BMW iVision Dee E Ink mit Voll-Farbwechsel
Chamäleon-Auto macht Scheinwelt zur Realität

CES 2023

Mit seinem Concept Car iVision Dee zeigt BMW die Verschmelzung von echter und virtueller Realität. Was draußen ist, muss dort gar nicht sein. Und die Außenfarbe ist einstellbar.

BMW iVision Dee E Ink
Foto: Gerd Stegmaier

Cinemania ist ein deutscher-amerikanischer Dokumentarfilm aus dem Jahr 2002. In dem Film geht es um fünf New Yorker Filmfreaks, die seit Jahren täglich drei bis fünf Filme ansehen – im Kino. Einer der Kinosüchtigen beteuert, dass er komplett in der Filmwelt lebe und dass es für ihn keinen Grund gäbe, der Realität den Vorzug zu geben. Nächster Hinweis dann beim kalifornischen Concours d'LeMons 2017: Ein Mann mit Hasenkostüm-Kopf tanzt neben seinem bizarren Auto – dabei trägt er ein T-Shirt mit der Aufschrift "Reality sucks". Mild ausgedrückt ist dieser Mann also mit der Realität unzufrieden. Es scheint durchaus den Wunsch zu geben, die Realität mehr oder weniger den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Das macht BMW jetzt – mit der Studie iVision Dee, die gleichzeitig ein Vorgeschmack auf die Fahrzeuge der ab 2025 ausgelieferten Neue Klasse sein soll. Dee steht für Digital Emotional Experience, also für ein digitales Emotionserlebnis. Das findet über ein Monster-Head-up Display statt, dass die komplette Frontscheibe abdeckt. Das System kann mehr, als es der gute alte Fahrerlebnis-Schalter in der BMW-Mittelkonsole je konnte.

Unsere Highlights

Im Zuge der Vorstellung des iVision Dee bezeichnet sich BMW als die Head-up Display Company. Die Frontscheiben-Displays kamen bereits in den 1940er-Jahren in Kampfflugzeugen zum Einsatz, längst nutzen auch Piloten in der zivilen Luftfahrt diese ergonomische Projektions-Technik. Als erster Autokonzern setzte GM 1988 ein Schwarz-Weiß-Head-up-Display in der fünften Generation des Oldsmobile Cutlass Supreme ein, Ende der 1990er-Jahre konnten Fahrer der sechsten Generation des Nissan 240SX ebenfalls so ein Display bestellen. Mit einem farbigen Head-up Display rüstete GM erstmals im Jahr 2001 die Corvette aus. Und als erster europäischer Hersteller stieß dann BMW 2003 dazu – für den 5er und den 6er gab es ein Head-up Display von Siemens VDO. Ingenieure und Kunden waren von dieser Art der Anzeige so begeistert, dass die Bayern dran geblieben und tatsächlich zum einem führenden Hersteller von Autos mit Head-up Display gewachsen sind.

Scheinwelt-Steigerung mit Reality Slider

Head-up Displays sind bereits Erweiterte Realität (augmented reality) – oder zumindest ein Vorläufer davon. Und BMW geht beim iVision Dee in Sachen Head-up Display einen Riesenschritt: In fünf Stufen soll sich die Realität gegen eine virtuelle Wirklichkeit tauschen lassen – bei Stufe fünf zeigt der Blick in die Frontscheibe dann frei erfundene Welten, nur die Straße ist noch reell. Die einzelnen per Armaturenbrett-Touch-Sensorik abrufbaren Stufen nennt BMW Slider, das ganze System heißt demzufolge Reality Slider. BMW-Entwicklungs-Chef Frank Weber spricht von reinventing reality – er möchte also die Realität neu erfinden. Dafür sollen später auch einmal die Seitenscheiben dimmbar sein und als Projektionsfläche dienen. Beim iVision Dee ist auch der Blick von außen nach innen manipulierbar – auf Wunsch projiziert die Technik den Avatar (eine dem Internetbenutzer in der virtuellen Welt zugeordnete künstliche Figur) in die fahrerseitige Seitenscheibe – für Außenstehende sitzt dann also optisch ein Fahrer am Steuer.

BMW iVision Dee E Ink
BMW
In der fünften Stufe des Reality-Sliders ist die Realität beim Blick durch die Frontscheibe weitestgehend durch eine Scheinwelt ersetzt.

Ab 2025 bietet BMW Head-up Displays, die über die komplette Windschutzscheibe reichen, in Serienmodellen der Neuen Klasse an.

Adrian van Hooydonk, Chefdesigner der BMW Group, betont, dass moderne Autos wie der iVision Dee zum ultimate digital companion werden sollen – also zum ultimativen digitalen Begleiter. Dabei schließen die Bayern die Software anderer Hersteller nicht aus: Smartphones mit Android- oder Apple-Betriebssystem sollen sich auch weiterhin komfortabel mit der BMW-Technik koppeln lassen. Aber die BMW-Verantwortlichen betonen auch, dass ein Smartphone nicht bei Wind und Wetter Personen und Gepäck in einem geschützten klimatisiertem Raum von A nach B bringen kann, weshalb sich das Smartphone, die BMW-eigene Projektions-Technik sowie Software und das Auto an sich prima ergänzen.

Neue Konstruktions-Konzepte

Beim iVision Dee geht es BMW noch um zwei weitere Aspekte: Fahrzeuge des Konzerns sollen so schnell wie möglich zu 100 Prozent nachhaltig sein und die Elektromobilität soll mit den kommenden Autos noch mehr Vorteile bieten. 2025 erfolgt dann mit der Einführung der neuen Klasse ein "giant step" – also ein Entwicklungsschritt, wie es ihn bisher in der Geschichte des Herstellers noch nicht gegeben haben soll. So kommen neue Batterietypen mit Rundzellen anstelle der bisher verwendeten prismatischen Zellen zum Einsatz, die zum einen eine höhere Energiedichte aufweisen und für deren Herstellung zum anderen weniger kritische Rohstoffe nötig sind. 2030 soll dann eine reichweitenstarke Feststoff-Batterie einsatzbereit sein. Die Batterien kommen als Cell-to-Pack-Konstruktion, oder nach BMWs eigener Schreibweise, als Pack-to-Open-Body-Konzept ins Fahrzeug. Bei Cell-to-Pack sind die Batteriezellen direkt in den Akku integriert, einzelne Batteriemodule gibt es nicht mehr.

BMW iVision Dee E Ink
BMW
Über 240 E-Ink-Farbsegmente ist die Farbe des BMW iVision Dee per Elektroimpuls verstellbar.

Mehrfarbige E-Ink-Technologie

Und auch beim Design ist der iVision Dee ein großer Schritt – bisher gab es keinen BMW mit so wenig Linien. Schlicht, glatt und mit veränderbaren Außenfarben in insgesamt 240 Segmenten an Front, Heck und den Zierstreifen unter und hinter den Seitenscheiben. Die Anschlussstecker der Farbwechsel-Segmente sind deutlich schlanker und kleiner als bei der E-Ink-Vorgängerstudie xFlow, die BMW Anfang 2022 zur CES mitgebracht hatte. Inzwischen sind nicht mehr nur schwarz und weiß, sondern auch echte Farben in vielen Abstufungen möglich – insgesamt kann die Technik jetzt 32 Farben darstellen. Die Wechselzeit ist erheblich kürzer als noch beim gemächlich umschaltenden iX Flow. Die kurze Reaktionszeit ermöglicht auch das Darstellen von Gesten – in Kombination mit einer Spracherkennung soll so eine emotionale Kommunikation mit der Darstellung von Gefühlen möglich sein. Ursprünglich war die E-Ink-Technik für das blendfreie Anzeigen von Warnhinweisen im Innenraum gedacht – die Kunden interessieren sich aktuell aber anscheinend mehr für den Entertainment-Aspekt der Farbwechsel.

Innen ist der iVision Dee, der so ähnlich mal als neuer BMW 3er kommen könnte, ebenfalls sehr klar und übersichtlich gestaltet. Bildschirme gibt es nicht mehr – das frontscheibengroße Head-up Display bietet genug Platz für Entertainment und sämtliche Informationen. Die verkleideten Oberflächen sind mit nachhaltig gewonnenen Stoffen bezogen und Bedienelemente, beispielsweise zum Öffnen der Türen von innen, fehlen optisch komplett. Diese sind hinter dem Stoff versteckt und leuchten erst bei Bedarf durch den Bezugsstoff hindurch.

Vollautonomes Fahren kein Thema

Und etwas fehlt beim iVision Dee offensichtlich: BMW sieht das Konzept nicht als Technologieträger für autonomes Fahren. Das Thema scheint bei den Herstellern zunehmend an Bedeutung zu verlieren – anscheinend sind die Hürden für das Erreichen von vollautonomem Fahren nach Level 5 oder auch nur von teilautonomem Fahren nach Level 4 doch noch zu hoch. BMW gibt deshalb wieder die Parole "Hände ans Lenkrad – Blick auf die Straße" aus. Die aktuell eingesetzte Technik beherrscht Level 2 – und diese Technik wollen die Ingenieure weiter verbessern. Möglichweise kommt auch teilautonomes Fahren nach Level 3 für bestimmte Verkehrsgebiete, wie beispielsweise die Autobahn. Diese Technik soll dann auch einer breiten Käuferschaft zur Verfügung stehen.

Den iVision Dee zeigt BMW auf der CES 2023 (5. bis 8. Januar in Las Vegas).

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Ja - ich finde viele Gegenden in Wirklichkeit viel zu langweilig.Nein - die Realität ist wie sie ist, da möchte ich keine Scheinwelt.

Fazit

Mit der Studie iVision Dee geht BMW tatsächlich in mehrfacher Hinsicht einen Riesenschritt nach vorn. Das Head-up Display nutzt jetzt die komplette Frontscheibe und die Realität ist in fünf Stufen per Reality Slider gegen eine Scheinwelt ersetzbar. Mit zunehmender Digitalisierung verschwinden die Grenzen zwischen Wirklichkeit und virtueller Realität.

Außerdem ist der iVision Dee optisch das fortschrittlichste Auto, das BMW-Designer bisher gezeichnet haben – so schnörkellos modern könnte mal ein BMW 3er kommen. An verschiedenen Stellen kann die Technik die Außenfarbe des Fahrzeugs ändern und sogar schriftliche Nachrichten darstellen.

Zur virtuellen Realität und dem Zukunfts-Design gesellen sich beim iVision Dee noch die Themen Nachhaltigkeit und Elektromobilität. BMW möchte so schnell wie möglich ein zu 100 Prozent nachhaltig produziertes Auto entwickeln, was auch für die Batterie gilt. Diese soll in naher Zukunft zudem leichter und günstiger werden und wegen einer erhöhten Energiedichte deutlich höhere Reichweiten ermöglichen.