Great Wall Motor
Nur ein Mauerblümchen?

Mit Ora und Wey vertreibt der achtgrößte chinesische Autohersteller Great Wall Motor Autos zweier seiner Marken auch in Deutschland. Beim Werksbesuch in Baoding blicken wir hinter die Kulissen eines chinesischen Autoherstellers, der etwas anders tickt.

Great Wall Motor
Foto: Great Wall Motor

Er wirkt wie ein Diamant mitten in einer Wüste aus Baustellen. Der gläserne Firmenhauptsitz von Great Wall Motor im chinesischen Baoding ragt aus einer großen, von Baukränen durchzogenen Sandgrube heraus. Rund 150 Kilometer südwestlich von Peking sitzt Great Wall Motor seit der Gründung 1984. Damals startete GWM als Teilefertiger, bevor man anfing, Klein-Lkw und ab 1993 auch Autos zu bauen. Verglichen mit vielen anderen chinesischen Herstellern besitzt Great Wall damit eine gewisse Tradition im Automobilbau und ist im Gegensatz zu Firmen wie Nio kein Start-up. Heute ist Great Wall der achtgrößte Automobilhersteller in China. Noch 2015 wies die Kernstadt Baoding mit ihren knapp 2,2 Millionen Einwohnern (Baoding gesamt: 9,2 Millionen) die höchste Luftverschmutzung aller chinesischen Städte auf. Auch heute hängt der Smog dicht über der Industriestadt. Obwohl der derzeitige Air Quality Index mit Ausschlägen in Richtung der Zweihundert-Marke immer noch grottenschlecht ist – besser als noch 2015 ist er allemal.

Unsere Highlights

Kein reiner Elektrofokus

Zum Kosmos von Great Wall gehören fünf Marken: Bei Haval, Tank und Wey stehen SUV und Geländewagen im Fokus. Poer ist die Pickup-Sparte, und Ora fokussiert sich auf elektrische Modelle mit eigenständigem Retrodesign. Im Gegensatz zu anderen chinesischen Herstellern wie BYD, Nio oder Polestar fokussiert sich Great Wall nicht ausschließlich auf Elektromobilität. Von den 1,06 Millionen verkauften Fahrzeugen im Jahr 2022 entfallen knapp 84.000 auf
die Marke Ora. Das entspricht nicht einmal zehn Prozent der Gesamtproduktion.

Zudem musste Ora, nachdem man 2021 noch 135.000 Fahrzeuge verkauft hatte, zuletzt Absatzverluste hinnehmen. Das lag zum einen an der reduzierten chinesischen Elektroauto-Förderung, die Ende 2022 auslief. Und auch daran, dass 2022 die beiden günstigen Kleinstwagen R1 und R2 ersatzlos entfielen. Stattdessen surft der Konzern vorwiegend auf der SUV-Welle und verbaut in erster Linie Verbrenner- und Hybridantriebe, sowohl mit Stecker als auch ohne. Unter der Marke Haval brachte man 610.000 SUV der Klein-, Kompakt- und Mittelklasse an Mann und Frau – auch außerhalb Chinas wie in Südostasien, Südamerika und Australien.

Die zweiterfolgreichste Sparte hört auf den Namen Poer und ist für Pickups zuständig. Galten viele Jahre lang in chinesischen Metropolen zahlreiche Strecken- und teilweise vollständige Fahrverbote für Pickups, sorgten Lockerungen in vielen Provinzen seit 2020 für einen kleinen Boom des Segments. Nach den USA ist China mittlerweile der zweitgrößte Pickup-Markt der Welt. 180.000 Pritschenwagen verkaufte Great Wall 2022. Passend dazu sorgte die Ausgründung der Marke Tank im Jahr 2021 ebenfalls für Erfolge. 120.000 global verkaufte Fahrzeuge zeigen: Die kantigen Offroader im Wrangler- und G-Klassen-Stil treffen den Geschmack. Trotz leicht gesunkener Verkaufszahlen wächst der Ertrag der Firma laut Jahresabschluss 2022.

Die größeren Luxusautos der 2016 eingeführten Marke Wey werfen eine höhere Marge ab. Mit 36.000 Einheiten ist Wey aber noch kein Stückzahl-Champion. Benannt wurde der Premiumableger übrigens nach dem derzeitigen Chairman Wei Jianjun. Er formte den Konzern zum größten Hersteller von SUV und Pickups in China. Gleichzeitig gilt er als strikter Anführer. Laut Berichten der "Financial Times" mussten neue Mitarbeiter zeitweise einen zweiwöchigen Militärdrill bei der Volksbefreiungsarmee durchlaufen. Gerüchte über militärische Märsche in der Mittagspause lassen sich zumindest bei unserem Besuch nicht bestätigen.

Vielmehr wirkt das große Gelände am anderen Ende von Baoding wie ein typischer moderner Automobilstandort. Es gibt ein großes Testgelände, mehrere Hallen für die Produktion von Haval-SUV sowie unscheinbare Industriegebäude für Labore, Prüfstände, einen Windkanal und Entwicklerbüros. Auffallend ist da nur das weiße Gebäude mit dem großen blauen Schriftzug "FTXT". So heißt die Great-Wall-Tochterfirma, die mit ihren knapp 900 Mitarbeitern Brennstoffzellenantriebe erforscht und entwickelt. Rund eine Milliarde Euro verschlang das Testzentrum, das in nur knapp 15 Monaten gebaut und 2018 eröffnet wurde.

Wasserstoff? Möglich

Die Ergebnisse der Entwicklungen von FTXT sind bereits ausgestellt: Brennstoffzellenantriebe mit 80 bis 255 kW Leistung, die zusammen mit 100-kWh-Batterien in schweren Nutzfahrzeugen zum Einsatz kommen. Da Great Wall keine eigenen Busse und Lkw baut, bestehen Kooperationen zwischen FTXT und der Lkw-Sparte von Dongfeng, Foton und Dayon. Aktuell sollen schon 200 Trucks der in China üblichen 49-Tonnen-Klasse im Einsatz sein. Damit ist der Konzern gut gerüstet für den in China angekündigten H2-Boom.

Schon 2025 sollen aus den derzeit rund 100 Wasserstoff-Tankstellen deren 5.000 werden. Bis 2050 plant China ein 6.000 Kilometer langes Pipelinesystem. Durch die bestehenden 100 Kilometer fließt größtenteils noch dreckiger, fossil erzeugter Wasserstoff. Beim Rundgang durch das Testcenter begegnet uns auch ein deutscher Ingenieur. Er wurde als Brennstoffzellen-Spezialist vom dänischen Chemie- und Energieunternehmen Topsoe abgeworben, ist aber nach eigenen Angaben nur einer von wenigen ausländischen Angestellten.

Dass man es international ernst meint, zeigen auch die zahlreichen Benchmark-Fahrzeuge auf dem Gelände: Hyundai Nexo, Toyota Mirai. Man beobachtet die Konkurrenz. Aber auch zwei getarnte Testträger stechen heraus. Sie tragen Wasserstofftanks im Heck und üppige Ausbeulungen in der Front. Auch in großen Pkw plant Great Wall den Einsatz von Brennstoffzellen schon ab 2024, wofür die Erprobung derzeit in vollem Gange ist.

E-Mobilität? Auch!

Dagegen scheinen die Bemühungen an der E-Mobilitäts-Front etwas zurückhaltender. Parker Shi, verantwortlich für internationale Märkte bei Great Wall, erklärt, dass man im Plug-in-Hybrid-Antrieb für die eigene Produktpalette, speziell für Wey, einen höheren Nutzen sehe. Auch sieht er den vollständigen Übergang zur E-Mobilität in China noch nicht, obwohl Great Wall angekündigt hat, unter der wichtigsten Marke Haval ab 2030 keine Verbrenner mehr zu bauen. Höhere Ladeleistungen sind dabei nur ein Randthema: "Das wird sicher eine Challenge, vor allem aber für die Infrastruktur."

Die hohen Kaufpreise des Ora Funky Cat auf dem deutschen Markt rechtfertigt der hochrangige Entscheider mit dem im Vergleich zu anderen chinesischen Herstellern bewährten Engineering und der guten Qualität. Zusammen mit dem Funky Cat wagt sich der Wey Coffee 01 als Plug-in-Hybrid erstmals nach Europa. 2022 hat Great Wall 170.000 Autos außerhalb Chinas verkauft.

2023 soll auch Deutschland einen kleinen Teil zum Auslandsabsatz beitragen. Das ambitionierte Ziel: 6.000 Funky Cat im ersten Jahr zu verkaufen. Das könnte jedoch eng werden: Nach anfänglicher Käuferzurückhaltung wurden zwischen Januar und September in Deutschland 3.778 Ora Funky Cat dank attraktiver Leasing-Angebote zugelassen. Kaum Nachfrage erfahren dagegen Wey Coffee 01 und 02 mit gerade einmal 14 bzw. 30 Neuzulassungen. Andere Newcomer starteten ähnlich. Etwa BYD mit 3.088 Neuzulassungen, wobei hier auch der Auto-Verleiher Sixt größere Anteile hat. Nio kämpft derzeit um Akzeptanz mit 1.174 Neuzulassungen. Einsamer chinesischer Star: MG glänzt mit deren 16.982 Neuzulassungen, womit man sich grob zwischen Mitsubishi (14.456) und Suzuki (21.030) einreiht. Great Wall Motor deshalb als Mauerblümchen zu bezeichnen, wäre zu verfrüht. Dennoch bleibt der Konzern vorerst eine Blume, die nur in China blüht.

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Fazit

Great Wall geht die Dinge etwas anders an als andere chinesische Hersteller. Elektromobilität ist Teil aber nicht Kern des Modellprogramms. Zusätzlich investiert man stark in das Thema Wasserstoff. Ob sich Wey und Ora als Marken in Deutschland etablieren, muss sich noch zeigen.