VW Golf gegen ID.3
Ist der ID.3 wirklich der bessere Golf?

Der Käfer mobilisierte einst halb Deutschland. Sein Nachfolger Golf prägte sogar eine eigene Klasse – ach was, eine ganze Generation. Und jetzt übernimmt der ID.3, oder?

VW Golf gegen VW ID.3
Foto: Clemens Hirschfeld

Gleich drei Großprojekte auf einmal? Das war dann doch selbst für Volkswagen ein bisschen zu viel. Neben dem Golf samt modifizierter MQB-Plattform entwickelte man in Wolfsburg gleichzeitig den Modularen-E-Antriebs-Baukasten (MEB) des ID.3 – und für beide zusammen noch ein zentrales Infotainment- und Assistenzsystem, den MIB. Vor allem Letzteres bereitete aber derartige Startschwierigkeiten, dass sie die Frage, wer denn nun der bessere Wagen fürs Volk sei, komplett überschatteten. Mit dem neuesten Update – das gerade over-the-air einfliegt – scheinen nun die größten Bugs behoben zu sein. Wir können also endlich klären, ob der ID.3 die größte Revolution für VW seit dem Käfer ist, oder hat der Golf doch (noch) nicht ausgedient? Wie wir das machen? Na, wir testen. Und fangen gleich mit den Antrieben an.

Unsere Highlights

Den ID.3 gibt es natürlich nur rein elektrisch, wobei sich die Auswahl auf zwei Leistungsstufen (150 und 204 PS) und drei Akkugrößen (45, 58 und 77 kWh) beschränkt. Dagegen besteht beim Golf auch in Generation acht die Qual der Wahl: Egal ob als Benziner, Diesel, Erdgas, Mild- oder Plug-in-Hybrid – fast alles ist möglich, auch als Kombi. Für den Vergleichstest der Basisvarianten schickt VW den kompakten Viertürer als 1.0 eTSI ins Rennen. Keine schlechte Wahl, schließlich ist der mildhybridisierte Dreizylinder im Testschnitt einigermaßen sparsam unterwegs (6,7 Liter/100 km), wobei eine Fünf vor dem Komma locker drin ist.

Ebenso zurückhaltend sind allerdings auch die Fahrleistungen. Mit 110 PS und 200 Nm – von denen das Drehmomentmaximum nur im schmalen Bereich von 2.000 bis 3.000/min anliegt – beschleunigt der stets mit DKG ausgestattete Mildhybrid-Golf in gemächlichen 11,1 Sekunden auf hundert. Und ja, das fühlt sich genau so an, wie es sich liest. Aufhorchen lässt einen nur der sonst gut gedämmte Dreizylinder, der aber neben dem E-Antrieb vor allem unter Last regelrecht unkultiviert wirkt. Wie gut, dass ihn der 48-Volt-Startergenerator im Schubbetrieb, etwa vor roten Ampelkreuzungen, komplett abstellt.

Das hat der ID.3 nicht nötig. Vielmehr nutzt er – auf Wunsch sogar weitestgehend selbstständig – das Heranrollen zur Energierückgewinnung. Schaltet die Ampel auf Grün, absolviert er die Sprintübung nicht nur flüsternd, sondern mit 9,3 Sekunden auch schneller. Und auch beim Überholen tritt der Stromer in der kleinsten Leistungsstufe mit 150 PS subjektiv und messbar stärker an. Klar, schließlich drückt der Synchronmotor permanent mit 310 Nm Drehmoment. Zur Wahrheit gehört aber, dass der ID.3 bei Tempo 160 abregelt, während der Golf sogar die 200er-Marke knackt – ein Zugeständnis an den Stromverbrauch. Der liegt im Testmittel bei 22,3 kWh/100 km. Im Test sind mit dem 45-kWh-Akku und optionaler Wärmepumpe (990 Euro) bei sommerlichen Temperaturen nur 215 km Reichweite drin. Klingt wenig und wird im Winter noch weniger. Zumal der Golf jederzeit mehr als dreimal so weit mit einer Tankfüllung kommt.

VW ID.3
Clemens Hirschfeld
VW ID.3 Pure: 150 PS, 310 Nm, Testverbrauch 22,3 kWh/100 km, Reichweite 215 km, ab 31.960 Euro (minus 9.570 Euro).

Trotzdem sollte den meisten die Reichweite des Stromers im Alltag reichen. Sie wollen aber auch in den Urlaub fahren? Dann sollte auf jeden Fall die 110-kW-Schnellladeoption für 650 Euro bestellt werden – mit der der ID.3 in 28 Minuten zu 80 Prozent aufgeladen werden kann. Oder Sie ordern ihn gleich mit dem größeren 58- oder 77-kWh-Akku (plus 3.500 beziehungsweise 10.660 Euro).

Wenn der Preis stimmt ...

Sie merken schon, das geht schnell ins Geld. Und damit sind wir bei den Kosten: Der Golf ist mit einem Testwagenpreis von 30.975 Euro nicht gerade günstig. Zumal viele Annehmlichkeiten wie das Infotainment-System (Aufpreis 1.950 Euro) extra bezahlt werden wollen. Beim ID.3 ist dieses zwar serienmäßig dabei, dennoch summiert sich der Testwagenpreis, unter anderem wegen der teuren 20-Zöller, auf 37.015 Euro. Der Trost: Sie können davon genau 9.570 Euro Umweltprämie abziehen. Und falls Sie noch eine Wallbox für das Laden zu Hause brauchen – mit maximal 7,2 kW dauert Vollladen mit Wechselstrom rund sechseinhalb Stunden –, fördert der Staat deren Kauf mit 900 Euro. Ja, das sind hohe Anfangsinvestitionen, die sich langfristig rechnen. Denn durch die Befreiung von der Kfz-Steuer sowie niedrigere Wartungs- und Energiekosten fällt der Unterhalt um etwa ein Drittel geringer aus als beim Golf.

Und es wird noch besser. Stattet man beide Kompaktwagen vergleichbar aus, spart man mit dem ID.3 rund 7.000 Euro Anschaffungskosten. Dabei gilt jedoch die Faustregel: Je mehr Sie ankreuzen, desto geringer wird die Preisdifferenz. VW verschnürt die Extras beim ID.3 nämlich meist in teurere Pakete, während Sie sich den Golf fast frei konfigurieren können. Und noch ein Argument spricht derzeit für den Golf: der Wiederverkauf. Zwar gibt VW acht Jahre Akkugarantie beim ID.3. Allerdings kann Ihnen heute niemand zuverlässig prognostizieren, wo sich der Restwert des E-Autos zukünftig einpendelt.

Gutes Stichwort. Denn wir sind zurück auf der Straße. Und die wird gerade richtig kurvig und ist zudem noch schlecht asphaltiert. Den Golf mit optionalen 18-Zoll-Sportreifen und Basisfahrwerk beeindruckt das nicht: Mühelos schluckt er sämtliche Unebenheiten und stabilisiert seinen Aufbau auch in engen Wechselkurven. Braucht es da überhaupt adaptive Dämpfer, wie sie der ID.3 für 1.150 Euro an Bord hat? Immerhin federt der "Voltswagen" so ebenfalls auf hohem Niveau. Allerdings bringt er seinen höheren Aufbau auf schlechten Straßen nicht ganz so gut unter Kontrolle, auch weil die Spreizung der Fahrmodi (Eco, Comfort und Sport) sehr gering ausfällt. Hinzu kommt, dass er beim flinken Kurvenfahren früher über die rollwiderstandsoptimierten 20 Zoll großen Eco-Reifen auf der Vorderachse schiebt und mit der indirekteren Lenkung – außer beim Rangieren – schneller an seine Grenzen stößt.

VW Golf
Clemens Hirschfeld
VW Golf 1.0 eTSI: 110 PS, 200 Nm, Testverbrauch 6,7 Liter/100 km Reichweite 746 km, ab 28.085 Euro.

Ein Grund dafür ist sein Gewicht von 1.777 kg – fast eine halbe Tonne mehr als beim Golf! Klingt dramatisch, nur spürt man davon wegen des niedrigen Schwerpunkts und der nahezu ausgeglichenen Gewichtsverteilung nicht viel. So kurvt der ID.3 agil um die Hütchen, wenn auch beim doppelten Spurwechsel deutlich langsamer. Mehr Zeit und Raum nimmt sich der E-VW jedoch auch bei der Vollbremsung aus Tempo 100. Hier braucht er mit seinen Trommelbremsen an der Hinterachse 36,1 Meter. Der rundum mit Scheibenbremsen und Sportreifen ausgestattete Golf steht hingegen nach 34,4 Metern.

Mehr Raum, weniger Last

Da wir gerade stehen, befassen wir uns zum Abschluss noch mit den inneren Werten. Und auf die kommt es doch an, oder? Obwohl beide VW innen wie außen ähnlich lang und breit bauen, ist der Raumeindruck ein gänzlich anderer. Durch die Skateboard-artige Architektur des MEB mit dem Akkupaket zwischen den Achsen wächst der Radstand auf 2,77 Meter (Golf: 2,62 Meter). Im ID.3 thront man neun Zentimeter höher in einem luftigen Ambiente und erfreut sich an vielen großen Ablagemöglichkeiten. Bei Dunkelheit inszenieren bis zu 30 Farben die futuristischen Flächen. Blöd nur, das VW diese fast ausschließlich aus hartem Plastik zusammensetzt und wichtige Bedienfelder unter dem Mitteldisplay nicht beleuchtet. Im Fond stört das weniger. Hier steigen Sie durch die großzügiger bemessen Türen nicht nur bequemer ein als im Golf. Sie können sogar zu dritt die Beine ausstrecken, weil der Kardantunnel fehlt.

Da das Kofferraumvolumen der beiden fast identisch ausfällt und lediglich die Ladekante des ID.3 zehn Zentimeter höher liegt, fragen Sie sich zurecht: Wo ist bei ihm der Haken? Antwort: Es gibt keinen – zumindest keinen zum Ziehen. Dem ID.3 können Sie lediglich einen Fahrradträger auf die Kupplung schnallen, aber keine Box aufs Dach. Und da es keinen Frontkofferraum gibt, müssen die Ladekabel ins Heck.

Der Golf dagegen lädt fast eine halbe Tonne zu oder schleppt bis zu 1.300 kg. Zwar ist’s im Fond kuscheliger, dafür fühlt sich der Fahrer vorn in den Sportsitzen besser integriert als im ID.3. Zudem ärgert er sich im Golf weniger über die ebenfalls simplen Materialien oder die Bedienung des Infotainments, da man den Bordcomputer hier mit klassischen Tasten statt Touchfeldern bedient und sich die Anzeigen besser ablesen lassen.

Fazit

1. VW Golf 1.0 eTSI
588 von 1000 Punkte

Er ist und bleibt ein Kompaktwagen für alle Fälle: Der Golf kurvt flink, bremst sicher und federt dazu noch komfortabel. Doch selbst mit dem schwächlicheren Mildhybrid ist er teurer.

2. VW ID.3 Pro
585 von 1000 Punkte

Auf vergleichbarem Raum schafft der ID.3 vor allem im Fond mehr Platz. Der E-Antrieb hat Wucht, aber mit kleinem Akku wenig Ausdauer. Trotz der E-Auto-Prämie verliert er knapp.

Technische Daten
VW Golf 1.0 eTSI LifeVW ID.3 Pure (45 kWh) Pure
Grundpreis32.225 €31.960 €
Außenmaße4284 x 1789 x 1491 mm4261 x 1809 x 1568 mm
Kofferraumvolumen381 bis 1237 l385 bis 1267 l
Hubraum / Motor999 cm³ / 3-Zylinder
Leistung81 kW / 110 PS bei 5500 U/min
Höchstgeschwindigkeit202 km/h160 km/h
0-100 km/h11,1 s9,3 s
Verbrauch0,0 kWh/100 km
Testverbrauch6,7 l/100 km22,3 kWh/100 km
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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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