Kommentar zur Führerschein-Novellierung der EU
EU verschlimmbessert Führerschein-Regeln

"Worum geht’s eigentlich beim Führerschein?", fragt sich Digital-Chefredakteur Gerd Stegmaier angesichts von weltfremden Gewichtsgrenzen für den Autoführerschein und Vorschlägen, bei jungen Leute Fahrzeuggewicht und Alter in Verbindung zu bringen.

Schlüsselnummer EU-Führerscehin
Foto: Bundesdruckerei

Autos dienen in der Regel der Beförderung von Personen und/oder dem Gütertransport. Anders als der Name suggeriert, fahren Autos nicht selbst, sondern benötigen einen Fahrer, der sie kontrolliert. Außer Kontrolle haben sie ein hohes Schadenspotenzial. Die Energie, die sich im ungünstigen Fall gegen andere Verkehrsteilnehmer richtet, entspricht dem Impuls, also dem Produkt aus Geschwindigkeit und bewegter Masse.

Eine Novellierung soll die Fahrzeugklassen in der EU scheinbar passend dazu "gemäß den grundlegenden Faktoren der Straßenverkehrssicherheit wie Masse und Geschwindigkeit" klassifizieren. Das klingt zunächst nachvollziehbar, siehe vorheriger Absatz.

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Ist hohes Gewicht schwer beherrschbar?

Andererseits lässt die Gleichgewichtung der Einflussfaktoren außer Acht, dass sich Schadenswahrscheinlichkeit gerade bei Fahranfängern vor allem nach möglichen Fahrleistungen und Geschwindigkeiten richtet, während eine höhere Masse bei einem Fahrzeug die Anforderungen an den Fahrer nicht proportional erhöht. Besondere Fähigkeiten hingegen erfordert eher ein Anhänger beispielsweise. Das wirkt jedoch weder in aktuellen Führerscheinregeln vernünftig berücksichtigt, noch in geplanten Änderungen: Wer seinen Führerschein der Klasse B (Pkw) nach 1998 gemacht hat, darf keine Fahrzeuge bewegen, die mehr als 3,5 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht erreichen können – 750 kg der 3,5 Tonnen sind aber für einen Anhänger erlaubt. Es befrage sich jeder selbst, wie gut er mit einem voll besetzten und beladenen E-SUV umgehen kann und wie mit einem, der einen 750 kg schweren Anhänger zieht.

Nun diskutiert die EU eine Novellierung. Der Richtlinien-Entwurf sieht vor, dass Fahrzeuge, die mit alternativen Kraftstoffen betrieben werden (auch Wohnmobile), mit einer zulässigen Gesamtmasse bis 4.250 Kilogramm künftig mit der Klasse B gefahren werden dürfen. Vorausgesetzt, man besitzt die Klasse B bereits seit zwei Jahren.

Fahranfänger haben es schwer

Im EU-Parlament kursieren aber auch Vorschläge, die eine niedrigere Gewichtsgrenze favorisieren. Zum Beispiel von Karima Delli (Fraktion Die Grünen/EFA). Sie ist die Berichterstatterin, die den "Entwurf eines Berichts über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Führerschein" verantwortet. Und sie findet, Fahranfänger sollen mit dem Führerschein der Klasse B künftig nur noch Autos mit einem Gewicht von bis 1.800 Kilogramm fahren dürfen. Erst mit 21 Jahren könnten sie dann in einer zweiten Prüfung den Führerschein der Klasse B Plus erwerben und schwerere Fahrzeuge fahren.

Anhängerführerschein, Sicherheitskampagne
ams

Im Bericht von Karima Delli heißt es, man wolle den derzeitigen Rechtsrahmen so aktualisieren, dass er "nachhaltig, inklusiv, intelligent und resilient ist. Er sollte der Notwendigkeit Rechnung tragen, dass die Emissionen und der Energieverbrauch, die der Verkehr verursacht, verringert werden müssen …".

Niedriges Gewicht ist nicht unbedingt nachhaltig

Das klingt gut, aber die offenbar daraus abgeleiteten Regeln für Führerscheine sprechen dem Hohn. Die 1.800-Kilogramm-Grenze etwa würde Fahranfängern erlauben, einen Ford Fiesta ST mit bis zu 200 PS zu fahren, aber keinen elektrischen VW ID.3.

Sicherheit: Der kleine Ford mit überschaubaren Knautschzonen schafft mehr als 200 km/h, der ID.3 ist bei 160 km/h abgeregelt. Nachhaltigkeit: Der Fiesta stößt (je nach Fahrweise) etwa 200 Gramm CO₂ pro Kilometer aus, ein ID.3 – geladen mit deutschem Netzstrom – etwa 86 Gramm, mit Strom aus einer PV-Anlage null Gramm. Inklusion: Den ID.3 oder ein anderes Auto mit mehr als 1,8 Tonnen Gesamtgewicht finden Fahranfänger vielleicht in der Garage der Eltern. Wenn diese ihnen den in Deutschland gut 3.000 Euro teuren Führerschein bezahlt haben, könnten sie damit ein Jahr begleitet Erfahrung sammeln, um sich danach sicher im Verkehr bewegen zu können.

Inklusiv? Muss auch für Konzepte gelten

Ja, die hohen Unfallquoten junger Fahrer sind bekannt. Dass diese mit dem hohen Gewicht moderner Autos zusammenhängen, lässt sich aus keiner Statistik herauslesen. Dass schwerere Autos per se weniger nachhaltig sind, stimmt, seit es E-Autos gibt, ebenfalls nicht mehr. Sicher, nachhaltig, inklusiv – das sind die richtigen Ziele für den Verkehr. Aber eine 1:1-Umsetzung in Führerschein-Regeln ist am Ende nur gut gedacht. Gut gemacht wären Maßnahmen zur Zielerreichung, wenn sie das Gesamtsystem Verkehr mitbetrachteten. Überspitzt formuliert: Lieber Privatflüge verteuern als Gewichtsgrenzen für Führerschein-Neulinge heruntersetzen!

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Fazit

Dass es nachhaltiger und sicherer ist, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, ist eine Binse. Dass die nicht überall hinfahren, auch. Dafür sind sie billiger. Sprich: Wer aufs Geld schauen muss, fährt nur Auto, wenn er muss. Es ist also wenig zielführend, die Erlangung einer Fahrerlaubnis für die Jüngeren beispielsweise zu erschweren beziehungsweise in der Praxis zu verteuern (s.o.). Die Hürden sind ohnehin schon hoch; für sozial Schwächere sind Führerschein und Automobilität teils prohibitiv teuer. Der Sicherheit ist es dienlicher, Autofahrern möglichst nachhaltig die Fähigkeiten für eine souveräne Fahrzeugkontrolle beizubringen. Die dürften die Wenigsten mit dem bloßen Erwerb des Führerscheins erlangt haben. Das wäre doch ein guter Ausgangspunkt für Verbesserungen der Fahrerlaubnis-Regulatorik.

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AUTO MOTOR UND SPORT 11 / 2024
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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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