Interview mit Mercedes-Chef Ola Källenius
„Wir müssen weiter in die Elektromobilität führen“

Mercedes-Vorstandsvorsitzender Ola Källenius im exklusiven auto motor und sport-Interview über die Zukunft von E-Antrieb und Verbrenner, automatisiertes Fahren und die Rolle des Motorsports. Das Interview führten die auto motor und sport-Redakteure Jens Dralle, Michael Pfeiffer, Birgit Priemer und Gerd Stegmaier.

Mercedes-Vorstandsvorsitzender Ola Källenius
Foto: Mercedes
Mercedes hat bei der diesjährigen auto motor und sport-Leserwahl Best Cars mit C-, E-, S- und G-Klasse gleich vier Kategorien gewonnen. Was bedeuten diese Siege für Sie?

Das ist für uns die höchste Anerkennung und Auszeichnung. Am Ende sind es ja die Kunden, die sich für unsere Produkte entscheiden. Wenn wir Mercedes-Fans mit unseren tollen Autos begeistern können, dann sind wir stolz und nehmen es als Ansporn, weitere fantastische Produkte zu entwickeln.

Unsere Highlights
Sie stehen vor der Markteinführung der nächsten CLA-Generation mit E-Antrieb. Glauben Sie, dass die Optik in diesem Fall besser ankommt als bei EQE und EQS?

Die Rückmeldungen, die wir bei der Präsentation des Concept CLA Class in München bekommen haben, waren überwältigend positiv. Generell bekommen wir in Kundenstudien bei den so genannten Early Adopters, also denen, die bereits jetzt auf E-Autos umsteigen, höchste Zufriedenheitswerte.

Wie zufrieden sind Sie denn mit den Modellen EQE und EQS?

In diesen Segmenten sind wir in den meisten relevanten Märkten entweder alleiniger oder geteilter Marktführer. Da müsste man normalerweise zufrieden sein. Wir stellen aber in Märkten wie China fest, dass die Elektromobilität bisher vor allem in den unteren Segmenten wächst. Wir freuen uns, dass wir dort nach wie vor viele S-Klassen verkaufen, aber wir müssen eine breitere Masse unserer Kunden weiter in die Elektromobilität führen.

Wie werden Sie Ihre Designstrategie angesichts vieler neuer Marken im Konkurrenzumfeld ausrichten? Eher klassisch mit Blick auf die eigene Tradition?

Im Einstiegssegment darf es durchaus einen Tick sportlicher sein. Wir machen dort ein inspirierendes und technisch hochwertiges Angebot. Wir haben aber einen roten Faden: Ein Mercedes-Benz muss unverkennbar ein Mercedes-Benz sein. Wenn wir unser Design weiterentwickeln, dann immer mit dem Blick nach vorne – aber auch dem Wissen, wo wir herkommen.

Wie froh sind Sie in diesen Tagen, mit der Markteinführung des CLA Anfang nächsten Jahres nicht nur Elektroantrieb im Programm zu haben, sondern auch Verbrenner anbieten zu können?

Wir haben schon im Jahr 2019 mit der Ambition 2039 eine Dekarbonisierungsstrategie verankert, angelehnt an die Ziele des Pariser Klimaabkommens. Bis 2030 wollen wir ein vollelektrisches Angebot haben – von der S-Klasse bis zum GLA. Wir haben aber auch sehr bewusst gesagt: Dort, wo es die Marktbedingungen erlauben. Wir können ja zum Beispiel nicht den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur exakt vorhersagen oder ganz alleine stemmen. Deshalb haben wir unsere Werke antriebsflexibel aufgebaut. Bei der Mercedes Modular Architecture, auf der der CLA basiert, haben wir zuerst die Elektroversion entwickelt und durch eine intelligente Rohbaukonstruktion auch einen hybridisierten Verbrenner vorgesehen – damit wir beide Segmente bis weit in die 2030er Jahre bedienen können.

Sie bauen immer noch hervorragende, sehr sparsame Diesel. Wie geht es für die weiter?

Mit Blick auf EU7 und alle weiteren, weltweit geltenden Abgasvorschriften haben wir uns entschlossen, alle relevanten Antriebskombinationen fit zu halten – also mit einer Art Komplett-Überholung. Und dann entscheidet der Kunde, was er möchte.

Wie lange lohnt sich der Diesel-Hybrid noch?

Der läuft besonders gut auf dem deutschen Markt und bleibt auch so lange im Angebot, wie es diese Nachfrage gibt. Es kommt ja immer ein bisschen auf das Fahrprofil an: Wer viele Kilometer im Jahr fährt, ist mit dem Diesel-Hybrid sehr gut unterwegs, weil er das beste beider Welten bietet: Auf der Kurzstrecke lässt er sich rein elektrisch fahren und auf der Langstrecke besonders effizient und komfortabel mit Dieselmotor.

Wird der neue Vierzylinder für den CLA von Ihrem chinesischen Partner Geely in China gebaut – und nicht in den deutschen Mercedes-Werken?

Das ist durch und durch ein von uns entwickelter Motor, bei dem wir im Einkaufsverbund mit Geely Skaleneffekte erzielen. Wie andere unserer heutigen Aggregate auch, kommt er aus unseren Powertrain-Werken in China.

Dem Baukasten MMA für den CLA folgen drei weitere Plattformen für die größeren Limousinen, AMG und die Vans, die nach aktuellem Stand rein elektrisch betrieben werden sollen. Wie groß ist die Versuchung, hier durch Vorderwagenmodifikationen auch noch Verbrenner unterbringen zu können?

Das funktioniert so nicht und ist nicht geplant, weil die Autos ja größer sind und man dann theoretisch Sechszylinder unterbringen müsste. Das würde im Vorderbau viel Platz kosten und zulasten des großzügig geplanten Innenraumes gehen. Diese neue, ausschließlich vollelektrisch gedachte Generation an Autos ist in Sachen Raumangebot, Package und Funktionalität den Verbrennern mindestens ebenbürtig und da wollen wir keinerlei Kompromisse eingehen.

Verbrenner-Modelle der Zukunft basieren dann quasi auf den aktuellen Plattformen Ihres Modellprogramms?

Wir haben mit unserer aktuellen Rear-Wheel-Plattform eine nagelneue, hochwertige und technologisch fortschrittliche Architektur, die wir noch lange nutzen können. Sehr viel Entwicklungsarbeit findet in den nächsten Jahren auch im digitalen Bereich statt, zum Beispiel, wenn es um Fahrerassistenz geht. Davon werden sowohl die vollelektrischen, als auch die Verbrenner-Modelle profitieren

Wenn es ab 2026 eine neue C-Klasse auf dem elektrischen Baukausten MB.EA gibt, dann läuft die C-Klasse mit Verbrenner weiter?

Korrekt.

Und beide Modelle heißen C-Klasse?

Korrekt.

Sie haben auf der IAA im letzten Jahr einen Ausblick auf den Mini G gegeben. Wie unterscheidet sich dieses Auto von GLA und GLB?

Der kleine G wird unverkennbar ein G sein, der seit 1979 eine Ikone in unserem Portfolio darstellt. Die Kunden haben uns immer wieder gesagt, wie sehr sie ihre G-Klasse lieben, dass sie aber auch eine kleinere Variante suchen, die sich optisch daran anlehnt. Der GLA ist etwas ganz anderes, ein sportlicher, kompakter SUV. Der GLB ist für junge Familien perfekt, die am Wochenende auch mal mehr Platz benötigen.

Stichwort automatisiertes Fahren – es scheint stiller geworden zu sein rund um diese Technologie. Wie sieht Ihre Zukunftsstrategie aus?

Ich würde nicht sagen, dass es still geworden ist. Wir bieten ja bereits seit letztem Jahr Drive Pilot, ein Level-3-System bis 60 km/h an und sind weltweit der erste Hersteller mit einem Angebot in Deutschland sowie den US-Bundesstaaten Kalifornien und Nevada. Jetzt arbeiten wir daran, die Geschwindigkeit auf über 90 km/h in Deutschland zu erhöhen – vielleicht bis Ende des Jahres. Dann bist du wirklich frei im Auto und kannst Nachrichten lesen oder Filme schauen. Wir wollen diese Reise fortschreiben und auf über 100 km/h kommen. Die Basis dieser Technologie zum automatisierten Fahren, Level 2+, verankern wir in allen zukünftigen Architekturen von Mercedes mit Kameras und Sensoren rundum. Für jeden Mercedes-Fahrer eröffnet sich dadurch eine rundum assistierte Welt, die auf Basis des Betriebssystems MB.OS jederzeit over-the-air upgedatet werden kann.

Was ist Ihr strategisches Ziel in Sachen CO₂? Vision Zero ?

Der Weg geht ganz klar Richtung CO₂-Neutralität. Deshalb investieren wir Milliarden in die neuen Architekturen und Produkte, die die Kunden begeistern sollen.

Die aktuellen Batteriegenerationen stehen grundsätzlich in der Kritik, weil bei der Herstellung CO₂-Emissionen anfallen und Rohstoffe wie Kobalt unter schwierigen Bedingungen abgebaut werden. Ändert sich das?

Wir arbeiten an der Reduktion von Kobalt, der Verbesserung der Energiedichte, den Kostenstrukturen und ganz grundsätzlich an einer Reduzierung der CO₂-Emissionen bei der Batterieherstellung. Beim CLA bieten wir zwei Batterie-Chemien an: im Einstieg die Lithium-Eisenphosphat-Batterie, für die Top-Varianten Nickel-Mangan-Kobalt mit hohem Siliziumoxid-Anteil. Wir versuchen, die Energiebilanz über alle möglichen Stellhebel zu verbessern. Besonders hohe Reichweiten bleiben Modellen wie dem EQS vorbehalten, der mit einem Update auf über 800 Kilometer kommt.

Ist die Feststoff-Batterie in Zukunft eine Option für Sie?

Wir haben in zwei Unternehmen investiert, die sich mit dieser Technologie beschäftigen. Die Feststoffbatterie kann eine noch höhere Energiedichte bieten, aber die Kosten sind dann deutlich höher.

Die Kosten für Mobilität steigen rasant, dabei steht vielen Menschen weniger Geld zur Verfügung. Wie geht Mercedes als Marke damit um?

Wir bleiben mit innovativen, teilweise bahnbrechenden Produkten in unseren Segmenten vertreten. Den Einstieg bei Mercedes übernehmen GLA und CLA. Als Alternative gibt es auch das Angebot unseres Joint-Venture-Partners smart.

Und der Motorsport bleibt weiter Ihre Herzensangelegenheit?

Ja. Ich bin ein leidenschaftlicher Formel 1-Fan und verfolge jedes Qualifying und jedes Rennen, manchmal vor Ort, meistens am Bildschirm. Die Formel 1 ist weltweit im Trend und was mich persönlich wirklich freut: Dass wir immer mehr begeisterte Frauen mit unserem Sport erreichen.

Hand aufs Herz: Seit Sie Vorstandsvorsitzender von Mercedes sind – wie oft haben Sie sich da gewünscht, einfach nur wieder AMG-Chef zu sein?

Lacht (Anmerkung der Redaktion). Ein früherer Chef von mir, der jetzt im Ruhestand ist, hat einmal gesagt: Ola, wenn Du irgendwann auf Deine Laufbahn schaust, dann wirst du eine Aufgabe als die ganz besondere definieren. Aber bisher kann ich das nicht bestätigen. Ich bin seit rund 30 Jahren bei Mercedes – und jeder meiner Jobs hier war, beziehungsweise ist, ein Traumjob.

Vita

Ola Källenius, Jahrgang 1969, ist seit 2019 Vorstandsvorsitzender der Mercedes-Benz Group AG. Der gebürtige Schwede war zuvor Geschäftsführer bei AMG, leitete als Vorstandsmitglied den Bereich Konzernforschung und Mercedes-Benz Cars Entwicklung. Mittlerweile besitzt Källenius als Vater von drei Söhnen auch einen deutschen Pass.

In der Bildergalerie sehen Sie den neuen Mercedes EQS 580 4Matic.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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