Interview mit Software-Unternehmen Apex.AI
Ein Software-Baukasten für alle Autohersteller

Das Software-Unternehmen Apex.AI beschäftigt mittlerweile über 80 Entwickler, die Hälfte davon in Deutschland. Neben den Zulieferern Continental und ZF konnte sich das Unternehmen auch Daimler Truck als Investor sichern. CEO und Gründer Jan Becker, der in Kalifornien lebt sowie Serkan Arslan, Senior Vice President Mobility and Transportation, besuchten auto motor und sport in Stuttgart. Ein Gespräch über Software-Entwicklung, Betriebssysteme in Autos und Fortschritte bei der Entwicklung des automatisierten Fahrens.

Jan Becker, Serkan Arslan, Apex.Ai
Foto: Rossen Gargolov
Sie haben eine ganze Reihe neuer Investoren gewonnen: Continental, ZF, Airbus, Toyota, Daimler Truck. Woran liegt das?

Becker: Es ist die Zukunftsfähigkeit unserer Technologien, die uns für diese Firmen interessant macht.

Was bewegt diese Kunden?

Becker: Der in der Auto- und Truck-Industrie etablierte Entwicklungsstandard ist AUTOSAR – der aber aus unserer Sicht keine hohe Effizienz besitzt. Einige Firmen suchen deshalb nach einer Alternative, obwohl existierende Komponenten und Module verfüg- und nutzbar sind, die dem AUTOSAR-Standard entsprechen. Um die besser integrieren zu können, werden wir unser Betriebssystem Apex.OS mit AUTOSAR kompatibel machen. Unter anderem deshalb haben wir ein Tochterunternehmen in Schweden gegründet. Dort gibt es eine große AUTOSAR-Community, und wir haben in Göteborg Entwickler gefunden, die diese Aufgabe übernehmen.

Unsere Highlights
Wir reden über standardisierte Software. Nehmen wirklich alle Kunden das gleiche Softwarepaket von Ihnen?

Arslan: Apex.AI will nicht in erster Linie kundenspezifische Anwendungen entwickeln. Unser Ziel ist es, das Kernprodukt Apex.OS als Industriestandard basierend auf ROS für alle bereitzustellen. Damit die Applikationsentwicklung auf dieser Basis sehr effizient gestaltet werden kann, müssen die Schnittstellen nach unten so weit wie möglich vereinheitlicht sein. Die Autohersteller, die auf eine Standardsoftware setzen, sparen sich viele Entwickler, weil sie Funktionen wiederverwenden können, sodass sich auch die Entwicklungszeit halbieren kann. Tatsächlich hört man überall, dass diese Entwicklungszeiten verkürzt werden sollen. Aktuell ist aber eher das Gegenteil der Fall.

Wie ist der Status bei der Weiterentwicklung des automatisierten Fahrens – auch mit Blick auf Deutschland?

Becker: In Deutschland scheinen sich die Hersteller eher auf die schrittweise Weiterentwicklung auf dem Niveau von Level 3 zu fokussieren. Level 4 und 5 bis hin zum Robotaxi ohne Lenkrad wird eher in den USA vorangetrieben, besonders in unserer Nachbarschaft im Silicon Valley.

Woran liegt das? Fehlen bei uns die politischen Rahmenbedingungen?

Becker: Ich denke, das hat mit Regulierung wenig zu tun. Aus meiner Sicht liegt es eher daran, dass die Automobilhersteller weiter Autos verkaufen wollen. Und das tun sie, indem sie Funktionen wie verbesserte Fahrassistenzsysteme für die Kunden anbieten. Aber sie gehen nicht wie Waymo (zusammen mit Google unter dem Dach des Alphabet-Konzerns zu Hause, Anm. der Red.) den revolutionären Ansatz, ein fahrerloses Robotaxi anzubieten. GM hat das mit der Tochtergesellschaft Cruise gemacht, hat das Unternehmen ausgegründet und entwickelt hier das autonome Fahren auf Level 4 und 5. Es passiert also in einer eigenständigen Firma. So setzt das in Deutschland bislang kein Automobilhersteller um.

Serkan Arslan, Apex.Ai
Rossen Gargolov
"Wir bieten einen Baukasten mit zertifizierten Komponenten an“ Serkan Arslan
Wie müssten die deutschen Automobilhersteller vorgehen, um aus Ihrer Sicht nicht den Anschluss zu verlieren?

Arslan: Auch wir haben uns in den letzten Monaten mit unseren Entwicklern, die ja zum Teil von den Autoherstellern kommen, gefragt, was deren aktuelle Probleme sind. Für die nächsten Software-Generationen gibt es zwei Möglichkeiten. Einmal den Tesla-Weg, bei dem der Hersteller über zwei, drei Generationen hinweg alles zugekauft hat, um dann Schritt für Schritt Komponenten in die eigene vertikale Entwicklungskette zu übernehmen. Dann gibt es Unternehmen wie VW mit vielen verschiedenen Marken, die alles inhouse selbst machen wollen. Die Entwicklung solcher gänzlich neuen Architekturen dauert aber sehr lange. Mithilfe von Kooperationspartnern könnte man hier viel Zeit sparen. Wir bieten einen Baukasten mit zertifizierten Komponenten an, den die Fahrzeughersteller einsetzen und dann auf ihre Bedürfnisse zuschneiden können.

Fehlt es nicht vielen Herstellern schlicht an der Vision für ein entsprechendes Geschäftsmodell?

Arslan: Die Hersteller, die ihre Autos vor allem an Privatkunden verkaufen, gehen in erster Linie den Level-3-Weg. Mercedes ist die erste Marke, die dafür eine Zulassung bekommen hat und auf diesem Gebiet sicher führend ist. Es stellt sich allerdings die Frage, wie viel Zeit und Aufwand darin stecken. Wir beobachten bei vielen Herstellern aktuell, dass sie den Entwicklungszyklus nicht von 50 auf 30 Monate reduzieren können, sondern eher länger brauchen als geplant. Da können durchaus zwei Generationen an Entwicklungsständen im Vergleich zur Konkurrenz verloren gehen.

Wenn es um Standardisierung geht – was kann dann Apex.AI besser als Daimler oder ZF?

Becker: Unsere Software basiert auf einem ROS genannten Standard, der sich in der Robotik seit über zehn Jahren durchgesetzt hat. Aus ihm haben wir einen Überbrückungspfad von der alten zur neuen Architektur der Automobilindustrie entwickelt. Denn es war und ist nicht sinnvoll, eine komplett neue Architektur aufzusetzen. Noch gibt es keinen Autohersteller, der aktuell ein Fahrzeug der neuen Generation auf den Markt bringt, das eine komplett neue Software-Architektur besitzt. Denn in der Entwicklung bestehen weiterhin gewisse Abhängigkeiten, was Produktion, Testen und Validierung angeht.

Handelt es sich denn bei der VW-Tochter Cariad nicht auch um eine eigene Software-Schmiede?

Becker: Aus unserer Sicht ist Cariad eine Zusammenfassung aller Software-Aktivitäten des VW-Konzerns, auch für zukünftige Architekturen. Dort hat es aber lange gedauert, bis die Organisation ins Laufen gekommen ist, nach unserer Beobachtung etwa ein Jahr. Nicht zuletzt ist das den vielen Marken innerhalb des Konzerns geschuldet, denn bei ihnen bestimmen sehr unterschiedliche Kundenausrichtungen die Anforderungen. Eine Marke sieht in ihren Kunden klassische Apple-User in der Altersklasse 50 bis 60 Jahre, eine andere Marke verkauft Autos im Durchschnitt für rund 30.000 Euro. Das unter einen Hut zu bringen, ist nicht so einfach. Nach dem Diesel-Skandal gibt es sicher auch Bedenken, grundlegende Entwicklungen an externe Partner herauszugeben, weil die Befürchtung besteht, nicht alle Facetten der komplexen Entwicklungsprozesse selbst zu beherrschen.

Wie gehen im Vergleich eigentlich die chinesischen Hersteller vor?

Becker: Ich rechne damit, dass sich in China durch die Regulierung ein eigenständiges System entwickeln wird. So wie wir es bereits bei den Computern erleben konnten. Vor drei Jahren hat die chinesische Regierung vorgeschrieben, dass alle Regierungscomputer mit einheimischer Hard- und Software laufen müssen. Die Daten sollen im Land bleiben, deshalb dürfen Modelle von Tesla auch nicht mehr auf geschützte Regierungsgelände fahren. Jeder Autohersteller ist verpflichtet, für China eigene Softwarepakete zu entwickeln. Karten für die Navigation müssen von lokalen Anbietern stammen. Bei Apex.AI fokussieren wir unsere Aktivitäten deshalb auf Länder, in denen wir alle wichtigen Prozessschritte in der Hand behalten. Denn dadurch, dass wir unseren Source-Code den Kunden zur Verfügung stellen, machen wir uns schließlich auch verwundbar.

Vita

Jan Becker ist Präsident, CEO und Co-Founder von Apex.AI. Davor war er Senior Director bei Faraday Future für autonomes Fahren und Direktor bei der Robert Bosch LLC North America, verantwortlich für automatisiertes Fahren. Seit 2010 lehrt Becker auch an der Stanford University.

Serkan Arslan gehört seit 2020 zum Apex.AI-Team und ist Vice President Mobility and Transportation. Arslan war davor Director Business Development bei Nvidia und verfügt über eine mehr als 20-jährige Expertise im Automotive-Bereich.