F1-Saison 2024 ohne Rookies
Hat die Formel 1 ein Nachwuchsproblem?

Nach mehreren starken Junior-Jahrgängen steht die Formel 1 2024 vor einem Jahr ohne Rookies. Für das häufig beschworene Nachwuchsproblem gibt es gleich mehrere Gründe.

Gruppenbild - F1-Piloten 2023
Foto: xpb

Franz Tost weiß, wie es ist, wenn der große Traum von der Formel 1 plötzlich bitter platzt. Seit der Gründung des von ihm mit aufgebauten Red-Bull-Farmteams im Jahr 2006 durchliefen bis heute viele große Namen sein Stahlbad. Nicht einmal die Hälfte der Anwärter schaffte es am Ende, sich dauerhaft zu etablieren. Die, die es taten – allen voran Sebastian Vettel und Max Verstappen –, haben die Königsklasse allerdings geprägt.

Wer nun angesichts des abrupten Endes von Nyck de Vries meint, Tost wäre eine Art turbokapitalistischer Ausbilder, täuscht sich jedoch im zum Jahresende scheidenden Teamboss. Er erklärt: "Eine Formel-1-Lehre dauert drei Jahre. Man darf von einem jungen Piloten nicht erwarten, dass er gleich alles versteht. Die moderne Formel 1 ist unheimlich kompliziert. Erst wenn alles in Fleisch und Blut übergegangen ist, zeigt sich das wahre Potenzial."

Unsere Highlights
Nyck de Vries, Franz Tost & Helmut Marko - Formel 1 - 2023
Red Bull

Karriere-Killer Franz Tost? Ganz im Gegenteil! Der künftige Formel-1-"Rentner" hätte sich häufig gerne mehr Zeit für seine Schützlinge genommen.

Budget Cap als Hindernis

Dass gerade in Zeiten des Budget Cap die meisten Teams weder das Geld noch die Geduld haben, so viel Aufwand in einen jungen, fehleranfälligeren Fahrer zu stecken, zeigten zwei viel diskutierte Entscheidungen auf unterschiedliche Weise. Haas bewies 2022 ungewollt plakativ, wie wichtig der Faktor Erfahrung den Bossen ist, als Mick Schumacher Platz für seinen zwölf Jahre älteren Landsmann Nico Hülkenberg machen musste. In der abgelaufenen Saison sorgte das noch als Alfa Romeo gebrandete Sauber-Team durch die Bestätigung der aktuellen Paarung ebenfalls für kritisches Murren.

Der stellvertretende Teamchef Alessandro Alunni Bravi konterte die Kritik: "Konstanz und Stabilität sind wichtig für uns, gerade für den aktuellen Transformationsprozess." In die Röhre schaut Sauber-Junior Théo Pourchaire, der sich in seiner dritten vollen Formel-2-Saison zum Meister krönte. Schon sein Titel-Vorgänger Felipe Drugovich musste sich trotz guter Referenzen mit der Testerrolle bei Aston Martin begnügen. Und selbst ein Ausnahmetalent wie Oscar Piastri nahm nach seinem F2-Titel erst einmal ein Jahr auf der Ersatzbank Platz.

Formel 2 2023 - Théo Pourchaire (ART Grand Prix) - Frederik Vesti (Prema Racing)
xpb

Der Franzose Théo Pourchaire errang in seiner dritten vollen Formel-2-Saison den Titel. Viele Vorgänger konnten sich früher durchsetzen.

Gekommen, um zu bleiben

Auch wenn allein die Top 5 der Saison 2023 aus drei Fahrern bestand, die jenseits der 30 Lebensjahre sind, ist das Feld relativ jung. Das Durchschnittsalter betrug zum Saisonende 28,75 Jahre. 65 Prozent der Piloten haben eine Zwei vorne stehen. Der bereits erwähnte Piastri ist mit 22 Lenzen der Jüngste. Die Lücken für Rookies sind auch in Zukunft klein. Mit den schwer zu kontrollierenden Groundeffect-Autos haben die erfahrenen Routiniers noch mehr an Wert gewonnen. Der siebenfache Meister Lewis Hamilton unterschrieb gerade einen neuen Vertrag bis Ende 2025. In der darauffolgenden Saison fangen dann alle Piloten durch das überarbeitete Regelpaket wieder bei null an.

Ob sich in den Nachwuchsserien jetzt schon das nötige Talent für die übergroßen Fahrerstiefel-Fußstapfen eines Alonsos oder Hamiltons findet, wurde zuletzt reichlich diskutiert. Trügerisch ist hierbei der Eindruck zahlreicher "zukünftiger Weltmeister": Seit 2018 stiegen mit Charles Leclerc, George Russell, Lando Norris und Oscar Piastri in sehr kurzer Abfolge gleich vier Piloten auf, welche die besten Voraussetzungen für einen ultimativen Triumph hätten.

Im Gegensatz zum etwas aus der Reihe tanzenden McLaren-Racing-Duo durften Leclerc und Russell Erfahrungen in kleineren Teams sammeln und dort auch Fehler machen. Dass selbst diese Mannschaften mittlerweile Routine bevorzugen – siehe die Verpflichtung von Ricciardo beim Red-Bull-Junior-Team –, unterstreicht den Zeitgeist.

Formel 1 2023 - Fernando Alonso (Aston Martin) - Oscar Piastri (McLaren Racing)
Motorsport Images

Generationenaustausch: Zwischen Fernando Alonso und Oscar Piastri liegen satte 20 Jahre. Die beiden Alpine-Abtrünnigen verstehen sich abseits der Strecke jedoch blendend.

Kostenspirale schon im Kart

Parallel zum entstandenen Flaschenhals an der Spitze verengte sich zuletzt auch die Basis der Nachwuchspyramide. Dort dreht sich alles um finanzielle Ressourcen. Nachdem bis in die jüngere Vergangenheit hinein Einzelkämpfer noch eine Chance im Kartsport bekamen, halten nun vermehrt "Super-Teams" Einzug. Wenig überraschend lassen sich diese ihre Profi-Dienste gut bezahlen. Schon 2021 warnte Sebastian Vettel: "Natürlich waren die Kosten bereits hoch, als ich angefangen habe. Im Kartsport brauchte es damals auch Leute wie den Kart-Händler Gerhard Noack, die einen fördern. Aber zuletzt ist es eskaliert und wurde eindeutig zu teuer."

Toto Wolff, der auch als Fahrer-Manager auftritt, formulierte die Lage gegenüber der spanischen Sportzeitung "AS" noch klarer: "Die Formel 1 ist zum Club für Milliardärssöhne geworden." Lebensgeschichten wie die seines Stars Lewis Hamilton, dessen Vater mit mehreren Jobs und überzogenen Kreditkarten den Traum gerade so am Leben erhielt, seien fast unmöglich. "Ich zweifle daran, dass es Kinder aus privilegierten Familien immer einfach haben. Es geht mir aber darum, dass die Basis günstiger wird, damit auch Kinder ohne viel Geld eine Chance haben können."

Einen ersten Schritt in diese Richtung gehen die Fahrer-Akademien und Förderprogramme der Hersteller, Teams und Nationalverbände. Auch wenn das Prinzip dahinter in seinen Grundzügen schon lange zurückreicht – Red Bull begann beispielsweise 2001 –, veränderten sich die Rahmenbedingungen zuletzt nochmals. Das deutsche Talent Tim Tramnitz, das sowohl in den RB-Juniorkader als auch in das neu geschaffene Motorsport Team Germany aufgenommen wurde, erklärt: "Viele gute deutsche Fahrer sind an der finanziellen Situation gescheitert. Dazu ist es nicht einfach, in die Fahrer-Akademien hineinzukommen, da diese etwas verlangen, was für beide Seiten Sinn ergibt."

FRECA 2023 - Tim Tramnitz
FRECA

Nach längerer Wartezeit sind wieder Deutsche Teil des Red-Bull-Kaders. Sowohl der FRECA-Dritte Tim Tramnitz als auch der Formel-3-Racer Oliver Goethe wurden jüngst aufgenommen.

Mehr Förderprogramme

Wie wichtig es ist, Teil solcher Programme zu werden, zeigen die 2023er-Ergebnislisten in den Nachwuchsserien. Tramnitz musste sich in der FRECA dem Mercedes-Youngster Andrea Kimi Antonelli geschlagen geben. Der dominante FIA-F3-Meister Gabriel Bortoleto ist ein Schützling von Fernando Alonso und wurde nach dem Erfolg Teil des McLaren-Kaders. Und die ersten acht Piloten der Formel-2-Abschlusstabelle haben allesamt Ausbildungsplätze bei Formel-1-Teams.

Hinzu kamen außerdem noch Förderprojekte, die speziell Fahrerinnen unterstützen. Die Bestrebungen der Teams, weibliche Talente voranzubringen, wurden in der von der Formel 1 ausgerichteten "Damenserie" F1 Academy gebündelt, die ab der kommenden Saison im Rahmen der Königsklasse unterwegs ist.

F1 Academy 2023 - Meisterin Marta García (Prema Racing)
Motorsport Images

In der ersten Saison der "Damenserie" F1 Academy konnte sich die Spanierin Marta García durchsetzen. Noch ist es aber ein weiter Weg in die Königsklasse.

Zweite Chancen in der weiten Welten

Obwohl schon aus mathematischen Gründen nur kleinste Prozentsätze ihren ultimativen Traum erfüllen können, erfreuen sich die Absolventen in anderen Serien und Disziplinen dafür großer Beliebtheit. Neben der Formel E und der boomenden Langstrecke entwickelte sich die IndyCar zu einem Abnehmer der in Europa vermeintlich gescheiterten Youngster. Der frühere Alpine-Junior Christian Lundgaard gewann in dieser Saison dort sein erstes Rennen. Auf dem Grid standen dabei ebenfalls die von Ferrari ausgebildeten Marcus Armstrong und Callum Ilott, der 2024 für Jota WEC fährt.

Während in der Formel 1 also in der nächsten Saison eine historische Rookie-Flaute ansteht, ist dank der guten Ausbildungsbasis mit Simulatoren etc. Hoffnung für eine Verjüngung zumindest in Sicht. Franz Tost wird es da schon gespannt von der Couch aus verfolgen.