Kontroverse um Batterie-Kapazität des VW ID.3
Akku-Schummelei bei VW? Warum das Quatsch ist!

Diverse Medien waren zuletzt einer vermeintlichen Batterie-Manipulation bei E-Autos von VW auf der Spur. Als Erklärung zogen sie dabei Daten aus dem ADAC-Dauertest des VW ID.3 heran. Der Autoclub sieht sich missverstanden und veröffentlicht nun Daten, die zeigen: Das ist alles erklärbar und folgerichtig halb so wild.

VW ID.3
Foto: Hans-Dieter Seufert

Große Wellen hatte die bereits am 6. Oktober 2023 veröffentlichte Geschichte der "Wirtschaftswoche" mit dem Titel "Das Rätsel der Reichweite" (Bezahlinhalt) anfangs nicht geschlagen. Erst als die "Bild" die Story gut zwei Wochen später aufgriff, kam etwas Drive herein. Plötzlich stand wieder der Vorwurf im Raum, dass die Autoindustrie im großen Stil und systematisch schummle, und das auf den Rücken ihrer Kundinnen und Kunden. Mittendrin: Der ADAC und Volkswagen, weshalb speziell die Boulevardpresse die Sache bereits in die Nähe des Dieselskandals rückte.

Der große E-Ratgeber

Doch was war überhaupt passiert? Die vermeintlichen WiWo-Enthüllungen keimen in einem Langzeittest des VW ID.3 – im Video: der erste Check der Facelift-Version – beim ADAC, der nun einen Zwischenbericht nach 100.000 Kilometern veröffentlicht hat. In dessen Verlauf haben die Techniker des Automobilclubs die Batteriekapazität des elektrisch angetriebenen Kompakten bei 20.000, 80.000 und 100.000 Kilometern gemessen. Dabei kamen sie den erwähnten Medienberichten zufolge "jeweils" zu dem Ergebnis, dass die Kapazität 69 Kilowattstunden (kWh) betragen habe. Allerdings gibt VW für den ID.3 eine Netto- (also nutzbare) Kapazität von 77 kWh an; brutto sind es 82 kWh.

ADAC-Dementi nach WiWo-Recherchen

Die Schlussfolgerung der "Wirtschaftswoche", die "Bild" und Co. später aufgriffen: VW trickse sich die Akku-Kapazität zurecht. Dem Blatt zufolge vermuten E-Auto-Experten, dass der Hersteller absichtlich einen Teil der Kapazität verberge und diesen erst dann per Software-Befehl freigeben könne, sollte die Batterie im Laufe der Zeit an Speicherfähigkeit verlieren. Damit spare sich VW den teuren Austausch der Batterie, falls Kundinnen und Kunden aus dem Verlust an Energiespeicher einen Garantiefall heraufbeschwören. Die Kosten dafür würden WiWo-Angaben zufolge – abhängig vom jeweiligen Modell – zwischen 10.000 und 30.000 Euro liegen.

Allerdings war der ADAC gar nicht offiziell an den WiWo-Recherchen beteiligt. Entsprechend sahen sich die Münchner zu Unrecht in die Berichterstattung eingebunden und dementierten am 23. Oktober 2023, dass sich aus dem ID.3-Test Verdachtsmomente ableiten lassen, die suggerieren, es könnte systematisch betrogen werden. "Wir konnten eine minimale Differenz zwischen der angegebenen Nettokapazität und unserer Messung feststellen", erklärt ADAC-Sprecherin Katrin van Randenborgh. "Die Differenz konnte gemeinsam mit den Entwicklern von VW aufgeklärt werden und beruht im Wesentlichen auf unterschiedlichen Messverfahren." Auch ein VW-Sprecher gab an, dass der ADAC im Zuge der Berichterstattung falsch zitiert worden sei und Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen wurden.

Warum 69 sowie 74 und nicht 77 kWh?

Aber was ist der wahre Hintergrund der Differenzen bei der Batterie-Kapazität? Licht ins Dunkel bringen ADAC-Dokumente, die der Redaktion von auto motor und sport vorab zur Begutachtung vorlagen. Demnach ermittelten die Techniker des Automobilclubs zusammen mit dem auf Batterietests bei E-Autos spezialisierten Dienstleister Aviloo keineswegs "jeweils" eine Kapazität von etwa 69 kWh, sondern dieser Wert galt nur bei der Messung nach 100.000 Kilometern. Im Neuzustand habe der Wert dagegen bei 74 kWh gelegen, was allerdings ebenfalls unter der Werksangabe liegt.

Die Abweichung kommt dem ADAC zufolge durch drei Effekte zustande. Der erste ist der natürliche und unvermeidliche Alterungsprozess des Lithium-Ionen-Akkus. Zweite Erklärung: In der VW-Angabe ist die Notlaufreserve enthalten. Sie halte bei null Prozent Batteriestand noch Energie für einige wenige Kilometer zurück und sei Teil der Netto-Kapazität, so der ADAC. Und drittens: "Für die Herstellerangabe wird der Akku gleichmäßig entladen. Bei der Messung im realen Fahrbetrieb auf der Straße wird die Batterie jedoch beim Fahren entladen und beim Bremsen durch Rekuperation immer wieder aufgeladen." Dadurch entstünden jedes Mal minimale Lade- und Entladeverluste, die sich aufsummieren und eine gewisse Differenz ergeben können.

93 Prozent SoH nach 100.000 km

Die Erklärungen lassen den vermeintlichen Skandal wie einen Sturm im Wasserglas wirken, zumal die ADAC-Tester dem ID.3-Akku nach 100.000 Kilometern noch beste Gesundheit attestieren. Der "State of Health" (SoH) liege nach dieser Laufleistung noch bei 93 Prozent. "Der Akkuzustand kann als unbedenklich eingestuft werden und liegt weit oberhalb der 74 Prozent, die VW im Rahmen seiner Neuwagengarantie bei 100.000 Kilometern verspricht", erklärt Reinhard Kolke, Leiter Test und Technik beim Automobilclub.

Der ADAC-Dauertest des Elektro-VW ist damit übrigens noch nicht beendet: Das nächste Ziel seien 160.000 Kilometer – und damit jene Marke, bei der die Herstellergarantie auf die Batterie erlischt. Dann wird es besonders interessant, ob der Energiespeicher noch den Vorgaben entspricht oder ob es vielleicht an dem Punkt teuer für die Besitzerinnen und Besitzer des ID.3 werden könnte. Oder ob sie sich dann stärker mit dem Thema Reichweitenangst auseinandersetzen sollten.

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Fazit

Diverse Medien warfen VW vor, bei der Akku-Kapazität seiner Elektroautos zu schummeln – und beriefen sich dabei auf Daten des ADAC. Der Automobilclub veröffentlicht jetzt jedoch Hintergründe zu dem Thema, welche die Differenzen zwischen Herstellerangaben und gemessener Batterie-Kapazität erklärbar machen. Mehr noch: Der ADAC bescheinigt dem ID.3-Akku nach 100.000 Kilometern einen sehr guten Zustand.

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