Kässbohrer Pistenbully Polar 600
Der Tag mit dem Pisten-Bully

Einen 520 PS starken Kässbohrer Pistenbully 600 Polar fahren? Als ob das ein Problem wäre. Die wahre Herausforderung: dafür zu sorgen, dass dabei die perfekte Skipiste herauskommt – und keine Kraterlandschaft, bei deren Anblick die Uno sofort Hilfstruppen losschicken würde.

Kässbohrer Pistenbully Polar 600, Exterieur
Foto: Achim Hartmann

Florians Stimme schnarrt aus dem Funkgerät: „Fräse runter.“ Äh, ja, sicher, Fräse runter. Geht mit dem Joystick. Nur mit welchem der zwölf Knöpfe, drei Wippen und drei Drehreglern senkt sich das Ding noch gleich ab? Beschriftungen? Keine. Symbole auf dem Kontrollpanel mit weiteren 35 Knöpfen – immerhin. Dort wird die Fräse aktiviert, der Knopf mit dem Zahnrad. Sie hängt am Heckträger des Kässbohrer Pistenbully Polar 600, rotiert mit bis zu 1.500 Umdrehungen und zweigt maximal 180 PS vom 520 PS starken Zwölfliter-Dieselmotor ab.

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Ganz schön einen im Schnee

Momentan zweigt sie aber überhaupt nichts ab, weil sich die beiden Fräskästen samt Fräswelle und Seiten-Finishern noch in den wolkenlosen Himmel recken, den der große Wetterzauberer heute über den Kaunertaler Gletscher in Tirol spannt. Florian Profanter hatte recht, natürlich. Der junge Südtiroler, der für Kässbohrer die sogenannte Pro Academy leitet, erklärte schon beim ersten Telefonat, dass es nun wirklich kein Problem sei, so einen Apparat zu fahren. Eine ordentliche Piste zu präparieren, das könne man durchaus ins Regal der Kunstformen einsortieren. Im Theorielehrgang bekommst du davon nur eine vage Ahnung. Da lernst du Offensichtliches, beispielsweise, dass du vor Fahrtantritt weder Alkohol noch Drogen, sehr wohl aber die Bedienungsanleitung konsumierst. Auch dass Natur- und technischer Schnee (also Kunstschnee) auf dem Berg herumliegen kann, der unterschiedlich bearbeitet werden muss.

Dann spezialisiert sich das alles erst weniger, später mehr: Räumschild und Fräse hängen am Pistenbully, es gilt, beides während des Fahrens permanent an die Topografie anzupassen. Vor allem den Schild. Bei der Fräse reicht es vorerst, den Schnee zu lesen und dementsprechend Anpressdruck, Drehzahl und Öffnungswinkel der Kastenklappen anzupassen. Wobei: beim Bergauffahren Fräsdrehzahl reduzieren, um nicht zu viel Motorleistung abzuzweigen, umgekehrt bei Talfahrt, auch um die Bremswirkung zu erhöhen. Und: in jedem Fall ein perfektes Pistenbild erzielen. Dazu bergauf die Fräse wie einen Anhänger mitlaufen lassen, bergab dagegen zu fixieren, wegen der Stabilität. Hat alles geklappt, bislang. Habe an alles gedacht. Wusste vorhin auch schon, wie das Ding hoch- und wieder herunterfährt. Stehe nun aber auf dem Schlauch. Und Schläuche, davon gibt es reichlich.

Kässbohrer Pistenbully Polar 600, Exterieur
Achim Hartmann
Bis zu 5,86 Meter Breite und 8,92 Meter Länge müssen sortiert werden, am Tag des Führerscheins immerhin bei besten Sichtverhältnissen.

Ein Hydraulik-Hoch- und ein -Niederdruckkreislauf, durch den einen laufen bis zu 84 Liter pro Minute bei 250 bar, durch den anderen 280 l/min bei 510 bar. „Und wenn ein Hydraulikschlauch platzt, wäre der 86-Liter-Tank bei Standgas in etwa 30 Sekunden leer“, erklärt Florian morgens bei der Sichtprüfung des Fahrzeugs. Die gestaltet sich ein wenig komplex, die Presshülsen, also die Schlauchverbindungen, gilt es zu kontrollieren, die Laufräder, die Kettenstege, vor allem die Kettenschlösser, die Beleuchtung, die Betriebsflüssigkeiten.

Dabei fällt auf, dass im Tank des 600ers zu wenig Hydrauliköl schwappt. Florian manövriert den Bully lässig rückwärts vor die Garage, Tor auf, die Frühbesprechung der Pistenpräparateure vom Gletscherskigebiet stören. „Lass ihn das doch selber machen“, tirolert es aus der Garage, danach: „Pistenraupenfahrer-Taufe!“ Halt, wie war das noch? Kein Alkohol, keine Dro … Schon kippt dir jemand Schnupftabak auf die Daumenwurzel, die Fahrer stehen im Kreis, einer ruft: „Pries!“, rechts, links, weg damit, und über der Ehrichspitze geht noch einmal die Sonne auf.

Walz’ über Kopf

Die Anfahrt zum Testgelände übernimmt Florian, denn Skipisten müssen gekreuzt, Wegbegrenzungen stehen gelassen werden. Trotz alpiner Weite wirkt es zunächst schon so, als wolle man mit einer Straßenkehrmaschine kurz das heimische Wohnzimmer saugen. Bis zu 5,86 Meter Breite und 8,92 Meter Länge müssen sortiert werden, heute immerhin bei besten Sichtverhältnissen. „Schwierig ist es in der Dämmerung, nachts wieder besser, wegen der Beleuchtung“, berichtet Florian, der sich seit seinem 16. Lebensjahr durch die Weltgeschichte präpariert.

Irgendwann fiel ihm auf, dass keine Standards für Pistenraupenfahrer existieren, lediglich Erfahrungswerte älterer Kollegen. Also spezialisierte er sich auf Schulungen, inzwischen ausschließlich für Kässbohrer – weltweit. Florian erklärt die Motivation: „Wie in vielen Branchen gibt es auch bei der Pistenpräparierung zu wenig Fachkräfte. Also können Betreiber von Skigebieten unerfahrene Mitarbeiter bei uns schulen, aber auch Profis weiterbilden lassen, beispielsweise in der Präparierung von Weltcup-Abfahrten.“ Weltcup. Anfängerhügel würde mir erst mal reichen. Glatt, nur mit dem klassischen Rillenprofil, dem eines sauber verteilten Fliesenklebers nicht unähnlich.

Kässbohrer Pistenbully Polar 600, Interieur
Achim Hartmann
Den mächtigen Fahrer-Schwingsitz einstellen, die Lenksäule mit dem DTM-Style-Hörnchen-Lenkrad anpassen, Feststellbremse lösen, per Wippe am Lenkrad Vor- oder Rückwärtsgang wählen.

Dazu muss der Bully natürlich: fahren. Und das geht: wirklich einfach. Zündschlüssel in den kleinen Schacht am Ende der Schalttafel einführen, Startknopf drücken, läuft. Den mächtigen Fahrer-Schwingsitz einstellen, die Lenksäule mit dem DTM-Style-Hörnchen-Lenkrad anpassen, Feststellbremse lösen, per Wippe am Lenkrad Vor- oder Rückwärtsgang wählen – und weg. Empfohlene Geschwindigkeit beim Präparieren: zwischen 9 und 14 km/h. Und bald kommt dir jeder einzelne davon zu viel vor, wenn du versuchst, dabei das mächtige Räumschild so über den Schnee zu führen, dass es sich immer in konstanter Tiefe in die Oberfläche gräbt. Dazu musst du nur mit der rechten Hand den in sechs Ebenen beweglichen Joystick nutzen, parallel mit dem Ringfinger einen Knopf betätigen (für die Seitenflügel). Und genau das treibt dich als Anfänger zur Verzweiflung, potenziert deine Achtung vor den Profis auf Gipfelhöhe. Du beschließt bald, ihnen am Morgen eines jeden künftigen Skitags mit rituellen Tänzen zu huldigen.

In nicht weniger als zwölf Richtungen bewegt sich der Schild, leichtes Zucken mit der rechten Hand genügt. Zu viel Schnittwinkel? Schwups, schiebst du vor dir den Mount Everest zusammen, reißt panisch den Schild hoch, stehst prompt mit der Fuhre auf der Kuppe, drohst vorne überzukippen. „Fatal ist es, nichts zu machen“, ermahnte Florian vorhin noch. Kann aber auch fatal sein, das Falsche zu machen. Und ja, zu vorsichtig kannst du auch sein. Furchtlos ordentlich Schnee mitnehmen? Geht schon. Dann sanft verteilen. Geht eher nicht.

Noch nicht. Der Schnee solle dorthin, wo er herkam, lernte ich in der Theorieschulung. Also vom Kurvenrand in die Pistenmitte. „Außerdem muss du jetzt bei guter Schneelage schon den Schnee dorthin verfrachten, wo er im Frühjahr knapp werden könnte“, erklärt der Profi. Also beispielsweise vor und nach Kuppen, weil dort die Skifahrer erst abbremsen, dann darüberfahren, danach den nächsten Schwung setzen. Meine Güte, denke ich, kratere weiter mit 2.375 Newtonmetern über den Hang. Soll jetzt wenden. Ich weiß, was Sie jetzt denken, und Sie haben recht. Einfach einlenken, und das Raupenfahrzeug wendet auf der Stelle. Beansprucht aber extrem das Material. Zum Wenden immer die Hangabtriebskraft nutzen, auch um ökonomisch zu fahren. Bedeutet jetzt also: Rückwärtsgang, gerade anfahren, dann rechts einlenken, bis das Fahrzeug im rechten Winkel zur Falllinie steht, Vorwärtsgang, gerade anfahren, links einlenken – weiter geht’s.

Wende zum Himmel

Dass der Pistenbully irre direkt auf Bewegungen am Lenkrad reagiert? Geschenkt. Kompetenz am Steuer, in eine rote Jacke gegossen. Das ginge ja prima, findet auch Florian, da wäre wohl doch noch was vom Theorielehrgang hängen geblieben. Mir hingegen wäre es lieber, ich würde wenden wie ein Anfänger, dafür aber eine ordentliche Piste hinter mir herziehen, als einen Truppenübungsplatz zu hinterlassen. Nun, beschließt der Ausbilder, könne ich ja einfach Schnee zusammenschieben und den dann ordentlich verteilen. Wenn ich ohnehin schon die gut vier Meter dicke Schneeschicht derart onduliere. Es gelingt nur mäßig. Nein, eigentlich gar nicht. Das Wenden dagegen schon. Immer und immer wieder. Mittendrin: aussteigen, das Massaker ansehen, weitermachen. Übrigens: Wenn ich auf dem Schnee stehe, beträgt der spezifische Bodendruck rund 0,19 kg/cm². Sitze ich in der Pistenraupe, dagegen nur noch 0,068 kg/cm².

„Fräse absenken“, ermahnt Florian über das Funkgerät. Er wollte mich machen lassen, steht draußen, genießt die Sonne. In der Fahrerkabine dagegen: Reizüberflutung, Verwirrung, die sich zusehends in Verzweiflung wandelt. Dann fällt’s mir wieder ein. Fräse absenken. Den untersten Knopf auf dem Joystick drücken. Und lange drücken, um die Fräse zu arretieren. Wegen der Fahrtrichtung bergab. Ist ja nicht so, dass ich überhaupt nichts gelernt hätte.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024

Erscheinungsdatum 08.05.2024

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