Nachhaltigkeits-Strategien der Hersteller und Zulieferer
Klappt die Wende?

Jetzt gilt’s: Europa soll bis 2050 klimaneutral werden, die Automobilbranche ihren Teil dazu beitragen. Ein realistisches Szenario? Was hinter den Nachhaltigkeits-Strategien der Hersteller und Zulieferer steckt.

Ökobilanz Elektromobilität, Alternative Energien
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Klimaneutralität ab 2050, jetzt das Ende der Verbrenner ab 2035: Nachdem der Großteil der Länder das Pariser Abkommen bereits mit einem völkerrechtlichen Vertrag in Kraft gesetzt hat, legt die EU noch eine Schippe drauf. Mit dem "Fit for 55"-Programm – also 55 Prozent weniger Kohlendioxid-Ausstoß bis 2030 im Vergleich zu 1990 – sollen nach dem Willen der EU unsere Autos schneller klimaneutral werden und die Industrie durch nachhaltiges Wirtschaften stärker CO2 einsparen.

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Politische Regularien sind das eine, die Umsetzung jedoch etwas ganz anderes – und die kostet Geld, viel Geld. Der viertgrößte Autobauer Stellantis will bis 2025 über 30 Milliarden Euro allein in die Elektrifizierung und Software investieren. Das kurzfristige Ziel: den Anteil emissionsarmer Fahrzeuge am Gesamtabsatz in Europa im laufenden Jahr auf 14 Prozent und in den USA auf 4 Prozent erhöhen. Bis 2030 sollen dann bereits über 70 Prozent des Absatzes in Europa und mehr als 40 Prozent in den USA auf emissionsarme Fahrzeuge entfallen.

Klimaneutrale Produktion

Nachhaltigkeits-Strategien, Lebenszyklus
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Lebenszyklus Automobil: Während beim Verbrenner rund 80 Prozent der klimarelevanten Emissionen in der Nutzungsphase anfallen, sinkt dieser Wert bei Stromern – bei einem Ausbau der erneuerbaren Energien – gegen null. Dafür ist die Herstellung eines E-Autos rund doppelt so CO2-intensiv.

Nahezu alle anderen Marken planen ebenfalls den Verbrenner-Ausstieg. Doch schon jetzt ist klar: E-Autos ermöglichen zwar bereits vielerorts eine lokal emissionsfreie Mobilität, reichen allein jedoch nicht aus, um dem Klimawandel konsequent entgegenzutreten – und schon gar nicht, um die strengen Regularien der EU einzuhalten.

Nachhaltiges Wirtschaften ist daher ein Begriff, der mehr als den emissionsfreien Autoverkehr umfasst. Betrachtet man nämlich den gesamten Fahrzeugkreislauf neuer E-Fahrzeuge, fällt auf, dass ein erheblicher Teil der CO2-Emissionen innerhalb der Produktion entsteht, und eben nicht mehr wie einst beim Verbrenner durch die eigentliche Nutzung. Die Herstellung eines vollelektrischen Fahrzeugs ist vor allem aufgrund der Lithium-Ionen-Batterien (kurz LIB) etwa doppelt so CO2-intensiv wie die eines konventionellen Verbrenners – und ein ganzheitlicher Blick auf die gesamte Wertschöpfungskette daher unabdingbar.

So will auch Nissan bis 2050 komplett klimaneutral wirtschaften. Das schließt die Produktion, Entwicklung, Beschaffung, Logistik und Verwaltung ein: Einen sehr konkreten Schritt, wie das gelingen soll, verfolgt das Unternehmen mit dem Projekt EV36Zero. Am Standort im englischen Sunderland entsteht ein E-Auto-Kompetenzzentrum, das die Fahrzeugproduktion und -entwicklung, die Batteriefertigung und den Aufbau eines zu 100 Prozent regenerativen Microgrids zur Ökostromversorgung umfasst.

Auch Mercedes-Benz meint, die Weichen für die CO2-Neutralität gestellt zu haben: Bis spätestens 2039 will man eine CO2-neutrale Pkw-Neuwagenflotte – elf Jahre früher, als es die Gesetzgebung vorschreibt. "Die Steigerung der Energieeffizienz, der Bezug erneuerbarer Energien und die Nutzung von Kompensationsprojekten sind die ersten Schritte, die alle Hersteller in Deutschland jetzt gehen", ordnet Christoph Herrmann, Professor an der TU Braunschweig (hier geht's zum Interview), die Ankündigungen der Konzerne ein.

Demnach wird das Unternehmen in Deutschland ab 2022 Strom beziehen, der ausschließlich aus regenerativen Quellen stammt. Zudem verfolgt Mercedes-Benz gemeinsam mit seinen Stahllieferanten das Ziel einer grünen Stahllieferkette und beteiligt sich am schwedischen Start-up H2 Green Steel.

Zum Verständnis: Bisher kauften die Hersteller den Stahl auf dem Weltmarkt ein und erstellten mittels Datenbanken einen CO2-Durchschnittswert. Dabei griffen sie auf mehrere Anbieter zurück – auch Multisourcing genannt –, um sich bei plötzlichen Ausfällen nicht abhängig zu machen. Die Zeiten haben sich geändert; "grüner Stahl" ist gefragt. Das Problem: Er ist rar – noch. Die Lösung: Singlesourcing.

Stahl großer CO2-Emittent

Die Treibhausgas-Emissionen, die bei der Produktion und Verarbeitung von Stahl entstehen, sind den Autobauern ein Dorn im Auge und belasten ihre Klimabilanz. Eine Limousine von Mercedes besteht beispielsweise im Durchschnitt zu 50 Prozent aus Stahl. Damit macht der Werkstoff etwa 30 Prozent der CO2-Emissionen in der Herstellung aus – zu viel.

Im ersten Schritt können daher recycelter Stahlschrott und erneuerbare Energien die CO2-Emissionen im Vergleich zur klassischen Hochofenroute massiv reduzieren. Zur Einordnung: Bei der klassischen Hochofenroute entstehen bei der Herstellung von einer Tonne Stahl im Schnitt bis zu zwei Tonnen Kohlendioxid. Bei neueren Verfahren setzen die Lieferanten jedoch Wasserstoff und Strom aus zu 100 Prozent erneuerbaren Energien anstelle von Kokskohle in der Stahlproduktion ein.

Das Problem: Wasserstoff ist teuer – und wir haben noch nicht genug davon. Christoph Herrmann zeigt sich dennoch optimistisch: "Wir sind beim grünen Stahl in Verbindung mit grünem Wasserstoff aktuell da, wo wir vor 25 Jahren beim Thema Fotovoltaik gestanden haben." Sobald die erneuerbaren Energien ehrgeizig ausgebaut werden, könnte grüner Stahl also nicht mehr dem Premium-Segment von Mercedes vorbehalten sein.

Transparente Lieferketten

Um die Herkunft weiterer wertvoller Materialien in vorgelagerten Lieferketten und die Transparenz über deren ökologischen Fußabdruck bewerten zu können, machen sich immer mehr Unternehmen die Blockchain-Technologie zunutze. Was man dazu braucht, ist ein nicht mehr veränderbarer Fußabdruck.

Wie das funktionieren soll? Hinter der Technologie steckt die Idee, dass jeder Schritt innerhalb einer Lieferkette unveränderbar auf einer dezentralen Datenbank gespeichert wird. Jedes Material besitzt einen natürlichen Abdruck. Abnehmer wissen also darüber Bescheid, woher das Produkt – wie zum Beispiel Kobalt – stammt. "Ich kann stichprobenartig prüfen, aus welcher Region das Material kommt, und habe als Unternehmen eine gewisse Sicherheit, die ich dann auch gegenüber dem Kunden transparent machen und kommunizieren kann", nennt Herrmann die Vorteile.

Es wird also Licht ins Dunkel gebracht, was im Umkehrschluss bedeutet, dass Firmen bislang nicht wussten, woher sie ihre Materialien genau bezogen. "Für Hersteller stellt sich natürlich die Frage, mit welchem Aufwand und welchen Kosten eine umfassende Transparenz verbunden ist", gibt Herrmann zu verstehen.

Beispiel Kobalt: Von der Mine bis zum Verarbeitungsmaterial sind es etliche Zwischenstufen. Insbesondere in der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung ist die Lieferkette häufig lang und die Recherche der Herkunft mit viel Aufwand verbunden. Mit einer Transparenz entstehen auch wieder neue Herausforderungen. "Da machen wir ein größeres Fass auf", nimmt Herrmann die Branche in Schutz. Man müsse sich als Hersteller auch immer fragen, wie groß der Einfluss auf instabile Länder ist, von denen man gerade die Produkte bezieht.

Immerhin: Fortschritte sind zu erkennen. Den Herstellern gelingt es in stabileren Staaten wie zum Beispiel Australien, nachhaltige Ketten aufzubauen. Diese Prozess-Erfolge könnten dann nach und nach wie eine Schablone auf andere Länder übertragen werden.

Allen voran Jaguar und Land Rover bestätigen auf Nachfrage, auf die Blockchain-Technologie zukünftig zurückgreifen zu wollen. Die Marken investieren in den britischen Software-Entwickler Circulor. Die Tochtergesellschaft der indischen Automobilfirma Tata Motors teilte außerdem mit, für künftige Modelle wie den Range Rover oder I-Pace unter anderem nachhaltige Interieur-Stoffe aus Eukalyptus einsetzen zu wollen.

Alles nur Marketing?

Im Prinzip sind Ankündigungen wie diese als Marketing-Schachzug wahrzunehmen, denn global gesehen haben solche Maßnahmen kaum eine Auswirkung auf das Weltklima. Aber dennoch: Unternehmen haben auf diese Weise die Möglichkeit, ihren Kunden das Thema Nachhaltigkeit näherzubringen – und das gelingt nun einmal mit Interieur-Goodies besser als mit Stahl.

Warum? Viele Nachhaltigkeits-Maßnahmen, wie beispielsweise der Einsatz von grünem Stahl, besitzen sogenannte Vertrauenseigenschaften. Grüner Stahl ist ein Produkt, dessen Eigenschaften der Kunde nicht ohne Weiteres mit vertretbaren Bemühungen nachprüfen kann. Der Käufer muss den Aussagen des Verkäufers schlichtweg vertrauen. Ausstattungselemente hingegen haben eine andere Wirkung. "Wenn Nachhaltigkeit auch für den Kunden wahrgenommen werden soll, dann muss das auch durch das Interieur vermittelt werden. Das ist wie mit einem Möbelerbstück Ihrer Großmutter, dann sind Sie sich dessen Wertes bewusst", sagt Herrmann. Nachhaltige Materialien wie Eukalyptus erhöhen also nicht nur den Wert eines Produkts, sondern machen das komplexe Thema Nachhaltigkeit für den Käufer greifbar. Herrmann stellt aber auch klar: "Wenn man nicht zuallererst die großen Umweltauswirkungen reduziert, sind solche Interieur-Maßnahmen schnell nur Greenwashing."

Ohnehin scheint die Nachhaltigkeits-Debatte für den Kunden zumindest beim Fahrzeugkauf aktuell noch eine eher untergeordnete Rolle zu spielen. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine nicht repräsentative Umfrage auf dem Instagram-Kanal von auto motor und sport. Dabei gaben 82 Prozent der insgesamt 3.854 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, dass sie beim Autokauf noch nicht darauf achten, wie nachhaltig ein Hersteller auf dem Weltmarkt agiert beziehungsweise produziert.

Nachhaltigkeits-Strategien, Faktoren
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Diese Faktoren sind für den Automobilsektor Hauptgründe des Nachhaltigkeits-Wandels: Als Treiber des Wandels nannten die 267 befragten Automobilfirmen in einer Studie zum Thema „Green Transformation in der Automobilindustrie“ – durchgeführt vom Beratungsunternehmen Staufen AG – an erster Stelle den politischen Druck, gefolgt von einer gesellschaftlichen Verantwortung.

Zertifikate helfen kurzfristig

Zurück zur Industrie: Nicht weiter reduzierbare CO2-Emissionen aus der Herstellung können Firmen durch den Erwerb von CO2-Zertifikaten kompensieren. Ein mittlerweile übliches Vorgehen – so auch bei Bosch: Der Zulieferer arbeitet und produziert bereits seit Februar 2020 an seinen weltweit mehr als 400 Standorten klimaneutral. Damit hinterlässt Bosch als erstes globales Industrieunternehmen keinen CO2-Fußabdruck mehr. Bosch hat für sein "Vorhaben Klimaneutralität" im Basisjahr 2018 rund 3,3 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen. Im Vergleich dazu hat das Unternehmen seinen CO2-Ausstoß inzwischen um mehr als 70 Prozent gesenkt. Zur Wahrheit gehört aber auch: Noch verbliebene Emissionen gleicht der Zulieferer aktuell mit Kompensationszertifikaten aus.Ein sinnvolles Vorgehen, wenn damit aus heutiger Sicht noch nicht vermeidbare Emissionen ausgeglichen werden. Eine Dauerlösung sind gekaufte Zertifikate aber nicht: "Das ist ein qualifizierter Ablasshandel für kurzfristig nicht vermeidbare Emissionen", stellt Herrmann klar.

Auch hier spiele die Transparenz – ähnlich wie bei den Lieferketten – eine zentrale Rolle: "Es ist sehr wichtig, dass das Geld zu den richtigen Projekten fließt. Ob dann beispielsweise wirklich ein Regenwald angebaut oder eine Waldrodung vermieden wird, muss von Dritten überprüft werden", ordnet Herrmann den Streit über die Verwendung von Zertifikaten ein. So oder so: Die EU will bis 2050 klimaneutral sein. Neben der Steigerung der Energieeffizienz und dem Ausbau erneuerbarer Energien muss vorerst auch ein Emissionshandelssystem ein Instrument zur Kompensation sein.

Zulieferer in der Zwickmühle

Ein Blick speziell auf die Zulieferer macht derweil deutlich, wie unterschiedlich diese Branche auf den Mobilitätswandel reagiert. Mahle teilt auf Anfrage mit: "Wir wollen im Umfeld des Verbrennungsmotors stark bleiben, solange er auf den internationalen Märkten gebraucht und von unseren Kunden nachgefragt wird."

Direkte Konkurrenten wie ZF schlagen hier einen anderen Weg ein. Ein Sprecher stellt klar: "In der Entwicklung konzentrieren wir uns eindeutig auf die Zukunftstechnologien, bezogen auf den Antriebsstrang also auf elektrifizierte Antriebe." Diese Fokussierung sei notwendig. Die Weiterentwicklung konventioneller Produkte hat ZF deshalb eingestellt – im Markt gefragt sind sie jedoch nach wie vor, gerade auch außerhalb Europas. Eine enorme Herausforderung für die Zulieferer, diverse Nachfragen bedienen zu können und gleichzeitig Emissionen einzusparen.

Recycling der Schlüssel?

Auch deshalb wird für Unternehmen wie ZF und Co. das Thema Recycling zu einem zentralen Baustein der eigenen Nachhaltigkeits-Strategie. Ein Schlüssel zur CO2-Reduzierung liegt dabei in der Kreislaufwirtschaft. "Indem wir den Recycling-Anteil in unseren Produkten steigern, können wir einen großen Beitrag zur Ressourcenschonung leisten", teilt ein ZF-Sprecher mit. So bestehe zum Beispiel bereits heute der Großteil der von ZF verwendeten Aluminiumgehäuse aus recyceltem Sekundäraluminium, das einen bis zu viermal geringeren CO2-Fußabdruck hat als Primäraluminium.

Auch für die Automobilhersteller rücken durch den Antriebswandel eigene Recycling-Verfahren in den Vordergrund. In Stromern kommen Lithium-Ionen-Batterien in der Regel nur so lange zum Einsatz, bis ihre nutzbare Kapazität unter 70 Prozent fällt. Nach Herstellerangaben soll das nach etwa acht bis zehn Jahren der Fall sein. Die ersten Akkus dürften also Ende 2030 den Weg zurück zu den Autobauern finden: "Auf globaler Ebene rechnen wir für 2030 mit 30 bis 50 GWh, für 2040 dann bereits mit 400 bis 900 GWh an ausgemusterten Traktionsbatterien", erklärt Christoph Neef, Projektleiter am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI. Das entspräche einer Masse von bis zu vier Millionen Tonnen Batteriepacks.

Auf EU-Ebene regelt die Richtlinie 2006/66/EC – auch Batterie-Richtlinie genannt – die Entsorgung von Altbatterien. Das 2009 in Kraft getretene Batteriegesetz setzte diese europäische Richtlinie dann in deutsches Recht um. Hersteller sind demnach dazu verpflichtet, an einem Rücknahmesystem teilzunehmen und kostenfreie Rücknahmemöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Die Richtlinie steht jedoch in der Kritik und gilt als veraltet, da sie eine Rückgewinnungsquote von lediglich 50 Gewichtsprozent vorschreibt.

Politiker arbeiten daher an einer Überarbeitung. Die sieht quantitative Ziele sowohl für die Sammlung von Batterien, die Rohstoffausbeute beim Batterie-Recycling als auch den Einsatz von recycelten Rohstoffen in Batterien vor. Ein längst überfälliger Schritt, meint Andreas Radics, geschäftsführender Partner bei Berylls Strategy Advisors: "Die Recycling-Quote des Batteriematerials liegt je nach Unternehmen bei etwa 60 bis 70 Prozent. Es ist aber höchst unwahrscheinlich, dass sie auf mehr als 90 Prozent steigen wird, wenn es keine schärferen verbindlichen Rückgewinnungsquoten gibt."

Es gehöre zur bitteren Realität, dass sich die Materialrückgewinnung trotz steigender Rohstoffpreise nicht lohne. Die Förderung von Lithium oder Kobalt sei derzeit einfach billiger: "Es muss schleunigst eine EU-weit gültige Mindest-Recycling-Quote her, die verhindert, dass wertvolle Materialien unsachgemäß in Ländern der Dritten Welt entsorgt werden", bezieht Andreas Radics in der Debatte klar Stellung.

Volkswagen eröffnete im Januar 2021 daher am Standort Salzgitter die konzernweit erste Anlage für das Recycling von Hochvolt-Fahrzeugbatterien. Die Anlage ist zunächst darauf ausgelegt, im Pilotbetrieb bis zu 3.600 Batteriesysteme im Jahr zu recyceln – das entspricht rund 1.500 Tonnen: "Es werden nur Batterien recycelt, die nicht mehr anderweitig verwendet werden können. Zuvor wird analysiert, ob die Batterie noch leistungsstark genug ist, um zum Beispiel ein zweites Leben in mobilen Energiespeichern zu erhalten", teilt der Konzern mit.

Zweite Chance für den Akku

Aus technischer Sicht sind Zweitanwendungen für gebrauchte Traktionsbatterien denkbar, wenn diese noch einen gewissen "State of Health", also eine brauchbare Restkapazität, hinreichend niedrigen Innenwiderstand und keine offensichtlichen Sicherheitsmängel aufweisen. Was "brauchbar" bedeutet, erläutert Axel Thielmann, Leiter des Competence Centers Neue Technologien am ISI: "Der Aufwand des Batterie-Testings, der Überholung und der Integration in eine neue Anwendung muss niedriger als der Nutzen beziehungsweise Restwert der gebrauchten Batterie sein."

Hier kämen dann auch stationäre Speicher ins Spiel, die zum Beispiel zur Stromnetzstabilisierung oder zum Abpuffern von Spitzenlasten in Industriebetrieben zum Einsatz kommen könnten: "Es ist wahrscheinlich, dass solche Speicher aus vielen gleichen Batteriemodulen oder Batteriepacks bestehen werden, also aus gebrauchten Traktionsbatterien eines bestimmten Automodells oder Herstellers", macht Thielmann klar. Die "Mischung" unterschiedlichster Traktionsbatterien sei aufgrund des dann steigenden Integrationsaufwandes unwahrscheinlich.

Mit ein Grund, weshalb die meisten der bereits existierenden Zwischenspeicher von den Automarken selbst vermarktet werden – etwa von Renault. Heißt in der Praxis: In Nordrhein-Westfalen arbeiten die Franzosen mit einem nachhaltigen, stationären Batteriespeicher mit 72 Renault-Zoe-Batterien und einer Kapazität von drei MWh. Der Speicher ist Teil eines europaweiten Projekts namens Advanced Battery Storage. Die Akkus bezieht Renault über seine Händler.

Tesla hält vom "Second-Life-Prinzip" derweil wenig. Elon Musks Philosophie: Eine LIB, die auf Ladezyklen eines E-Autos ausgelegt wurde, sei für einen anderweitigen Bedarf nicht optimiert. Tesla will daher am künftigen Gigafactory-Standort in Grünheide bei Berlin lieber seine Batterien direkt recyceln.

Status quo "nachhaltiges Wirtschaften" – so benotet sich die deutsche Automobilindustrie selbst

Seit Jahren befindet sich die Automobilbranche im Fokus von Nachhaltigkeits-Diskussionen und versucht mit ganz unterschiedlichen Strategien, die Weichen in Richtung Zukunft zu stellen – mit Erfolg? Eine Studie verdeutlicht, warum die Branche beim Thema Nachhaltigkeit derzeit gewaltig aufs Gas drückt – und wie Hersteller und Zulieferer den Wandel selbst wahrnehmen.

Nahezu alle Befragten von Automobilherstellern sehen Nachhaltigkeit als einen wesentlichen Bestandteil ihres Unternehmens, während Manager von Zulieferfirmen bei sich noch Nachholbedarf sehen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Beratungsgesellschaft Deloitte, die 192 Experten deutscher Automobilhersteller und -zulieferer nach dem aktuellen Status ihres nachhaltigen Wirtschaftens befragte.

93 Prozent der Teilnehmer sind der Meinung, dass das Thema Nachhaltigkeit in ihrem Unternehmen an Bedeutung gewonnen habe. 89 Prozent der Führungskräfte deutscher Automobilhersteller und -zulieferer sehen es sogar bereits als wesentlichen Bestandteil ihrer Geschäftstätigkeit – und damit als zentralen Aspekt der Firmenstrategie. Die Ausführung scheint aber noch in weiten Teilen verbesserungswürdig zu sein: Jeder zweite Befragte meint demnach eine Lücke zwischen der Kommunikation über nachhaltiges Wirtschaften des Unternehmens und dem tatsächlichen Handeln zu erkennen. "Die tatsächliche Umsetzung am Ende ist doch komplexer als zunächst von den Unternehmen angenommen. In der Vergangenheit ging es vor allem darum, Nachhaltigkeitsrisiken zu meiden. Jetzt müssen Unternehmen Nachhaltigkeit aktiv steuern", sagt Harald Proff, Partner und Leiter Automobilindustrie bei Deloitte Deutschland und Global.

Mehr Nachhaltigkeit, mehr Investitionen

Nach den Faktoren gefragt, die die Nachhaltigkeits-Initiativen im eigenen Unternehmen bremsen, geben 39 Prozent der befragten Automobilmanager an, dass sie höhere Preise, die aus einer nachhaltigeren Herstellung resultieren, bei den Kunden für nicht durchsetzbar halten. Zudem würden die notwendigen Ressourcen oder auch, bedingt durch die Corona-Pandemie, die finanziellen Mittel fehlen. Vor allem für einen Teil der Zulieferer stellt die Pandemie eine finanzielle Bürde dar und bremst den eigenen Transformationsprozess.

Trotzdem: 77 Prozent sind davon überzeugt, bereits positive Effekte ihrer Projekte wahrnehmen zu können. Letztere verfolgen mehrheitlich einen Ansatz – und zwar einen ökologischen. Lediglich neun Prozent der Interviewten gaben an, dass die Nachhaltigkeits-Initiativen ihres Unternehmens gleichermaßen ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte berücksichtigten. "Bisher standen aus Sicht der Politik Umweltaspekte im Fokus, denn der Straßenverkehr ist für zehn Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. Jetzt rücken soziale und wirtschaftliche Aspekte nach", sagt Proff.

Gesamter Kreislauf rückt in den Fokus

Die Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette drängt sich dabei auch für die Hersteller immer mehr in den Vordergrund. Der Blick über die eigenen Unternehmensgrenzen hinweg wird immer wichtiger, um auch die Lieferketten nachhaltig gestalten zu können. Denn die anvisierten CO2-Ziele können nur entlang der gesamten Supply-Chain realisiert werden – Stichwort: transparente Lieferketten. Ab 2023 verpflichtet das Lieferkettengesetz zudem deutsche Unternehmen ab einer Größe von 3.000 Mitarbeitern, Menschenrechtsverletzungen bei ihren Lieferanten und Dienstleistern zu ahnden. Aber auch nachgelagerte Prozesse wie das Thema Recycling spielen eine immer größere Rolle. Warum? Ein effizienter Einsatz von Ressourcen führt zu weniger Kosten. Durch das Recycling können Firmen Lieferengpässe, damit einhergehende Abhängigkeiten – gerade während der Pandemie ein großes Problem – und letztendlich auch Treibhausgas-Emissionen reduzieren. Wohl auch deshalb gewichten Manager aus Zulieferunternehmen (66 Prozent) die effiziente Nutzung von Ressourcen als wichtigstes Element für eine nachhaltige Branche deutlich stärker als OEMs (56 Prozent). Auf Platz zwei folgt die Kreislaufwirtschaft, an dritter Stelle das Angebot alternativer Antriebsarten für die Kunden.

Die deutsche Automobilbranche scheint beim Thema Nachhaltigkeit auf einem ordentlichen Weg zu sein. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie von Deloitte. Doch noch nicht alles läuft rund.

Gut ist, dass ...

  • die Automobilhersteller und -zulieferer Nachhaltigkeit als Kernaspekt in ihrem Unternehmen betrachten.
  • Nachhaltigkeits-Initiativen entlang der gesamten Wertschöpfungskette berücksichtigt werden.
  • bereits heute positive Effekte dieser Nachhaltigkeits-Initiativen sichtbar sind

Jedoch ...

  • nehmen 55 Prozent eine Lücke zwischen kommunizierter und gelebter Nachhaltigkeit wahr.
  • verfolgen die meisten keinen ganzheitlichen Ansatz (ökologisch, sozial und wirtschaftlich).
  • fehlen durch die Pandemie finanzielle Mittel für Nachhaltigkeits-Maßnahmen.
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Fazit

Lange Zeit haben Unternehmen Umweltanforderungen als Bedrohung wahrgenommen, die Geld kostet. Ökologische Nachhaltigkeit sollte jedoch als Chance verstanden werden, als ein Hinterfragen von Prozessen und Geschäftsmodellen, als ein Wettbewerb um Lösungen. Wer erfolgreich bleiben will, muss sich an die Spitze dieser Bewegung setzen. Das sollten gerade deutsche Firmen wissen. Die Ansätze legen nah: Die Branche zeigt sich zumindest nach außen hin bemüht, das Thema nun ganzheitlich zu betrachten. Neben transparenten Lieferketten scheint auch der Akkukreislauf an Bedeutung zu gewinnen. Höchste Zeit, denn nur wenn die Industrie LIB recycelt, eignen sich E-Autos als Treiber hin zu einer CO2-neutralen Welt.