VW Golf 9 steht auf der Kippe
VW-Chef vermeidet Bekenntnis zum Golf-8-Nachfolger

Die Anzeichen verdichten sich, dass der VW Golf 8 ohne Nachfolger bleiben könnte. Aussagen des Markenchefs Thomas Schäfer deuten in diese Richtung.

VW Golf keine 9. Generation
Foto: Collage: auto-motor-und-sport.de

Der Golf war immer das Rückgrat in Volkswagens Modellprogramm – zumindest im europäischen. Mehr als 35 Millionen Exemplare hat VW bis Ende 2019 gebaut, allein 5,7 Millionen von der Generation VII. In sieben Jahren Bauzeit. Doch der Status des seit seiner Ankunft 1974 nie infrage gestellten Kompakt-Bestsellers bröckelt zusehends. Das liegt an einigen Qualitäts- und Software-Problemen, von denen die achte Generation seit ihrem Start zum Jahresende 2019 gepeinigt wurde und noch immer wird. Deshalb wendet VW auch jetzt noch viel Geld und Ressourcen auf, um den Golf ordentlich aufzuwerten. Das Facelift zur Mitte des Lebenszyklus' dürfte entsprechend umfangreich ausfallen.

Neue Mobilität im Alltag

Aber auch der Trend bei den Absatzzahlen spricht gegen den einstigen Bestseller. 2020, im ersten vollen Golf-8-Verkaufsjahr, wurden in Deutschland gerade einmal 136.324 Neuwagen zugelassen. Im Jahr darauf waren es sogar nur 91.621 Neuzulassungen in Deutschland. Das war zwar immer noch die Topplatzierung, aber in den letzten drei Monaten 2021 grüßte der Golf nicht mehr von der Spitze der Neuzulassungsstatistik – das gab es zuvor seit Jahrzehnten nicht mehr. Auch europaweit holte die Konkurrenz auf: Mit 205.408 verkauften Autos platzierte sich der Golf 2021 nur knapp vor dem Peugeot 208 und dem Dacia Sandero. Und die bisherigen Absatzzahlen 2022? Um es kurz zu machen: Der Abwärtstrend hält an.

Nicht alles mit Corona und dem Ukrainekrieg erklärbar

Wer dem Golf wohlwollend gegenübersteht, kann natürlich zu seinen Gunsten argumentieren: Er war gerade frisch auf dem Markt, als eine Pandemie die Welt in ihren Würgegriff nahm. Als die negativen Auswirkungen durch Corona endlich nachzulassen schienen und eine Erholung der Märkte in Sicht war, marschierte Russland in der Ukraine ein. Und verschärfte die Probleme. Doch von all den inzwischen weithin bekannten Problemen ist die gesamte Industrie geplagt. Und der Golf ist ein Modell, das überproportional hohe Verluste verzeichnet. Auch innerhalb des VW-Konzerns übrigens: Kaum ein SUV oder Crossover aus der vielgliedrigen Markenwelt verliert derart stark in der Käufergunst wie der Kompakt-Klassiker.

Doch die eingangs erwähnten Probleme und die schwächelnden Absatzzahlen sind nicht die alleinigen Gründe, die Thomas Schäfer zu Aussagen wie diesen veranlassen: "Wir werden uns anschauen müssen, ob es sich lohnt, ein neues Fahrzeug zu entwickeln, das nicht mehr die vollen sieben oder acht Jahre Laufzeit erreicht. Das wäre extrem teuer", antwortete der VW-Markenchef in der "Welt am Sonntag" auf die konkrete Frage, ob der Golf 8 der letzte sein werde. Zwar sagt Schäfer auch pflichtschuldig, dass der Golf für Volkswagen ein sehr wichtiges Auto und zudem noch nichts entschieden sei ("In zwölf Monaten wissen wir mehr.") Aber ein klares Bekenntnis klingt anders.

Der Golf passt nicht in VWs E-Konzept

Den Hauptgrund für die unsichere Zukunft des Golf liefert Schäfer im selben Interview. "Die politischen Weichen stehen auf "E", und Volkswagen steuere klar in Richtung vollelektrische Fahrzeuge. Ein solches ist der Golf nach dem Auslaufen seiner E-Version nicht mehr. Weshalb Schäfers Aussagen nicht nur zwischen den Zeilen mitteilen: Die Zukunft gehört den ID.-Modellen, "deren Nachfrage entwickelt sich rasant". An dieser Strategie dürfte sich trotz des überraschenden Abschieds von Konzernchef Herbert Diess nichts Grundlegendes ändern.

Hinzu kommt: VW muss künftig sehr viele E-Autos verkaufen. Der Quote wegen – auch in China, wo der Golf als Schrägheckmodell im Übrigen nie eine Rolle spielte. Und wegen der CO2-Limits in der EU. Beim Golf 8 liegen nur die Plug-in-Hybrid-Versionen deutlich unter 95g CO2/km. Und da die CO2-Ziele bis 2030 noch mal um 37,5 Prozent (auf Basis der Emissionswerte von 2021) sinken sollen, helfen nur E-Autos, um den durchschnittlichen Flottenverbrauch und damit den CO2-Ausstoß unter den Grenzwert (dann ca. 60 Gramm) zu senken. Denn sie gehen mit 0g CO2-Ausstoß in den Flottenverbrauch ein und zählen aktuell sogar doppelt.

Kommt der Golf IX gar nicht mehr?

Weil VW aber seine E-Autos jetzt grundsätzlich auf dem neuen Modularen Elektrobaukasten (MEB) aufbaut, während der Golf 8 auf dem Modularen Querbaukasten (MQB) basiert, steht die Baureihe CO2-technisch vor einer schwierigen Zukunft. Vor allem, was den Nachfolger angeht, der nach gängigen Generationszyklen 2026 debütieren müsste. Da kommt Michael Jost, der ehemalige Leiter Strategie des Volkswagen-Konzerns, ins Spiel. Jost hatte schon Ende 2018 folgendes gesagt: "Im Jahr 2026 beginnt der letzte Produktstart auf einer Verbrennerplattform", so der einstige Chefplaner. Das reicht theoretisch für einen Golf 9 im Jahr 2026 - Generation 8 steht erst seit Dezember 2019 bei den Händlern. Deshalb steht der Golf 9 noch in der Diskussion.

Best Cars 2020 Zusatzfrage Golf oder ID.3
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"Sonntagsfrage" bei der auto-motor-und-sport-Leserwahl 2020: Golf oder ID.3? Schon heute würden sich 50% der Befragten für den elektrischen ID.3 entscheiden!

Denn die Zeitspanne bis 2030 mit den gesetzten 60 Gramm CO2 pro Kilometer wäre eben sehr knapp. Wir erinnern uns an Thomas Schäfers Worte: Es wäre extrem teuer, "ein neues Fahrzeug zu entwickeln, das nicht mehr die vollen sieben oder acht Jahre Laufzeit erreicht". In dem Fall wären es sogar nur drei. Außerdem "werden wir uns genau ansehen, wie sich das Verbrennergeschäft in der zweiten Hälfte der Dekade entwickelt", sagt der Markenvorstand im "WamS"-Interview. Oder anders: Sentimentalitäten können wir uns nicht leisten; wir lassen allein Zahlen und Fakten sprechen.

Theoretisch könnte der Golf 9 als reiner PHEV kommen

Theoretisch gäbe es die Möglichkeit, einen VW Golf 9 ausschließlich als Plug-in-Hybrid anzubieten, sodass der durchschnittliche CO2-Ausstoß der Baureihe unter den für 2030 geplanten Grenzwert fällt. Wenn E-Autos bis dahin in der Produktion erheblich billiger werden, was das Ziel der Hersteller sein muss, könnte es allerdings unrentabel sein, eine PHEV-Baureihe für dann vielleicht gar nicht mehr so hohe Stückzahlen am Leben zu erhalten. Zumal Schäfer auch hier einschränkt: Hybride sehen sie bei VW nur als Brücke ins E-Zeitalter gedacht. Eine langfristige Zukunft scheint ihnen im Konzern nicht beschieden zu sein. Auch die zum Jahresende 2022 in Deutschland auslaufende staatliche Kaufprämie für Plug-in-Hybride spricht gegen die "Only-PHEV"-These.

Best Cars 2020 Zusatzfrage Golf oder ID.3
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Nochmal nachgefragt: Und wie sähe es in fünf Jahren aus? Da würden schon 63% zum E-Auto greifen!

Vielen Autokäufern scheint schon heute klar zu sein, dass E-Autos die Verbrenner verdrängen werden. Interessant ist die Einschätzung des Zeithorizonts: In einer Nachbefragung unter den Teilnehmern der auto motor und sport-Leserwahl Best Cars 2020 stellten wir folgende hypothetische Frage: "Angenommen, Sie würden bei einer Lotterie gewinnen und könnten sich zwischen den folgenden zwei Fahrzeugen frei entscheiden: Würden Sie sich eher für den aktuellen VW Golf oder den VW ID.3 entscheiden?" Das Ergebnis: Fifty-Fifty unter jenen Teilnehmern, die auch eine klare Entscheidung treffen konnten. Exakt bei diesen Befragten haben wir nochmals nachgebohrt: "Und wie sähe wohl Ihre Entscheidung in fünf Jahren aus?" Hier war das Ergebnis nicht mehr ausgeglichen: Ausgehend vom Befragungszeitpunkt sprachen sich für das Jahr 2024 schon 63 Prozent klar für den ID.3 aus.

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Für den Golf 8. Der wird auch in 9. Generation zukunftsfähig sein - als Plug-in-Hybrid.Für den ID.3. Den kann man auch in 5 Jahren noch ohne großen Wertverlust verkaufen.

Fazit

Die Situation erinnert an die frühen 70er-Jahre: VW hatte mit dem Käfer einen Imageträger im Programm, der sich zwar noch ordentlich verkaufte, technisch aber längst am Limit angelangt war. Ein Dilemma für die Manager in Wolfsburg, die sich letztlich gegen den Klassiker entschieden und alles auf den modern konzipierten Neuling gesetzt haben. Bei allen Sentimentalitäten: Das Votum für den Golf war seinerzeit genau richtig.

Der Profiteur von damals steht heute selbst nah am Abstellgleis. Zumindest mehren sich die Anzeichen, dass für den Golf, wie wir ihn kennen, nach Generation 8 Schluss sein könnte. Unvorstellbar? Nicht für VW-Chefstrategen, die sicher auch hin und wieder den Blick zurück wagen, wie sich die Dinge vor etwa einem halben Jahrhundert entwickelt haben. Und offensichtlich auch nicht für viele Autokäufer. Fragt sich, wann sich Volkswagen bei diesem Thema konkret positioniert. Aber wie Thomas Schäfer sagt: "In zwölf Monaten wissen wir mehr."