Maserati MC20 im Test
Ein echtes Mittelmotor-Kaliber

Da haben viele Sportwagen-Jünger die Traditionsmarke längst aufgegeben, plötzlich haut Maserati ein echtes Mittelmotor-Kaliber raus. Leider scheint dieser Straßen-MC20 einzigartig zu bleiben – künftige Pläne sehen wohl nur noch E-Antriebe vor.

Maserati MC20
Foto: Hans-Dieter Seufert

Wer hätte sein Erspartes darauf gewettet, dass bei Maserati noch mal ein Sportwagen gebaut werden würde? Also ein richtiger, kein zweitüriger GT. Viele unkten ja sogar, dass der Dreizack künftig nur noch SUV zieren würde, und hatten mit der Marke längst abgeschlossen. Genau genommen seit dem letzten Hero, dem MC12, einem großartigen Rennwagen-Lookalike auf Basis des Ferrari Enzo. Dann, nach langer Durststrecke, transzendierte Ende 2020 sozusagen aus dem Elysium der MC20 in die reale Welt – und kaum zweieinhalb Jahre später zu uns in den Einzeltest.

Unsere Highlights

Endlich wieder ein Mittelmotor-Zweisitzer aus dem Traditionshaus – leider wohl der Letzte seiner Art, womit der Neue voll im Trend liegt: Vor der politisch verordneten Ausrottung präsentiert die Verbrenner-Gattung gerade noch einmal ihr volles Potenzial. Und die Ingenieure dürfen zeigen, was sie können, denn der MC20 ist eine echte Maserati-Entwicklung. Weitgehend: Dallara half beim Chassis. Und beim Trockensumpf-Triebwerk vor der Hinterachse tun sich erstaunliche Ähnlichkeiten zu preisgekrönten Motorblöcken aus Maranello auf, die wir in einem Spotlight genauer beschreiben.

Sesam öffne dich

Maserati MC20
Hans-Dieter Seufert

Die Türen öffnen nach oben, das sorgt immer für einen Wow-Effekt. Die Passagiere sitzen nur knapp über dem Boden.

Zunächst jedoch wollen wir einsteigen. Die Türen öffnen nach dem Schmetterlings- oder Scheren-Prinzip; das ist immer spektakulär, oft auch peinlich – für den unsportlichen Einsteiger. Und im Maserati? Da schwingt ein Teil des Außenschwellers hoch, sodass man selbst ohne Limbo-Diplom darunter hindurchtauchen kann. Tipp: Die linke Hand greift locker an die Zuziehschlaufe, die rechte stützt sich am Lenkrad ab, jetzt in die Sabelt-Sitzschalen gleiten lassen. Klappt nach einigen Übungseinheiten zuschauertauglich.

Kurze Orientierung: Lichttaster und Spiegelverstellung links vom Lenkrad, darauf Start- und Launch-Knopf, dahinter ein Display für die Darstellung der Instrumente, rechts daneben ein weiteres fürs erstaunlich problemfrei bedienbare Infotainment. Auf der Mittelkonsole der runde Drehschalter für die Fahrmodi, darauf ein Touchfeld, um zwischen den drei Set-ups der adaptiven Stoßdämpfer durchzuwischen. Folgen zwei Knöpfe zur Getriebesteuerung, der erste wechselt zwischen automatisiert und manuell initiierten Schaltvorgängen, der zweite befehligt den Rückwärtsgang. Das wär’s im Wesentlichen, wobei wir noch den echten Lautstärkeregler mit Skip-Funktion loben wollen.

Ebenfalls Lob verdient die Zusammenstellung der Materialien als Mix aus organisch und künstlich wirkenden Stilelementen. Vor allem die Griffigkeit des Lenkrads sagt uns sofort zu. Dem weitverbreiteten Unfug mit dem Abflachen des Radius im unteren Bereich hat sich Maserati leider angeschlossen. Keiner, der einen Sportwagen im Sinne seiner Bestimmung fahren möchte, also zuweilen umgreifen muss, mag so etwas.

Hart, derb, dreizylindrig

Maserati MC20
Hans-Dieter Seufert

Beim Sound scheiden sich die Geister. Durch das 90-Grad-V hört sich der V6 anders an als z.B. ein Ferrari mit 120-Grad-Bankwinkel. Die Turbo-Geräuschkulisse mit dem gierigen Schlürfen und irren Pfeifen ist auf jeden Fall eine Show für sich.

Wir würden der Verarbeitung eine gute Note aussprechen, hätte sich später beim Fahren auf schlechter Straße nicht Zirpen und Knarzen über den Sound des Sechszylinders gelegt. Sound? Genau, der interessiert doch bei einem neuen Sportwagen ganz besonders. Erst vor Kurzem haben wir uns am zwölfzylindrig klingenden Dreiliter-V6 des Ferrari 296 GTB kaum satthören können. Und beim MC20?

Da ist vieles ganz anders. Ferrari winkelt die beiden Bänke in ungewöhnlichen 120 Grad ab, Maserati setzt auf die weitverbreiteten 90 Grad. Trotz gleicher Zündfolge von 1-6-3-4-2-5 könnte der Klang kaum verschiedener sein; vor allem tönt der MC20 härter, derber, fast schon dreizylindrig – obwohl er keine Zylinderabschaltung hat. Man meint, ihm die hohe Verdichtung von 11 : 1 in Kombination mit der Direkteinspritzung anzuhören.

Nein, das ist kein Sound, der zu elegischen Formulierungen inspiriert. Akustisch deutlich anregender ist das Arbeitsgeräusch der beiden außen liegenden IHI-Lader: Die gegenläufig angeordneten Turbos fauchen und rauschen umtriebig, wenn sie ab etwa 3000/min so richtig bei der Sache sind, und sie zwitschern und zischeln enttäuscht, sobald man wieder vom Gas geht.

Geplant war, zunächst an dieser Stelle darüber zu dozieren, wie aufwandsarm und leisetreterisch der Zweisitzer durch die Stadt strömt, durch die doppelverkuppelten Gänge gleitet, im soften Modus der adaptiven Stoßdämpfer gefühlvoll alles zurechtstutzt, was gerne ins Kohlefaser-Chassis rumpeln möchte.

Eisdiele oder Rennstrecke?

Maserati MC20
Hans-Dieter Seufert

Keine Frage, er kann beides. Auch auf der Landstraße fühlt sich der MC20 pudelwohl.

Und wir wollten uns über das Kamerabild mokieren, das als Notnagel den Innenspiegel ersetzen soll, weil jener nur das völlig zugebaute Heck von innen zeigen würde. Darüber, dass die optionalen Sabelt-Sportschalen keine verstellbare Sitzlehne haben, sich nur in Gänze elektrisch kippen lassen. Anführen, dass der Gurt an ihnen so seltsam vorbeigeleitet wird, dass er unangenehm hoch am Hals des Fahrers rubbelt. Zudem, dass bei erlaubten 145 Kilogramm Zuladung nicht einmal zwei kräftige Kumpels ausfahren dürften. Eben die Soft Skills besprechen.

Stattdessen tauchen wir direkt ins Geschehen ein: Es zieht den Maserati weg von der Showbühne, der Flaniermeile, der Eisdielenterrasse. Auf die Rennstrecke? Nein, der Neue ist ein Sportwagen für die Lieblingsrunde. Man versteht sich mit ihm auf den ersten Kilometern, muss nicht mühsam grad-, minuten- und sekundengenau fahrdynamische Kompetenz erarbeiten. Der MC20 ist einer zum Hinlangen, zum Herumkurven, bis den Händen Schwielen wachsen.

Seine eigentliche Sensation: Er ist offenherzig und bleibt dabei fair. Da braut sich keine Gemeinheit im Mittelmotor-Konstrukt zusammen, zieht sich kein Kreisel auf, der schlagartig rotieren will. Der rein hinterradgetriebene Maserati macht sich ausschließlich die Vorteile des Rennwagen-Konzepts mit dem Schwerpunkt im Zentrum zu eigen: wie etwa das fixe Umsetzen von Lenkbefehlen – fix, aber nicht überstürzt. Und vor allem nicht radikal.

Ehrliche Traktion

Wer unter Schleppgas einbiegt, kann sich weich ans Untersteuern herantasten. Alternativ lupft man rechtzeitig oder bremst in die Kurve hinein, transferiert also Radlast nach vorn und verleiht der Vorderachse damit Entschlossenheit. Kurz darauf beißt sie zu, und das Drehmoment darf strömen – es lässt sich herrlich übers Gaspedal in den Kurvenausgang kneten, sobald 3000/min oder mehr auf der Uhr stehen und die Turbos munter reagieren. Parallel dazu presst sich das Heck hilfreich aufs kurvenäußere Hinterrad, was die Sitzwange dem Rücken mitteilt.

Das alles ist Folge der kooperativen Federung; ohnehin erfreut sie mit einem unerwartet guten Komfort. Der MC20 ist nur milde querstabilisiert statt bis zur Unbeweglichkeit versteift, kann seine Räder tatsächlich weitgehend unabhängig voneinander an den Asphalt schmiegen. Das bringt selbst auf einseitigen Unebenheiten ehrliche mechanische Traktion in Form von gravitätisch fühlbarer Schwere – was verhindert, dass die Gleitreibung schlagartig die Oberhand gewinnt.

Ausbalanciertes Handling

Maserati MC20
Hans-Dieter Seufert

Der MC20 fährt sich wunderbar ausbalanciert, – extreme Manöver wie dieser Drift fürs Foto gelingen deshalb ohne Angstschweiß.

So lässt sich der Schwimmwinkel bedarfsgerecht dosieren und mit der Lenkung feinjustieren. Das klappt wunderbar vegetativ und weich aus dem Handgelenk heraus, weil dem Maserati das prinzipbedingte Kippeln eines Mittelmotor-Sportwagens abgeht. Er ist eben gerade nicht mit Hilfsmitteln wie Wankstabilisierung oder Hinterachslenkung aufs letzte Zehntel angespitzt, kein Flügelmonster, das aberwitziges Tempo zum Aufbau von Downforce benötigt. Und der Testwagen trägt keine temperaturfühligen Semislicks, vielmehr für die Straße optimierte Sportreifen mit weichem Übergang in die Rutschphase. Die Bridgestone Potenza Sport zeigen kaum Berührungsängste mit Nässe, sodass man seine Ausfahrt bei aufziehenden Wolken mitnichten hektisch abbrechen muss.

Aufgrund ihrer konzilianten Auslegungen summieren sich die einzelnen Fahrwerkskomponenten zur perfekten Grundlage eines Spaßautos – eines, dessen Potenzial tatsächlich erfahren statt nur diskutiert werden kann. Und das sich auf der Teststrecke dennoch sehr behänd durch den Pylonenwald schlängelt.

Was will man mehr? Nun, zuvorderst weniger, nämlich Gewicht. Worin sich wohl die 1.645 Kilogramm vollgetankt begründen? Zum Vergleich: Der Ferrari 296 GTB hat ebenfalls einen Dreiliter-V6, zusätzlich ein Hybridsystem zu schleppen, und seine Karosserie besteht vorwiegend aus Aluminium. Wie kann der hybridlose, weitgehend aus Kohlefaser gebackene Maserati da ähnlich viel auf die Waage bringen? Es müssten über 100 Kilogramm weniger sein.

Griplimit beim Pushen

Weitere Wünsche? Dass sich die Vorder- noch mehr an der Hinterachse orientieren möge. Jene kommuniziert vorausschauender: Zunächst drückt es im Sitz, dann im Heck. Vom drohenden Untersteuern dagegen berichtet das steife Chassis – wenn es sich weniger geschmeidig als gewohnt in den vorgewählten Radius einklinkt, stattdessen darüber hinaus zu lugen scheint. Erst daraufhin wird die harmonisch ansprechende Lenkung leicht; dabei sollte sie das eigentliche Frühwarnsystem sein.

Auch ein homogener arbeitendes Pedal der optionalen Keramik-Bremsanlage wäre chic. Eines, das direkter, gleichzeitig feiner anspricht. Eines ohne scheinbar eingebauten Backstein, gegen den man nach einem Teil des Weges tritt. Bei den Messwerten ist zu den Kurzstoppern der Liga ebenfalls noch etwas Luft nach oben.

Weniger Leistung als angegeben

Maserati MC20
Hans-Dieter Seufert

Der längseingebaute 3.0l V6-Turbo leistet 630 PS und entwickelt ein maximales Drehmoment von 730 Nm. Auf dem Prüfstand fehlen jedoch 57 PS zur Angabe.

Wären da schließlich 57 ganz spezielle PS, die wir uns herbeiwünschen würden: Sie fehlen unserem Testwagen zu seiner Werksangabe (siehe Spotlight Leistungsmessung). Und sie fehlen gefühlt vor allem jenseits der 7000/min auf dem Weg zur Drehzahlgrenze 1.000 Umdrehungen später.

Gerade hier erwartet man die finale heiße Phase, lauern schon die Finger am Schaltpaddel, bereit, nach der Leistungsexplosion rechtzeitig den nächsten der acht Gänge hineinzushiften. Doch die erhoffte Eskalation im Vortrieb will sich kaum einstellen. Unser MC20 geht gut, aber nicht mitreißend, verfehlt Maseratis Vorgaben auf Tempo 200 um acht Zehntelsekunden.

Letzteres sollte kein Grund sein, von einem Kauf Abstand zu nehmen. Erstens hoffen wir, dass sich nur unser Exemplar im Trainingsrückstand befand. Zweitens überwiegt das gebotene Kurvendrama den Gesamteindruck: Derzeit findet sich wohl kein zweiter Supersportwagen, der jenseits der Rennstrecke so gefügig der Hand seines Fahrers gehorcht.

Ja, man könnte das auf eine angenehme Art oldschoolig nennen – der MC20 scheint aus einer Epoche zu stammen, bevor Rundenzeiten und Pylonenwedeln zum Maß aller Dinge wurden. Aus der guten alten Fahrspaß-Zeit.

Umfrage
Was halten Sie vom neuen Maserati MC20?
20286 Mal abgestimmt
Toll. Endlich besinnt sich Maserati wieder auf das, was die Marke ausmacht.Überflüssig. Maserati sollte lieber weitere SUV auf den Markt bringen.

Fazit

448 von 1000 Punkte

Häufig leben Sportwagen vom Triebwerk; der Maserati MC20 dagegen feiert das Fahren an sich, das Herumkurven. Ja: Kurven, dafür ist er geschaffen. Um die will er nicht mit spitzen Fingern gezirkelt, sondern mit festem Griff geführt werden. Ein Kumpel für den zünftigen Fahrspaß. Für Autoaktivisten.

Technische Daten
Maserati MC20
Grundpreis244.996 €
Außenmaße4669 x 1965 x 1224 mm
Kofferraumvolumen100 l
Hubraum / Motor3000 cm³ / 6-Zylinder
Leistung463 kW / 630 PS bei 7500 U/min
Höchstgeschwindigkeit325 km/h
0-100 km/h3,1 s
Verbrauch12,4 l/100 km
Testverbrauch13,4 l/100 km
Die aktuelle Ausgabe
AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024
AUTO MOTOR UND SPORT 10 / 2024

Erscheinungsdatum 25.04.2024

148 Seiten