfall einläutet, schlüpft er in seine zweite Haut. Die liegt bedeutend enger an, härtet die Komfortpolster aus, verändert aber nicht den Typ: Auch unter Hochdruck agiert der Panamera eher mit List als mit Gewalt, bewegt sich filigran, killt softly, bleibt der Gutmütige – stets.

Anders der AMG. Er packt dich direkt mit der Pranke, völlig egal, ob es gerade um die Rettung der Erde geht oder um einen Kreisverkehr in Sindelfingen. Sicher, das finstere Image ist auch Design-getrieben, bloß macht er keinerlei Anstalten, sich davon freizufahren. Der Komfort bewegt sich auf überschaubarem Niveau, die Akustik ist genauso furchteinflößend wie der Schub, die Befehlskette bei ihm eher Fessel als Modeschmuck.

Einzig wirkliche Gemeinsamkeit mit dem Panamera: Die Sitzposition, die einen zusammen mit der Ergonomie, schwupp, rausholt aus der viertürigen Realität und samt der Fahreindrücke, diwupp, in die Sportwagenwelt verpflanzt. Packende Seitenwangen, steil stehendes Lenkrad – Rennflair in der Luxusklasse. Die perfekte Illusion? Eher: verdrehte Tatsachen! Okay, im Alltag erinnern einen entgegenkommende Landmaschinen bisweilen daran, dass man Größe zwar verschleiern, aber nicht verschwinden lassen kann. Auf der Strecke jedoch brechen die Dämme dann ebenso wie sämtliche Regeln der Zunft.

Mercedes-AMG GT 63 S, Exterieur
Rossen Gargolov
Der Mercedes fährt wie er gewachsen ist: Alphamännlich, durchtrieben, unabhängig. Kurvenausgangs lässt der AMG-Allrad gerne den Bären steppen. Seitwärts, versteht sich.

Aber noch mal: Die dortige Performance macht nur einen Teil unseres Zeugnisses aus. Und zum Leidwesen von AMG gehen die übrigen Disziplinen entweder unentschieden oder pro Porsche aus: Der Panamera schlängelt sich eine Idee flinker um die Slalomhütchen, wiegt trotz der üppigeren (Komfort-)Ausstattung drei Kilo weniger, sprintet ein Zehntel schneller und bremst kürzere Wege – seiner piekfeinen ABS-Regelung sei Dank. Unterm Strich: Vier Punkte Vorsprung, die das Duell im Grunde vorentscheiden. Nur geht es diesmal eben um mehr als Zahlen. Es geht ums Prestige, darum, die Machtstellung von der Nordschleife entweder zu untermauern oder geradezurücken – je nachdem.

Der Herausforderer legt vor, kommt mit Wucht und vor allem mit Geschick. Kraftverteilung und Allradlenkung wirken wie Flaschenzüge auf die sperrige Statur, wickeln den Panamera in enge Kurven, spulen ihn durch Bögen. Allerdings merkt man, dass er sich nie ganz frei bewegen darf. Die Lenkung wirkt untergraben, stellenweise sogar unproportional zur Reaktion, beim Rausbeschleunigen deckelt die Elektronik außerdem den Drehmomentzufluss.

Der Mercedes? Fährt wie er gewachsen ist. Alphamännlich, durchtrieben, unabhängig. Und Letzteres ist womöglich das Entscheidende. Er presst genauso unerbittlich ums Eck, windet sich mit derselben Technik-Raffinesse aus seinem massigen Körperbau, schiebt gigantisch. Doch während der Panamera kurvenausgangs eben an der Leine liegt, lässt der AMG-Allrad den Bären steppen. Seitwärts, versteht sich. Damit muss man umgehen können, muss gegenhalten. Mit Feingefühl, mit schnellen Reaktionen, mit Mut. Doch der wird belohnt: 0,2 Sekunden schneller als der Panamera. Törööö! Rekordhaltung gewahrt, Ruf gefestigt, zuletzt gelacht. Erneut. Thema erledigt?

An sich: ja! Wäre da nicht das Reifenthema, das die gesamte Wettkampfsituation in die Realitätsferne zieht. Beide Power-Limos erzielten ihre Rundenzeiten nämlich auf beziehungsweise mit tatkräftiger Unterstützung von Semislicks – damals auf der Nordschleife ebenso wie hier und heute. Das ist völlig legitim, schließlich werden die Dinger offiziell angeboten – bei AMG ab Werk, bei Porsche übers Händlernetz. Die Nachfrage jedoch geht, Überraschung, gegen null. Ich meine, schauen Sie sich die beiden an: Das sind Alleskönner, die durch den Sportreifen auf einmal zu – Verzeihung – Fachidioten werden.

Und damit noch nicht genug: Selbst wenn man mit der Amputation der Alltagstauglichkeit leben könnte, weil man, was weiß ich, tatsächlich der Ansicht ist, einen Luxus-Lulatsch regelmäßig über Trackdays schleifen zu müssen – selbst dann sind die Komplikationen größer als der Ertrag.

Okay, der stringente Panamera harmoniert ganz gut mit dem Schienen-Grip der Michelins – vorausgesetzt, man kriegt Temperatur in den Gummi. Und: hält sie drin. Der GT jedoch lebt eigentlich vom Swing, von einer fein ausbalancierten Handling-Komposition aus Power und Slide, die durch die erhöhte Seitenführung buchstäblich verkantet. Statt weich im Winkel zu surfen, wie wir das von ihm gewohnt sind, kippelt der sportbereifte GT zwischen Haft- und Gleitreibung hin und her, rastet ein, rastet aus, hickst und hackt. Schneller ist er damit, bleibt bloß die Frage, ob es immer alleine darum geht.

Umfrage
Dass AMG bald auch Elektroautos baut, finde ich ...
8020 Mal abgestimmt
... super. Auch ein Sportwagen-Spezialist muss mit der Zeit gehen.... tragisch. Solche Autos brauchen emotionale Verbrenner als Antrieb.

Fazit

Der Panamera gewinnt nach Punkten, AMG bestätigt sich im Amt des Rundenrekordhalters – duftet eigentlich schwer nach Friede, Freude und Eierkuchen. Doch so einfach ist es nicht, zumal hüben wie drüben mehr drin war. Noch mehr! In Affalterbach wird sie die Tatsache wurmen, dass der GT 63 den hohen Reifengrip nicht in bessere Bremswerte umsetzen kann. Porsche wiederum bringt sich mit einer vergleichsweise konservativen Fahr­sicherheitspolitik um die schnellere Hockenheim-Zeit. Geteiltes Leid: der eiskalte Asphalt, der den Faktor Semislick reduziert.

Technische Daten
Mercedes AMG GT 63 S 4Matic+ S
Grundpreis178.738 €
Außenmaße5054 x 1953 x 1447 mm
Kofferraumvolumen455 bis 1324 l
Hubraum / Motor3982 cm³ / 8-Zylinder
Leistung470 kW / 639 PS bei 5500 U/min
Höchstgeschwindigkeit315 km/h
0-100 km/h3,3 s
Verbrauch12,5 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten