Pro und Contra
Motorrad-Wiedereinstieg als Grad-Wanderung

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Motorradfahren ist durch eine neue EU-Führerscheinregelung vor allem für Spät-Einsteiger attraktiver geworden. Aber soll man das als Autofahrer wirklich wagen? Thomas Fischer, begeisterter Motorrad-Neuling, und Sebastian Renz als Ex-Motorradfahrer, der heute nicht mehr biken will, diskutieren.

Motorrad, Ausweichtest
Foto: Rossen Gargolov

Och, diese Romantik: Sacht knistert der Motor ab, da hinten duckt sich die Sonne zum Ende dieses heißen Sommertages tief in den Westen, während die Sozia, die sich vorher so fordernd an deine Taille klammerte, ihren Helm abnimmt, das lange, blonde Haar ausschüttelt, einen entschlossenen Schritt auf dich zumacht und dir sagt, dass du stinkst. Du könntest jetzt entgegnen, dass dies auf sie ebenso zutrifft – wie könnte es anders sein, wenn man einen Tag lang bei 30 Grad im Schatten in einer Lederkombi saftet?

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Sebastian Renz will nicht mehr Biken

Von 1996 bis 2001 bin ich täglich Motorrad und Roller gefahren, weil es – unter Aufbringung aller Schönrechnerei – günstiger war als das Ticket für die Straßenbahn. In den fünf Jahren war es eigentlich immer zu kalt zum Motorradfahren – oder zu heiß, oder es regnete. An den fünf perfekten Motorradtagen, die es gab, hatte ich anderes zu tun, arbeiten etwa.

Wenn also Motorradfahren schon immer dein großer Traum war, Thomas, dann lass dir von einem sagen, der genug gefahren ist, um es zu wissen: träum weiter. Bei keinem anderen Fahrzeug liegen die Vorstellung des Vergnügens und die Realität so weit auseinander. Nein, es gibt sie nicht, diese sacht hügeligen, wild verschlungenen, einsamen Landstraßen. Auf denen kurven schon die anderen Kradler herum, die meinen, ein am Knie wundgescheuerter Overall mit der Rückenaufschrift „Motorradfahrer töten nicht, sie werden getötet“ zeuge von Unfehlbarkeit.

Motorräder sind nicht lustig, sondern gefährlich. Ich kann von meinem Bruder erzählen, der Notarzt ist und Biker wochenends auf der Schwäbischen Alb zusammenflickt oder nur noch zusammensammelt. Es gibt Kollegen, die sich jedesmal sehr bewusst von ihrer Familie verabschieden, bevor sie sich auf ihre Maschine schwingen. Es gibt die Physik, die berechnet, dass ein Aufprall mit einem Krad bei 50 km/h einem Sprung aus zehn Meter Höhe entspricht.

Dass nun gerade die Mittfünfziger aufs Motorrad losgelassen werden, ist absurd. Ein paar Fahrstunden genügen, und ihr dürft euch mit 48 PS den Berg hochschmeißen. Ihr habt eure wilden Jahre überlebt, lasst es gut sein. Ihr müsst fit sein fürs Kradeln, es richtig lernen. Ich habe es richtig gelernt, würde mich nun aber nach der langen Pause nicht mehr auf ein Krad setzen. Wer übrigens glaubt, drei Jahrzehnte Autofahren schule dafür schon genug, irrt sich. Denn, Thomas, bist du je von einem Auto gefallen?

Thomas Fischer genießt die neue Freiheit

Was ist mir da 37 Jahre lang durch die Lappen gegangen, nur weil ich nicht den richtigen Lappen hatte: hautnah gespürte Fahrdynamik, ungefilterter Motorsound, Wind und Wetter mit jeder Körperfaser erlebt. Ich fahre erst seit drei Monaten Motorrad, aber schon jetzt will ich es nicht mehr missen. Und ich bedauere, dass ich mich nicht schon eher durchgerungen habe, den Motorradführerschein zu machen. Mit 18, als ich den Autoführerschein anging, verboten meine Eltern, den für Bikes gleich mit zu absolvieren. Zu gefährlich, hieß es damals.

Zu gefährlich, höre ich auch heute oft von Leuten, die nicht verstehen, warum sich einer mit 55 nochmal in die Fahrschule begibt, um anschließend womöglich in der Leitplanke zu landen. Daran verschwende ich keinen Gedanken. Ich habe als Fußgänger Istanbul, Paris und Peking überlebt, als 17-Jähriger eine 2.000-Kilometer-Fahrradtour von Stuttgart an die Côte dAzur und retour heil überstanden und nahezu vier Jahrzehnte hinter dem Autolenkrad ohne Blessuren hinter mich gebracht. Warum sollte ich mich vor den Gefahren des Motorradfahrens fürchten?

Sicher, ich bin mir des Risikos bewusst, aber ich bewege mich mit meinem Bike umsichtig und habe Respekt vor der Fahrphysik – alles andere liegt ohnehin nicht in meiner Hand. Bei keinem Verkehrsmittel. Und so erfreue ich mich an der verführerischen Linie meiner frisch erworbenen Moto Guzzi V7, am bollernden Klang ihres V2-Motors, am fetten Drehmoment und an den good vibrations, die mich im Sattel begleiten. Als Teenager schon habe ich vom Motorradfahren geträumt, nun ist der Jugendtraum wahr geworden.

Endlich kann ich allein oder in Begleitung unseres Sohns auf seiner Honda CB 500 über die schönsten Strecken rund um Stuttgart kurven, Schwarzwald und Schwäbische Alb neu erleben. Nicht wie im Auto abgeschottet von der Außenwelt, kaum noch wahrnehmend, wie sich Geschwindigkeit anfühlt. Auf meiner unverkleideten Moto Guzzi ist wegen des heftig an Kopf und Körper zerrenden Fahrtwinds bereits Tempo 100 ein Naturereignis. Und wenn ich kurz am Gasgriff drehe, zieht mir die Beschleunigung die Arme lang, obwohl der Motor nur 48 PS hat. Mir geht es nicht ums Tempobolzen oder spektakuläre Schräglagen, sondern um Sinnlichkeit. Die kann ich sogar im Stand erleben: Es ist so schön, dem Knistern zu lauschen, wenn die abgestellte Maschine nach einer heißen Tour ganz langsam abkühlt.