Die Empfehlungen des Verkehrsgerichtstags
Fahrverbote vermeiden, mehr Cannabis erlauben

Die Verkehrssicherheitsexperten tagen alljährlich in Goslar. Ihre Empfehlungen werden oft zum Anlass für Veränderungen von Verordnungen und Gesetzen genommen. In diesem Jahr standen in unterschiedlichen Arbeitskreisen die Themen Verkehrsstrafen, Cannabis-Konsum sowie Fahrverbote und die Sicherheit von Radfahrern zur Diskussion. Nun gibt es die Empfehlungen.

Fahrverbot Recht
Foto: Getty Images

Im Herbst 2021 wurde der neue Bußgeldkatalog mit deutlich erhöhten Bußgeldern beschlossen. Vor diesem Hintergrund diskutierten die Experten im Arbeitskreis I, welche Maßnahmen in Zukunft sinnvoll sein können, ohne immer weiter auf härter Strafen zu setzen.

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Fahrverbote sollen vermieden werden

Insbesondere das Fahrverbot beschäftigt Behörden und Gerichte, belastet aber zudem auch die Betroffenen. Um die Rechtsfolgen im Ordnungswidrigkeitenrecht angemessen zu gestalten, empfiehlt der Verkehrsgerichtstag statt Fahrverboten und Geldbußen verkehrspsychologische Maßnahmen als Alternative, um eine Verhaltensänderung zu erreichen. Entsprechend fordern die Experten den Gesetzgeber auf, eine Regelung zu entwerfen, wie von einem Fahrverbot abgesehen werden kann. Dabei sollen auch die berufliche, familiäre und finanzielle Situation berücksichtigt sein. Diese Vorgaben sollen zu einer bundeseinheitlichen Gleichbehandlung führen. Gleichzeitig würde die Justiz entlastet und die Akzeptanz der Maßnahmen erhöht.

Höhere Grenzwerte für Cannabis-Konsum

Im Arbeitskreis II ging es um die Sinnhaftigkeit der juristisch unterschiedlichen Bewertung von Alkohol- und Cannabis-Konsum im Straßenverkehr: Während es bei Alkohol einen Grenzwert von 0,5 Promille gibt, wird jede Fahrt unter der Wirkung von THC mit Geldbuße, Punkten und Fahrverbot sanktioniert. Der Verkehrsgerichtstag empfiehlt: Alkohol- und Cannabis-Konsum im Straßenverkehr müssen im Sinne der Sicherheit grundsätzlich voneinander getrennt werden. "Nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft können für Cannabis weder im Strafrecht noch im Ordnungswidrigkeitenrecht mit Alkohol vergleichbare Grenzwerte festgelegt werden", heißt es. So sei der aktuell angewandte Grenzwert von 1,0 ng THC pro ml Blutserum so niedrig, dass er zwar den Nachweis des Cannabiskonsums ermögliche, aber nicht zwingend einen Rückschluss auf eine verkehrssicherheitsrelevante Wirkung zulasse. Damit würden Betroffene in einem nicht vertretbaren Umfang sanktioniert, da die mögliche geringere Verkehrssicherheit wissenschaftlich nicht begründbar ist. Demnach muss der Gesetzgeber den Grenzwert von 1,0 ng TCH angemessen heraufsetzen.

Radfahren unter Alkohol stärker bestrafen

Dass Radunfälle seit Jahren auf einem konstant hohen Niveau verharren, nahm der Arbeitskreis IV zum Anlass, einen sicheren Zweirad-Verkehr für die Zukunft zu skizzieren. Daraus wurde ein Maßnahmenkatalog abgeleitet, den die Experten nun dem Gesetzgeber und den Bundesländern auf den Weg geben. Neben infrastrukturellen Maßnahmen, verbesserter Sicherheitskommunikation und erhöhtem Personal bei Ordnungsbehörden und Polizei für die Prävention soll der Gesetzgeber das Radfahren unter Alkoholeinfluss stärker sanktionieren und hierfür ein Ordnungswidrigkeiten-Tatbestand einzuführen. Außerdem soll nach der Empfehlung der Experten das Fahrrad in puncto Maße und Gewichte – insbesondere bei Pedelecs, Lastenrädern und Gespannen – begrenzt werden.

Der Arbeitskreis VI befasste sich mit der Frage, ob eine Anpassung der Rechtslage nach Unfällen mit E-Scootern notwendig ist. Diese Frage beantworten die Experten mit der Empfehlung, den § 8 Nr. 1 StVG grundlegend zu reformieren. Der generelle gesetzliche Ausschluss der Gefährdungshaftung für langsam fahrende Kraftfahrzeuge sei angesichts der geänderten Verhältnisse im Straßenverkehr nicht mehr zeitgemäß. Da diese Art der Fahrzeuge, besonders die E-Scooter, in Zukunft noch stärker genutzt werden und der Verkehrsraum enger wird, müssen sie ebenfalls in die Gefährdungshaftung übernommen werden.

Fahreignungsfeststellung: Es bleibt bei der Doppel-Kompetenz

Der Arbeitskreis VII untersuchte, wie die unterschiedliche Bewertung der Fahreignung von Strafgerichten und Fahrerlaubnisbehörden verbessert werden kann. Aktuell können beide Instanzen wegen desselben Sachverhaltes den Führerschein entziehen. Dem Gericht wird indes Vorrang eingeräumt – auch um verschiedene Entscheidungen und Doppelprüfungen zu vermeiden.

Allerdings nimmt das Gericht in seiner Urteilsbegründung eine pauschale Nicht-Fahreignung an. Die Fahrerlaubnisbehörden holen sich Hilfe von sachverständigen Ärzten und Psychologen, um charakterliche, körperliche und/oder geistige Eignungsmängel festzustellen. Der Verkehrsgerichtstag empfiehlt: Das geltende System der Doppelkompetenz der Fahreignungsbeurteilung durch das Strafgericht und die Fahrerlaubnisbehörde sollte beibehalten werden. Sieht das Strafgericht von der Entziehung der Fahrerlaubnis ab, weil es den Angeklagten für fahrgeeignet hält, muss es diese Entscheidung nachvollziehbar begründen. Dadurch wird die Bindungswirkung gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde sichergestellt. Die Fortbildung im Verkehrsverwaltungsrecht bei den Strafgerichten, Strafverfolgungsbehörden und in der Anwaltschaft muss intensiviert werden. Eine entsprechende Spezialisierung innerhalb der Strafgerichte ist wünschenswert. Beschuldigte sollen in jedem Stadium des Verfahrens möglichst frühzeitig – insbesondere durch qualifizierte Merkblätter – über weitere mögliche fahrerlaubnisbezogene Maßnahmen informiert werden.

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Fazit

Die Experten des Verkehrsgerichtstages haben mit ihren Empfehlungen großen Einfluss auf die Ausgestaltung künftiger Verkehrsrichtlinien – seien es Bußgeldkatalog, Verordnungen oder Gesetze. Nun haben sie dem Gesetzgeber klare Empfehlungen gegeben. So sollen Fahrverbote vermieden werden, Cannabis-Konsum einen deutlich höheren Grenzwert erhalten, Radfahren unter Alkoholkonsum stärker sanktioniert werden und Fahrräder bei der Masse und dem Gewicht begrenzt sein.

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