Volkswagen-Strategie mit SSP-Baukasten
Eine Plattform, eine Software, eine Batteriezelle

Am 13. Juli 2021 hat der Volkswagen-Konzern seine Unternehmensstrategie bis zum Jahr 2030 vorgestellt. Konzern-Chef Herbert Diess, dessen Vertrag das Unternehmen gerade bis 2025 verlängert hat, zeichnete den großen Bogen bis zu autonom fahrenden Autos und wie die Technik dafür aussehen soll.

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Foto: VW

Im Vergleich zu 2018 plant der Konzern, gemäß dem Pariser Abkommen, seinen CO2-Fußabdruck pro Auto über den gesamten Lebenszyklus bis 2030 um 30 Prozent zu reduzieren. Im selben Zeitraum wird erwartet, dass der Anteil der Verkäufe von Elektrofahrzeugen auf rund 50 Prozent steigen wird. Bis 2040 sollen nahezu 100 Prozent der Neuwagen (in den Hauptmärkten) emissionsfrei sein. Spätestens 2050 will VW vollständig klimaneutral sein. VW rechnet damit, dass sich Umsatz- und Profit zunächst von Autos mit Verbrennungsmotor (ICEs) hin zu batterieelektrischen Fahrzeugen (BEVs) und später stärker in Richtung Software und Dienstleistungen verschieben.

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VW glaubt, dass der Verbrenner-Markt in den nächsten zehn Jahren um über 20 Prozent zurückgehen wird, während der Absatz von Elektrofahrzeugen schnell wachsen und Verbrennerfahrzeuge als führende Technologie überholen wird. Die größte Entwicklungschance sieht der Konzern im Umsatz mit Software, hier sollen bis 2030 auf 1,2 Billionen Euro erreicht werden – zusätzlich zum erwarteten Geschäft mit BEVs und ICEs. Das wäre rund ein Drittel des gesamten Mobilitätsmarktes.

SSP: Der neue Super-Baukasten für alle

Technisch setzt Volkswagen massiv auf Vereinheitlichung: Zunächst soll aus der Vielzahl der Architekturen, die VW bislang als Baukästen bezeichnet hat, nur mehr eine werden, die bei allen Marken zum Einsatz kommt. Die Pkw-Marken fasst VW zu drei Gruppen zusammen: Volumen (VW, Seat, Skoda), Premium (Audi, Bentley, Lamborghini, Ducati) und Sport (Porsche, Rimac-Bugatti).

Die neue Architektur nennt der Konzern SSP (Scalable Systems Platform) und VW bezeichnet sie als Mechatronics-Plattform der nächsten Generation. Modelle aller Marken und Segmente können zukünftig auf der SSP gebaut werden – über die Laufzeit sind das mehr als 40 Millionen Konzernfahrzeuge. Zum Vergleich: Bislang baute VW Verbrenner auf Basis von drei Baukästen: MQB (Volumen-Segment), MLB (Audi ab A4) und MSB (für sportlichere Fahrzeuge), 80 Prozent der mehr als 10 Millionen Autos Jahresproduktion standen zuletzt auf dem MQB.

Die Verbrenner-Baukästen löst VW gerade ab – mit den Elektroauto-Architekturen MEB (Modularer Elektrobaukasten für Segmente ähnlich derer des MQB) und PPE (Premium Plattform Electric für Segmente ähnlich wie MLB und MSB). Die SSP wiederum wird perspektivische beide E-Architekturen ersetzen.

Differenzierung durch Plattformgrößen und Module

Die SSP ist laut VW auch der Schlüssel für das autonome Fahren. Angst vor dem Einheitsauto muss man laut dem Vielmarken-Konzern nicht haben. "Durch die Kombination verschiedener Module mit unterschiedlichen Plattformgrößen haben die Marken des Konzerns weiterhin eine Vielzahl an Möglichkeiten, sich voneinander zu differenzieren", so VW.

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Das erste Serienauto mit SSP wird das aus dem Projekt Artemis (Audi Landjet) - so hat VW ihn bei der Präsentation visualisiert.

Die SSP wird 2025 erstmals zum Einsatz kommen und unter dem ersten Serienauto aus dem Leuchtturmprojekt Artemis (Audi Landjet, 2025) stecken, 2026 wird sie dem Volumenmodell Trinity, einem VW mit weitreichenden autonom-Fähigkeiten im Segment um die 35.000 Euro, als Basis dienen. Dem folgt dann mit Apollon eine weitere Premium-Plattform.

Eine Software für alle

Die Bezeichnung Mechatronics zollt der zunehmenden Bedeutung der Elektronik im Auto Tribut. Die Software für die Elektronik in allen Fahrzeugen des Konzerns kommt künftig von der unternehmenseigenen Programmier-Schmiede Cariad (vormals software.org), die ein Betriebssystem (VW.OS) für alle Konzernfahrzeuge entwickeln soll. Die Software-Architektur dafür heißt E3 2.0 und wird frühestens ab 2025 zur Verfügung stehen. Die Vorgänger-Version E3 1.2 debütiert 2023 und wird zu weiten Teilen auf dem von Google entwickelten Betriebssystem Android Automotive basieren.

"Dieser einheitliche Software-Stack wird für den Volkswagen Konzern und seine Marken die eigene technische Grundlage für datenbasierte Geschäftsmodelle, neue Mobilitätsdienste und autonomes Fahren (Level 4) werden", so VW. Bis 2030 will der Konzern weltweit bis zu 40 Millionen seiner Fahrzeuge auf Basis der neuen Software-Stacks auf die Straße bringen und damit über den größten Bestand an Echtzeitdaten in der gesamten Branche verfügen.

Die Sofware-Architektur von Cariad umfasst ein skalierbares Betriebssystem (VW.OS) sowie eine Cloudanbindung (VW.AC). Bis 2025 will VW den Anteil selbstentwickelter Software im Fahrzeug von aktuell 10 Prozent auf 60 Prozent steigern. Strategische Unternehmensbeteiligungen sowie Partnerschaften sollen den Rest abdecken.

Autonomes Fahren und Services als künftiges Geschäft

Die neue Software soll nicht nur Over-the-air-Updates und das Zubuchen von Funktionen auch nach dem Kauf zum Alltag machen, sondern auch das autonome Fahren nach Level 4. Auch das soll sich dann zeitlich befristet hinzubuchen lassen – für beispielsweise 7 Euro die Stunde. Dirk Hilgenberg, CEO von Cariad glaubt, dass Software fürs autonome Fahren bis 2030 eine bedeutende Einnahmequelle für den Konzern werden wird. Die neue einheitliche 2.0 Plattform soll den Weg "für ein ganz neues digitales Ökosystem und damit auch für neue datenbasierte Geschäftsmodelle" ebnen. Dabei helfen soll die Auswertung eines umfangreichen Pools an Echtzeitdaten der voll vernetzten, autonomen Fahrzeuge. Bis 2030 sollen bis zu 40 Millionen Fahrzeuge über alle Konzernmarken hinweg auf den Software-Plattformen des Konzerns basieren.

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Viel verspricht sich VW von seiner eigenen Software.

Batterien weiter Schlüssel-Technologie

VW sieht eigene Batterietechnologie, Ladeinfrastruktur und Energiedienstleistungen als zentral für die Zukunft. Darum will der Konzern mit neuen Partnerschaften eine selbst kontrollierte Batterielieferkette inklusive aller Teilbereiche von den Rohstoffen bis zum Recycling aufbauen. Das Ziel ist ein geschlossener Kreislauf in der Wertschöpfungskette als nachhaltigster und kostengünstigster Weg zur Herstellung von Batterien.

Helfen solle eine Einheitszelle, für die VW ein Kostensenkungspotenzial von bis zu 50 Prozent sieht, weil sie bis zu 80 Prozent aller Anwendungsfälle im Konzern bis 2030 abdeckt. Sechs Giga-Fabriken in Europa mit einer Gesamtkapazität von 240 Gigawattstunden bis 2030 sollen die Batterieversorgung sichern. Den ersten Standort in Skellefteå, Schweden, wird Northvolt AB betreiben. Der VW-Konzern hat gerade weitere 500 Millionen Euro in diesen Zellpartner investiert und arbeitet mit Northvolt auf einen Produktionsstart im Jahr 2023 hin. Für den zweiten Standort in Salzgitter hat der Konzern Mitte Juli 2021 einen Vertrag mit dem chinesischen Zellspezialisten Gotion High-Tech als Technologiepartner für einen Produktionsstart im Jahr 2025 unterzeichnet. Mit Gotion will VW das Volumensegment der Einheitszelle in dem deutschen Werk entwickeln und industrialisieren. Spanien will VW zu einem Elektrostandort machen – mit der gesamten Wertschöpfungskette von Elektroautos.

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VW
2030 will VW mit E-Autos genauso viel verdienen wie mit Verbrennern.

Spanien wird Elektro-Standort, eigene Ladeinfrastruktur wie Tesla

Aktuell prüft der Konzern derzeit den Aufbau einer Giga-Fabrik gemeinsam mit einem strategischen Partner. In der letzten Ausbaustufe, zum Ende des Jahrzehnts, könnte das Werk über eine Jahreskapazität von 40 Gigawattstunden verfügen. Zudem ist vorgesehen, die sogenannte "Small BEV Family" des Konzerns ab 2025 ebenfalls in Spanien zu produzieren. Die endgültige Entscheidung hänge aber von den allgemeinen Rahmenbedingungen und der staatlichen Förderung ab. Darüber hinaus will VW ein komplettes Energie-Ökosystem rund ums Auto und die Ladeinfrastruktur aufbauen, das den Kunden komfortables Laden ermöglicht und VW neue Erlösquellen erschließen soll.

Aber auch öffentliche Ladeinfrastruktur in Asien, Europa und Amerika will VW weiter ausbauen, auf Basis bestehender Initiativen wie CAMS in China oder Electrify America in den USA. Insgesamt will der Konzern 18.000 HPC-Ladepunkte in Europa, 17.000 in China und 10.000 in den USA und Kanada aufbauen. Thomas Schmall, CEO Volkswagen Group Components, sagte: Eine von VW kontrollierte Batterie-Lieferkette erlaube die Hoheit über den größten Kostenblock und die besten und nachhaltigsten Batterien anzubieten. E-Autos sollen sogar zu mobilen Power Banks werden, die durch bidirektionales Laden vollständig in das Energienetz integriert werden können. Für VW verspreche das bis 2030 zusätzliche Erlöse im Energiemarkt.

Autonomes Fahren schon 2030

Bis 2030 will der Volkswagen Konzern auch Systemfähigkeiten für autonome Shuttle-Flotten aufbauen, einige davon selbst besitzen und damit stärker als Mobilitätsdienstleister in vier Geschäftsbereichen auftreten: Selbstfahrende Systeme anbieten, sie ins Fahrzeug integrieren, Flottenmanagement und eine Mobilitätsplattform anbieten. Mit Argo AI entwickle Cariad parallel Fähigkeiten zum autonomen Fahren nach Level 4. Damit könnte VW das größte neuronale Netzwerk von Fahrzeugen auf den Straßen weltweit schaffen.

Schon 2025 plant der Volkswagen Konzern, seinen ersten autonomen Mobilitätsdienst in Europa anzubieten, kurz darauf in den USA. Die hieraus erwarteten Gewinne seien sehr vielversprechend: Bis 2030 soll der Gesamtmarkt für Mobilität als Dienstleistung allein in den fünf größten europäischen Märkten 70 Mrd. US-Dollar betragen. Christian Senger, CTO von Volkswagen Nutzfahrzeuge, sagt: "Bis zum Ende des Jahrzehnts wird das autonome Fahren die Welt der Mobilität vollständig verändern. Gemeinsam mit ARGO AI entwickeln wir ein in der Branche führendes selbstfahrendes System, mit dem wir völlig neue Mobilitätsdienstleistungen und autonome Transportdienste anbieten können. Der Volkswagen Konzern strebt an, einen starken Wettbewerbsvorteil im Bereich der Mobilitätslösungen zu erreichen".

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Fazit

Soll keiner sagen, VW sähe die Transformation nach der Wende zum E-Antrieb schon als abgeschlossen an. Die dafür so wichtige Wertschöpfungskette bei den Batterien knöpft sich VW gerade vor und zieht sie Stück für Stück in den Konzern.

Und die Themen Software, Elektronik, darauf basierende Dienstleistungen wie Mobilitätsservices bis hin zum autonomen Fahren, gehen die Wolfsburger dem Anschein nach mit derselben Verve an, wie den Wechsel vom Diesel zum E-Auto. Und trotz aller Gewinnorientierung bleibt der Fokus auch auf Nachhaltigkeit und CO2-Neutralität.

Stolpersteine auf dem Weg dahin gibt es genug und nicht alles muss so kommen, wie es sich die Wolfsburger grad wünschen. Aber festes Schuhwerk hat der Konzern auf jeden Fall angelegt.