Audi-Vorstände im Interview
„Wir haben Spaß mit Heckantriebsfahrzeugen“

Im Doppelinterview sprechen Audi-Chef Markus Duesmann und Entwicklungsvorstand Oliver Hoffmann, über E-Antrieb und E-Fuels, Formel 1, Software und neue Modelle mit Hinterradantrieb.

Audi-Vorstände Markus Duesmann und Oliver Hoffmann
Foto: Daniel Wollstein
Herr Duesmann, gibt es Themengebiete Ihres Entwicklungsvorstandes Hoffmann, aus denen Sie sich komplett heraushalten?

Hoffmann: Da bin ich jetzt auch gespannt auf die Antwort (lacht).

Duesmann: Es gibt Themen, bei denen wir regelmäßig zusammenarbeiten. Und es gibt welche, bei denen ich volles Vertrauen habe, dass unser Team das top macht. Wir tauschen uns immer wieder aus in Sachen Fahrverhalten, Applikationen, Qualität, Infotainment. Bei vielen anderen Dingen habe ich manchmal das Gefühl, es funktioniert besser, wenn ich mich nicht einmische (lacht). Aber ich habe eine Leidenschaft, wenn es darum geht, dass der Charakter des Autos ausgeprägt wird. Und da spielen wir zwei auch super zusammen.

Unsere Highlights

Hoffmann: Wir haben in vielen Dingen die gleiche Leidenschaft – für Detailarbeit, die Digitalisierung, das autonome Fahren, vor allem dafür, dass ein Auto richtig schön fährt und die Audi-DNA trägt. Ein schönes Beispiel ist die Weiterentwicklung unseres E-tron-Pioniers zum Q8 E-tron. Da haben wir das Auto in einem intensiven Prozess an vielen Stellen nachgeschärft und reifer gemacht.

Audi-Vorstände Markus Duesmann und Oliver Hoffmann
Daniel Wollstein
Die auto motor und sport-Redakteure Birgit Priemer und Gerd Stegmaier im Gespräch mit den Audi-Vorständen.
Lassen Sie uns über die Modellpolitik reden: VW hat mit dem ID.2 einen Ausblick auf ein batterie-elektrisches Einstiegsmodell gegeben. Denken Sie da auch noch einmal über das untere Ende der Angebotsskala nach?

Duesmann: Wir werden unterhalb des Q4 E-tron auf jeden Fall noch ein Modell anbieten. Wann wir das machen und wie das Auto heißen wird, werden wir heute noch nicht verraten. Es wird aber nicht, wie zum Beispiel der ID.2, ein Fahrzeug im Kleinwagensegment, sondern im A-Segment sein.

Wie geht es weiter mit dem Landjet, der ja mit automatisierten Fahrfunktionen eigentlich 2024 oberhalb des A8 auf den Markt kommen sollte?

Duesmann: Das Auto wird es geben, wir haben es nur zeitlich nach hinten geschoben. Wir starten unsere große Modelloffensive mit dem Q6 E-tron in der zweiten Jahreshälfte 2023. Bis Ende 2025 planen wir mit insgesamt über 20 neuen Modellen, über zehn davon rein elektrisch. Wir haben einfach die Reihenfolge geändert.

Unter den Neuanläufen sind ja auch Verbrennermodelle wie der A4. Warum haben Sie sich da quasi bei der letzten Generation noch für eine Umbenennung der Fahrzeuge entschieden?

Duesmann: Es geht uns dabei vor allem um Klarheit für unsere Kunden. Die Verbrenner werden ungerade Zahlen, die batterieelektrischen Autos gerade Zahlen tragen. Mit dem Anlauf der neuen Verbrennerplattform werden dann die Modelle von A4 auf A5 bzw. von A6 auf A7 umbenannt. Diese Modelle werden noch viele Jahre zu unserem Erfolg beitragen. Von daher brauchen wir eine einfache Logik. Nehmen wir den A6 als Ikone – der wird ab dem nächsten Jahr elektrisch sein.

Sie treiben die Elektromobilität mit Hochdruck voran. Was denken Sie über die aktuellen Beschlüsse, dass ab 2035 nun doch weiter Verbrenner neu zugelassen werden können, wenn sie sich mit E-Fuels betreiben lassen?

Duesmann: Wir haben uns klar für die Elektromobilität entschieden, weil sie die effizienteste Form der Individualmobilität ermöglicht. E-Fuels werden in unserer Gesellschaft sicher eine Rolle spielen, weil sie der einzige Weg sind, um die CO₂-Emissionen der Bestandsflotte zu reduzieren. Wir begrüßen in diesem Kontext die EU-Einigung zum Einsatz von E-Fuels nach 2035 in der Europäischen Union. Sie gibt uns als Hersteller und vor allem Kundinnen und Kunden eine klare Perspektive.

Hoffmann: E-Fuels sind für mich ein Baustein zur Dekarbonisierung von Bestandsflotten. Sie sollen die E-Mobilität weder ersetzen noch die Umstellung auf vollelektrische Fahrzeuge verlangsamen. Sie sollen sie ergänzen. Deshalb beschäftigen wir uns nicht nur im Rahmen unserer Formel-1-Aktivitäten damit, sondern sprechen auch mit den Mineralölkonzernen, um unsere Verbrennungsmotoren fit für E-Fuels zu machen. Wenn ich aber langfristig weg von fossilen Energieträgern hin zur lokalen Emissionsfreiheit will, dann sollten neue Fahrzeuge möglichst zeitnah überwiegend elektrisch sein.

Wie passt es zusammen, dass Sie ganz auf Elektromobilität setzen, ab 2026 in der Formel 1 aber mit Verbrennern unterwegs sind?

Hoffmann: Wenn wir 2026 zum ersten Mal bei der Formel 1 an den Start gehen, dann läuft gerade unsere letzte Generation der Verbrenner an, die bis in die 30er-Jahre verkauft wird. Hier besteht also kein Widerspruch. Die Formel 1 ist eine riesige Kommunikationsplattform, die Zuschauer werden immer jünger. Deswegen ist diese Bühne mit Blick auf unsere Kundschaft, die wir weltweit erreichen, und von der Altersstruktur her superinteressant. Es ist eine tolle Möglichkeit, Technologie-Kompetenz zu zeigen, sowohl beim elektrischen Teil mit seinen Komponenten, die bis dahin viel stärker ausgeprägt sein werden, als auch beim verbrennungsmotorischen Teil, der mit E-Fuels betrieben werden wird.

Sie sehen in der Formel 1 ein Marketing-Instrument für Audi. Aber wie positionieren Sie die Marke generell für die Zukunft?

Duesmann: "Vorsprung durch Technik" ist unser Markenclaim, und den leben wir auch. In der Formel 1 kann man diesen Vorsprung durch Technik auch gut zeigen. Auch im Konzern gibt es das gemeinsame Verständnis, dass neue Technologien zuerst bei Audi kommen – und da steht viel an. Nicht nur die Elektromobilität, wo Audi mit dem E-tron sehr früh dran war, auch beim automatisierten Fahren.

Definiert sich Vorsprung durch Technik nicht auch über die Software? Und wo stehen Sie da im Vergleich zur chinesischen Konkurrenz?

Duesmann: Beim Thema Software müssen wir aufholen, das gilt nicht nur für uns. Die chinesischen Wettbewerber haben auf diesem Gebiet massiv investiert und viel Know-how gewonnen. Mit der PPE, die im Q6 E-tron erstmalig eingesetzt wird, bekommen wir eine neue Software-Plattform in der Version 1.2. Die ist wirklich State of the Art und wird künftig auch weiterentwickelt. Um das Potenzial zu nutzen, setzen wir gleichzeitig auf eine neue Elektronik-Architektur, die auf Domänenrechnern aufbaut. Mit den nächsten Generationen der Software-Plattform werden wir weiter aufschließen und dann App-basiert jene Dienste anbieten, die Kunden in unseren jeweiligen Märkten nachfragen.

Hoffmann: Selbstverständlich schauen wir auch darauf, wie wir Drittanbieter integrieren können. Apple beispielsweise lebt vom eigenen Ökosystem, in das Tausende von Entwickler reinarbeiten, indem sie einfach Apps zur Verfügung stellen. Und genauso werden wir das auch machen. Wir arbeiten seit Jahren mit großen Tech-Playern zusammen, in Europa und auch in China. Die neue Software in unserer Premium-Plattform PPE gibt uns da ganz andere Möglichkeiten als die klassische Vernetzungsarchitektur, die wir heute in den Fahrzeugen haben.

Können Sie das konkretisieren? Was bekommt unser Leser, was es bislang nicht gab?

Duesmann: Zunächst einmal neue Funktionen und die Over-the-Air-Update-Fähigkeit. Das Fahrzeug kann also jederzeit aus der Ferne aktualisiert oder um Funktionen erweitert werden, zum Beispiel um neue Dienste oder Apps. Und wir können damit bestehende Funktionen laufend verbessern. Das betrifft wirklich fast alle Bereiche im Fahrzeug – angefangen vom Sprachassistenten über die Bedienung und Connect-Dienste bis hin zu neuen Lichtfunktionen on demand.

Und wann starten Sie mit dieser neuen Domänenstruktur?

Duesmann: In der zweiten Jahreshälfte mit dem neuen Q6 E-tron.

Wird es auch bei diesem Modell wie beim Q4 E-tron eine Hecktriebler-Variante geben?

Hoffmann: Es wird sicher noch weitere Einsteigermodelle geben, die reine Hecktriebler sind. Wenn ich eine Fast-50 : 50-Gewichtsverteilung habe und eine dynamische Radlastverteilung ansetze, dann ergibt ein Heckantrieb durchaus Sinn. Der Q4 E-tron hat das jetzt gezeigt, und es ist auch für uns Entwickler spannend, Heckantriebfahrzeuge neu abzustimmen.

Wie passt dann die Quattro-DNA ins Bild?

Hoffmann: Wir haben sehr klar beschrieben, wie sich ein Quattro auch elektrisch anfühlen muss. Klar könnte man vermuten: Jetzt haben alle einen E-Motor vorn und hinten, und dann funktioniert das überall gleich. Aber wir sind überzeugt, dass wir auch beim elektrischen Quattro einen Unterschied machen können. Wir haben viel daran gearbeitet, wie das Fahrzeug einlenkt, wie sich das Kurvenverhalten darstellt und wie stabil das Auto in den unterschiedlichen Fahrsituationen bleibt.

Duesmann: Ich habe da wirklich eine Passion, unsere Genetik des supersouveränen Fahrens, die Audi ausmacht, auch in einachsangetriebene Einsteigermodelle zu bringen. Der Frontantrieb stellt vielleicht nicht immer das sportlichste Fahren dar, steht aber für ein sicheres und souveränes Fahrverhalten. Und das wollen wir auch in andere einachsangetriebene Fahrzeuge bringen.

Die Luxus- und Sportwagenmarken boomen aktuell. Träumen Sie nicht davon, auch bei Audi wieder einen Supersportwagen auflegen zu können?

Duesmann: Wir haben ja im Konzern zum Glück viele technologische Möglichkeiten. Und es ist natürlich immer eine Überlegung wert, ob man in diesem Segment etwas macht.

Hoffmann: Wir schauen uns in der Tat Konzepte für den Sportwagen der Zukunft an und hoffen, das beizeiten entscheiden zu können. Dass wir im High-Performance-Segment weiterwachsen wollen, zeigen ja auch unsere RS-Fahrzeuge. Wir hatten 2022 ein All Time High und hätten noch deutlich mehr verkaufen können, wenn wir ohne die Herausforderungen in der Lieferkette mehr Stückzahlen produzieren hätten können. Wir werden die Kernbaureihen, elektrisch wie auch als Verbrenner, weiterhin als S- und RS-Modelle anbieten und bauen das Angebot sogar weiter aus. Performance-Modelle funktionieren bei uns wirklich gut.

Ihre Entwickler sind es gewohnt, agile Autos zu konstruieren. Aber sind sie auch hinreichend gewohnt, Gewicht zu reduzieren?

Hoffmann: Das ist bei den batterieelektrischen Fahrzeugen ein echtes Spannungsfeld. Den großen Hub macht die Hochintegration von Batterien und Zellen, wir nennen das Cell-to-Car-Konzepte, also hochintegrierte Konzepte. Hier werden wir die Technologie deutlich weiterentwickeln. Wir wollen bei den Kunden allerdings die Erkenntnis wecken, dass es nicht immer Reichweiten von mehr als 700 Kilometern sein müssen. Da helfen auch der Ausbau der Schnelllade-Infrastruktur und ein 800-Volt-Bordnetz, wie wir es für den E-tron GT haben. Einen gewissen Rucksack werden wir zwar mittragen, aber wir arbeiten an Leichtbaukonzepten.

Wie geht es bei der Entwicklung der Batterie weiter?

Duesmann: Wir bringen in der Premium-Plattform, also angefangen beim Q6 E-tron, eine neue Generation Hochvoltspeicher. Langfristig denken wir das Thema Batterie im Konzern ganzheitlich, von der Lithium-Eisenphosphat-Batterie (LFP) bis hin zu High-Performance-Batterien mit entsprechender Chemie. Dabei geht es immer um die Balance zwischen Performance, Reichweite und Schnellladefähigkeit. Wir versuchen natürlich, die meisten Autos mit einer Einheitszelle ausrüsten zu können. Das Elektroauto lebt nicht nur von der Performance, sondern auch von einem wettbewerbsfähigen Preis und auch davon, die richtige Zellchemie und entsprechend passende Rohstoffe zu verwenden. Wir haben im VW-Konzern bereits erhebliche Anstrengungen unternommen, um wettbewerbsfähige Kosten für Batterien zu erzielen, die auch die Lieferkette von Rohstoffen mit einschließen. Im Bereich unseres Kernvolumens wollen wir die Einheitszelle verwenden. Das ist bei der sogenannten SSP (Scalable Systems Platform, Anm. der Red.) möglich.

Wie weit sind Sie mit der Reduzierung des CO₂-Ausstoßes der Flotte?

Duesmann: Diese Zielerreichung haben wir sichergestellt. Mit voller Verfügbarkeit batterie-elektrischer Modelle im letzten Jahr hätten wir noch deutlich mehr erreichen können.

Hoffmann: Ein großes Handlungsfeld ist das Thema Batterie-Recycling. Es geht im Grunde um die Nutzungskonzepte. Kauft der Kunde überhaupt irgendwann noch einmal einen Hochvoltspeicher, oder least er ihn? Fakt ist, wir wollen die Batterien wieder zurückhaben, weil wir sehen, dass wir so eine hohe Recycling-Güte erreichen. Und angesichts der Rohstoffpreise und der Rohstoffknappheit ist das ein Riesenhebel, den wir uns gerade anschauen.

In den USA rollt mit dem Inflation Reduction Act (IRA) ein riesiges Subventionsprogramm an, in dessen Rahmen 370 Milliarden US-Dollar für Klimaschutz und Energiesicherheit vorgesehen sind. Müssen Sie da nicht dringend über eine Batterieproduktion in den USA nachdenken?

Duesmann: Die Förderung in den USA hat eine Größenordnung, die man als wirtschaftlich handelndes Unternehmen nicht ignorieren kann. Das ist ein enormer Steuerungsimpuls. Wir sind heute mit einem Werk in Mexiko vertreten, schauen uns aber aktuell intensiv an, wie wir unsere Aktivitäten in Nordamerika ausbauen können. Ich würde mir wirklich wünschen, dass Europa mit seiner konzertierten Aktion der letzten Wochen ähnlich weit kommt, um Ungleichgewichte zu vermeiden. Wir sind durch und durch Europäer, wir wollen Beschäftigung in Europa, wir sind stolz auf unsere Standorte und wollen die natürlich erhalten und ausbauen.

Das Interview führten die auto motor und sport-Redakteure Birgit Priemer und Gerd Stegmaier.

Vita

Audi-Vorstand Markus Duesmann
Daniel Wollstein
Audi-Vorstandsvorsitzender Markus Duesmann: „Wir werden unterhalb des Q4 e-tron auf jeden Fall noch ein Modell anbieten.“

Markus Duesmann (geb. 1969 in Heek/NRW) wurde im April 2020 zum Vorsitzenden des Audi-Vorstands bestellt. Nach einem Maschinenbau-Studium an der FH Münster startete er seine Laufbahn 1992 bei Mercedes in Stuttgart als Konstrukteur von V12-Serienmotoren. Später folgte Duesmann seinem Faible, dem Motorsport: 2005 übernahm er die Leitung Entwicklung Formel 1 bei Mercedes in Brixworth/UK, 2007 wechselte er als Leiter Formel-1-Antrieb zu BMW, wo er 2016 Einkaufsvorstand wurde, bevor er dann 2020 zu Audi kam.

Vita

Audi-Vorstand Oliver Hoffmann
Daniel Wollstein
Oliver Hoffmann, Audi-Entwicklungsvorstand: „Wir haben sehr klar beschrieben, wie sich ein Quattro auch elektrisch anfühlen muss.“

Oliver Hoffmann (geb. 1977 in Hannover) ist seit 1. März 2021 Mitglied des Audi-Vorstands für Technische Entwicklung. Er studierte zunächst in Hannover Maschinenbau und startete 2004 bei VW in der Technischen Entwicklung. Es folgten Stationen bei Lamborghini und in der V-Motoren-Entwicklung bei Audi in Neckarsulm, bevor er 2017 Leiter Technische Entwicklung der Audi Sport GmbH wurde. 2018 wurde er dort Geschäftsführer. 2019 übernahm er unter anderem die Leitung Antriebsentwicklung bei Audi.

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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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