Ansichtssache Autonomes Fahren
Schöne neue Welt hinterm Steuer

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Verheißt das Autonome Fahren eine automobile Zukunft in Entspannung und Freiheit, oder ist es bloß ein weiterer Schritt zur Entmachtung und ein Beschnitt unserer Selbstbestimmung?

Birgit Priemer
Foto: Hans-Dieter Seufert

Brigit Priemer freut sich auf die entspannte Zukunft

Gehören Sie auch zu den Menschen, die immer spät dran sind? Die selbst bei wichtigen Terminen buchstäblich in letzter Sekunde vorfahren, um dann entnervt feststellen zu müssen, dass es im Parkhaus nur noch im letzten Eck einen Platz zu geben scheint? Ihnen kann durch autonomes Fahren geholfen werden – vorausgesetzt, der Paragraf 8.5 des Wiener Abkommens von 1968 fällt irgendwann.

Bislang muss "jeder Führer sein Auto oder seine Tiere beherrschen" können – was mit Blick auf die vielen Formen des autonomen Fahrens, die wir auf der IAA sehen konnten, völlig überholt ist. Seien wir ehrlich: Das Auto wird uns in Zukunft weniger brauchen, als uns im ersten Moment vielleicht lieb ist. Aber es ist an der Zeit, sich an diesen Gedanken zu gewöhnen.

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Mit autonomen Fahrzeugen ist die lästige Parkplatzsuche vorbei

Das neue 360-Grad-Kamerasystem, das Mercedes für S- und E-Klasse anbietet, kann das komplette Umfeld des Autos autonom überwachen – und auf Fußgänger, die vom Straßenrand überraschend vor das Fahrzeug laufen, blitzschnell mit einem vollautomatischen Bremseingriff reagieren. Ist daran etwas schlecht? Die Entwicklungsarbeiten zum autonomen Fahren gehen aber weiter. Audi arbeitet zum Beispiel intensiv am automatischen Einparken.

Irgendwann, wenn das Wiener Abkommen endlich außer Kraft gesetzt ist, werden notorische Zuspätkommer kräftig davon profitieren: Stellen Sie sich vor, Sie geben Ihr Auto unten im Parkhaus ab, es findet autonom einen Parkplatz, ohne dass Sie sich darum kümmern müssten, und es kommt auch automatisch wieder heraus, wenn Sie wieder wegfahren wollen. Vorausgesetzt, Sie haben vorher rechtzeitig per App auf Ihrem Smartphone Bescheid gegeben. Ist daran etwas schlecht? Oder gibt es jemanden, der seine Zeit gerne in dunklen Parkhäusern verbringt? Ich jedenfalls nicht.

Die S-Klasse ist autonom von Pforzheim nach Mannheim gefahren

Das autonome Fahren entlastet und hilft uns, Lebenszeit zu gewinnen. In einem ersten Schritt im Stop-and-go-Verkehr, wo man als Fahrer das nervige Anfahren-Bremsen-Anfahren-Bremsen der Technik überlassen kann. Doch es geht weiter: Mercedes hat im Vorfeld der IAA erstmals eine S-Klasse autonom die Strecke von Mannheim nach Pforzheim zurücklegen lassen, und Konzernlenker Dieter Zetsche ließ sich bei der Pressekonferenz autonom – also ohne Fahrer am Steuer – auf die Bühne fahren. Nissan-Chef Carlos Ghosn hat das selbstfahrende Auto für 2020 angekündigt, andere Experten halten 2025 bis 2030 für realistischer.

Geht dann der Spaß am Autofahren verloren? Diese Befürchtung teilt Daimler-Zukunftsforscher Alexander Mankowsky nicht: "Die Menschen wollen immer Spaß haben. Aber die Art, wie sie Spaß erleben, ändert sich. Wenn man als Selbstfahrer feststellt, dass jemand ein autonom gelenktes Auto viel entspannter verlässt, als wenn man es selbst pilotiert hat, dann ändert sich der Blickwinkel schnell." Also Schluss mit der Angst vor weniger Fahrspaß. Vielleicht bringt die Zukunft sogar mehr davon – wenn auch auf andere Art und Weise.

Jörn Thomas will selbst lenken

Ob ich autonomes Fahren nun toll oder blöd finde, ist der Automobilgeschichte schnurz – es wird auf jeden Fall dazu kommen. Aber: Es soll nachher keiner sagen, ich hätte ihn nicht gewarnt. Einszweidrei, im Sauseschritt läuft die Zeit; wir laufen mit – das wusste 1877 schon Wilhelm Busch. George Orwell und sein "1984" sind ebenfalls schon lange überholt, wir haben 2013 und stehen ziemlich nah an der automobilen Wende. Gas, Kupplung, Bremse, Schulterblick und Popometer – Begriffe, die in einigen Jahren höchstens noch an Werkstatt-Lagerfeuern die Runde machen dürften. Bis dahin können wir uns schon mal mit den ersten Ausläufern des autonomen Fahrens herumplagen.

Wer die Spur nicht halten kann, sollte die Fahrerei ganz lassen

Autonomie, das steht für Selbstständigkeit, Entscheidungsfreiheit. Doch wenn mir eine unsichtbare Macht – etwa beim DTR-Plus-System von Mercedes – unterschwellig ins Lenkrad greift, sehe ich die beeinträchtigt. Wer eine Treppe hochlaufen kann, braucht auch keinen Zwangslift. Nichts gegen den Abstandsregeltempomaten als Gleithilfe auf Autobahnen, aber ein "ständiges leichtes Lenkmoment, das dem Fahrer hilft, in der Mitte der Spur zu bleiben"? Hallo, geht‘s noch? Einen Beifahrer, der mir einfach so ins Lenkrad greift, schmeiße ich schließlich auch sofort raus. Und wer es aus eigener Kraft nicht mehr schafft, seinen Wagen in der Mitte der Spur zu halten, der sollte die Fahrerei ganz bleiben lassen. Natürlich kann auch ich mal einen anderen Verkehrsteilnehmer übersehen. In diesem Fall darf mich mein Wagen ruhig warnen, notfalls sogar bremsen – nur Fahren insgesamt möchte ich doch bitte schön noch selbst.

Klar, Flugzeuge fliegen schon lange autonom per Autopilot, und computergesteuerte Schienenfahrzeuge gibt es en masse. Nur: Flugzeuge müssen kilometerweit Abstand halten, und eine Bahn hat die Schiene prinzipiell für sich allein. Anders im Auto, mit dem wir ständig in einem mehr oder weniger dichten Schwarm umherwuseln – jeder mit ganz unterschiedlichen Zielen und Fahrprofilen.

Google muss nicht überall das Sagen haben

So attraktiv manchem die Vorstellung erscheinen mag, endlich im Auto legal und permanent sozial zu netzwerken, liken, sharen und twittern – ich will das Lenkrad buchstäblich in der Hand behalten und es mir nicht von Google oder sonstwem aus der Hand nehmen lassen. Es genügt doch, wenn die Bevormundung in anderen Lebensbereichen um sich greift. Etwa wenn uns die lustigen Amis aus Palo Alto oder sonstwoher per Profiling bis in die letzte Seelenwindung kategorisieren. Und dann ist der Weg von der bloßen Option bis zur Pflicht nicht mehr weit, und die so genannte Autonomie verkehrt sich ins Gegenteil.

Autofahren ist intensiv und meditativ – genießen und erhalten wir dieses Geschenk und betrachten die schöne neue Welt zumindest mit einer ordentlichen Portion Misstrauen. Trotzdem noch einen versöhnlichen Wilhelm Busch zum Schluss: Das Gute – dieser Satz steht fest – ist stets das Böse, was man lässt.