Interview mit Lamborghini CTO Rouven Mohr
Ein V6-Motor passt derzeit nicht zur Marke

Lamborghini CTO Rouven Mohr spricht im Interview über die Zukunft der Sportwagenmarke. Bis Ende 2025 möchte der italienische Hersteller seine Flottenemissionen um rund 50 Prozent reduzieren, Ende des Jahrzehnts plant Lamborghini sein erstes vollelektrisches Fahrzeug.

Rouven Mohr Lamborghini CTO
Foto: AUDI AG
Auch wenn derzeit lebhaft über den Mobilitätswandel diskutiert wird: Lamborghini befindet sich in der glücklichen Lage, dass die Nachfrage das Angebot übersteigt, richtig?

Im Prinzip schon, speziell beim Huracan. Der Tecnica beispielsweise ist ausverkauft. Beim Sterrato haben wir aufgrund der Nachfrage die anfangs geplante Produktion erhöht. Insgesamt läuft die Produktion dieser Modelle noch bis etwa Ende 2024.

Der klassische Verbrenner erfreut sich also großer Beliebtheit, die Politik stellt aber ganz andere Forderungen. Was bedeutet das für die Marke?

Wir glauben schon, dass auch wir uns verändern müssen – dies aber nicht überstürzt. Aktuell haben wir als Supersportwagenhersteller, der weniger als 10.000 Fahrzeuge pro Jahr baut und weltweit vertreibt den Vorteil, Übernahmen von Zulassungen aus Märkten verwenden zu können, in denen die Autos verkauft werden, beispielsweise USA. Das bedeutet, dass unsere Fahrzeuge gewisse Vorteile bezüglich bestimmter Kundeneigenschaften haben – hierbei sind uns speziell die Emotionen besonders wichtig. Und dass wir Autos anbieten können, die so klingen, wie ein Huracan Tecnica eben klingt, was die Kunden sehr zu schätzen wissen.

Unsere Highlights
Sie werden solche Lücken also auch künftig nutzen?

Es wäre ein fataler Fehler, das als Strategie zu wählen. Wir stellen durchaus fest, dass die Märkte weltweit die Zügel anziehen, sei es in Form von Einfahrtbeschränkungen in den Städten und Emissionsvorschriften über CO₂ hinaus. Abgesehen davon werden wir eventuell aus diesem Kleinserienhersteller-Fenster hinausfallen, auch wenn die Erhöhung des Absatzes bei uns nicht oberste Priorität hat.

Immerhin denken Sie über eine vierte Baureihe nach, oder?

Ja, wenn die käme, wären wir recht schnell über 10.000 Einheiten. Dennoch ist uns Exklusivität wichtig, weshalb wir den Plan eines kontrollierten Volumenwachstums verfolgen. Doch zurück zum Antriebsthema. Wir haben da eine klare Strategie, die mit dem Nachfolger des Aventador in diesem Jahr beginnt. Der verfügt über einen Hybrid-Antriebsstrang. Dann folgt der Urus als Hybrid und letztlich auch der neue Huracan. Das bringt uns auf einen Schlag einen immensen CO₂-Hub. Bis Ende 2025 bedeutet das eine Reduzierung der Flottenemissionen um rund 50 Prozent. Ende des Jahrzehnts planen wir dann unser erstes vollelektrisches Fahrzeug.

Das ist dann die vierte Baureihe?

Die ist ja noch nicht verabschiedet. Also reden wir zunächst mal vom Nachfolger des Urus. Aufgrund der anzunehmenden technischen Entwicklungen ergibt in diesem Segment dann – und wir reden ja von 2028 oder 2029 – ein Plug-in-Hybrid mit großem V8-Verbrenner und entsprechender elektrischer Reichweite gegenüber einem gut gemacht BEV keinen Sinn mehr, sogar aus Gewichtsgründen. Wichtig ist aber, dass bis dahin die Infrastruktur einen besseren Stand erreicht.

Und wie sieht bis dahin die Hybrid-Strategie aus?

Ganz klar: Lamborghini baut keine Verzichts-Hybride. Alle Modelle, die kommen, werden mehr Leistung auch ohne die Hilfe des Elektromotors haben. Ich halte nichts von Hybriden, die dazu gemacht sind, nur irgendwelche Katalog-Werte zu erzielen. Unsere Fahrzeuge dürfen sich mit einer nahezu leeren Batterie nicht gänzlich anders fahren als mit einer vollen.

Der Urus Hybrid wird also trotz des Gewichts-Themas einen V8-Verbrenner bekommen?

Mal schauen. Die vorhin erwähnte Gewichtsthematik wird sich erst in den kommenden Jahren zugunsten der BEV entwickeln. Aber ein V6-Motor passt derzeit einfach nicht zur Marke.

Nochmal kurz zur vierten Baureihe: Die bekommt zunächst also noch einen Verbrenner?

Nein. Ende des Jahrzehnts werden der Urus und die vierte Baureihe rein elektrisch sein.

Dient Ihnen dann noch die PPE- oder schon die SSP-Architektur als Basis?

Das wäre ein SSP-Fahrzeug, allerdings ist noch nicht klar, in welcher Ausprägung, zumal auch über die Karosserieform noch nicht entschieden wurde. Klar ist allerdings, dass es nicht einfach nur ein anderer Hut auf identischer Basis sein wird, so wie wir es beim Urus umgesetzt haben. Dieser verfügt ganz klar über eine Lamborghini-DNA, wenngleich in einer anderen Ausprägung, als das bei einem Supersportwagen möglich ist. Wir haben Einfluss selbst bis in viele Details hinein, die uns wichtig sind. Beim Urus ist das beispielsweise die Sitzposition, die in diesem Segment besonders niedrig ist. Auch über die Lagerung der Motoren lässt sich schon recht viel erreichen. Und die Summe all dieser Kleinigkeiten machen das Erlebnis, das Lamborghini-Gefühl aus.

Werden diese Freiheitsgrade innerhalb des Konzerns nicht geringer?

Ich finde, dass es durchaus eine besondere Stärke des Volkswagen-Konzerns ist, die einzelnen Ausprägungen auf einer gemeinsamen Basis klar voneinander zu trennen. Da gibt es andere Beispiele in der Branche, wo nach dem Zukauf einer Marke einfach ein anderer Hut über eine Plattform gestülpt wurde – und fertig. Hier wird den Marken viel Spielraum gegeben. Bei anderen Dingen ergeben sich natürlich Synergien. Würde es denn Sinn ergeben, dass wir für den Urus eine eigene Klimaanlage entwickeln? Nein. Künftig wird es immer Technologien geben, die immens aufwendig zu entwickeln sind, für Lamborghini aber kein Positionierungsmerkmal darstellen.

Fahrerassistenzsysteme, nehme ich an?

Richtig. Da wollen wir schon State of the Art sein, aber darüber definiert sich ein Lamborghini nicht. Oder nehmen Sie das Infotainment. Da gibt es im SUV-Segment einen ganz neuen Wettbewerber, der kein Navigationssystem anbietet, (Anm. d. Red.: Damit dürfte der Ferrari Purosangue gemeint sein). Dieser verkauft es dann als Ideologie, dass der Fahrer die Integration seines Smartphones nutzen muss. Geht natürlich auch, ist aber nicht unser Anspruch.

Was speziell ist denn ihr Anspruch?

Ein eindeutiges Lamborghini-Fahrgefühl über das gesamte Modellangebot herauszuarbeiten, eine klare Handschrift. Vor etwa 15 Jahren gab es das so noch nicht, da waren vor allem Höchstgeschwindigkeit und Sound wichtig, die Fahrdynamik eher weniger. Das hat sich speziell mit dem Huracan Performante geändert, über den Evo und den STO bis hin zum Tecnica weiter verbessert. Da knüpfen die kommenden Modelle an, bis hin zum Urus Performante. Dafür brauchen wir auch im Elektrozeitalter technische Differenzierungen, die zur jeweiligen Philosophie des Herstellers passen. Da unterscheiden wir uns von anderen Marken.

Innerhalb des Konzerns ist Lamborghini mit Mittelmotorsportwagen künftig allein. Macht es das leichter oder schwerer?

Der Aventador war als Flaggschiff der Marke ja ohnehin schon sehr eigenständig, mit ein paar wenigen Modulen aus dem Konzern. Und ja, auch der nächste Huracan wird vor diesem Hintergrund eine Eigenentwicklung. Da es aber ein Aluminium-Auto wird, helfen uns die Kollegen aus Neckarsulm, einfach weil sie hier die maximale Kompetenz besitzen. Sonst allerdings ist das schon sehr, sehr eigenständig.

Angeblich soll er einen Vier-Liter-V8-Biturbomotor bekommen. Den wird Lamborghini wohl kaum selbst entwickeln, zumal der Konzern-V8 ja a) schon im Urus steckt und b) gerade für Euro7 fit gemacht wird. Also doch eine Übernahme?

Lassen Sie sich überraschen. Ein relevanteres Beispiel für Übernahmen gibt es im Bereich der Elektronik. Da spricht man zwar auch von Architekturen, doch das hört sich immer gleich so generisch an. Letztlich geht es unter anderem zum Beispiel um Infotainment-Steuergeräte und denen ist egal, in welchem Auto sie stecken. Das müssen wir nicht selbst entwickeln, sondern können auf die Basisentwicklung des Konzerns, speziell der CARIAD, zurückgreifen und darauf unsere Lamborghini-typischen Applikationen umsetzen.

Aber an den Bedienelementen sieht man dann, wo diese Technik herkommt.

Da müssen wir noch konsequenter werden und das wird sich ändern. Schalter und Grafiken unterscheiden sich künftig klar von anderen Konzernmodellen. Die technische Basis gerade bei der Konnektivität müssen wir aber nicht selbst entwickeln. Bei der Fahrerassistenz hingegen wird es komplexer.

Warum?

Die Grund-Technik ist natürlich auch hier vorhanden. Wegen der Position der Sensorik fällt aber der Applikationsaufwand bei Systemen wie Abstandsregelung oder Spurverlassenswarnung erheblich höher aus. Doch auch dann gilt: Die Funktionsgrundauslegung macht etwa 80 Prozent aus, die Applikation den Rest – bei einem eigenständigen Auto wie einem Aventador oder Huracan, wohlgemerkt.

Für Aventador und Huracan bricht nun das Zeitalter der Elektrifizierung an. Weshalb bringt Lamborghini nicht schon ein vollelektrisches Hypercar, dass im Gegensatz zu den ganzen angekündigten Modellen anderer auch kommt und abliefert?

Wir schauen uns natürlich sehr sorgsam an, was andere Marken und Wettbewerber machen. Da war jetzt noch nichts dabei, was uns für unsere Marke überzeugt hat. Schließlich braucht ein Lamborghini mehr als nur irre Leistungswerte und Beschleunigung. Wie beispielsweise kompensieren wir unseren charakteristischen Motorklang? Wie legen wir die Fahrdynamik aus? Das Auto müsste Fahrspaß bieten, der über die Längsdynamik weit hinaus geht, der so in diesem Segment noch nie da gewesen ist. Da arbeiten wir dran. Für ein verkaufbares Auto ist es noch zu früh. Außerdem sind wir sicher, dass der Markt noch nicht so weit ist.

Wäre denn die Technologie schon verfügbar?

Das wird sicher noch ein, zwei Jahre dauern, eher noch etwas länger. Aber eben keine 15 Jahre mehr. Es fehlt bei der Leistungs- und Energiedichte noch ein kleiner Hub, um Lade- und Kühlkonzepte effizienter zu gestalten. Man darf aber auch nicht vergessen, dass wir etwa fünf Jahren noch gedacht hätten, dass wir da nie hinkommen. Jetzt ist klar: Es passiert, nur noch nicht heute.

Aber Sie gehen davon aus, eine Elektrolyt- und keine Feststoffbatterie zu nutzen?

Da möchte ich mich noch nicht festlegen. Aktuell wäre meine Prognose sogar, dass wir einmal die Wahl haben werden. Auch hybride Konzepte bestehend aus der Kombination unterschiedlicher Zelltypen oder sogar sogenannter Superkondensatoren können für unsere Anwendungen interessant sein.

Wie sehen die Batterien aus, die Sie für die erste Stufe der Elektrifizierung nutzen?

Im Aventador Nachfolger Revuelto nutzen wir eine Pouch-Zelle mit einer hohen Leistungsdichte. Das ist eine PHEV-Zelle, also mit einer höheren Leistungsdichte und geringeren Energiedichte. Da wir keinen Reichweiten-Hybrid machen wollen, können wir eine kleine Batterie verbauen. Im Aventador Nachfolger sind das 3,8 kWh. Das reicht vor dem Hintergrund, dass der Verbrenner allein schon mehr Leistung bringt als im Vorgänger. Man kann damit etwa zehn Kilometer rein elektrisch fahren, sogar mit Allradantrieb. Und selbst auf der Rennstrecke kann ich im entsprechenden Mode die Batterie praktisch gar nicht leer fahren – das ist wichtig für die Leistungskonsistenz und Vorhersehbarkeit des Fahrverhaltens.

Wie hoch ist die elektrische Leistung?

Hoch, etwa 110 kW und 300 Nm pro Motor, da wir Koaxialmotoren verwenden – Dies ist eine ganz besondere, sehr kompakte Bauform mit hohem Drehmomentpotential und gibt uns unter anderem die Möglichkeit, ein außergewöhnliches Torque Vectoring einzusetzen. Oberste Prämisse bei unseren Hybridfahrzeugen ist, dass die Technik dem Kunden einen echten Mehrwert bei Fahrleistung und Fahrspaß bringt. Und nebenbei sinken die CO₂-Emissionen dramatisch. Abgesehen davon, möchten immer mehr Kunden zumindest innerhalb von Ortschaften oder ihrem Wohngebiet gerne möglichst lautlos unterwegs sein. Und ich kann Ihnen versprechen, dass der Wechsel von hochemotionalem V12-Sound auf vollelektrischen Modus und wieder umgekehrt eine ganz neue Dimension des emotionalen Fahrerlebnisses darstellt.

Vita

Rouven Mohr kam nach einem Ingenieursstudium an der Technischen Universität Kaiserslautern und seiner Promotion in Numerischer Mechanik 2008 zu Audi. Zunächst arbeitete Mohr in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung als Prüfingenieur für Fahrwerksfestigkeit und übernahm 2014 als Leiter des Projektmanagements Gesamtfahrzeug die Verantwortung für die Audi Modelle A3, TT, Q7 und Q8. 2017 wechselte Mohr schon einmal zu Lamborghini, wo er zwei Jahre lang als Leiter der Gesamtfahrzeugentwicklung die Entwicklung der Modelle Aventador, Huracán und Urus verantwortete, bevor er als Leiter der Abteilung Energie- und Gewichtsmanagement zu Audi zurückkehrte und 2020 die Verifizierung/Validierung Gesamtfahrzeug übernahm. Am 19. Januar 2022 gab Automobili Lamborghini einen Wechsel in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung bekannt. Rouven Mohr wurde neuer Chief Technical Officer von Lamborghini und gab dafür seine Rolle als Leiter für Verifizierung/Validierung Gesamtfahrzeug bei Audi in Deutschland auf. Mohr trat an die Stelle von Maurizio Reggiani.

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