BMW-Entwicklungschef Draeger im Interview
Neue Klein- und Kompaktwagen-Strategie

BMW-Forschungs-und Entwicklungsvorstand Klaus Draeger skizziert im Interview mit den auto motor und sport-Redakteuren Alexander Bloch und Harald Hamprecht die Klein- und Kompaktwagenstrategie des Konzerns: Der neue BMW 1er, der 2011 in den Markt kommt, wird sich dabei viele Komponenten mit dem kommenden BMW 3er teilen. Unterhalb des 1ers ist ab 2014 ein BMW City mit Frontantrieb geplant. Zudem arbeiten die Münchener an neuen Modellen der Marke Mini.

Klaus Draeger
Foto: BMW

Der nächste BMW Einser kommt 2011, also im gleichen Jahr wie der Nachfolger des Audi A3 und die erste von vier Varianten der künftigen Mercedes A- und B-Klasse. Wie wollen Sie sich in diesem schärfer werdenden Wettbewerb differenzieren?
Draeger: Wann der neue 1er auf den Markt kommt, werden wir rechtzeitig bekannt geben. Wir werden den Kunden auch in Zukunft das beste Fahrzeug in jedem Segment anbieten. Der Erfolg, den wir im Markt haben, zeigt, dass wir hervorragend aufgestellt sind. Unsere 1er und 3er Baureihen sind in Summe schon heute die erfolgreichste und größte Heckantrieb-Architektur weltweit – mit jährlich zwischen 600.000 und 700.000 Einheiten. Diesen Vorsprung wollen wir weiter ausbauen

Unsere Highlights

Zumal die Zahl der bisher geteilten Komponenten überschaubar ist.
Draeger: Das haben wir mit der kommenden Architektur vorangetrieben, wo wir viele Komponenten teilen werden, analog zur Backbone-Strategie des 7er, 5er GT 5er und des kommenden 6er. Dabei legen wir jedoch weiterhin Wert auf einen hohen Individualisierungsgrad unserer Modelle und sind überzeugt, dass das ein wesentliches Merkmal von Premium ist.
 
Bei Ihren beiden großen Baureihen sind 70 Prozent der Komponenten identisch. Wie viel werden es beim nächsten 1er und 3er?
Draeger: Nicht der Prozentsatz ist entscheidend, sondern dass wir Architektur und Baukastenprinzip sinnvoll einsetzen. Für uns heißt das vor allem, nicht-differenzierende Teile kommunal einzusetzen: Bodengruppe, Getriebe, Motoren werden praktisch identisch sein – bei unterschiedlichen Radständen und Gewichten natürlich. Auf der Kostenseite bringt uns das deutlich nach vorne.
 
Wie viel Prozent der Entwicklungskosten werden Sie sparen?
Draeger: Lassen Sie es mich so beziffern: Wir werden die gleichen Komponenten für alle Modelle unserer künftigen "Kleinen Klasse" –nutzen. Einmal erprobte Dinge müssen nur noch kurz gecheckt werden. Bestes Beispiel ist das thermische Management für Kühlung und Abgas, das können wir 1:1 für ein zweites Auto übernehmen. Gleichzeitig können wir die Entwicklungszeiten deutlich reduzieren. Und die Zahl der Prototypen senken wir um bis zu 30 Prozent.
 
Wie viel leichter wird der künftige 1er?
Draeger: Wir werden alle neuen gesetzgeberischen Forderungen erfüllen, die dann zusätzlich gefordert werden: Neue Fußgängerschutzgesetzgebung, neue Dachdrücktests in den USA, etc. Das sind eigentlich alles Dinge, die das Gewicht treiben. Und trotzdem werden wir beim Gewicht unter dem des Vorgängers bleiben.
 
Wie werden Sie das schaffen?
Draeger: Mit Leichtbaumaßnahmen, wie höherfesten Stählen oder Aluminium- und Kunststofffasern.
 
Wie gut werden Sie bei den Verbrauchswerten?
Draeger: Derzeit liegen wir mit dem sparsamsten 1er, dem 116d, bei einem CO2-Ausstoß von 118 g/km. Mit der nächsten Generation will ich nicht ausschließen, dass wir mit einzelnen Modellen deutlich niedriger liegen werden. Und dabei möchte ich betonen: Es wäre gar kein Problem, dieses Ziel zu schaffen, wenn man die Motorleistung verringert und eine länger übersetzte Hinterachse verwendet. Doch unser Prinzip heißt "Efficient Dynamics". Sprich wir bieten Effizienz, ohne dabei Abstriche bei Dynamik und Fahrfreude zu machen.
 
Die Dreizylinder starten nach Informationen von auto motor und sport bei 110 PS, die Vierzylinder-Turbomotoren soll es mit 204 und 240 PS (300 bzw. 350 Newtonmeter) geben. Richtig?
Draeger: Zum jetzigen Zeitpunkt möchte ich noch nicht über Details sprechen. Wir werden neue Motoren beim 1er und auch beim 3er sehen. Zum Start des neuen 1ers sehe ich Vierzylinder-Turbomotoren, die wir heute schon mehr oder weniger kennen – aus unserer Kooperation mit PSA. Und wir werden entscheiden, wann wir in das Thema Dreizylinder gehen. Diese Motoren werden aber noch nicht zum Marktstart verfügbar sein. Für alle neuen Motoren gilt: Wir werden weiterhin Efficient Dynamics-Maßnahmen integrieren und zum Beispiel beim neuen 1er von Anfang an Start-Stopp bei Schalt- und Automatikgetriebe anbieten.
 
Wird es eine Hybridvariante des 1er geben?
Draeger: Für den 1er kann ich mir das momentan nicht vorstellen. Aber für den nächsten 3er, zumal wir ja schon die BMW 7er, X6 und 5er schon mit Hybrid vorgestellt bzw. eingeführt haben. Sie müssen das auch von Nachfrageseite sehen: Welches sind die Hybridmärkte? Hauptmarkt sind sicher die USA. Der 1er als Hatchback ist aber eher ein Europa-Fahrzeug. Damit ist tendenziell der Diesel wichtiger. Ein Hybrid hat da keine Priorität. Natürlich will ich das nicht für alle Ewigkeit ausschließen. Aufgrund der Auslegungsphilosophie wäre es auch keine Schwierigkeit.
 
Zwei Schwächen des aktuellen 1er sind Raumangebot und Interieur. Was wird sich da tun?
Draeger: Die Einschätzung, dass der 1er in punkto Raumangebot und Interieur Schwächen hat, teile ich nicht. Der 1er muss ein fahragiles und -freudiges Auto bleiben. Dennoch werden wir wachsen - mit mehr Raum und einem hochwertigen Interieur.
 
Muss er wohl auch. Denn der Wettbewerb wird steigen. Zurück zur Einstiegsfrage: Wodurch werden Sie sich von den Einstiegsmodellen von Mercedes und Audi abgrenzen?
Draeger: Schon heute grenzen wir uns gut gegen unsere Wettbewerber ab – mit unseren vier 1er-Varianten. Unser Erfolg beruht auf Proportionen, Qualität, Design und der sprichwörtlichen Freude am Fahren. Das werden wir erfolgreich fortsetzen.
 
Mit einem Sportkombi als zusätzliche, fünfte Variante der künftigen 1er-Familie?
Draeger: Das kann ich  nicht bestätigen. Einen 3er GT haben wir nie dementiert, beim 1er würden wir das tun. Wir planen mit einem Fünftürer, Dreitürer, Coupé und Cabrio. Derzeit ist nichts Anderes in Planung.
 
Wie sieht der Rollout der 1er-Varianten aus?
Draeger: Zuerst kommt der Fünftürer, zeitlich knapp dahinter der Dreitürer. Das Coupe und Cabrio folgen später.
 
Ergeben sich weitere Potenziale aus der Zusammenarbeit mit PSA?
Draeger: Die Kooperation mit PSA beschränkt sich auf die Vierzylinder-Turbomotoren. Die werden im 1er zum Einsatz kommen. Eine weitere Zusammenarbeit bei anderen Komponenten oder gar Plattformen ist nicht geplant.
 
Werden wir die Fahrerassistenzsysteme aus 5er und 7er auch beim 3er und 1er sehen?
Draeger: Kamerabasierte Systeme werden wir sicher sehen, denn da bleiben die Kosten überschaubar. Bei den sehr kostenintensiven Systemen indes, die auf Radar basiert sind, wie einem ACC, glaube ich das eher weniger, da der Produktentwicklungsaufwand im Verhältnis zu den erwarteten Verkäufen zu gering ist.
 
Wie sehen die Pläne aus, das Portfolio auszubauen – mit einem City-BMW unterhalb des 1er. Wann kommt der in den Handel?
Draeger: Wir entwickeln eine neue Frontantriebsarchitektur. Erstes Fahrzeug mit dieser Architektur, wird der neue Mini sein. Weitere werden folgen. Denn Mini kann in der Größe wachsen. Wir sind schon in 3,80 Meter-Klasse. Und können uns vorstellen in Regionen knapp über 4 Meter zu wachsen. Mini kann also wachsen, ohne BMW in die Quere zu kommen.
 
Aber die Architektur wird auch für BMW verwendet?
Draeger: Wir werden die Marke BMW und die Marke Mini im Kleinwagensegment mit neuen Modellen und Varianten erweitern. Dabei können wir uns vorstellen, für diese neuen Fahrzeuge eine gemeinsame Architektur für Front- und Allradantrieb zu entwickeln. Aus technischen Gründen macht Heckantrieb natürlich keinen Sinn bei einem solch kleinen Fahrzeug; je kleiner das Fahrzeug, desto gravierender sind die Package-Nachteile des Heckantriebs. Die gemeinsame, markenübergreifende Architektur ist ein strategischer Vorteil, denn wir erzielen Skaleneffekte, und bedienen die wachsende Nachfrage in diesem boomenden Segment ohne große Substitutionseffekte. Denn BMW- und Mini-Kunden kommen sich aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit nicht in die Quere.
 
Wird es dieses BMW City-Modell ab 2014 als Zwei- und Viersitzer geben?
Draeger: Lassen Sie sich überraschen, wann diese Modelle auf den Markt kommen. Mit so einer Architektur lässt sich alles Mögliche machen. Im Gegensatz zu starren Baukästen von Wettbewerbern können wir stark differenzieren. Mit einer unserer Architekturen realisieren wir unterschiedliche Sitzpositionen, Radstände, Radgrößen, Spurweiten und Marken.
 
In welchem dieser kleinen Fahrzeuge wird erstmals ein Serien-Elektromotor als Antrieb dienen?
Draeger: In keinem davon, sondern in unserem Megacity Vehicle, das wir ab 2013 auf den Markt bringen. Direkt als reines Elektroauto. Produziert in Leipzig. Sämtliche Schlüsseltechnologien dafür sind identifiziert. Und es wird kein zweiter Smart, sondern ein viersitziges Fahrzeug mit ausreichend Transportvolumen.
 
Der Daimler-Konzern gab 2009 rund 4,2 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus. Wie hoch ist Ihr Budget für 2009 gewesen – und wie entwickelt sich dieser Wert?
Draeger: Unser Aufwand für F&E betrug im Jahr 2009 rund 2,5 Mrd. Euro. Im Rahmen der Strategie Number ONE streben wir eine F&E-Quote, als Forschungs- und Entwicklungsleistungen in Relation zum Umsatz, zwischen 5 Prozent und 5,5 Prozent an, und liegen bereits auch in diesem Korridor. Damit sind wir in der Lage, alle für die Zukunft relevanten Technologien und Innovationen zu entwickeln.
 
Das BMW Concept Gran Coupe, quasi der große Bruder des 6er, den Sie am Rande der Auto China 2010 in Peking gezeigt haben, wird nach Informationen von auto motor und sport 2012 kommen. Können Sie das präzisieren?
Draeger: Wir planen in der Tat, dass dieses wunderschöne Konzept in Serie geht. Und wir zeigen damit einmal mehr, wie wir uns über den Faktor Design vom Wettbewerb abheben. Zudem werden wir das Fahrzeug sehr wirtschaftlich darstellen, denn wir können dank unserer Backbone-Strategy auf der Architektur des 5er und 7er aufbauen.
 
Wann kommt von BMW ein Rivale zum SLS und R8?
Draeger: Wir denken darüber nach, wie wir in dieses Segment einsteigen. Allerdings hat das keine Priorität, denn wir haben Wert gelegt auf Efficient Dynamics, Hybridisierung, das MCV und eine ganze Reihe neuer Fahrzeuge, wie das BMW Concept Gran Coupe. Wir haben zudem den BMW Vision Efficient Dynamics auf der IAA 2009 vorstellt. Damit kann man theoretisch unter 8 Minuten auf der Nordschleife fahren. Muss ich also einen schweren V8 bauen? Oder ist unsere Lösung die für die Zukunft des Sportwagens eine andere?
 
Wie sieht Ihr CO2-Roadplan aus?
Draeger: Wir werden alle gesetzten EU-Flottenziele bis 2012 und 2015 einhalten, ohne auch nur einen Cent an Strafzahlungen zu leisten. Da geht natürlich noch ein Gewichtsfaktor mit ein und Öko-Innovationen. Wobei letzteres noch ein Streitpunkt ist, ob und wie diese tatsächlich eingerechnet werden. Zehn Gramm sollen angerechnet werden und das würden wir sehr unterstützen. Unsere wichtigsten Öko-Innovationen würden im Bereich des Thermo-Managements liegen; den thermoelektrischen Generator haben wir gezeigt, Motor-Start-Stopp für Automatikgetriebe kommt noch dieses Jahr in Serie. Wir haben noch einiges im Köcher. Und der nächste Schritt ist eine neue Motorengeneration. Der neue Sechszylinder ist ja schon bekannt. Da lässt sich einiges ableiten. Der Vierzylinder-Diesel ist schon gekommen. Der Baukasten zwischen Vier- und Sechszylinder ist damit schon schön umgesetzt.
 
Abschlussfrage: Wie ist der letzte Stand der geplanten Kooperation zwischen BMW und Mercedes?
Draeger: Wir arbeiten weiter daran, den gemeinsamen Einkauf von Komponenten sukzessive auszubauen. Wir haben inzwischen eine zweistellige Zahl von Komponenten identifiziert, die wir gemeinsam einkaufen können.