Interview mit Professor Jürgen Schmidhuber
Mehr Sicherheit dank Künstlicher Intelligenz

Der deutsche Informatiker und Co-Direktor des Schweizer Instituts IDSIA gehört zu den weltweit führenden Kapazitäten auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz. Wir haben ihn zum Gespräch getroffen.

Professor Jürgen Schmidhuber
Foto: Dirk Gulde
Wie würden Sie einem Autofahrer den Einfluss der künstlichen Intelligenz aufs Auto schildern?

Schmidhuber: Bald werden autonome Autos sicherer fahren als Menschen. Wenn sie 100-mal sicherer sind, wird der Gesetzgeber Druck verspüren, das zur Pflicht zu machen. Dann darf der Mensch nur noch in Ausnahmefällen selbst fahren. Dazu bedarf es aber eines gesetzlichen Rahmens, der auch die Interessen von Versicherungen sicherstellt, wenn es in einem von 100 Fällen dann doch mal schiefgeht.

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Können es denn Menschen überhaupt akzeptieren, wenn Maschinen versagen?

Schmidhuber: Klar. In Deutschland akzeptieren wir aktuell, dass im Schnitt neun Menschen pro Tag durch Verkehrsunfälle ums Leben kommen. Damit hat sich die Gesellschaft arrangiert. Aber es könnte künftig nur noch ein Toter pro Tag sein. Autonomes Fahren wird kommen, in Ländern wie China wohl schneller als in anderen, die eine alte, tradierte Industrie mit starker Lobby haben.

Viele Menschen können sich aber gar nicht vorstellen, wie das autonome Fahren dann kommt. Können Sie uns als Vordenker in künstlicher Intelligenz schildern, wie wir uns das im Jahr 2035 vorstellen dürfen?

Schmidhuber: Dafür müssen Sie kein Vordenker sein. Schauen Sie lieber 20 Jahre zurück. Das wurde ja alles damals in Süddeutschland erfunden. Professor Ernst Dickmanns hatte als Erster schon 1994 selbstfahrende Autos im Verkehr – eine Mercedes S-Klasse mit Computern, die ungefähr 10.000-mal langsamer waren als die heutigen. Er ist damit auf der Autobahn bis zu 180 km/h gefahren – also etwa dreimal so schnell wie die Google-Autos heute. Ein Kamerasystem hat bis zu fünf Autos hinter dem Selbstfahrer und bis zu fünf Autos vor ihm verfolgt, um zu ermitteln, wer zum Beispiel zum Überholen ansetzt oder wer bremst. Dickmanns war seiner Zeit weit voraus – zusammen mit Uwe Franke von Mercedes.

Warum ging es dann nicht weiter?

Schmidhuber: Die Premium-Hersteller hatten damals kaum Interesse, diese Idee zu fördern. Der klassische BMW-Kunde fährt gern selbst. Doch seit 2010 kommt Druck aus dem Silicon Valley, und jetzt sind die wichtigsten Autofabrikanten wieder voll mit dabei. Denn viele junge Menschen haben eine andere Einstellung zum Auto als ihre Eltern. Die wollen einfach von A nach B.

Und was bedeutet das für die klassische Industrie?

Schmidhuber: Heute stehen die meisten Pkw 23 von 24 Stunden irgendwo herum. Flotten von Robotertaxis – zunächst vor allem in Städten – werden weit effizienter ständig unterwegs sein, von Kunde zu Kunde, gerufen durch Apps auf Handys. Die meisten Fahrten werden kurz sein. Daher wird man aus Kostengründen die meisten Taxis elektrisch antreiben und mit recht kleinen Batterien ausstatten können, wobei ein Taxi eben zur nächsten Ladestation fährt, wenn es Hunger hat. Dies umgeht das Hauptproblem heutiger E-Mobile, nämlich ihre trotz schwerer Batterien geringe maximale Reichweite. E-Mobile sind einfacher konstruiert als Benziner und haben daher fast doppelt so viele Betriebsstunden. Deswegen wird man nur noch halb so viele Autos bauen müssen. Die muss man aber trotzdem oft auswechseln, weil sie pro Jahr an die 300.000 Kilometer fahren. Was dabei drastisch schrumpfen wird, ist nicht die Autoindustrie oder die Zahl der gleichzeitig fahrenden Autos, sondern die Nachfrage nach Parkplätzen. Dies wird den Städtebau revolutionieren – möglicherweise zunächst in China.

Lernen die autonom fahrenden Autos dann auch aus eigener Erfahrung hinzu?

Schmidhuber: Ja. So ein Auto ist ein interessanter Roboter mit vielen Eingaben über Kameras und Radarsensoren, aber nur wenigen Ausgaben wie Steuersignal nach links, Steuersignal nach rechts, Gaspedal, Bremse. Er ist auf der Ausgabeseite weniger kompliziert als der humanoide Roboter mit Fingern. Doch auf der Eingabeseite muss er massiv Mustererkennung betreiben – Verkehrszeichen erkennen, die Straßensituation interpretieren, andere Fahrzeuge wahrnehmen. Das ging in den 90er-Jahren noch nicht gut, auch weil Rechenzeit noch 10.000-mal teurer war.

Und wie entwickeln sich die Kosten?

Schmidhuber: Rechner werden seit Zuses erster programmgesteuerter Maschine im Jahre 1941 alle fünf Jahre um das Zehnfache billiger. Das ist gut für unsere neuronalen Netzwerke. 2011 haben sie im Silicon Valley bereits einen Wettbewerb für Verkehrszeichenerkennung gewonnen, mit übermenschlicher Leistung. Das war bemerkenswert, denn Mustererkennung ist komplizierter als Schachspielen. 1997 gab es schon einen Computer, der besser Schach spielen konnte als der Weltmeister. Aber es gab keinen Computer, der mit kleinen Kindern bei der Bild-erkennung hätte mithalten können. Das hat sich geändert. Und Mustererkennung wird bald in allen Bereichen übermenschlich gut sein.

Müssen die autonom fahrenden Autos dann nicht am Anfang sehr defensiv programmiert werden, damit sie keine Fehler machen?

Schmidhuber: Auf jeden Fall. Weil die Systeme noch keineswegs perfekt sind, bremsen sie im Moment zu häufig. Das wird noch ein paar Jahre an Entwicklungsarbeit in Anspruch nehmen. Aber es wird sich unaufhaltsam weiterentwickeln, auch in anderen wichtigen Bereichen wie der medizinischen Diagnose. Ein Jahr nach dem Verkehrszeichenerkennungs-Wettbewerb haben unsere tiefen lernenden Netze einen anderen wichtigen Wettbewerb gewonnen; da ging es darum, Histologen zu imitieren und in der weiblichen Brust bösartige Krebszellen zu erkennen.

Die Welt der Mobilität ist aktuell noch sehr kompliziert. Reisende müssen zwischen Flugzeug, Bus, Bahn und Auto hin- und herwechseln, Tickets ziehen und bezahlen. Wird das künftig einfacher?

Schmidhuber: Klar, über neuronale Assistenten auf dem Smartphone, die Verhaltensmuster erkennen und lernen, Ihren gesprochenen Befehlen zu folgen. Gerade wer willens ist, seine Daten herzugeben, kann sein Leben vereinfachen. Den Chinesen fällt es leichter als den Deutschen, Teile ihrer Privatsphäre preiszugeben. Dort ist das Smartphone-Wesen daher schon ein paar Jahre weiter als im Westen – auch was das Bankwesen angeht. Ich wollte vor Kurzem in China mit einer Kreditkarte zahlen – das ist dort mittlerweile unüblich. Dort zahlt man z. B. über die App Alipay von Alibaba. Insofern schreitet die Entwicklung speziell in China schneller voran.

Für Sie gibt es keinen Zweifel, dass das autonome Fahren funktionieren wird, oder?

Schmidhuber: Alles andere wäre sehr erstaunlich. Heute gibt es natürlich noch Meldungen beim teilautonomen Fahren wie im Falle von Tesla, wo die Mustererkennung fürchterlich versagt hat. Da wurde ein Lastwagen mit dem Himmel verwechselt. Aber wie gesagt – alle zehn Jahre werden unsere Netze um den Faktor 100 besser. Da kann der Mensch wohl bald nicht mehr mithalten.

Haben Sie nicht Angst, dass es Menschen schwerfällt, diese Fortschritte zu akzeptieren?

Schmidhuber: Wer dadurch länger und gesünder lebt, akzeptiert das gerne. Und auch die immer klügeren kleinen Assistenten auf den Smartphones und in den Autos etc. werden zu immer akzeptableren Freunden des Menschen. Sie murmeln einfach, dass Sie zum Stuttgarter Hauptbahnhof möchten, und ein kleines E-Auto fährt vor. Natürlich werden manche weiterhin von der einsamen Blockhütte oder einem Leben ohne Technik am Strand von Tahiti träumen. Aber der Platz reicht dort nicht für alle 7,5 Milliarden Menschen auf der Welt.

Was ist Ihr persönlicher Antrieb, künstliche Intelligenz weiterzuentwickeln?

Schmidhuber: Als Kind habe ich mich gefragt, wie ich am meis ten Einfluss nehmen kann. Da wurde mir schnell klar, dass ich ein System entwickeln muss, das lernt, klüger zu werden als ich selbst, um dann alle Probleme zu lösen, für die ich selbst keine Lösung finde. Und dann kann ich in Rente gehen und zuschauen, wie sich die KIs weiter selbst verbessern und das Universum kolonisieren. Denn schon damals war mir klar, dass sich dann eine KI-Zivilisation mit selbst gesteckten Zielen rapide ausbreiten wird, von der Biosphäre hinein in den Weltraum, wo die meisten Ressourcen sind.

Können wir uns irgendwann beamen lassen?

Schmidhuber: Zumindest KIs lassen sich längst beamen. Unsere neuronalen Netze reisen per Radiowellen mit Lichtgeschwindigkeit von Sendern zu Empfängern. In wenigen Jahrhunderttausenden wird die Milchstraße voll damit sein, und wir leben gerade in der Zeit, in der dieser neue Schritt des Alls hin zu höherer Komplexität beginnt.