Interview mit Markus Schäfer
Verschiedene Zellchemien in wenigen Monaten

Markus Schäfer, Vorstandsmitglied der Mercedes-Benz Group AG, CTO, Entwicklung & Einkauf, stellt sich den Fragen von auto-motor-und-sport-Chefredakteurin Birgit Priemer und gewährt Einblick in aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen.

Verschiedene Zellchemien in wenigen Monaten
Foto: "Mercedes-Benz AG - Global Commu
Herr Schäfer, bei Mobileye als Spezialist für autonome Fahrsysteme gibt aktuell der Aktienkurs nach, 2024 gilt allgemein als schwieriges Jahr für diese Technologie. Wie steht Mercedes dar?

Wir befinden uns beim Aufbau des automatisierten Fahrens auf dem eingeschlagenen Weg. Dabei besitzen wir ein Alleinstellungsmerkmal, weil wir weltweit als erste Automobilhersteller die Zertifizierung für hochautomatisiertes Fahren nach Level-3 für den US-amerikanischen Straßenverkehr auf Freeways in Kalifornien und Nevada erhalten haben. Bei den Level 2-Fahrzeugen ist es mir ganz wichtig, dass Fahrzeugassistenz auch wirklich erlebbar ist. Assistenz muss auch wirklich eine Assistenz sein. Es ist eine Philosophie bei Mercedes-Benz, dass wir eine klare Trennung zwischen Level 2 und Level 3 haben. Es darf keine Konfusion zwischen diesen beiden Modi geben. Ein hochperformantes Level 2-System hält den Abstand, lenkt, kann automatisch zum Überholen die Spur auf der Autobahn wechseln – und das alles in einer entspannten und entlastenden Art und Weise. Der Kunde behält die Wahl, ein solches System zu nehmen oder im dichten Autobahnverkehr in eine Level 3-Funktion zu gehen, wo man Augen und Hände vom Lenkrad, von der Straße nehmen und Nebentätigkeiten ausführen kann – auch rechtlich gesehen. Wir können so auch Grenzen austesten: Was bedeutet es, wenn eine Maschine die Fahraufgabe übernimmt, also einen kompletten Paradigmenwechsel zu durchleben und dabei, wie angekündigt, die Geschwindigkeit von 60 km/h in Richtung 90 km/h hochzunehmen. Ich kann nur für Mercedes sprechen: Fahrerassistenz ist ein absolut wichtiges Feature, weil es zur Entlastung des Fahrers, aber auch der Verbesserung Verkehrssicherheit beiträgt.

Unsere Highlights
Kunden tun sich manchmal mit neuen Technologien schwer. Wie ist das beim automatisierten Fahren? Dauert es nicht eine ganze Zeit, bis sie sich daran gewöhnt haben?

Ja, ich glaube, man muss Vertrauen entwickeln: Kann ich dem System trauen oder nicht? Da ist ein eher konservativer Ansatz der richtige, auch mit dem entsprechenden technischen Aufwand, also bei Level 3 redundante Systeme zu haben, mit einer dreifach-Sensorik zu arbeiten und Lidar, Kamera, Radar und Ultraschall zu nutzen. Es ist uns wichtig, diese Rückfallebenen im Fahrzeug nutzen zu können, falls Systeme ausfallen. Im Sinne eines verlässlichen Versprechens ist es auch wichtig dem Kunden zu erklären, was ein Fahrzeug kann – auf Ebene Level 2 und auf Ebene Level 3.

Stichwort Elektromobilität: Als die Bundesregierung kurz vor Weihnachten überraschend die Förderprämie gestrichen hat, hat Mercedes für die Kunden, die bereits bestellt hatten, das Geld zur Verfügung gestellt. Aber wie beurteilen Sie dieses politische Durcheinander?

Wir wünschen uns natürlich absolut verlässliche Rahmenbedingungen. Ich glaube, das ist ganz wichtig für Deutschland, Europa, für die Märkte mit neuen Technologien. Wir haben gerade über Vertrauen gesprochen – und es ist wichtig, dass der Kunde Vertrauen hat auch in neue Technologien. Dass er sich auch wirtschaftlich auf neue Rahmenbedingungen verlassen kann. Und gerade, wenn es um Umbrüche geht, sei es beim automatisierten Fahren oder der Elektromobilität ist es wichtig, dass man sich darauf verlassen kann. Insofern hilft eine so schnelle Änderung nicht wirklich, aber wir werden damit am Ende umgehen müssen und unseren Beitrag dazu leisten müssen, um Elektromobilität attraktiv zu machen und dem Kunden das beste Angebot zu geben. Vor diesem Hintergrund haben wir uns dazu entschieden, unseren Kundinnen und Kunden die Planungssicherheit zu erhalten und zunächst den vollen Umweltbonus auf Kosten von Mercedes-Benz bis Ende 2023 zu gewährleisten*. Das heißt, für Bestellungen, die noch im Januar 2024 zugelassen und ausgeliefert werden, übernehmen wir den ursprünglich von staatlicher Seite geplanten Zuschuss sowie unseren Herstelleranteil für Fahrzeuge, die nach den ursprünglichen Regeln 2024 förderfähig gewesen wären. Dass wir unseren Kundinnen und Kunden auch wirklich das beste Angebot machen, zeigen wir in Las Vegas auch mit dem CLA Class Concept. Mit diesem Modell wollen wir für den Einstieg bei Mercedes-Benz ein Angebot machen, das Benchmark in Sachen Reichweite und geringe Verbräuche darstellt. Der Dialog mit der Politik muss weitergehen, wir denken, dass Elektromobilität absolut der richtige Weg ist in eine CO₂-freie oder reduzierte Zukunft. Insofern begrüßen wir jeden Schritt, der hilft, um Elektromobilität in der notwendigen Geschwindigkeit zu adaptieren.

Wohin orientiert sich die Batterietechnologie der Zukunft? Wird es in den Mercedes-Modellen einen LFP-Akku geben, spielt Natrium irgendwann eine Rolle?

Wir werden den Kunden Angebote von allen Seiten aus machen, so wie wir heute einen E 200 und einen E 450 anbieten. Es wird auch bei den batterieelektrischen Fahrzeugen eine Spreizung an Reichweite bringen, wir werden also auch unterschiedliche Batterie-Chemien im Programm haben. Wir werden LFP (Lithium-Eisenphosphat-Akku, Anm. der Red) beim MMA für die eher geringen Reichweiten anbieten, für die High-End-Fahrzeuge wird es reichlich Silizium-Oxid an der Anodenseite geben. Wir werden bereits in den nächsten Monaten ein breites Portfolio an unterschiedlichen Zellchemien sehen. Bei der Feststoffbatterie sind wir mit mehreren Start-ups dabei, erste Prototypen zu bauen. Natrium wird für Mercedes-Fahrzeuge in absehbarer Zeit keine Rolle spielen, weil der Energieinhalt so gering ist, dass die Reichweiten, die damit erzielt werden können, nicht adäquat für Mercedes sind, aber möglicherweise für Einstiegs-Fahrzeugklassen.

Die deutsche Automobilindustrie wird sehr dafür kritisiert, dass sie keine bezahlbaren Elektroautos im Angebot hat, Mercedes speziell auch immer wieder für die Luxuswagenstrategie, die Sie eingeschlagen haben. Wie sehen Sie das?

Mercedes ist Mercedes und war nie anders. Wenn wir 138 Jahre zurückgehen, dann ging es immer um "Das Beste oder nichts", es ging um Fahrzeuge, die ästhetisch immer reizvoll waren und sich von der Masse abgehoben haben. Mercedes war immer führend und innovativ, wenn es um neue Technologien ging. Insofern ist die Mercedes-Strategie nur konsequent und spiegelt, was uns in 138 Jahren erfolgreich gemacht hat und was uns nach einer Studie im letzten Jahr zur siebt wertvollsten Marke auf diesem Globus gemacht hat. Wir müssen den Erfolg der Vergangenheit in die Zukunft überführen, das ist der richtige Weg. Natürlich müssen wir auch an den Kosten arbeiten. Das ist eine große Aufgabe, besonders bei der Elektromobilität. Wir alle wissen, dass der elektrische Antriebsstrang immer noch sehr teuer ist im Vergleich zu einem Verbrenner und dass die Kostenparität nicht so schnell erreicht werden kann. Insofern müssen wir an allen Kostenschrauben drehen: Je effizienter ein Fahrzeug ist, desto weniger Batterie brauche ich. Das ist der allergrößte Hebel.

Sie haben auf der CES-Neuigkeiten eine neue Generation von MBUX vorgestellt, die mit dem neuen CLA kommen soll. Warum stellen Sie so wichtige Technologien eigentlich immer in der Kompaktklasse vor und nicht mit der S-Klasse?

Früher wurden Technologien von der S-Klasse kaskadiert, zunächst auf die E-Klasse und dann vielleicht auf Kompaktfahrzeuge. In einer Welt der Technologien, wie wir sie heute sehen, kann man bei der Geschwindigkeit, mit der sich Software weiterentwickelt, nicht warten, sondern muss sie immer in der aktuellsten Plattform einsetzen. Das Nachziehen auf die bestehenden Baureihen erfolgt dann schnellstmöglich – genau das wird auch passieren. Wir werden den nächsten Schritt mit der MMA-Plattform machen. Dort werden wir unser eigenes Betriebssystem MB.OS zum ersten Mal in voller Blüte mit eigenen Domänen im Fahrzeug einführen, aber dann auch für die nächsten Fahrzeuge nachziehen.

KI spielt eine große Rolle, in dem wir mit einer ganz neuen Art der softwaregestützten Spracherkennung arbeiten – indem das Auto versucht, mich zu verstehen. Was ist der große Mehrwert?

Wir kümmern uns sehr um die Interaktion mit dem Fahrzeug, also die Mensch-Maschine-Schnittstelle HMI. Da haben wir einen bemerkenswerten Weg hinter uns, inzwischen verstehen die Systeme die natürliche Sprache, was in den Fahrzeugen bereits implementiert ist. Der nächste Schritt ist, dass wir ChatGPT in der Beta-Version auch als erste Autohersteller in den USA erfolgreich angeboten haben und somit das Fahrzeug zum ersten Mal in den Dialog gegangen ist. Das war ein Riesenschritt, weil ich nicht feste Begriffe wählen musste. ChatGPT ist eine neue Welt und wir sehen, dass sich die Interaktionsraten mit den Kunden deutlich nach oben gegangen sind. Das hat uns ermuntert weiterzugehen und einen virtuellen Assistenten zu entwickeln, den wir erstmals im MMA einsetzen und dann auf die anderen Baureihen ausrollen. Dabei handelt es sich um eine dialogbasierte, emotionale Interaktion mit dem virtuellen Assistenten. Da geht es nicht nur um die Bedienung des Fahrzeugs, sondern auch um Dialog über die Themen dieser Welt. Zum Beispiel auch im Rahmen des MBUX Sound Drive, den wir in einer Zusammenarbeit mit dem Künstler will.i.am vorgestellt haben. Hier entsteht ein neues, kreatives Zusammenspiel von Musik und Fahrzeug.

Welche Rolle spielt KI in Zukunft im Rennsport?

KI spielt ja schon eine große Rolle, aber uns geht es immer auch um Sicherheit. Deshalb werden wir künftig das Safety Car in Kooperation mit Luminar mit einem LiDAR ausstatten, wo auch die Formel 1 noch einmal einen Schritt in Sachen Sicherheit weitergeht: Das Umfeld wird bei hohen Geschwindigkeiten gescannt und die Informationen entsprechend verarbeitet. Das beweist einmal mehr, welche Rolle der Motorsport auch für die Straße hat.

* Der Umweltbonus für vollelektrische Fahrzeuge wurde zum 18.12.2023 durch den Gesetzgeber beendet. Für alle Aufträge, die bis zum 31.01.2024 bestellt werden und bis zum 31.12.2024 geliefert und zugelassen werden, sichern wir Ihnen bei einem Nettolistenpreis des Basismodells in Deutschland von unter 45.000 EUR einen Rabatt in Höhe von 1.500 EUR zu. Den bisherigen staatlichen Anteil des Umweltbonus in Höhe von 3.000 EUR übernehmen wir, sofern Sie uns schriftlich zusichern, ihn nicht bereits vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zu erhalten. Das Angebot ist nur gültig, wenn der Nettolistenpreis des Basismodells in Deutschland unter 45.000 EUR liegt, die Bestellung bis zum 31.01.2024 erfolgt ist und Lieferung und Zulassung zwischen dem 01.01.2024 und dem 31.01.2024 stattfinden. Das Angebot gilt nur für Privatkunden und den Erwerb (Kauf oder Leasing) von vollelektrischen Neufahrzeugen mit Zulassung in Deutschland.

In der Bildergalerie zeigen wir die neue MBUX-Infotainment-Generation.

Vita von Markus Schäfer

Markus Schäfer wurde am 11. Mai 1965 in Weidenau geboren. Nach dem Abitur absolvierte Markus Schäfer ein technisches Studium an der Technischen Universität Darmstadt, das er 1990 als Diplom-Ingenieur abschloss. Im November 1990 trat er über die internationale Nachwuchsgruppe in die damalige Daimler-Benz AG ein und bekleidete seitdem verschiedene Positionen im Unternehmen.

Seit Beendigung der Hauptversammlung der Daimler AG – jetzt Mercedes-Benz Group AG – am 22. Mai 2019 ist er Vorstandsmitglied des Unternehmens. Er leitet im Vorstand das Ressort Entwicklung & Einkauf und ist seit 1. Dezember 2021 zudem Chief Technology Officer. In dieser Funktion verantwortet er auf Ebene des Konzerns den ganzheitlichen Entwicklungsprozess von Mercedes-Benz Cars sowie den Einkauf. Markus Schäfer ist außerdem Mitglied des Vorstands der Mercedes-Benz AG.

Umfrage
Ist Mercedes bei der Luxus- oder bei der Elektrostrategie auf dem falschen Dampfer?
790 Mal abgestimmt
Elektro ist die Zukunft, ganz klar. Luxus passt zu Mercedes, aber die Preise nicht zu den Produkten.Mercedes ist klar eine Luxus-Marke, aber anspruchsvolle Kunden wollen kein Elektro. Sieht man am Erfolg der S-Klasse.
Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

148 Seiten