Strategie-Krimi in Suzuka
Neue Taktik-Optionen nach Rennabbruch

Ferrari hat in Suzuka seine Taktik gesplittet. Beides hat funktioniert. Für Charles Leclerc war ein Stopp die bessere Option, für Carlos Sainz zwei. Mercedes hielt sich die Chance auf ein Einstopp-Rennen lange offen, kam aber davon ab.

Carlos Sainz - GP Japan 2024
Foto: Wilhelm

Suzuka zählt zu den härtesten Strecken für die Reifen. Trotzdem ist ein Einstopp-Rennen möglich. Das Problem ist nicht der Verschleiß, sondern thermische Überlastung und damit Gripverlust. Im letzten Jahr schwamm George Russell mit einem Stopp gegen den Trend, wurde aber im Finale von den Zweistoppern aufgefressen.

Diesmal probierte es Ferrari mit Charles Leclerc. Mit größerem Erfolg. Leclerc gewann mit dieser Taktik vier Positionen. "Die unterschiedlichen Strategien haben für beide Autos gut funktioniert", lobte Teamchef Frédéric Vasseur. Der achte Startplatz diktierte Leclerc quasi einen alternativen Ansatz. Er brauchte so viel freie Fahrt wie möglich, um nach vorne zu kommen.

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Charles Leclerc - GP Japan 2024
xpb

Leclerc kam ohne Duelle an den direkten Gegnern vorbei.

Leclerc überholt nur ein Auto

Tatsächlich musste Leclerc nur ein Auto überholen, um von Platz acht auf Rang vier zu kommen. Teamkollege Carlos Sainz kämpfte sich auf seinem Weg zum Podest mit zwei Stopps an fünf Autos vorbei. Der Spanier hatte immer wieder die Spät-Stopper vor der Nase. Leclerc dagegen fand mit seiner Taktik ab der 16. Runde eine freie Strecke vor.

Als er zehn Runden später als Zweiter an die Boxen kam, hatte er so viel Zeit gutgemacht, dass er nur noch auf den sechsten Platz zurückfiel. Oscar Piastri und Fernando Alonso räumte der zweite Boxenstopp aus dem Weg. Dass Leclerc mit Medium-Reifen 26 Runden weit kam und bis zum Schluss des Stints immer noch mit 1.37er-Rundenzeiten unterwegs war, zeigt, um wie viel besser der Ferrari mit den Reifen umgeht als im letzten Jahr.

Mercedes hat mit den harten Reifen nicht geschafft, was für Leclerc möglich war. Auch das ist ein Beweis für den Qualitätsunterschied der beiden Autos. Ursprünglich wollte Mercedes mit der klassischen Zweistopp-Strategie fahren. Doch die rote Flagge nach der ersten Runde änderte das Bild.

Carlos Sainz - Formel 1 - GP Japan 2024
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Bei Ferrari funktionierten der Einstopper und der Zweistopper.

Strategiewechsel nach Abbruch

Mercedes war zum Start mit Medium-Reifen angetreten. Mit zwei harten Garnituren in der Hinterhand hätten George Russell und Lewis Hamilton ab der zweiten Runde ein Einstopp-Rennen fahren können. "Den Medium-Startreifen haben wir uns für den Fall aufgehoben, dass wir mit einem Reifenwechsel nicht über die Runden kommen. In unserer Position konnten wir pokern. Von hinten hatten wir nichts zu befürchten", erklärten die Strategen.

15 Runden lang sah das ganz vielversprechend aus. Das Mercedes-Duo lag nur 3,5 Sekunden hinter Leclerc. Doch sobald der Ferrari-Pilot Gas geben konnte, vergrößerte sich das Delta auf 11,3 Sekunden. Damit war das Experiment mit einem Stopp praktisch schon gestorben.

Der Mercedes-Kommandostand hätte seine Fahrer schon früher zum ersten Stopp geholt, doch der Abstand zum Mittelfeld verhinderte das Vorhaben. "Wir hatten zu viel Verkehr in unserem Boxenstoppfenster. Da lagen sechs Autos in einer Gruppe", bedauerte Chefingenieur Andrew Shovlin. Seine Strategen hatten ausgerechnet, dass Russell in die Mitte dieses Pulks gefallen wäre, Hamilton ans Ende.

George Russell - Formel 1 - GP Japan 2024
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Mercedes musste den Versuch des Einstoppers abbrechen.

Alonso führt DRS-Zug an

Bei Halbzeit des Rennens betrug Russells Abstand zu Fernando Alonso 15 und zu Oscar Piastri neun Sekunden. "Hätten wir die Einstopp-Taktik durchgezogen, mussten wir fürchten, dass uns Alonso und Piastri am Ende einholen. Deshalb haben wir den Spieß umgedreht und versucht sie mit einem möglichst großen Reifendelta von hinten aufzurollen. Mit dem Medium hatten wir hinten raus einen Joker gegen sie", erklären die Techniker.

Für Piastri hat es bei Russell noch gereicht, für Alonso nicht mehr. Der alte Fuchs erteilte seinen Verfolgern erneut eine Lektion, wie man sich verteidigt, wenn die Hinterleute schneller sind. Auf die Frage, ob er wieder absichtlich vom Gas gegangen sei, antwortete der Routinier mit einem Grinsen: "Dazu sage ich lieber nicht. Sonst gibt es wieder eine Strafe."

Alonso lockte Piastri freiwillig in den DRS-Bereich, um sich gegen Russell zu schützen. Auf der Geraden war er sicher vor Piastri, obwohl der McLaren den DRS-Vorteil hatte. Der Schlüssel zum Überholen lag nicht im Topspeed sondern in der Traktion aus der Schikane raus. Da war der Aston Martin dem McLaren überlegen.

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