Tracktest Mercedes-AMG GT2
Eine Runde Vollgas mit 707 PS

Mercedes-AMG hat sich wieder etwas Neues für die Gelegenheitsmotorsportler mit Geld ausgedacht, den GT2. Der 707 PS starke Rennwagen mit großem Heckflügel und Sicherheitszelle basiert auf der Straßenversion Black Series und ist für all die gedacht, die mehr wollen, als nur gegen die eigene Zeit im Kreis zu fahren. Also: Helm auf, Gurt verzurrt und raus aus der Box.

Natürlich hat er geflunkert, der Thomas, als er auf der Streckenbesichtigung hinter dem Steuer einer wankenden V-Klasse vor den kantigen Kerbs ausgangs Kurve eins warnte. Wo? Auf dem Circuit Ricardo Tormo bei Valencia. Vom rot-weiß gepinselten Teil also sollten wir uns an dieser Stelle tunlichst fernhalten. Sie brächten zu viel Unruhe ins Auto. Bei Ansagen dieser Art macht die schreibende Zunft gewöhnlich große Augen und nickt artig. So auch heute. Schließlich kostet der rennfertige AMG GT2 in Deutschland 486.710 Euro (inkl. Mehrwertsteuer). Blöd nur, wenn du dich jetzt in exakt dieser Kurve beim Ausloten des Limits ein wenig verschätzt, unfreiwillig einen kleinen Lastwechsel einbaust und dann eben eine 325er-Reifenbreite mehr Strecke brauchst.

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Genau das aber ließ Thomas‘ Flunkerei auffliegen, der mit Nachnamen übrigens Jäger heißt, schon Formel 3, DTM und Porsche Carrera Cup fuhr, und das Auto, das ich heute ausprobieren darf, ab Stunde null begleitet hat. Den neuen AMG GT2. Denn ganz offenbar hat er ihn genau so abgestimmt, dass er selbst die groben Kerbs der valencianischen Sorte eben doch verträgt. Damit der Hobby-Rennfahrer mit dem 707 PS-Hammer nicht aus dem Takt gerät – zum Beispiel durch eine schlagende Lenkung oder gar einen springenden Aufbau.

Black-Series-Motor mit 707 PS und 800 Nm Drehmoment

Hobby-Rennfahrer? Ganz recht. Denn trotz wilder Optik, fettem Heckflügel und extremer Leistung, ist der GT2 unterhalb des leichteren Profisport-Geräts GT3 (ca. 550 PS) positioniert, fußt auf dem Straßenmodell Black Series (was für dessen hervorragende Basis spricht), inklusive der drehzahlfesten V8-Biturbo-Maschine mit flacher Kurbelwelle, intern M 178 LS2 genannt. Kommt Ihnen bekannt vor? Uns auch. Denn der GT2 ist ein fürs Regelwerk der gleichnamigen Rennserie fit gemachter AMG GT Track Series mit geänderten Querlenkern und Radträgern vorn, Zentralverschluss-Rädern und optimierter Bremsen- sowie Motorkühlung. Damit der Flieger bei Windschattenfahrten nicht gleich im roten Bereich läuft.

Schaltvorgänge mit Rückschlag

Alarmierend rot leuchtet hier nur die Schaltanzeige hinter dem Lenkrad im Stil edlen Spielekonsolen-Zubehörs. Also: vierter Gang. Natürlich sequenziell geschaltet, per Flipperwippe und mit dem Rückschlag einer Pumpgun. Dabei gilt: Je höher die Drehzahl beim Gangwechsel, desto weniger ruckt’s im Auto. Nicht, dass das dem Hewland-Getriebe an die Zahnräder ginge, denn genau dafür ist es gemacht. Doch der kurze Kopfnicker nebst entsprechender akustischer Begleitung manifestiert die rohe Gewalt, mit der hier die Fahrstufen reingefeuert werden.

Anbremsen Kurve zwei. Rund 80 bar Druck in der Leitung (die Profis schaffen 120 bar). Das ABS regelt konservativ und man könnte die imaginäre Leine, an der es hängt, per Drehregler verlängern, auf dass es sich näher an der Blockiergrenze der vier Pirelli-Slicks entlang hangelte. Keine Zeit für solche Spielereien, dafür ist die Probefahrt zu kurz. Außerdem will ich Kurve zwei nicht vergeigen. Die hat einen späten Scheitel, sagte Thomas, sodass du sie dir etwas anders zurechtlegen musst.

Aus der runden Kurve eine eckige machen

Also: Brems-, dann Einlenkpunkt später setzen, die Rundung ein wenig eckig umkurven. Im besten Falle das Heck beim Lastwechsel minimal mitarbeiten lassen, damit die Fuhre möglichst früh wieder gerade steht, der GT2 sich und dich mit 800 Nm Volldampf aus der Kehre katapultieren kann. Und falls dem Gasfuß am Kurvenausgang mal die Pferde durchgehen sollten, ist da ja noch die zwölfstufig einstellbare Traktionskontrolle. Die regelt so fein, dass der im GT2 mit einem Einmassenschwungrad ausgestattete Achtzylinder beim Anpeilen der nächsten Biegung schon wieder kurz vor dem Begrenzer eskaliert.

Wahrscheinlich ginge die flache, kurze Links sogar voll, bei rund 160 km/h. Ab dem Tempo nämlich soll der aerodynamische Grip des GT2 so richtig zum Tragen kommen, sagt Thomas Jäger. Und obwohl ich glaube, dass er dieses Mal nicht geflunkert hat, entscheide ich mich für Teillast. Schließlich droht kurz darauf Kurve vier. Doch auch so spüre ich deutlich, dass mechanischer Grip allein an dieser Stelle und mit dieser Geschwindigkeit nicht ausreichen würde. Sondern, dass der an Schwanenhals-Streben aufgehängte Heckflügel und die Bug-Luftleiter maßgeblich dafür verantwortlich sind, dass wir in der Spitze Querkräfte von weit über zwei g erreichen.

Sicherheitszelle aus Kohlefaser mit Unterstützung für den Kopf

Gut, dass AMG sämtliche GT-Rennwagen mit der hauseigenen Kohlefaser-Sitzschale ausstattet, an der du einfach den Helm anlehnen kannst, bevor die Nackenmuskulatur kapituliert. Ungewöhnlich allerdings ist, dass du alles ziemlich gut überblicken kannst, weil du recht hoch sitzt – von wegen niedriger Schwerpunkt und so – fest vertäut in Fünfpunkt-Gurten, so eins wirst, mit dem Chassis. Das ist wesentlich weicher, als beim GT3, und deshalb für den Gelegenheits-Motorsportler einfacher zu kontrollieren, weil's am Limit mehr Feedback gibt, der Haftungsabriss weniger unmittelbar erfolgt, du mehr Zeit hast, zu reagieren.

Die ersten fünf Runden zum Eingrooven sind passé. Kurzer Boxenstopp. Per Luftdruck fahren vier dünne Stangen aus dem Unterboden aus, heben das Auto gerade so weit an, dass alle vier Räder gewechselt werden können. "Weil die Strecke gegen den Uhrzeigersinn verläuft und die Belastung rechts etwas höher ist, setzen wir den Fülldruck auf dieser Seite etwas niedriger", erwähnt Dateningenieur Jens Wicklein. Vor Abfahrt zeigt sein Monitor am Kommandostand 1,56 bar an, und viele weitere Werte, permanent übertragen per SIM-Karte vom Fahrzeug an die Boxencrew.

Blinde Bremspunkte und späte Kurvenscheitel

Wahrscheinlich sieht er jetzt auch die drei grün hinterlegten Ziffern, die mir das Bosch-Instrumentendisplay bei der Anfahrt auf Kurve acht meldet: Minus 0,02 Sekunden im Vergleich zu meiner bisher besten Runde. Kurve acht siehst du kaum, weil sie nach links und abwärts führt, nach außen etwas hängt. Den Bremspunkt kann ich also nur erahnen, will ihn aber nicht verpassen, bin deshalb etwas zu früh dran. Doch immerhin so spät, dass ich bis in die Biegung hineinverzögere.

Wieder später Scheitel, ein Lenkeinschlag, keine Korrekturen: Spricht für das fein arbeitende ABS und die ausgewogene Bremskraftverteilung. In den Kurven neun und zehn sind die Kerbs flach, sodass ich sie – einmal links, einmal rechts – nur kurz anstupsen und zunächst voll auf dem Gas bleiben kann. Um mich dann, schon wieder verzögernd, in Vorbereitung auf Nummer elf weit raustragen zu lassen. Wahrscheinlich etwas zu weit. Zumindest ist aus dem knappen Minus auf dem Display ein Plus von 0,31 geworden. Zweiter Gang, knapp 80 km/h, der Ausgang passt und die Rundenzeit im Soll nähert sich wieder dem Haben. Vollgas auf die nächste Gerade. Kurz den höherfrequenten, etwas heiseren, auf seine Art herrlichen Klang des Flatplane-V8 aufsaugen, der so gar nichts mit dem Bass der Normalo-GTs oder dem Heavy Metal-Gebrüll der schon im SLS eingesetzten, großvolumigen Saugmaschine des GT3 zu tun hat. Hoch in den vierten Gang, 190 Sachen und zack, ist da schon Kurve 12. Verzögern, runterschalten, einlenken und schon wieder die Kurbelwelle mit Drehmoment malträtieren, den Schwung über den Kerb mitnehmen. Plus 0,07 Sekunden. Das könnte was werden.

Mit 268 km/h über die Start-/Ziel-Gerade

Es folgt Kurve 13, eine lange Links, die über einen sanften Hügel führt, dabei etwas auf-, am Ende aber, in der Bergab-Passage, wieder zumacht. Und zu allem Überfluss mündet sie in Kurve 14, einer 100 Grad-Links. Auch hier bremst man ohne den Einlenkpunkt zu sehen, von 210 auf 85 km/h. Kurz zuckt das GT2-Heck, öffne ich die Lenkung ein wenig. Gleichzeitig runterschalten, in den zweiten Gang und ab dem Scheitel wieder hart ans Gas. Minus 0,15 Sekunden. Dritter Gang, Vierter, Fünfter. Zielstrich – minus 0,37. Weiter in den sechsten Gang. 268 km/h vor dem Bremspunkt für Kurve 1. Einlenken und bis auf den Außenkerb raustragen lassen. Dieses Mal mit voller Absicht. Weil ich jetzt weiß, was Thomas schon immer wusste: Der GT2 kann das.

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Fazit

Natürlich ist der Mercedes-AMG GT2 fürchterlich schnell, dafür aber auch unheimlich gutmütig im Grenzbereich. Ideal also nicht nur für Testfahrer von auto motor und sport, sondern vor allem für Amateur-Motorsportler, die sich in der GT2-Serie miteinander messen wollen. Dort sind neben dem AMG GT übrigens auch Audi R8, Porsche 911, Lamborghini Huracán, Maserati MC20 oder Exoten wie der KTM XBow und der Brabham BT63 unterwegs. Und vielleicht schon bald einige andere Sportwagen-Hersteller.

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AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024
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Erscheinungsdatum 25.04.2024

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