Elekrische AMG-Zukunft mit Yasa-Motor
Was bitte ist ein Axialflussmotor?

Mit einem Strategie-Update vollzieht Mercedes einen schnelleren Schwenk zum E-Antrieb – auch für AMG. Die Sporttochter bekommt dafür besonders kräftige Elektromotoren. Was für welche? Und was steckt technisch dahinter?

Mercedes Yasa Radial Flux Elektromotor
Foto: Mercedes

Am 22. Juli 2021 gab Daimler-Chef Ola Källenius ein so genanntes Strategie-Update bekannt. Darin hieß es, Mercedes bereite sich darauf vor "noch vor Ende des Jahrzehnts vollelektrisch zu werden, wo immer die Marktbedingungen es zulassen". Dazu will der Hersteller "gemeinsam mit Partnern" Batteriezellenkapazitäten von mehr als 200 Gigawattstunden installieren und acht Gigafabriken bauen.

Drei reine Elektro-Architekturen von Mercedes

Ab dem Jahr 2025 werden alle neuen Fahrzeug-Architekturen rein elektrisch sein. Im selben Jahr sollen auch gleich drei der neuen Architekturen debütieren. Die MMA (Debüt 2024) für Modelle bis zur Größe der C-Klasse bleibt dann die letzte Architektur, die auch Verbrenner (im Vorderwagen) tragen kann. Die neuen E-Auto-Plattformen rangieren alle darüber:

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Auf der VAN.EA sollen Plattformen für elektrische Vans und leichte Nutzfahrzeuge entstehen, die skalierbare MB.EA deckt alle mittelgroßen und großen Pkw ab (also oberhalb der MMA) und die AMG.EA ist eine "auf Spitzenleistung ausgelegt Elektro-Plattform, die sich an die Bedürfnisse der technologieaffinen und leistungsorientierten Kunden von Mercedes-AMG richtet". Vermutlich wird sie mehr oder weniger eng mit der aus Modulen aufgebauten MB EA verwandt sein und sich eben durch diese Module von dieser differenzieren.

Module sind beispielsweise die Batterien und die E-Antriebe selbst. Bei den Batterien sind neue Partner neben CATL und Farasis wie beim EQS noch nicht bekannt, bei den E-Motoren sieht das anders aus, speziell bei denen für AMG. Denn bei den Antriebstechnologien will Mercedes die eigene "Wertschöpfung in Entwicklung und Fertigung durch das Insourcing von Antriebstechnologien für Elektrofahrzeuge" erhöhen. Dieser Schritt umfasse die Akquisition des britischen Elektromotorenspezialisten Yasa einem Spezialisten für "Entwicklung von Ultra-High-Performance-Axialflussmotoren". Ultra High Performance klingt nach AMG.

Axialflussmotoren – scheibenförmig, kräftig, besonders drehmomentstark

Und was sind Axialflussmotoren? Dabei handelt es sich um eine besondere Bauform von Permanent erregten Synchronmaschinen (PSM), das heißt, sie verwenden für den Rotor Permanentmagnete aus so genannten seltenen Erden (z.B. Neodym), die mit einem elektrisch erzeugten Feld des Stators interagieren, was die Bewegung erzeugt. Anders als bei den aktuell in E-Autos gebräuchlichen Radialflussmotoren sitzt der Stator beim Axialflussmotor aber nicht wie ein Ring außen und der Rotor coaxial darin. Vielmehr bestehen Axialflussmotoren aus mehreren Rotor- und Stator-Scheiben bzw. Ringen, die nebeneinander im Wechsel auf einer Achse sitzen. Der magnetische Fluss verläuft dabei parallel zur Drehachse, darum die Bezeichnung Axialflussmotor. Bei herkömmlichen Synchronmaschinen verläuft der magnetische Fluss eben radial um die Drehachse.

Radialflussmotor Elektromotor
Elektrotechnisches Institut (ETI) am KIT
Diese Skizze erklärt wie die Linien des Magnetfeldes bei den aktuell in E-Autos gebräuchlichen Radialflussmotoren (links) und im Unterschied dazu bei Axialflussmotoren verlaufen (rechts).

Axialflussmotoren sind schmaler

Die Bauweise des Axialflussmotors erlaubt auch für das Gesamtaggregat eine eher scheibenförmige Bauweise mit geringerer (axialer) Breite aber mit größerem Durchmesser, wobei größer relativ ist: Der Elektromotor P400 R von Yasa hat laut Datenblatt einen Durchmesser von 30,5 Zentimetern; die Breite auf der Drehachse liegt bei 10,7 Zentimetern. Dabei verspricht Yasa für das Aggregat eine Spitzenleistung von 160 kW (dauerhaft 60 kW) und ein maximales Drehmoment von 370 Nm (dauerhaft bis zu 200 Nm). Offenbar erlaubt die Bauweise auch einen großen Innendurchmesser für die Achse, die die Rotoren antreiben, was im Auto den vorteilhaften Einbau in der Antriebsachse erleichtern kann. Aber was bringt die Bauform des Axialflussmotors über die Geometrie mit der geringen Baubreite hinaus?

Bessere Kühlmöglichkeiten bei Axialflussmotoren

Die andere Geometrie erlaubt eine vergleichsweise gute Kühlung, denn die Teile, die am heißesten werden können, die stromdurchflossenen Spulen aus Kupferdraht, sitzen weiter außen und nutzen so eine größere Oberfläche. Beides erlaubt eine einfachere Wärmeabfuhr nach außen und eine einfachere Zuführung von Kühlflüssigkeit (Yasa kühlt mit Öl) zu den Spulen. Denn Permanentmagnete aber auch die Kupferspulen sind hitzeempfindlich; schon eine zweistellige Zahl an Sekunden jenseits einer Grenztemperatur (etwa 150 Grad) können den gesamten Motor schädigen.

Radialflussmotor Elektromotor
YASA Limited
Die schmale Bauweise und die hohen Spitzenleistungen machen die Yasa-Motoren besonders für Plug-in-Hybride geeignet. Dieses Aggregat speziell für PHEVs leistet laut Yasa in der Spitze 100 kW und erzeugt kurzzeitig ein maximales Drehmoment von 300 Nm.

Weniger Temperaturentwicklung erlaubt dem Motor entsprechende längere Phasen im Bereich der Peakleistung. Die Form und die bessere Hochleistungsfestigkeit lassen Axialflussmotoren besonders zum Boosten in Power-Hybridantrieben geeignet erscheinen. Tatsächlich findet sich auf der Homepage von Yasa ein Aggregat speziell für Hybridantriebe. Es ist nur sechs Zentimeter breit, soll aber 100 kW leisten und 300 Nm Drehmoment erzeugen. Ein solcher Motor hat es bereits in ein Serienauto geschafft. Er sitzt zwischen dem V8-Biturbo und dem Getriebe des Ferrari SF90 Stradale.

Aber der Axialflussmotor soll weitere Vorteile bringen, die auch für reine E-Antriebe hilfreich sind:

Höhere Drehmomentdichte?

Yasa beispielsweise sagt, dass Axialflussmotoren vergleichsweise mehr Drehmoment entwickeln als Radialflussmotoren. Die Briten begründen das mit dem vergleichsweise größeren Durchmesser des drehmomenterzeugenden Rotors, der beim Axialflussmotor gleich groß ist wie der des Stators, während der Rotor beim Radialmotor typischerweise im Stator sitzt und entsprechend kleiner ausfällt. Da im Drehmoment in Newtonmeter eine Längenkomponente (der Hebel, in dem Fall der Radius des magnetischen Rotors) neben der Kraft maßgeblich ist, ergibt sich bei gleicher Motorgröße (wovon das Gewicht abhängt) ein höheres Drehmoment. Yasa gibt das Plus mit 30 Prozent an.

Weniger Gewicht – höhere Leistungsdichte?

Der Axialflussmotor ist laut Yasa leichter und somit bei gleichem Gewicht stärker. Das liege daran, das im Vergleich zu Radialmaschinen weniger der schweren Materialien Eisen und Kupfer Verwendung finden. So braucht der Axialflussmotor von Yasa das so genannte Stator-Joch (Eisengehäußeanteile um die Spulen) nicht, was laut Hersteller die Masse an Eisen im Stator um 80 Prozent reduziert. Yasa steht übrigens für Yokeless And Segmented Armature ("Jochloser und segmentierter Anker”).

Radialflussmotor Elektromotor
Alvier Mechatronics GmbH
Beim Axialflussmotor (Explosionszeichnung) stehen alle Spulen (kupferfarben) des Stators senkrecht (und damit wirkungsvoll) zur Richtung der magnetischen Feldlinien (in Richtigung der Drehachse).

Zudem sind beim Radialflussmotor die Teile der Kupferwicklungen unproduktiv, die nicht senkrecht zum radialen Drehfeld stehen, sprich die ihrerseits radial verlaufen. Diese Teile gibt es beim Axialflussmotor nicht, die Drähte der Wicklungen stehen immer senkrecht zur Drehachse. Laut Yasa bringt das Weniger an Material allein einen 30 prozentigen Vorteil bei der Leistungsdichte.

Keine Vorteile bei Dauerleistung

Der P400 R wiegt laut Yasa trocken nur 28,2 Kilogramm bei einer Peakleistung von 160 kW. Zum Vergleich: Der vordere Motor des Porsche Taycan Turbo S leistet 190 kW und wiegt 75 Kilogramm. Die hintere Einheit mit Zweiganggetriebe leistet 335 kW, erzeugt 550 Nm (bei Launch Control sogar 610 Nm) und wiegt 170 kg. Eine komplette Antriebseinheit mit Zweiganggetriebe und Elektronik für 700 Volt (der Taycan arbeitet mit 800 Volt) hat Yasa auch auf seiner Website. Sie leistet angeblich 300 kW in der Spitze und 150 kW dauerhaft, stemmt 500 Nm und wiegt insgesamt nur 85 Kilogramm.

Radialflussmotor Elektromotor
YASA Limited
Yasa hat eine komplette elektrische Antriebseinheit konstruiert - einschließlich 2-Ganggetriebe - wie es auch der Porsche Taycan an der Hinterachse trägt. Der Porsche trägt allerdings Radialflussmotoren.

Vorteile sind allerdings nur erkennbar, wenn man auf die Peak-Leistung blickt. Professor Martin Doppelbauer vom Lehrstuhl für Hybridelektrische Fahrzeuge am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) weist darauf hin, dass die Aggregate hinsichtlich der Dauer-Leistungsdichte eher durchschnittlich sind. Das Datenblatt des Yasa P400R weist 60 kW Dauerleistung und eine Masse von 28,2 kg aus, woraus sich 0,47 kg/kW errechnen, beim P750R sind es 70 kW Dauerleistung und 37 kg, was 0,53 kg/kW ergibt. Motorauslegungen des KIT lägen bei 0,1 bis 0,2 kg/kW, also deutlich besser.

Leistungscharakteristik – gut für höhere Effizienz in der Praxis?

Auf den Leistungs- und Drehmomentkurven des Yasa 750 R mit bis zu 200 kW und maximal 790 Nm (Peak) erkennt man ein sehr niedriges Drehzahlniveau – das Drehzahlband reicht nur bis 3.250/min und auch der P400 R erreicht mit 8.000/min ein für E-Motoren überschaubares Drehzahlniveau – die Taycan-Motoren drehen bis 16.000/min.

Radialflussmotor Elektromotor
Elektrotechnisches Institut (ETI) am KIT
Das sogenannte Wirkungskennfeld einer typischen PSM (Radialflussmotor). Auf der senkrechten Achse links ist das Drehmoment aufgetragen (negativ für die Rekuperation), auf der horizontalen Achse die Drehzahl. Im Feld ist auf den beschrifteten Linien der Wirkungsgrad gleich (so hoch wie die Zahlen, z.B. 97 Prozent).

Da sich die Leistung als Produkt aus Drehzahl und Drehmoment ergibt, muss weniger Drehzahl muss nicht per se schlecht sein. Entscheidender ist der Drehzahlbereich, in dem Leistung und Drehmoment gut nutzbare Werte erreichen und wie effizient der Motor in diesem Bereich läuft. Denn grundsätzlich variiert die Effizienz von E-Motoren mit der Lastanforderung – die Spitzenwerte jenseits der 90 Prozent, bei PSM auch 95 bis 97 Prozent, gelten nur für bestimmte Kombinationen aus Drehzahl und Drehmoment (siehe Diagramm hier oben). Dass sich die Axialflussmotoren wegen ihrer guten Kühlung länger Im Bereich der Peakleistung aufhalten können, qualifiziert sie vor allem für Hochleistungseinsatz.

Wie gut ist der Wirkungsgrad in der Praxis?

Wie stark die Effizienz wann abfällt, ist von Motor zu Motor verschieden; PSM sagt man einen vergleichsweise guten Wirkungsgrad auch im Teillastbereich nach, der in der Praxis naturgemäß eine große Rolle spielt. Yasa-Gründer und -CTO David Woolmer verspricht jedenfalls fünf Prozent mehr Reichweite für E-Autos mit Axialflussmotoren im Vergleich zu Antrieben mit Radialflussmaschinen. Woher er diese Einschätzung nimmt, ist schwer nachzuvollziehen.

Und der Anwendung im Hybrid-Ferrari SF90 Stradale lässt sich das schlecht überprüfen. Bei einem rein elektrischen AMG-Modell vielleicht schon – aber das dürfte noch ein wenig dauern. Sollten die Axialflussmotoren vielleicht sogar in Kombination mit anderen Aggregaten Sparpotenzial beweisen, könnten sie auch in anderen Mercedes-Modellen Verwendung finden, denn der EQS beispielsweise holt seine Rekordreichweite nicht in erster Linie aus der (großen) Batterie, sondern aus der Effizienz des Gesamtfahrzugs. Und da gehört der Motor dazu.

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Nein, die Wärmekraftmaschine ist viel spannender und wird immer mit ihrem Sound faszinieren.Ja, ausgefuchste Konstruktionen mit viel Kraft und höchster Effizienz stecken jeden Spritschlucker in die Tasche.

Fazit

Klar, die Batterie ist die größte Herausforderung beim E-Auto. Aber gerade, weil hohe Energiedichten der Akkus bei vertretbaren Kosten schwer zu erreichen sind, ist die Effizienz der Antriebskomponenten wie dem Motor so wichtig. E-Motoren erreichen zwar schon heute teils bis zu 96 Prozent Wirkungsgrad, allerdings nicht in jedem Betriebsbereich.

Die Steigerung des maximalen Wirkungsgrads bei Nennleistung ist also bei der Entwicklung des Elektromotors für die Zukunft nicht mehr so erfolgversprechend. Um so wichtiger ist die Verbesserung des Wirkungsgrads bei niedrigeren Leistungen bzw. bei besonders häufig genutzten Profilen. Die Leistungsdichte zu erhöhen ohne die Produktionskosten in unrentable Höhen zu treiben, bleibt ebenfalls eine Herausforderung. Hier scheinen die Axialflussmotoren von Yasa nur im Bereich der Peak-Leistung Fortschritte zu bringen.

Offensichtlich Vorteile im Vergleich zu Radialflussmotoren haben sie bei den Kühlmöglichkeiten, was sie für den Einsatz in den sportlichen Modellen von Mercedes-AMG attraktiv macht. Dass sie schmaler bauen, qualifiziert sie außerdem für den Einbau in Plug-in-Hybrid-Antriebsstränge, wo ein Yasa-Aggregat durch seine Verwendung in Ferraris Power-Hybrid einen ersten Leistungsbeweis liefert. Vielleicht kommt ein Yasa-Motor ja auch bei AMG zuerst in E Performance Hybrid-Modellen zum Einsatz?

Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten