24h-Rennen Nürburgring 2022 - Analyse
Überlebenskampf und Taktikspielchen

In unserer Rennanalyse zum 24h-Rennen Nürburgring klären wir die offenen Fragen des Rennens. Was war mit Porsche und BMW los? Was war der Schlüssel zum Sieg? Und wer trug die Schuld am Unfall Vanthoor vs. Vanthoor?

Audi R8 LMS GT3 Evo2 - Startnummer #15 - 24h-Rennen - Nürburgring - 29. Mai 2022
Foto: Stefan Baldauf / Guido ten Brink

Zum ersten Mal seit 2019 durften wieder Fans rund um die Strecke beim 24h-Rennen Nürburgring campen. Und die wurden nicht enttäuscht. Denn der Eifel-Klassiker schrieb einmal mehr verrückte Geschichten. Wir lassen die entscheidenden Momente noch einmal Revue passieren und erklären die Hintergründe.

Wer war Schuld am Unfall Vanthoor vs. Vanthoor?

Es war wohl die Szene des Rennens. Der Titelverteidiger von Manthey mit der #1 mit Laurens Vanthoor am Steuer des Porsche 911 GT3 R traf auf der Strecke auf seinen Bruder Dries Vanthoor im #15 Phoenix-Audi R8 LMS. Die beiden kämpften die ganze Zeit um Plätze in den Top 5, fielen kurz nach ihrem Boxenstopp in Runde 21 aber etwas zurück.

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Auf der Döttinger Höhe lieferten sie sich in Runde 23 dreieinhalb Stunden nach dem Start schließlich ein Hochgeschwindigkeits-Duell Seite an Seite. Kurz vor der Hohenrain-Schikane kam es zum Showdown, bei dem niemand der beiden nachgeben wollte.

Dann passierte das, was nicht passieren sollte. Laurens berührte im "Grello"-Porsche die Seite des Audis und flog spektakulär in die Leitplanken, prallte ab und kreiselte weiter. Dabei mussten sich sogar die Sportwarte noch in Sicherheit bringen.

Porsche 911 GT3 R - Startnummer #1 - 24h Rennen - Nürburgring - 28. Mai 2022
Stefan Baldauf / Guido ten Brink
Der Manthey-Porsche war nach dem Unfall extrem beschädigt.

Während Dries Vanthoor mit der #15 unbeschadet weiterfahren konnte, war der Manthey-Porsche Kernschrott. Laurens Vanthoor kam anschließend zum Check ins Medical Center. Später tauchte er auch im Fahrerlager wieder auf und nahm die Schuld komplett auf sich.

"Es ist schwierig, das in Worte zu fassen", meinte der Porsche-Pilot anschließend. "Ich sage es ehrlich: Es ist der dümmste Moment, an den ich mich erinnern kann, Wir lieben uns über alles, fahren Rennen, seit wir klein sind. Ich wusste, dass es mein Bruder ist. Sonst hätte ich schon längst zurückgezogen. Es hat einfach etwas Überhand genommen und war eine Dummheit von meiner Seite. Sowas darf nicht passieren."

Damit zerstörte Vanthoor nicht nur seine eigenen Sieg-Ambitionen, sondern auch die der ganzen Manthey-Mannschaft. Denn Kévin Estre legte eine sensationelle Aufholjagd zu Beginn hin, nachdem man wegen einer Strafe vom vorletzten Platz der Startgruppe von 35 losfahren musste und zwischenzeitlich sogar in Führung lag.

War die Balance of Performance ausgeglichen?

Es ist vor dem 24h-Rennen Nürburgring immer eines der am meisten diskutierten Themen: die Balance of Performance, die für Ausgeglichenheit zwischen den verschiedenen Fahrzeugkonzepten sorgen soll. Die meisten erwarteten BMW in der Favoritenrolle, weil die Bayern mit dem BMW M4 GT3 die Vorbereitungsphase dominierten und viele Siege einsammelten.

Am 24h-Rennwochenende selbst gab es noch einmal zwei Anpassungen, um alle Hersteller ins Gleichgewicht zu bringen, die letzte nach dem Top-Qualifying vor dem Rennstart am Samstagmorgen. Im Rennen zeigte sich schließlich ein recht ausgeglichenes Bild zwischen Mercedes und Audi, die eine ähnliche Pace im Rennen gehen konnten und alle Chancen auf den Rennsieg hatten. Porsche und BMW sind allerdings schwierig zu beurteilen, weil sie so früh so viele Autos verloren haben.

Aston Martin Vantage AMR GT3 - Startnummer #90 - 24h-Rennen Nürburgring 2022 - Nordschleife - Freitag - 27.5.2022
Stefan Baldauf / Guido ten Brink
Aston Martin trumpfte mit TF Sport auf.

Lediglich Aston Martin stach etwas heraus. Denn die Briten marschierten am frühen Abend ordentlich durchs Feld und drückten dem Geschehen den Stempel auf. Trotz eines Drehers lag man teilweise über 30 Sekunden vor dem Zweitplatzierten. Ein Ausrutscher auf einer Ölspur beendete das Rennen für die Startnummer #90 mit Nicki Thiim am Steuer gegen 23 Uhr.

Was hat den Sieg entschieden?

Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen von den Morgenstunden bis zum Ende des Rennens zwischen dem #15 Phoenix-Audi und dem #3 GetSpeed-Mercedes. Adam Christodoulou, Fabian Schiller und Maxi Götz holten mit Siebenmeilenstiefeln auf das Audi-Quartett Robin Frijns, Dries Vanthoor, Kelvin van der Linde und Frederic Vervisch auf. Von 54 Sekunden Rückstand um 9 Uhr schrumpfte der Rückstand zwischenzeitlich auf wenige Zehntelsekunden am Mittag.

Der Schlüsselmoment in diesem Rennen war schließlich der Boxenstopp in Runde 141 als noch 2 Stunden und 37 Minuten zu fahren waren. Während der Mercedes eine Runde vorher bei einsetzendem Regen in manchen Streckenabschnitten weiterhin auf Slicks setzte, wechselte man bei der Eifler Phoenix-Mannschaft auf geschnittene Slicks.

Mercedes-AMG GT3 - Startnummer #3 -24h-Rennen - Nürburgring - 29. Mai 2022
Stefan Baldauf / Guido ten Brink
Der GetSpeed-Mercedes #3 kam auf Rang zwei ins Ziel.

Und das zahlte sich aus. Denn Kelvin van der Linde vergrößerte den Vorsprung auf Maxi Götz kontinuierlich auf über insgesamt 1.12 Minuten in seinem Stint. Götz hatte teilweise große Mühe, den AMG auf der Strecke zu halten, bei van der Linde bauten die geschnittenen Slicks auch über die Distanz nicht ab.

Erst beim nächsten Service vertraute man auch bei GetSpeed auf die geschnittene Variante. "Wir hatten teilweise die richtigen Reifen drauf, dann wieder teilweise die falschen – je nach Streckenabschnitt", meinte Götz. "Du musst damit umgehen und es überstehen. Es waren mit die schwierigsten Runden auf der Nordschleife, die ich je hatte. Ich habe mich nur darauf konzentriert, meinen Rhythmus zu finden und keinen Fehler zu machen."

Am Ende zog man aber den Kürzeren und kam mit 23,276 Sekunden Rückstand hinter dem #15 Phoenix-Audi ins Ziel. Darin ist bereits die 32-Sekunden-Strafe berücksichtigt, die Phoenix wegen des Anlassen des Motors während des Tankvorgangs beim letzten Stopp nachträglich aufgebrummt bekam.

Was war mit BMW und Porsche los?

Keiner der BMW M4 GT3 im Ziel – und das zum 50. Geburtstag der BMW M GmbH. Es war ein Fiasko. Ähnliche Dramen erlebte Porsche. Der beste Elfer aus Weissach landete nur auf Rang 9. Und das während Mercedes und Audi fast alle Autos in den Top-Ten stellten.

Bei beiden Herstellern ging es in diesem Rennen ums nackte Überleben. Für den Titelverteidiger #1 von Manthey ging es mit dem vorletzten Startplatz in der Startgruppe schon unglücklich los. Die Kirsche auf der Torte war das Bruder-Duell, bei dem Laurens Vanthoor den Elfer verabschiedet hat.

Der ebenfalls aussichtsreich liegende #27 Toksport-WRT-Porsche fiel nach der Kollision mit dem #99 Rowe-BMW in der NGK-Schikane aus. Auch die beiden Dinamic-Porsche #28 und #29 wurden Opfer von Unfällen. Gleiches gilt für den #44 Falken-Porsche, der von Nico Müller im #22 Car Collection-Audi auf die Hörner genommen wurde. Die Ausfallserie wurde eine Stunde vor Schluss noch von Dennis Olsen im KCMG-Porsche komplettiert, der im Galgenkopf auf Platz neun liegend das Auto verlor.

BMW M4 GT3 - Startnummer #20 - 24h-Rennen - Nürburgring - 29. Mai 2022
Stefan Baldauf / Guido ten Brink
Der Schubert-BMW #20 fiel als letzte Hoffnung aus.

Bei BMW war es eine Mischung aus technischen Gebrechen und Unfällen. Die zu Beginn in den Top 3 kämpfende #99 von Rowe Racing fiel in Folge des Treffers mit dem #27 Toksport-Porsche aus. Das Schwesterauto #98 erwischte es in Runde 48 um 23.17 Uhr am Bergwerk mit einem Aufhängungsschaden vorne rechts.

Die #100 von Walkenhorst hatte ein Problem mit der Servolenkung, die #101 verunfallte mit Andy Soucek am Steuer. Gleiches Schicksal traf die BMW-Junioren in der Nacht, nachdem man nach einem Unfall in der Anfangsphase wieder auf dem Vormarsch war. Blieb nur noch die Speerspitze von Schubert Motorsport im 50-Jahres-Design.

Doch die kam auf Podiumskurs 30 Minuten vor Schluss mit Jesse Krohn am Steuer rauchend an die Box. "Wir vermuten, dass etwas mit der Kühlung nicht in Ordnung ist", sagte Torsten Schubert. Damit bestätigten sich teilweise auch die Zuverlässigkeitsprobleme rund um den neuen BMW M4 GT3, die schon im Vorfeld Kopfzerbrechen machten.

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AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024
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Erscheinungsdatum 25.04.2024

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