CEO-Wechsel und Modellverschiebungen bei Audi
Geht Audi an VW zu Grunde?

Audi hat seit September einen neuen Chef, mal wieder, muss man sagen. Den Start einer Modelloffensive hat der neue CEO Gernot Döllner kassiert. Statt Vorsprung durch Technik heißt es bald Nachteil durch Verspätung. Die kommt auch aus dem Volkswagenkonzern. Ist die Marke in Gefahr?

Audi Q6 E-Ton VW Stoppschild Collage
Foto: Hersteller / Patrick Lang

Die ehrgeizig eng getakteten Neuerscheinungen der Premiummarke mit dem größten Absatz-Volumen im Volkswagenkonzern verschieben sich offenbar erneut: Der Q6 E-Tron, eng mit dem E-Macan verwandt und mit nur mehr milder Tarnung auf dem Audi-Stand bei der IAA in München zu sehen, sollte ursprünglich 2023 schon zu kaufen sein. Gernot Döllner, seit 1. September CEO von Audi, war allerdings Medienberichten zufolge nicht zufrieden mit dem Entwicklungsstand. Das Elektro-SUV kommt nun wohl erst im Sommer 2024. Weil er nicht nur eng mit dem elektrischen Porsche Macan verwandt ist, sondern auch mit dem Audi A6 E-Tron, verschieben sich auch diese Modelle. Dabei hatte Audi noch Anfang 2023 bekräftigt, man wolle bis 2026 nicht weniger als 20 neue Modelle an den Start bringen.

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Da hieß der Chef von Audi aber noch Markus Duesmann; Gernot Döllner kommt von Volkswagen und gilt als Vertrauter von Konzern- und Porsche-Chef Oliver Blume. Zuffenhausener Stallgeruch ist offenbar in Ingolstadt nach wie vor nicht positiv besetzt, die Konkurrenz der beiden Cash-Cows des Wolfsburger-Konzerns ist legendär. In Ingolstadt ist laut Handelsblatt schon Unmut über den fordernden Ton von Döllner zu spüren.

Jeder für seine Marke statt alle fürs Produkt

Seit Jahrzehnten gelingt es dem Volkswagen-Konzern nicht, aus den vielen starken Marken einen Vorteil zu machen. Stattdessen verhaken die sich auch bei der Entwicklung im Konkurrenzkampf, der schon im Motorsport wenig sinnvoll erscheint: Die Rivalität bei LeMans und zuletzt bei der Formel 1 wirkt angesichts der für Erfolg dort notwendigen finanziellen Mittel weitgehend sinnbefreit, wenn man an den Investitionsbedarf für den Antriebswechsel bei den Serienautos denkt.

Dafür kooperierten Audi und Porsche bei der Entwicklung der Premium Platform Electric (PPE) für Q6 beziehungsweise E-Macan. Über die Anforderungen an die neue Architektur konnte man ausgiebig anderer Meinung sein und geriet schließlich in Streit, wer sein Modell zuerst auf den Markt bringen kann.

Zu wenig Expertise für Software, zu langsam bei Batterien

Aber auch der Versuch des Konzerns, Entwicklungen zentraler Abteilungen für möglichst viele Produkte zu nutzen, scheint zu scheitern. Offenbar haben gibt es viele Marken-Experten und zu wenige, die in der Lage sind, konzertiert Entwicklungen für neue Herausforderungen aufzugleisen. Die Software der Konzerntochter Cariad stolpert trotz Tausender neu eingestellter Spezialisten seit Jahren vor sich hin, die konzernweite Elektronik-Basis Scalable Systems Platform (SSP) verzögerte sich in der Folge so sehr, dass der gesamte Modellfahrplan entsprechend neu sortiert werden muss. Mittendrin: Die Marken mit ihren eigenen Ansprüchen und Selbstbewusstsein nach Ergebnisbeitrag.

Zur SSP gehört auch die Einheitszelle der Konzerntochter Powerco für die Traktionsbatterien. Aus ihr sollen irgendwann die Akkus für 80 Prozent der Konzernfahrzeuge entstehen. Die restliche 20 Prozent? Sind Hochleistungs-Batterien für die Premiummarken. Mutmaßlich teure Eigenentwicklungen. So war es schon zur Verbrennerzeit: Der Modulare Querbaukasten (MQB) stand für 80 Prozent der Stückzahl, für Modelle von Skoda Fabia bis VW Atlas; der Audi A3 war ein Premium-Golf mit besserer Rendite, nutzte zwischenzeitlich engwinklige V6-Motoren von VW, obwohl Audi eigene V6 hatte. Aber schon beim A4 scherte Audi aus, verwandte den vor allem im eigenen Markenkosmos genutzten Modularen Längsbaukasten auch für den A6, bis hin zu RS6 und A8, während der Porsche Panamera im gleichen Segment markentypisch auf einer hecklastigen Plattform stand.

Markendifferenzierung darf nicht teuer sein

Die Frage ist, ob sich der Konzern große technische Unterschiede zwischen Modellen gleichen Zuschnitts noch leisten kann, bloß weil sie von anderen Marken kommen. Ein Audi Q6 E-Tron wird womöglich nicht besser als der verwandte Porsche E-Macan, bloß weil er anders ist. Taycan und E-Tron GT zeigen, dass sich auf gleicher technischer Basis sehr unterschiedliche Autos bauen lassen: Design, Interieur, Infotainment, Fahrwerksabstimmung differenzieren stärker als andere Batterien oder E-Motoren.

Für letzteres und das Zukunftsfeature braucht der Konzern seine ganze Kraft. Und Premium-Marken wie Audi brauchen die besten Entwicklungen, nicht einfach nur andere. Der Claim lautet schließlich Vorsprung durch Technik, nicht durch Abgrenzung.

Fazit

Audi wird wohl ein hervorragendes Geschäftsergebnis 2023 vermelden können. Aber schon 2024 könnte das nichts mehr wert sein. Denn wichtige neue Modelle verzögern sich, weil die Ingolstädter bei Batterietechnik und vor allem Software für die Zukunft von der Konzernmutter Volkswagen abhängig sind. Eine besondere Stärke bei der Entwicklung von Komponenten, die Ingolstadt in den Konzern einbringt, ist derzeit schwer auszumachen. Differenzierung um ihrer selbst willen mag Ressourcenverschwendung sein, aber wenn nicht mehr klar auszumachen ist, wofür Audi steht, könnte das am Markenkern kratzen.

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