Umbruch in der Tuning-Branche
Tuner in der WLTP-Falle

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Es sind schwere Zeiten für die Automobilbranche. Diesel-Skandal, Fahrverbote, Tempolimit-Diskussion, Umstellung auf WLTP und RDE. Mit dem neuen Prüfverfahren tun sich die Auto-Größen schon schwer. In der Tuning-Branche wird es dadurch zu einem großen Umbruch kommen.

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Foto: Patrick Lang

Die Tuner stöhnen. Selbst die Großen, aber vor allem die Kleinen. Die Schwarzmaler unter ihnen fürchten sogar, dass eine Branche abdriften könnte. „WLTP und RDE machen die Tuner kaputt“, schimpft einer der Chefs eines bekannten deutschen Tuners. „Das führt das Geschäft zurück in die Illegalität wie vor 30 Jahren.“ Das ist sicher überspitzt formuliert, mit Emotionen, Respekt vor dem Ungewissen, vielleicht sogar ein bisschen Angst. Man kann es aber auch als Appell verstehen. An die Behörden. An das Kraftfahrt-Bundesamt.

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Das neue Verfahren zur Abgas- und Verbrauchsmessung schüttelt die Automobil-Branche durch. Alle Hersteller kämpften und kämpfen immer noch mit der Umstellung von NEFZ auf WLTP. Vom laschen „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ auf das straffere „Worldwide Harmo­nized Light Vehicles Test Procedure“.

Gesetzesgrundlage fehlt

Seit dem 1. September 2018 gilt für die Zulassung von Autos das neue Messverfahren. Der WLTP-Zyklus bringt realistischere und damit verbunden höhere Werte beim Kraftstoffverbrauch der Autos. Ergänzend zum Rollenprüfstand gibt es noch die Straßenmessung – genannt RDE für „Real Driving Emissions“. Dieser Test ist bislang nur für Modelle vorgeschrieben, die komplett neu auf den Markt kommen. Ab September 2019 wird er dann für alle Neufahrzeuge Pflicht. Zudem gelten seit dem Stichtag auch strengere Abgasgrenzwerte, weshalb viele Benziner einen Otto-Partikelfilter benötigen. Der damit verbundene hohe Zertifizierungsaufwand führte dazu, dass nach der Umstellung einige Modellvarianten nicht verfügbar waren.

Auf die Tuner kommen gleich mehrere Probleme zu. Zum einen ist die Umstellung auf WLTP und RDE zeitintensiv und sie geht ins Geld. Ein TÜV-Gutachten ist ungefähr dreimal so teuer geworden wie früher mit dem NEFZ. Branchenvertreter sprechen von 21.000 bis 24.000 Euro, die eingeplant werden müssen, um ein Fahrzeug zu homologieren. „Enorme Mehrkosten“, stöhnt ein großer Tuner. Die Abgasprüfung im Labor ist ein bisschen teurer geworden. Was besonders Geld aus den Taschen zieht, ist die RDE-Fahrt mit dem portablen Emissionsgerät, um die Schadstoffe zu messen.

Zum anderen fehlt es an einer Gesetzesgrundlage. Beziehungsweise muss diese erstmal an die neuen Standards angepasst werden. Was für Tests müssen die Tuner bestehen? Die gleichen wie die Hersteller? Oder werden für sie die Regeln ein bisschen gelockert? Bislang regelte das Vd-TÜV-Merkblatt 751, was zu prüfen ist, und wie die Straßenzulassung erlangt. Das betraf allerdings nur den NEFZ bis zur Abgasnorm Euro 6b. Für WLTP und RDE wurde das Dokument nicht an die neuen Vorschriften angepasst. Die Behörden hatten genug zu tun, die Rahmenbedingungen für die Hersteller abzustecken. Da blieb die Tuning-Branche auf der Strecke.

Doppelte Entwicklung

Noch beraten und tagen die Gremien rund um das Kraftfahrt-Bundesamt. Es wird nach Lösungen gesucht. Für eine Grundlage für leistungsgesteigerte Motoren nach WLTP. Solange die nicht da ist, müssen die Tuner ihre Autos nach denselben Regeln homologieren wie die großen Automobilhersteller. Firmen, die ein paar hundert Fahrzeuge im Jahr leistungssteigern, veredeln und verkaufen, müssen sich theoretisch durch den gleichen Prozess quälen wie Hersteller, die ein paar Millionen Autos im Jahr absetzen. Das sind Hürden, die für die Kleinen schwer zu überwinden sind. Früher, so ein Mitglied eines technischen Dienstes, gab es über das Vd-TÜV-Merkblatt 751 ein paar Lockerungen für die Tuner. Ein Beispiel für einen reduzierten Testumfang ist die Abgasmessung bei minus sieben Grad.

Ausnahmen gibt es momentan nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass die Hersteller die Prüfstände belegen. Die Tuner, und auch die Kleinserienhersteller, müssen hintenanstehen und sich auf längere Wartezeiten einstellen. Und hoffen, dass sie ihre Termine dann überhaupt einhalten können. Wenn ein Hersteller nicht fristgerecht liefert, um seriös eine Leistungssteigerung vor dem Prüfstandtermin vorzubereiten, muss eine Schleife gedreht werden.

In manchen Fällen mussten die Tuner auch doppelt zahlen. Beispiel Mercedes-AMG E63 S. Das 612 PS starke Fahrzeug kam im April 2017. Homologiert nach NEFZ auf die Abgasnorm Euro 6b. Wer sich die Mühe gemacht hatte, mehr Leistung aus dem Power-Benz zu quetschen, musste ein Jahr später neu anfangen. Dann verbaute Mercedes-AMG einen Ottopartikelfilter, und homologierte den E63 nach WLTP. Für die Mercedes-Tuner heißt es neu entwickeln. „Normal hat ein Fahrzeug eine Laufzeit von drei bis vier Jahren. Wenn die Halbwertszeit schrumpft, ist es eine Mehrbelastung für uns. Dann müssen wir die Kosten entsprechend umlegen. Unser Gutachten gilt zwar noch für das Auto mit NEFZ. Aber meistens bringen die Kunden neue Autos zum Tuner. Also brauchen wir ein neues Gutachten.“

Kompromisse gesucht

Das Prüfverfahren WLTP geht über 23 Kilometer (NEFZ: 11 Kilometer), dauert 30 Minuten (NEFZ: 20 Minuten) und wird mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 46,5 km/h (NEFZ: 33,3 km/h) und einer Maximalgeschwindigkeit von 131 km/h (NEFZ: 120 km/h) gefahren. Es berücksichtigt das Gewicht, Einflüsse von Sonderausstattungen (Bauteilen) auf die Aerodynamik, die Felgen, den Rollwiderstand der Reifen.

Was also, wenn ein Tuner nach einer Leistungssteigerung noch ein Optikpaket aus Frontspoiler, Heckflügel und Seitenschwellern nachschiebt? Muss das geänderte Fahrzeug dann wieder auf den Prüfstand? Und nochmal durch den Echtzeit-Fahrtest RDE? Was, wenn ein Tuner einen Golf GTI erstmal von 230 auf 250 PS, und zu einem späteren Zeitpunkt auf 300 PS hebt? Muss dann wieder für 90 bis 120 Minuten mit dem Messrucksack auf der Straße gefahren werden? Muss dann wieder viel Geld für ein neues Gutachten investiert werden? Die Unklarheit verunsichert eine Branche. „Wir gehen davon aus, dass es nicht soweit kommt“, sagt ein Tuner. Und wenn doch? „Wenn man einen größeren Lader verbaut, merkt das auf den ersten Blick keiner. In diese Richtung wird es dann gehen“, meint ein anderer. Dann würde es tatsächlich abdriften.

Die Optimisten gehen davon aus, dass sich Kompromisse und Lösungen finden werden für die Tuner. Damit der Aufwand auch bezahlbar bleibt. Manche Tuner haben ihr Geschäftsfeld aus Weitsicht schon vorher erweitert. Indem sie zum Beispiel in Projekte von Herstellern zur Elektromobilität eingebunden sind.

Wie wird sich die Tuning-Branche verändern? Das Angebot wird voraussichtlich schrumpfen. In Deutschland. In Europa. Man wird es sich nicht mehr leisten können, für allerlei Fahrzeuge von VW bis Rolls-Royce Software-Optimierungen anzubieten. Weil es zu viel Zeit raubt und zu viel Geld kostet. Getunt wird nur, wenn eine entsprechende Stückzahl abgesetzt werden kann. Das war früher auch schon so, verschärft sich durch die neuen Gesetze aber.

Preise gehen nach oben

Bei strengen Regeln wird sich auch das Angebot an Zubehörteilen wie Felgen und Karosserie-Teilen wie Flügeln verringern. Die Tuner werden ein Paket anbieten und homologieren. Es wird voraussichtlich auch länger dauern, bis Leistungssteigerungen entwickelt sind. Weil man die erhöhten Kosten nicht auf einmal stemmen kann, sondern über Monate verteilen muss. Erst ein Auto abarbeiten, dann das nächste. Ein Tuner sagt. „Die Marge für Tuner wird runtergehen, die Preise für den Kunden nach oben. Tuner, die exportlastig sind, werden sich den Aufwand sparen.“ Heißt: Sie exportieren ihre Teile und Updates dann lieber nach Asien, in den mittleren Osten oder in die USA. Dahin, wo die Vorschriften und Prüfmechanismen lascher sind.

Die Hersteller machen es den Tunern durch ihr hauseigenes Werkstuning schwerer, sich abzuheben. AMG oder BMW M bieten von sich aus Performance-Anbauteile, Räder und griffigere Reifen an. Das macht die Nische kleiner. WLTP und RDE wird sie noch kleiner machen. Immerhin gibt es eine gute Nachricht. Auch der neue Testzyklus wird vor allem im Teillastbereich gefahren. Die Tuner optimieren ihre Autos für den Volllastbereich. Bedeutet: Sie werden ein nach WLTP zertifiziertes Hersteller-Fahrzeug mit Euro 6d-temp auch nach den Aufputsch-Maßnahmen ohne große Hürden homologieren können, was die Emissionen anbetrifft.

Die Grenzwerte für einen Benziner (Euro 6d-temp) sind folgende:

Co (Kohlenstoffmonoxid): 1.000 mg/km

HC (Kohlenwasserstoffe): 100 mg/km

NOx (Stickoxide): 60 mg/km

Partikelanzahl: 6x10hoch11