Interview mit VW-Markenvorstand Thomas Schäfer
„Volksstromer ist Champions League des Autobaus“

VW-Marken-Chef Thomas Schäfer über die Herausforderung, günstige elektrische Kleinwagen zu bauen und wie die Typbezeichnungen der ID.-Modelle mit denen der Verbrenner zusammenfinden.

VW-Markenvorstand Thomas Schäfer
Foto: Volkswagen AG
Der VW Polo ist Best Cars Sieger bei den Kleinwagen. Dabei ist er viel mehr als das, er taugt zum vollwertigen Erstwagen. Elektrisch will VW so was mit dem Serienmodell des ID.2all 2025 vorstellen, 2026 zu Kunden bringen – 10 Jahre nach der Vorstellung des ID.3. Warum dauert das Einstiegs-E-Auto von Volkswagen so lang?

Richtig ist, dass wir den ID.3 als Serienauto auf der IAA 2019 präsentiert und 2020 auf den Markt gebracht haben. Und wir arbeiten mit Hochdruck an der Serienversion des ID. 2all, unserem Elektroauto für unter 25.000 Euro. Diese Preisschwelle ist nicht ganz einfach zu erreichen, wenn man einerseits einen vollwertigen Volkswagen mit Blick auf Qualität, Langlebigkeit und Sicherheit zu diesem Preis anbieten und gleichzeitig das nötige Geld verdienen will. All diese Themen haben wir gelöst. Und mit Blick auf die aktuelle Entwicklung in einigen Märkten könnte man auch die These vertreten, dass der ID. 2all genau zum richtigen Zeitpunkt kommt.

Unsere Highlights
Ist der ID.2all ein Kleinwagen wie der Polo?

Er ist mit einer Außenlänge von etwas über vier Metern so kompakt wie der Polo und auch ähnlich eingepreist – nutzt aber alle Vorteile der neuen MEB-Plattform mit Frontantrieb. So ist etwa der Kofferraum deutlich größer als bei einem Golf. Und wenn Sie sich den Innenraum anschauen, liegen wir bei technischen Lösungen und Qualität weit über dem, was Käufer von Kleinwagen gewohnt sind. Das wird ein superattraktiver Volksstromer.

Ich frage auch, weil Sie kürzlich darüber hinaus ein Auto mit dem Arbeitstitel ID.1 angekündigt haben, das ab 2027 zu einem Einstiegspreis von 20.000 Euro zu kaufen sein soll. Wie unterscheiden sich ID.1 und ID.2? Ist der ID.1 kleiner/kürzer?

Der Einstiegs-Volkswagen mit dem Projektnamen ID.1 wird eine ganz andere Ausprägung haben als die Serienversion des ID. 2all. Von den Abmessungen wird er unterhalb des ID. 2all positioniert.

Welches Modell ist das VW-Pendant zum Skoda Epiq und für wann ist dieses Modell geplant?

Das ist die bereits angekündigte SUV-Version des ID. 2all. Sie wird 2026 vorgestellt.

Ein Einstiegs-E-Auto kann schon wegen des Preises keine große Batterie haben. Damit wäre die Reichweite überschaubar, was womöglich zum Nutzungsprofil mit eher seltenen weiten Reisen passt. Gleichzeitig machen Akkus in der Bodengruppe die Autos höher. Wäre es da nicht naheliegend, das günstige E-Auto nur als kleinen Crossover zu denken? Was spricht für ein kleines Flachboden-E-Auto?

Lassen Sie sich überraschen, wie unser Einstiegsmodellausschauen wird. Aktuell will ich noch nicht zu viel verraten.

Sie haben gleichzeitig klargemacht, dass ein so günstiges E-Auto "wirtschaftlich extrem herausfordernd" ist und große Stückzahlen braucht. Was bedeutet groß in diesem Zusammenhang?

So ein Fahrzeug attraktiv für die Kunden auf die Räder zu stellen und gleichzeitig damit Geld zu verdienen, das ist die Champions League des Autobaus. Ein wesentlicher Hebel dafür sind maximale Skaleneffekte. Wir stellen uns dieser Herausforderung und haben einen Plan – die Marke Volks-Wagen braucht im besten Wortsinn ein solches Modell.

Sie sagten außerdem, sie würden vier Szenarien prüfen, wie sich das Auto darstellen lässt. Ist eines davon die Kooperation mit einem anderen Volumenhersteller?

Wir prüfen gerade verschiedene Szenarien. Dazu gehört auch die Möglichkeit einer Kooperation. Entschieden ist nichts.

Das Teuerste am Elektroauto ist die Batterie. Ihr Konzern setzt hier und schon beim ID.2 auf die Einheitszelle. Ist das vor allem ein normiertes Gehäuse oder wie lässt sie sich beschreiben?

Die Einheitszelle ist eine prismatische Zelle, die einen flexiblen Einsatz verschiedenster Zellchemien möglich macht. Sowohl LFP- als auch NMC-Mischungen sind möglich, eine Zellengröße deckt alle chemischen Varianten ab.

Warum bzw. wie bietet die Einheitszelle Spar-Potenzial?

Durch die hohen Skaleneffekte, wir verändern keine physischen Bauteile. So soll die Einheitszelle bei bis zu 80 Prozent aller Konzernfahrzeuge zum Einsatz kommen. Zudem senken das Design der Zellen, der Produktionsprozess sowie das veränderte Material von Kathode und Anode die Kosten der Zellen um bis zu 50 Prozent.

Als die EU7-Regelung noch nicht ausgearbeitet war, hatten Sie einen Nachfolger für den Polo mit Verbrennungsmotor in Frage gestellt. Wie groß ist jetzt, wo die Euro 7 auch kleine Verbrenner nicht über die Maßen verteuert, die Versuchung, lieber den elektrischen Einstiegs-Volkswagen zu verschieben?

Das ist keine Alternative. Wenn Sie sich die Anspannung der CO₂-Flottenziele in der EU in den nächsten Jahren anschauen, ist das Elektroauto die einzige Möglichkeit im Volumen schnell zu dekarbonisieren. Und wenn Sie sich die Serienversion des ID. 2all anschauen werden, wird sie erfolgreich, weil sie einfach ein echter Volkswagen ist, der die Bedürfnisse unserer Kunden zu 100 Prozent trifft.

Die VW-Zukunft ist elektrisch, aber die Verbrenner leben noch weiter, in Europa im Zweifel bis 2035. VW hat früh auf Electric-only-Architekturen gesetzt und die Modelle ID. genannt. Sie haben schon gesagt, dass eine Love-Brand echte Modellnamen braucht. Bringen Sie die Modellbezeichnungen erst zusammen, wenn die Verbrenner auslaufen oder wird’s bald Modelle ähnlicher Größe, gleichen Namens, aber mit unterschiedlichem Antrieb geben?

Wir haben etwa mit Tiguan, Golf oder GTI starke Namen, die wir ins elektrische Zeitalter überführen werden. Wann wir das machen, ist noch nicht entschieden.

Vita

Thomas Schäfer wurde 1970 in Marburg geboren. Sein Einstieg in die Automobilindustrie war ein duales Studium bei der Daimler AG, das er 1994 als Diplom-Ingenieur in der Fachrichtung Maschinenbau abschloss. Bis 2002 bekleidete er bei Daimler verschiedene leitende Positionen in den Bereichen Produktion und Qualitätssicherung in Deutschland, den USA und Südafrika. Von 2002 bis 2005 war er als Technikvorstand Gründungsmitglied der DaimlerChrysler Malaysia.

VW-Markenvorstand Thomas Schäfer
Volkswagen AG

Thomas Schäfer: Seit 1. Juli 2022 ist er Mitglied des Konzernvorstands, CEO der Marke Volkswagen Pkw und Leiter der Markengruppe Core.

Zwischen 2005 und 2012 verantwortete Schäfer in der Stuttgarter Zentrale die Fahrzeugauslieferungen sowie die Kundencenter und das weltweite CKD-Geschäft in Schwellenmärkten.

Im Mai 2012 wechselte Schäfer zur Volkswagen AG. Dort leitete er zunächst die Konzernproduktion Ausland und war mit der Leitung von CKD-Projekten sowie mit Verhandlungen über neue Produktionsstandorte betraut.

Ab 2015 war er in der Funktion des Chairmans und Managing Directors der Volkswagen Group South Africa tätig und verantwortete die Entwicklung der Konzernmarken in der Region Subsahara-Afrika.

Im August 2020 wurde er Vorstandsvorsitzender von ŠKODA AUTO in Tschechien. Er setzte die neue Unternehmensstrategie NEXT LEVEL – ŠKODA STRATEGY 2030 auf, trieb die Elektrifizierung des Modellportfolios voran und legte die Grundlage, um ŠKODA AUTO künftig zur führenden europäischen Marke in Wachstumsregionen wie Indien und Nordafrika zu entwickeln.

Am 1. April 2022 übernahm Thomas Schäfer die Funktion des Chief Operating Officer der Marke Volkswagen.

Seit 1. Juli 2022 ist er Mitglied des Konzernvorstands, CEO der Marke Volkswagen Pkw und Leiter der Markengruppe Core.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten