Keine Remote-Dienste mehr im Mercedes me Store
Mercedes entdigitalisiert seine Autos

Mit dem Abschalten der 2G- und 3G-Funk-Frequenzen der Mobilfunkanbieter entsorgt Mercedes gekaufte Remote-Funktionen alter Autos und bietet keine Verlängerung des Remote Pakets an.

Mercedes AMG GT ohne Remote Paket Internet Netz
Foto: Luca Leicht, Mercedes

Vernetzung, Digitalisierung, Remote-Dienste. Beim kürzlich vorgestellten GLC Coupé wird Mercedes nicht müde auf die Vorzüge des Multimedia-Systems MBUX und all den Funktionen der neusten Infotainmentgeneration NTG 7 zu verweisen. Der jüngste Schritt in Sachen Digitalisierung – oder besser Ent-Digitalisierung – zeigt aber, dass diese Vorzüge nicht von Dauer sein müssen. Wie mbpassion vermeldete, streicht Mercedes das Remote-Paket für ältere Modelle. Das heißt, trotz damals teurer Hardware, werden Funktionen unbrauchbar, weil Mercedes sie aus dem Mercedes me Store nimmt und damit serverseitig nicht mehr unterstützt.

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Es trifft alle: vom Smart bis zum AMG GT

Betroffen sind über 20 Baureihen, die auf das 2013 mit der S-Klasse (W222) eingeführte Infotainmentsystem Comand Online NTG 5 oder das 2016 eingeführte NTG 5.5 setzen. Dazu zählen:

  • C/X117 (Mercedes CLA 2013 bis 2019)
  • X 156 (Mercedes GLA 2013 bis 2020)
  • W/X166 (Mercedes GLE / M-Klasse 2012 bis 2019)
  • R172 (Mercedes SLK / SLC 2011 bis 2020)
  • W176 (Mercedes A-Klasse 2012 bis 2018)
  • C/R190 (Mercedes AMG GT 2014 bis 2019)
  • W205 (Mercedes C-Klasse 2015 bis 2021)
  • A/C207 (Mercedes E-Klasse Cabrio/ Coupé 2007 bis 2017)
  • W212 (Mercedes E-Klasse 2009 bis 2016)
  • W213 (Mercedes E-Klasse 2016 bis 2020)
  • A/C217 (Mercedes S-Klasse Cabrio und Coupé 2014 bis 2020)
  • C/X218 (Mercedes CLS 2011 bis 2018)
  • W222 (Mercedes S-Klasse 2013 bis 2020)
  • R231 (Mercedes SL 2012 bis 2020)
  • A238 (Mercedes E-Klasse Cabrio)
  • W242 (Mercedes B-Klasse Electric Drive 2014 bis 2017)
  • W246 (Mercedes B-Klasse 2011 bis 2018)
  • X253 (Mercedes GLC 2015 bis 2022)
  • X290 (Mercedes AMG GT 2019 bis heute)
  • C292 (Mercedes GLE Coupé 2015 bis 2019)
  • W463 (Mercedes G-Klasse 1990 bis 2018)
  • W447 (Mercedes V-Klasse/Vito 2014 bis 2019)
  • X470 (Mercedes X-Klasse 2017 bis 2020)
  • 451 (Smart Fortwo 2007 bis 2015)
  • 453 (Smart Fortwo 2014 bis heute)

Wichtige Dienste der Mercedes App werden wertlos

Was im ersten Moment nach einer Banalität klingt, manifestiert sich zu einem echten Problem, wenn man sich die betroffenen Funktionen anschaut, die der ein oder andere Autofahrer regelmäßig nutzt. So lässt sich beispielsweise ohne das Remote Paket die Standheizung nicht mehr aus der Ferne steuern. Bei der Autosuche auf einem großen Parkplatz können Warnblinker oder Hupe nicht mehr aktiviert werden und Ziele für die Navigation lassen sich nicht mehr bequem vom Handy ans Auto senden. Auch die Fahrzeugtüren lassen sich ohne Abo der Remote-Dienste nicht mehr per App ver- und entriegeln, der Fahrzeugstandort wird nicht mehr ans Handy übermittelt und sämtliche Statusmeldungen wie aktuelle Fehlermeldungen, Restreichweite, Reifendruck, Tankfüllstand und Co. behält das Auto für sich. Im Grunde wird ein Großteil der Funktionen der Mercedes-App für die betroffenen Fahrzeuge damit wertlos.

"Wir wollen unsere Kunden schützen"

Wer jetzt die schiere Boshaftigkeit der Schwaben vermutet, liegt aber falsch. Wie ein Mercedes-Sprecher gegenüber auto-motor-und-sport.de erklärt, wolle man nur seine Kunden schützen. Schutz vor den einst lobend angepriesenen Funktionen? Jain – die Funktionen werden unweigerlich nur noch sehr eingeschränkt oder sogar überhaupt nicht mehr funktionieren, erklärt der Mercedes-Mann. Denn damit die Remote-Dienste ihre Arbeit verrichten, brauchen sie eine Mobilfunkverbindung. Allerdings werden sowohl 2G- als auch 3G-Netze in Europa sukzessiv abgeschaltet, um Frequenzen fürs 4G- und 5G-Netz freizumachen. Die meisten der Fahrzeuge haben aber nur ein 2G- oder 3G-Modem, sofern nicht (meist optional) bereits ein LTE/4G-Modul im Fahrzeug verbaut wurde.

In einzelnen Fällen, etwa im Zuge von Modellpflegen oder für bestimmte Märkte wurden auch schon ab Werk 4G-Kommunikationsmodule gegen die alten 2G- und 3G-Systeme getauscht. Wer sichergehen will, ob sein Fahrzeug betroffen ist, kann in der Ausstattungsliste nach dem Code 362 suchen. Der steht für das 4G-Kommunikationsmodul. Alternativ kann auch über das Mercedes-Service-Center oder über den Schraubenschlüssel-Knopf im Dachhimmel neben dem E-Call-Button des Fahrzeugs beim Callcenter-Mitarbeiter nachgefragt werden. Er kann anhand der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) erkennen, welches Kommunikationsmodul verbaut wurde. Bei Ausstattungscode 060 und 360 gibt es keine Verlängerung des Remote-Pakets für die Baureihen mit den Infotainmentgenerationen NTG 5, NTG 5.1 und NTG 5.5. Ein Hardware-Update zu 4G oder 5G ist laut Mercedes übrigens nicht vorgesehen und auch nicht ohne Weiteres möglich.

Livetraffic und E-Call funktionieren weiter

Wer jetzt übrigens Sorge hat, dass damit auch die Navigation und vor allem die Livetraffic-Funktion auf der Strecke bleibt, kann beruhigt sein. Diese Funktionen werden laut Mercedes weiterhin unterstützt und in einem neuen Paket gebündelt, das pro Jahr für 139 Euro zusammen mit dem Kartenupdate geordert werden kann. Ärgerlich, denn bislang kosteten die Verkehrsdienste allein nur 39 Euro. Ebenfalls erhalten bleibt der elektronische Notruf E-Call.

Auf Nachfrage erklärt Mercedes die unterschiedliche Vorgehensweise im Kontext der Dienste wie folgt: Da sich das Auto beim Empfang der Verkehrsdaten bewegt und dadurch immer wieder in der Lage ist, vereinzelt Verbindung zu verbliebenen 2G- oder 3G-Funkmasten aufzubauen, werden die Daten zwar leicht verspätet im Fahrzeug ankommen, aber sie kommen an. Dagegen werden bei den anderen Diensten die Daten nur einmal vom Auto ins Backend des Servers geschickt, etwa wenn es abgestellt wird. Hat das Auto zu diesem Zeitpunkt kein Netz an seinem aktuellen Standort, wird das Datenpaket auch nicht verschickt und die Information bleibt auf der Strecke. In der App würden entsprechend veraltete und damit wertlose Informationen angezeigt.

Kompliziertes Datenübertragungsverfahren bei Remote-Diensten

Das Problem der Datenverbindung besteht auch, wenn Funktionen vom Handy aus gesteuert werden sollen. Denn während moderne Fahrzeuge heute zum Teil dauerhaft online sind, müssen Fahrzeuge älterer Generationen noch aktiv ans Netz geholt werden. In der Regel machen die Hersteller das, indem das Nutzen einer Funktion auf dem Backend-Server des Herstellers das Senden einer SMS ans Fahrzeug auslöst. Damit werden die Systeme des Fahrzeugs aufgeweckt und erst dann wird vom Backend-Server der eigentliche Befehl für die Funktion ins Auto übertragen. Der Grund: es ist für den Hersteller viel billiger, wenn das Fahrzeug seltener Daten sendet und empfängt, weil es nicht dauerhaft online ist und SMS kosten fast nichts.

Deswegen dauert es manchmal etwas, bis die Fahrzeuge tatsächlich reagieren und die Befehle umsetzen. Ohne Netzabdeckung läuft aber bereits die SMS ins Leere und erzeugt entsprechend auch auf dem Server keine Rückmeldung, dass die Funktion aktuell nicht zur Verfügung steht. "Da wir unseren Kunden eine schlechte User Experience ersparen wollen, haben wir uns dazu entschieden, den Dienst überhaupt nicht mehr anzubieten. Denn wenn ein Kunde für eine Funktion Geld bezahlt, soll er sie auch nutzen können", erklärt ein Mercedes-Sprecher zur Begründung für den Schritt.

Mercedes ist nicht allein mit dem Problem

Dass ein Hersteller einst teuer verkaufte Connected-Dienste auslaufen lässt, ist nicht das und einzige Mal. Auch Opel stellte mit dem Verkauf an PSA die Funktionalität vom Online-Dienst OnStar ein und der VW-Konzern stoppte nach dem Vertragsende mit Google die Google Earth-Ansicht in den Infotainmentsystemen. Jüngst wurden außerdem Stimmen in der BMW-Community laut, dass ebenfalls der bayerische Autohersteller seine Remote-Dienste aufgrund der 2G- und 3G-Funkmastenabschaltung bei älteren Fahrzeugen einstellt. Da die Autobauer auf das Vorgehen der Mobilfunkanbieter keinen Einfluss haben, ist davon auszugehen, dass dies nicht die letzte Meldung dieser Art bleiben wird.

Die erste Baureihe von Mercedes, dass nicht mehr betroffen ist, ist übrigens die A-Klasse der aktuellen Baureihe W177. Mit ihr wurde 2018 das Comand Infotainment vom MBUX der ersten Generation (NTG 6) abgelöst. Mit der aktuellen S-Klasse (W223) wurde die aktuelle Infotainment-Generation NTG7 oder MBUX 2.0 eingeführt. Was die kann, erfahren Sie oben in der Bildergalerie.

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Fazit

Für den Autofahrer oder auch Gebrauchtkäufer ist es ein Schock. Denn teilweise sind die betroffenen Fahrzeuge nicht einmal älter als fünf Jahre. Zudem sind nicht nur normale Autos, sondern auch Fahrzeuge wie der AMG GT von dem Problem betroffen. Wer also Wert auf Remote-Dienste legt, sollte genau hinschauen, welches Kommunikationsmodul verbaut ist.

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AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024
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Erscheinungsdatum 25.04.2024

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