30 Jahre Wiedervereinigung
Die Trick-Autos der Fluchthelfer

Seit 30 Jahren ist Deutschland wiedervereinigt. Während der Teilung haben es einige Menschen in den Westen geschafft – mit umgebauten Autos.

DDR Flucht Fahrzeuge Checkpoint Charlie
Foto: Patrick Lang / Museum Checkpoint Charlie Berlin

30 Jahre Wiedervereinigung – die Erinnerungen an die Teilung Deutschlands verblassen. In Berlin ist an vielen Stellen kaum noch zu erkennen, wo früher die Grenze verlief – eine Grenze, deren Überquerung einige DDR-Bürger mit dem Leben bezahlt haben. Wir feiern die Deutsche Einheit auch, indem wir an den Mut und den Einfallsreichtum derer erinnern, denen die Flucht von Ost nach West gelungen ist. Umgebaute Autos, selbstgebaute Panzerungen aus Beton, Eigenbau-Flugzeuge oder einfach nur eine halbwegs echt aussehende Uniform und der dazu passende korrekte Gruß: In unserer Bildergalerie sind die erfolgreichen Fluchten mit den passenden Gefährten verewigt.

Unsere Highlights
DDR Flucht Fahrzeuge Checkpoint Charlie
Patrick Lang / Museum Checkpoint Charlie Berlin
Selbst versteckt in einem Autotank gelang Menschen die Flucht von Ost nach West.

Vom Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 dauerte es noch bis zum 3. Oktober 1990 – dann war Deutschland wiedervereinigt. Vorher trennte der sogenannte Eiserne Vorhang Westberlin und Ostberlin. Zwei Monate, nachdem der damalige DDR-Staatschef Walter Ulbricht öffentlich gelogen hatte: "Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten", begann am 13. August 1961 der Bau. Wer seitdem versuchte, von Ost nach West zu gelangen, begab sich in Lebensgefahr – DDR-Grenzsoldaten erschossen bis 1989 viele Flüchtende, ihre genaue Zahl ist bis heute ungeklärt. Erwischten die DDR-Grenzer einen Flüchtenden lebend, musste dieser mit einem jahrelangen Gefängnisaufenthalt rechnen. Aber der Freiheitswillen einiger Menschen war größer als die Abschreckung durch Lebensgefahr und Knast: Sie versuchten auf viele Arten in den Westen zu gelangen.

Eine clevere und sehr erfolgreiche Idee war der Menschenschmuggel in einem speziell umgebauten Auto – die kleine BMW Isetta scheint auf den ersten Blick wenig geeignet – aber genau das war ihr Vorteil. Niemand hätte in so einem Winzling eine versteckte Person für möglich gehalten. Und doch gelangten mit dem nur 2,40 Meter langen und 1,4 Meter breiten Kleinst-Auto neun Menschen in die Freiheit. BMW hat der ersten Isetta-Flucht jetzt einen Kurz-Film spendiert. Im Vorfeld des 3. Oktober, dem 29. Jahrestag der Deutschen Wiedervereinigung, zeigt BMW den emotionalen Film auf youtube.

The Small Escape, Making-of
BMW
Das Passieren von Berliner Grenzübergängen während der Zeit der deutschen Teilung war immer mit hoher Anspannung verbunden.

Erfinder führt heute Touristen

Der 79-jährige Klaus-Günter Jacobi ist Touristenführer im Berliner Mauer-Museum am Checkpoint Charlie – bis heute führt der gelernte Kfz-Mechaniker pro Woche 20 Gruppen durch das Museum. Jacobi kennt sich bestens aus mit Fluchtversuchen aus der DDR: Er kam 1964 auf die Idee, seine Isetta für die Flucht seines Kumpels aus dem Osten umzubauen. Er selbst hatte bereits 1958 die DDR verlassen – also drei Jahre vor dem Mauerbau. Seine BMW Isetta modifizierte er in seiner ehemaligen Lehrwerkstatt in Berlin-Reineckendorf. Das Auto ist eigentlich schon für zwei Erwachsene zu klein – aber Jacobi schaffte Platz hinter der Rücklehne: Die Ablage wanderte ein Stück nach oben, Ersatzrad, Heizung und Luftfilter flogen raus und der 13-Liter-Tank musste einer alten Öldose weichen, die weniger als zwei Liter fasste – mehr Kraftstoff brauchte der Fluchthelfer für die Fahrt zurück über die Grenze nicht. Auf der Hinfahrt nutzte er noch den originalen Tank, erst für die Rückfahrt baute er ihn kurz vor der Grenze aus. Und Jacobi dachte an alles: Da die Isetta wegen der dritten Person im Heckbereich besonders tief hängen würde, kürzte er die Schmutzfänger der Hinterräder. Dies half, den Eindruck eines besonders schwer beladenen Autos zu kaschieren.

Fluchthelfer aus Überzeugung

Die DDR-Grenzer durchsuchten Fahrzeuge gründlich, schauten mit Spiegeln unter die Autos und maßen teilweise die Länge von besonders kurzen Fahrzeugen nach, um Fluchten mit umgebauten Pkw zu verhindern. Nichts davon half, das Versteck in Jacobis Isetta zu entdecken. Und so rollte die von BMW Motorcoupé genannte Isetta am 23. Mai 1964 kurz vor Mitternacht hinüber nach Westberlin. Dort faltete sich des Fluchthelfers Freund Manfred fünf Minuten lang aus dem engen Versteck hinter der Sitzbank und fiel Klaus-Günter Jacobi in die Arme. Jacobi hatte selbst nicht am Steuer gesessen – Westberliner durften damals nicht nach Ostberlin. Anders als im Film übernahm den Fahrer-Job ein befreundeter Student. Die Geschichte von der erfolgreichen Flucht in der trickreich umgebauten Isetta verbreitete sich unter Westberliner Studenten. Einige meldeten sich bei Jacobi, um ebenfalls Menschen aus Ostberlin zur Flucht in den Westen zu verhelfen. Die originale Isetta kam nicht mehr zum Einsatz, die Fluchthelfer baute eine weitere um. Mit der neuen Isetta halfen Studenten noch acht weiteren Personen aus der DDR – heute steht das Auto im Mauer-Museum. Weder der damalige Fahrlehrer Jacobi noch die Studenten ließen sich für ihre Fluchthilfe bezahlen.

The Small Escape, Making-of
BMW
Geschafft: Das Versteck in der Isetta blieb unentdeckt.

Vorbild für viele weitere erfolgreiche Fluchten

Die Idee mit dem umgebauten Auto machte Schule – eines der spektakulärsten Fahrzeuge war ein 1957er Cadillac DeVille Coupé, der zwischen Ende 1964 und November 1967 insgesamt 200 Menschen über die Grenze schmuggelte. Hinter dem Armaturenbrett des riesigen Straßenkreuzers war genug Platz, um einen Erwachsenen zu verstecken, dessen Unterschenkel abgewinkelt im vorderen rechten Kotflügel hingen. Seit Ende der 1970er-Jahre setzte die DDR allerdings Cäsium-137-Quellen ein, um sämtliche die Grenze passierenden Fahrzeuge mit Gammastrahlen zu durchleuchten. Versteckte Flüchtende tauchten auf den Kontrollmonitoren dann als dunkle Schatten auf – versteckte Fluchten waren damit fast unmöglich.

In Ungarn gedreht

Für den Film ließ BMW in Budapest das Berlin der 1960er-Jahre wiederaufleben – mit Fahrzeugen, Requisiten und Kostümen. Der Nachbau des Checkpoint Charlie wirkt nachts echt – und wenn die DDR-Grenzer den Pass des Fluchthelfers nehmen und damit in einem Grenzhäuschen verschwinden, entsteht selbst beim Zuschauer Unwohlsein. Aber bei dieser Geschichte gibt es das bereits erwähnte Happy End – wen die Grenzer erwischten, der hatte weniger Glück: Die Vertreter der DDR-Sicherheitsbehörden nahmen ihnen teilweise ihre Kinder weg und gab diese in regiemetreue Familien, während Westdeutschland die Eltern nach langen Gefängnisaufenthalten freigekaufte. Oder die meistens unbewaffneten Flüchtenden starben im Kugelhagel einer aus nächster Nähe von einem jungen DDR-Soldaten abgefeuerten Kalaschnikow.

BMW möchte mit dem Film den Mut der damaligen Fluchthelfer und Flüchtenden würdigen, die seinerzeit unter Lebensgefahr dem Wunsch nach Freiheit den Vorzug gaben. Der bayerische Hersteller nutzt zudem die Gelegenheit, auf das Auto als hilfreiche Maschine für die Verwirklichung von individueller Mobilität hinzuweisen – als kleinen Freiheitsverstärker in friedlichen Zeiten.

The Small Escape ist ab heute auf dem BMW-Kanal von Youtube zu sehen. Außerdem läuft er ab jetzt im Berliner Mauer-Museum.

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Fazit

Die Wiedervereinigung ist jetzt drei Jahrzehnte her – seitdem hat sich Deutschland genauso grundlegend verändert, wie der Rest der Welt. Trotz vieler Unzulänglichkeiten im Vereinigungsprozess, für den es keine Blaupause gab, ist der friedliche Mauerfall und die anschließende Wiedervereinigung das Beste, was Deutschland passieren konnte.

Den Menschen, die während der Teilung trotz Lebensgefahr die Flucht in den Westen gewagt haben, gebührt größter Respekt. Der Wunsch nach Freiheit fachte ihre Kreativität an und einige bauten Autos trickreich zu Fluchtfahrzeugen um. Jede erfolgreiche Flucht war in den bleiernen Zeiten des kalten Krieges eine gute Geschichte.