Lamborghini Aventador LP 700-4 im Fahrbericht
Roadster im Überfluss

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Um die Frage gleich zu beantworten: Der Lamborghini Aventador Roadster beschleunigt offen wie geschlossen auf bis zu 350 km/h. Viel interessanter jedoch ist der Weg dorthin, wie die erste Ausfahrt zeigt.

Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster, Frontansicht
Foto: Achim Hartmann

Endlich mal ein Hersteller, der an die Sportfahrer-Fraktion denkt: Einfach beim Lamborghini Aventador Roadster die Dachhälften herausnehmen und in der Garage lassen, schon reduziert sich das Gewicht um rund 12 Kilogramm, und der Schwerpunkt sinkt auch etwas. Na gut, damit wiegt der offene Zweisitzer noch immer 38 Kilogramm mehr als das Coupé – und das macht sich mit über 1,6 Tonnen Lebendgewicht jetzt auch nicht gerade des Leichtbaus verdächtig. Wobei in ihm natürlich ein Antriebsstrang wie direkt aus dem Sportwagen-Olymp hinabgestiegen steckt. Und beim Roadster kommen eben noch diverse Versteifungs- und Schutzmaßnahmen wie der automatische Überrollschutz sowie der verstärkte Mitteltunnel hinzu.

Unsere Highlights

Im Wesentlichen bleibt es beim Lamborghini Aventador Roadster natürlich beim bekannten Kohlefaser-Monocoque mit vorderem Hilfsrahmen aus Aluminium. Für die Rohkarosserie geben die Italiener eine Verwindungssteifigkeit von 24.000 N/Grad bei geschlossenem Dach und 22.000 N/Grad offen an. Zum Vergleich: Das Coupé bringt es auf 36.000 N/Grad.

Lamborghini Aventador Roadster mit 700 PS und Allradantrieb

Noch während diese Zahlen durch den Kopf schwirren, angereichert um ein paar Daten wie 700 PS, 690 Nm, 350 km/h, wächst der Lamborghini Aventador Roadster aus dem leicht flirrenden Asphalt des Homestead-Speedway in Florida. Nicht bis in den Himmel, nein, gerade einmal 1,14 Meter hoch. Dafür 2,03 Meter breit und 4,78 Meter lang, getaucht in schreiendes Grünmetallic, benannt nach Ithaka, der Insel des Odysseus. Zu grell? Na ja, wer sich einen italienischen Supersportwagen dieses Kalibers in die geflieste und klimatisierte Garage stellt, hält Understatement sowieso für eine überschätzte Modeerscheinung. Da darf es gern eine etwas, nun, mutigere Farbe sein.
 
Mit zwei Handgriffen (Sitzlehne nach vorn klappen, Entriegelungshebel ziehen) lassen sich die Karbon-Dachhälften entfernen, allerdings längst nicht so schnell im Bug verstauen. Die Logik des Mechanismus erscheint zunächst wirr wie ein Teller Spaghetti, zudem lässt die Vorfreude auf den Ausritt den Geduldsfaden beträchtlich dünner werden. Irgendwann stecken die schwarzen Platten unter der vorderen Haube, die Fahrertür schwingt nach oben – klar, diesen Gag lässt sich auch der offene Lamborghini Aventador nicht nehmen. Oder ist es angesichts der üppigen Karosseriebreite vielleicht mehr als das? Wie auch immer.
 
Ganz ernst meint es der Lamborghini Aventador Roadster zumindest mit seinem Fahrer. Die Sportsitze sind angenehm ausgeformt und stützen bequem gepolstert den Rücken. Zudem verfügen sie über einen ähnlich weiten Verstellbereich wie das Lenkrad, weshalb sich leicht eine optimale Sitzposition finden lässt, selbst wenn die persönliche Statur von den aktuellen Durchschnittsmaßen – 1,78 Meter, 82 Kilo, Schuhgröße 44 – nicht unerheblich abweicht. Schön, wenn einem das Auto die Arbeit erleichtert, speziell angesichts des zu erwartenden Pensums.

In 3 Sekunden auf Tempo 100

Denn jetzt, nachdem die doch etwas übertriebene rote Sicherungsklappe den Startknopf freigibt, zündet im Heck das 6,5-Liter-V12-Triebwerk nach langem, hell-heißerem Singen des Anlassers. Leichtes Zupfen am rechten Schaltpaddel aktiviert den ersten Gang des automatisierten Schaltgetriebes, der Lamborghini Aventador Roadster rollt los. Weil ein Rundkurs, gemixt aus einem Teil des 2,4 Kilometer langen Ovals und des 3,5 Kilometer langen Infields, vor dem Aventador liegt, haben der Strada- und Sport-Modus Pause.

Jetzt ist der Corsa-Modus gefordert, er schärft Gas- und Lenkungskennlinie, setzt die ESP-Regelschwelle herauf und reduziert die Schaltzeiten von 300 auf 50 Millisekunden – wobei Letzteres wohl die größte Tat ist, die er vollbringt. Aus unerfindlichen Gründen halten die Italiener am automatisierten Schaltgetriebe fest, taufen es aufgrund der zwei unabhängigen Schaltwellen bedeutungsschwer „ISR“ (Independent Shifiting Rod) und rühmen das gegenüber einem Doppelkupplungsgetriebe geringere Gewicht und die kompaktere Bauweise. Dem steht allerdings ein eher zweifelhaftes Erlebnis im Lamborghini Aventador Roadster beim Wechseln der Gänge gegenüber, denn die Schaltpausen reichen locker für ein genussvolles Tramezzino.

Schalten sorgt für Kopfnicken

Also dann: Fuß vom Gas beim Schalten, das hilft zumindest gegen allzu heftiges Kopfnicken. Im Corsa-Modus nützt das nichts, dann komprimiert die Schaltpause zu einem kurzen Schlag ins Genick. Auf der Rennstrecke geht das in Ordnung, im Straßenverkehr ist dies an Albernheit wohl nur schwer zu überbieten. Aber gut, hier geht es ja auch um des Roadsters Talent auf abgesperrter Strecke.
 
Vor allem der Zwölfzylinder fühlt sich hier so heimisch wie ein Fünfjähriger im Spielwarenladen. Ab 3.000 Touren übertönt ein schweres Gurgeln das mechanische Sirren, Tackern und Zirpen des mächtigen Triebwerks – die Drehzahlparty beginnt. Erst bei 8.250/min liegt die Höchstleistung an, für die meisten Autos ein langer Weg, den der Lamborghini Aventador Roadster jedoch mit größtmöglicher Begeisterung hinter sich bringt. Selbst bei 6.000/min, wenn andere Motoren bereits überlegen, ob sie sich demnächst ihrer Kolben entledigen, feiert sich der V12 frenetisch, dreht schreiend weiter. Dann erschüttert ein dumpfer Knall jede einzelne Kohlefaser, verkündet den vollzogenen Gangwechsel – die große Oper beginnt von vorn.
 
Die Steilkurve mündet in die Geraden, allmählich bekommen die Pirelli P Zero Corsa im 20-Zoll-Format – 355 Millimeter breit an der Hinterachse – Temperatur, der Fahrer allerdings nicht. Durch das offene Dach tobt zwar glücklicherweise kein Orkan in die grüne Stube und entwurzelt die Mittelkonsole, doch die Frischluftzufuhr vertreibt Schweißperlen bereits im Ansatz.

V12 brüllt wie Kinder am Geburtstag

Und wie laut wird es wirklich? Der Hersteller behauptet, bei 300 km/h kommen 90 dB(A) zusammen, was angeblich der Lautstärke eines normal-exzessiven Kindergeburtstages entspricht. Wichtig ist, dass beim kurzen Anbremsen und Zurückschalten vor dem schnellen Linksknick in das Infield das bedrohliche Aufbellen des V12 akustisch wahrnehmbar bleibt. Oh ja, das tut es. Sobald der rechte Fuß das Gaspedal nur sacht touchiert, zuckt die Nadel des virtuellen Drehzahlmessers. Es scheint, als entsteht mit jeder Berührung eine Art Hochgeschwindigkeits-Datenbahn zwischen den Gehirnen von Fahrzeug und Fahrer – das vollbringt nur ein Saugmotor.
 
Vom Ansprechverhalten des Motors zu sprechen, wäre jedenfalls zu kurz gesprungen. Angriffsverhalten vielleicht? Keine Zeit darüber nachzudenken, denn beim Einlenken in die scharfe Links muss der Lamborghini Aventador Roadster sacht untersteuernd zugeben, dass zumindest die vorderen Pirellis noch nicht gänzlich ihre Betriebstemperatur erreicht haben. In der nächsten Runde fühlt sich das bereits deutlich besser an. Präzise wie von einem Leitstrahl geführt, folgt der grüne Brocken der vorgegebenen Linie. Dabei fällt wiederum auf, dass die Lenkung selbst in ihrer schärfsten Kennlinie ein wenig mit der Rückmeldung knausert.

Sportwagen für Rennstrecke und Alltag

Das Fahrwerk möchte sich so etwas wohl nicht nachsagen lassen. Die Schubstreben-Konstruktion mit Öhlins-Dämpfern lässt kaum Karosseriebewegungen zu, spricht zugleich so sensibel auf Bodenunebenheiten an, dass alle Räder Kontakt zum Asphalt behalten und es überdies nicht im Kohlefaser-Gebälk knirscht. Einzig die minimale Rollneigung mag dem Fahrzeuggewicht geschuldet sein – geschenkt, denn dafür bietet der Supersportler ein durchaus erwähnenswertes Maß an Alltagstauglichkeit. Bequeme Sitze, modernes Infotainment, zeitgemäße Sicherheitsausstattung finden – ungeachtet aller aufbrandenden „Warmduscher“-Sprechchöre – in diesem Umfeld durchaus Zustimmung, gelegentlich zumindest. Ein Sprint-Olympia-Sieger muss ja schließlich auch mal zum Supermarkt.
 
Jetzt allerdings feuert der Lamborghini Aventador Roadster aus der spitzen Rechtskehre heraus, ohne Traktionsprobleme, denn darum kümmert sich der Allradantrieb. Dessen zentrales Element bildet eine Lamellenkupplung nach dem Haldex-Prinzip, die im Corsa-Modus 20 Prozent der Antriebskraft nach vorn leitet. Bei Bedarf natürlich mehr, wobei das Eigenlenkverhalten des Mittelmotor-Freaks immer einer leichten Neigung zum Übersteuern folgt. Wenn daraus mehr werden soll, hilft nur eines: ESP aus. Das gilt ebenso für beste Rundenzeiten, denn im Verbund mit dem giftigen Ansprechen des Triebwerks bringt die Regelelektronik in bestimmten Fahrsituationen Unruhe in den Lamborghini, etwa bei zu forsch angegangenen Wechselkurven.
 
Nur: Zählt die Jagd nach Bestzeiten zur Hauptaufgabe des Lamborghini Aventador Roadsters? Wohl nicht, selbst wenn die vom Hersteller versprochenen Fahrleistungen beim Stammtisch-Duell sogar schales Bier wieder schäumen lassen. Auch hinsichtlich der Agilität kann sich der Italiener jegliche Schamesröte sparen, wo ihm doch Grün ohnehin viel besser steht.

357.000 Euro kostet der offene Supersportler

Doch das letzte Zehntel finden vermutlich andere auf der Rennstrecke, wohl auch für weniger als 357.000 Euro. Jedoch: Wer liefert einen V12-Supersportler, der ein derart dichtes Netz von Emotionen um seine Insassen spannt, bei Bedarf sogar in Schwindel erregenden Temporegionen? Eben. Also weg mit den Dachhälften. Auch wenn das keinen relevanten Einfluss auf das Leistungsgewicht hat.


Der Lamborghini Aventador LP 700-4 legte im sport auto-Supertest einen extrovertierten Auftritt hin und hielt was er optisch verspricht.

Technische Daten
Lamborghini Aventador LP 700-4 Roadster
Grundpreis357.000 €
Außenmaße4780 x 2030 x 1136 mm
Kofferraumvolumen150 l
Hubraum / Motor6498 cm³ / 12-Zylinder
Leistung515 kW / 700 PS bei 8250 U/min
Höchstgeschwindigkeit350 km/h
Verbrauch16,0 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
Sport Auto 03 / 2022
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Erscheinungsdatum 04.02.2022

132 Seiten