Nissan Ariya vs. VW ID.4 im Vergleichstest
Wer baut den besseren E-Crossover?

Einst war Nissan mit dem Leaf einer der großen Elektro-Player. Doch im Trubel der neuen E-Welt, in der immer mehr Akteure aus China mitspielen, geriet die Marke ins Hintertreffen. Jetzt hat sie mit dem Crossover Ariya nachgelegt. Ein Duell mit dem etablierten VW ID.4 klärt, wie seine Chancen stehen.

Nissan Ariya, VW ID.4
Foto: Achim Hartmann

Puh, wie ernüchternd es wohl gewesen sein muss, als Nissan-Händler den Prämien-getriebenen Sturm auf Elektroautos nur als laues Lüftchen zu erleben. Insbesondere wenn man mit dem Leaf vor über einem Jahrzehnt den Markt angeführt hat. Wie mag sich das auf einer Schmerzskala von eins bis zehn angefühlt haben? Mindestens nach Stufe acht. Dass große Marken wie VW zu den Spätzündern zählen, war da eher ein schwacher Trost. Mittlerweile jedoch glätten sich die Sorgenfalten, denn zum Leaf gesellten sich der Renault-Kangoo-Ableger Townstar EV und der komplett neue Ariya hinzu. Er zieht auf der Straße viele Blicke auf sich und lockt so sicher neue Interessenten in die Schauräume.

Unsere Highlights

Also sortieren wir den 4,60 Meter langen Coupé-Crossover, der technisch mit dem Renault Megane E-Tech verwandt ist, mal ein. Zur Wahl stehen zwei Akkupakete (63 oder 87 kWh netto), Varianten mit nur einer E-Maschine vorn (160 und 178 Kilowatt) sowie zwei Allradler mit bis zu 290 kW. Beim ID.4 fassen die Speicher 52 oder 77 kWh, die Motoren powern mit 125, 150, 195 und 220 kW. Ja, da kann Freude aufkommen.

ID.4: Größere Batterie und mehr Gewicht

Nissan Ariya, VW ID.4
Achim Hartmann

15,1 Sekunden benötigt der ID.4 für den Sprint von 0 auf 130 km/h. Da düst der Ariya, der auf 130 km/h nur 12,9 Sekunden braucht, längst gen Vmax. Einer der Gründe ist der kleinere und leichtere Akku im Nissan.

Tut sie hier aber weniger. In diesem Vergleichstest setzt Nissan nicht auf vollen Schub, sondern schickt die Basismotorisierung mit kleinem Akku. Clever, denn so bringt der Ariya nur knapp zwei Tonnen auf die Waage, während der ID.4 mit seinen 2.161 Kilogramm viel schwerer unterwegs ist, was auch der großen Batterie geschuldet ist. Der Motor an der Hinterachse mit seinen 150 kW und 310 Nm ist dem Ariya-Aggregat ebenbürtig, kann das Mehrgewicht jedoch nicht kompensieren.

Und schwuppdiwupp enteilt der Nissan mit seinen 300 Nm Drehmoment dem ID.4 mühelos, wirkt lebhafter und erledigt Überholmanöver deutlich fixer. Im Zwischenspurt von 80 auf 120 nimmt er dem VW 1,3 Sekunden ab. Trotz des kleinen Akkus fällt die Reichweite nicht in den Keller, weil seine fremderregte E-Maschine etwas weniger Energie benötigt. Verbrauchswerte zwischen 19,6 (Eco) und 22,6 kWh (Pendler) erlauben 300-Kilometer-Trips ohne Ladepause, wenn der rechte Fuß halbwegs leicht bleibt. Der ID.4 kommt mit 22 und 24,6 kWh/100 km nicht viel weiter. Interessant in diesem Zusammenhang: Der VW rekuperiert nur mit maximal 0,25 g Verzögerung, während der Nissan je nach Fahrmodus segelt, dezent verzögert oder im One-Pedal-Betrieb bis 10 km/h hinten runter nachdrücklich abbremst.

Weg mit dem Gezerre

Nissan Ariya
Achim Hartmann

Im Nissan empfängt den Fahrer ein cleanes und hochwertiges Cockpit mit schicken Bedienleisten.

Nicht schlecht für den Anfang, doch leider fehlt es an Harmonie. Bei forscher Fahrweise vibriert der E-Motor aufgeregt, zerrt an den Vorderrädern, die wiederum nach Traktion kratzen. Für Ruhe sorgt ein rigide eingreifendes ESP – wohlgemerkt, auch auf trockener Fahrbahn.

Ein ähnliches Drama führt die indifferente Lenkung auf: Minimales Feedback und deftige Rückstellkräfte rund um die Mittellage sind nun wirklich nicht zielführend. Kurvige Strecken meistert der Nissan kräftig untersteuernd und wankend. Entsprechend zahnlos wedelt er um die Hütchen auf der Messstrecke.

Da wäre es ganz geschickt, wenn der in Tochigi (Japan) gefertigte Kraftwagen zumindest komfortabel federn würde, oder? Macht er aber nicht. Stattdessen wählte Nissan eine Fahrwerksabstimmung, die nahezu jede Fuge und Welle kopiert oder die Insassen gleich gen Dachhimmel katapultiert. Ob leer oder beladen, spielt fast schon keine Rolle mehr. Als Spezialist für freudvolles Fahren und geruhsame Langstreckentouren profiliert sich der Ariya gewiss nicht.

Traktionsstark und präzise

VW ID.4
Achim Hartmann

Der VW hält innigen Kontakt zur Fahrbahn, bremst kräftiger als der Nissan und leuchtet mittels adaptiver LED-Scheinwerfer besser ums Eck.

Womit wir zum adaptivgedämpften ID.4 kommen, der sich in beiden Genres überaus wohlfühlt. Er fährt zwar sachter an, folgt dafür aber leise, vibrationsarm und unbeschwert der vorgegebenen Linie. Aufgrund des Heckantriebskonzepts kann seine direkt übersetzte Progressivlenkung einfach konsequent ihre Arbeit machen – also präzise lenken. Da auch der Schwerpunkt passt (im Ariya sitzen die Passagiere sieben Zentimeter höher), durcheilt der traktionsstarke VW Kurven jeglicher Art flott und souverän. Notfalls justiert das Stabilitätsprogramm feinfühlig nach, wobei der schwere E-SUV eher über die Vorderachse schiebt, als mit dem Heck nach außen zu drängen. Für den Winter empfehlen wir jedoch einen zahmeren Fahrstil und Winterreifen erster Güte.

Gleichfalls eine Empfehlung verdient das DCC-Fahrwerk (Dynamic Chassis Control) mit seinen adaptiven Dämpfern. Von sportlich-herb über gleichmütig bis hin zu leicht wogend (im Individual-Modus) beherrscht der Stromer viele Gangarten und liefert weit mehr Federungskomfort ab als der ruppige Nissan.

War’s das jetzt mit der Kritik am Ariya? Nicht ganz. Denn wie so oft schmälert auch hier ein modisches Design den Nutzwert. In den Außenabmessungen ganz nah beim ID.4, kommt der Nissan innerlich nicht an dessen luftiges Raumangebot ran. Schon Fahrer um die 1,80 Meter geraten mit der Stirn schnell an die Dachkonsole. Im Fond geht es an den Köpfen ohnehin eng zu – schade, denn der Normsitzraum, sprich die Beinfreiheit, ist große Klasse.

Knapp bemessen wiederum ist das Stauvolumen im Heck: 468 bis 1.350 Liter müssen reichen. Dass auch die Zuladung mit 414 Kilogramm eher dürftig ist, fällt da kaum mehr ins Gewicht. Immerhin hilft der Ariya mittels vertikal aufstellbarer Bodenplatten bei der Ladungssicherung. Der kantigere VW hält mit einem großen Unterbodenfach, faltbarem Boden (je nach Ausstattung) und Durchlade dagegen und nimmt mit 543 bis 1.575 Litern viel mehr Gepäck mit. Erlaubte Zuladung hier: 499 kg.

Was für ein Vergnügen!

Nissan Ariya
Achim Hartmann

Erst zum Start erscheinen in den kunstvollen Leisten die Icons.

Geht es um ein stilvolles Ambiente und ungewöhnliche Features für 50.490 Euro (Nissan hat gerade den Grundpreis um 6.000 Euro reduziert), ist der Ariya als Evolve Pack ganz vorn dabei. Im gesamten Interieur gibt es feinste, samtige Auslegeware in Wildlederoptik, im stilistisch reduzierten Cockpit sind die Luftausströmer piekfein eingepasst. Das Highlight: holzartige Zierleisten auf Dashboard und Mittelkonsole, auf denen sich Bedienfelder für Klimaautomatik, Fahrmodi und Rekuperation zart abzeichnen. Wenn der Fahrer sie drückt, erhält er eine vibrierende Rückmeldung und die Tasten leuchten auf. Die große Konsole surrt elektrisch vor und zurück, so lässt sich die Position der Getriebesteuerung an die Armlänge anpassen; wer mag, kann sie in einem Fahrerprofil abspeichern. Nett auch die Box samt ausklappbarem Tischchen unterhalb der Instrumententafel und die beiden großen Displays. Links blickt der Fahrer auf große, nicht allzu üppig konfigurierbare Rundinstrumente plus die üblichen Bordcomputerdaten. Daneben der hochauflösende Touchscreen, über den sich Infotainment, Navi und Lademanagement dank großer Kacheln ohne Missverständnisse regeln lassen. Generell fällt die Bedienung im Vergleich zum VW leichter. Was vergessen? Ach ja – das große, gut gemachte Head-up-Display. Und die feinen, belüfteten, aber nicht ganz perfekt ausgeformten Sessel.

Wenig Flair, hoher Preis

Nissan Ariya, VW ID.4
Achim Hartmann

Beim Ariya zählen teure Extras wie Wärmepumpe, gewisse Assistenzsysteme, Panorama-Schiebedach und dreiphasiger 22-kW-Bordlader zur Serienausstattung.

Dagegen wirkt so ein ID.4 Pro Performance (48.635 Euro) mit seinem kleinen Instrumentenpanel, der konventionellen Mittelkonsole, dem wenig glamourösen Touchscreen und der fatalen Bedienphilosophie schon ziemlich profan. Der Verkäufer im VW-Showroom dürfte, ja muss auf das riesige Head-up-Display hinweisen, mildert es doch den Frust über den simplen Tacho. Es ist für schlanke 1.450 Euro zu haben, verschnürt im Infotainment-Paket Plus, das mit Navigation, Soundsystem und Telefonie samt induktiver Ladestation wirklich immer an Bord sein sollte.

Nickt der Kunde willig? Dann gleich das ähnlich substanzielle Top-Sport-Plus-Interieur anpreisen (3.450 Euro). Nur dann bauen die VW-Werker in Zwickau wahrlich top ausgeformte Sportsitze mit streckbarer Oberschenkelauflage ein. Zudem sorgen hellbraune Einsätze und softe Oberflächen für etwas mehr Lebensfreude im grauen Innenraum. DCC-Fahrwerk und Progressivlenkung für 1.150 Euro sollten ebenfalls nicht fehlen. Schon rattert der Kaufpreis rauf auf fast 55.000 Euro, und noch immer bleibt viel Luft nach oben. Beim Ariya hingegen zählen selbst teure Extras wie Wärmepumpe, gewisse Assistenzsysteme, Panorama-Schiebedach und dreiphasiger 22-kW-Bordlader zur Serienausstattung.

Der ID.4 schafft nicht mehr als 11 kW Ladeleistung, steht also an der Wallbox doppelt so lang. Am Schnelllader hingegen zieht er dem verträumten Ariya das Fell über die Ohren (siehe Kasten links). Und zwar weit stärker, als die theoretische Differenz in der Ladeleistung (135 zu 130 kW) vermuten ließe.

So bleibt dem Ariya nicht viel mehr als ein erster Platz in der Kostenwertung. Aber, ehrenwerte Nissan-Mitarbeiter, ihr müsst nicht in Trübsal versinken! Gegen einen derart ausgewogenen VW haben schon ganz andere Stromer verloren. Euer Ariya wirkt hochwertig und eigenständig, er fährt sparsam – und bringt sicher wieder Arbeit für eure Händler.

Technische Daten
Nissan Ariya 63 kWh Evolve PackVW ID.4 Pro Performance (77 kWh) Pro
Grundpreis50.490 €46.335 €
Außenmaße4595 x 1850 x 1650 mm4584 x 1852 x 1634 mm
Kofferraumvolumen468 bis 1350 l543 bis 1575 l
Höchstgeschwindigkeit160 km/h160 km/h
0-100 km/h8,3 s8,9 s
Verbrauch0,0 kWh/100 km4,9 l/100 km
Testverbrauch23,5 kWh/100 km24,6 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten