Wer ist IAA-Aussteller BYD?
Chinas Elektro-Gigant erobert Europa

BYD sorgte auf der IAA für Aufsehen. Die Chinesen verkaufen Modelle wie Han, Tan, Seal oder Dolphin in Europa. Ein Werkbesuch in China zeigt, warum das Unternehmen zu mehr fähig ist als zur Marktführerschaft auf dem Heimatmarkt.

BYD Werksbesuch
Foto: Gerd Stegmaier

Die Marktführerschaft hat BYD dem langjährigen Champion Volkswagen im ersten Quartal 2023 entrissen – und die Wolfsburger dürften wenig Aussichten haben, sich Platz 1 kurzfristig wieder zurückzuholen. Denn BYD kann im Gegensatz zu VW, was in China boomt: Elektroautos. Das Unternehmen beherrscht vor allem das zentrale Bauteil von E-Autos, die Batterie, wie kaum ein anderes, liefert selbst an Tesla.

IAA 2023

BYD steht für Build your Dreams (erschaffe Deinen Traum). Die Auflösung der Abkürzung ist aber eine Erfindung nach der Firmengründung im Jahr 1995, als das Unternehmen auf der Suche nach einer Brandstory war. Der aktuelle Traum: Die globale Erwärmung nicht nur aufhalten, sondern sogar um ein Grad abkühlen.

Ein Vorort-Besuch im Juli lässt das als sehr dringliches Ziel wirken: Während Deutschland teils unter Temperaturen von deutlich über 30 Grad leidet, treffen einen in Hongkong oder Shenzen 38 Grad und vor allem eine Luftfeuchtigkeit von mehr als 80 Prozent wie ein Hammer, sobald man ins Freie tritt. Direkte Sonneneinstrahlung prallt auf die Haut, als fasste man in einen Ofen, Einheimische tragen vielfach UV-Strahlung absorbierende Kleidung, elektrische Roller oder Transportdreiräder häufig ein Sonnendach, während Helme eher selten sind.

BYD Werksbesuch
Gerd Stegmaier

Nahe Shenzen ist es so heiß, dass Ventilatoren selbst im Freien als notwendig erachtet werden.

Elektronik-Hersteller à la Foxconn

Ursprünglich kommt BYD aus der Elektronik-Fertigung (unter anderem für Motorola) und baut für Consumer-Elektronik bis heute auch Lithium-Ionen-Batterien. Im Jahr 2000 kam angeblich ein Drittel aller Akkus in Handys von BYD. Die Expertise bei der Herstellung von Batterien machte sich BYD zu Nutze und verlegte sich zunächst zusätzlich auf stationäre Energiespeicher. Sie dienen als Puffer von Solaranlagen, Grünstrom-Pufferung.

BYD Werksbesuch
Gerd Stegmaier

BYD macht mehr als Autos.

Größtes Hemmnis für eine Produktionsausweitung inzwischen: Das Automobilgeschäft, in das die chinesische Company erst 2003 eingestiegen ist. 80 Prozent der Batteriefertigung von BYD entfallen auf Traktionsbatterien für Autos. Denn BYD hat 2022 schon 1,86 Millionen New Energy Vehicles (NEV) gefertigt, fast 210 Prozent mehr als 2021, etwa die Hälfte davon waren rein elektrische (BEV). Der Begriff NEV fasst die bislang in China förderfähigen Plug-in-Hybride (PHEV) und rein elektrischen Fahrzeuge zusammen.

Marktführerschaft nach 20 Jahren im Autogeschäft

Im ersten Halbjahr 2023 wuchs die Produktion erneut um rund 96 Prozent, so dass BYD in den ersten sechs Monaten bereits 1,25 Millionen NEV gebaut hat. Davon hat BYD nur 70.000 exportiert (ausschließlich BEV!) und erreichte so in China einen Marktanteil von zwölf Prozent. Vom schnell wachsenden Elektroauto-Anteil bei den Neuzulassungen in China holte sich BYD damit sogar 34 Prozent. Noch im Juli 2023 wird BYD sein 5-millionstes E-Auto vom Band rollen lassen, das erste haben die Chinesen 2008 gebaut.

Die rasante Entwicklung passt zu der des Firmenstandorts Shenzen. Die Nachbarstadt von Hongkong war 1970 noch ein großes Dorf mit 22.000 Einwohnern, 1980 waren es laut Wikipedia 59.000. Jetzt sind es offiziell mehr als zwölf Millionen, Wikipedia weiß von 17 Millionen im Jahr 2020, BYD-Mitarbeiter versichern sogar, dass es eher 20 Millionen sind: Praktisch niemand stamme aus Shenzen und die vielen Arbeitnehmer aus ganz China seien vielfach nicht in Shenzen gemeldet. Eine Fahrt durch Shenzen gibt Europäern keinen Grund, an dieser Einschätzung zu zweifeln: Die zahlreichen Bezirke der Stadt erstrecken sich in der längsten Ausdehnung über 100 Kilometer und selbst wenn man nicht von einem zum anderen Ende fährt, kann man gut 2,5 Stunden unterwegs sein, denn an irgendeiner Stelle erleidet der Verkehr immer grad einen Infarkt. Und dann geht’s nur mehr im Schritttempo voran, obwohl auch an Zügen und Bussen kein Mangel herrscht.

BYD Werksbesuch
Gerd Stegmaier

Heiß und immer am Wachsen: Shenzen

BYD baut auch elektrische Busse, Lkw und People-Moover

Apropos Züge: Auch hier ist BYD aktiv. Das sogenannte Skyshuttle ist ein Zug mit zentraler Führungsschiene, der der Geräuschentwicklung wegen auf Gummirädern fährt. Die rollen batterieelektrisch angetrieben und autonom ohne Fahrer auf einer Stelzenbahn. Warum keine Stromzuführung? Als Hochbahn mit Ladestationen ist das Skyshuttle laut BYD fünfmal günstiger zu bauen als eine Metro, in Küstennähe (wie Shenzen) soll es gar der Faktor zehn sein. Entsprechend schnell geht der Bau, wichtig für die explosionsartig wachsenden chinesischen Städte. BYD hat in Shenzen eine eigene kleine Linie aufgebaut, mit der die Öffentlichkeit und Mitarbeiter fahren können. Die wohnen übrigens die ersten fünf Jahre bei BYD in Wohnungen der Firma, für die sie monatlich lediglich 20 bis 40 Euro bezahlen müssen. Wer als Ingenieur bei BYD-Karriere macht, verdient 80.000 bis 100.000 Euro und kann daher auch marktübliche Mieten von etwa 700 Euro bezahlen. Nur nicht im hippen Bezirk Naishan. Dort liegt der Quadratmeter-Preis für Wohnungen zum Kaufen angeblich inzwischen bei umgerechnet 30.000 Euro.

In Pingshan, dem zweitwestlichsten Bezirk, hat BYD sein Headquarter, an dem 60.000 Menschen arbeiten. Allein in dessen monströsem Hauptgebäude sind 6.000 Menschen tätig. Nach einer riesigen Freitreppe findet man hier im Eingangsbereich vom Format eines Regionalbahnhofs mit zehn Meter hohen Decken eine angenehm temperierte Ausstellung zu neuen Modellen und Schautafeln zur Firmenchronik. Hier erfährt man zunächst mal, dass es an dieser Stelle bis vor 16 Jahren einfach mal gar keine Bebauung gab. Und kann sich ein Bild davon machen, worauf das Unternehmen besonders stolz ist: 40.000 Patente, von denen ein großer Teil an einer überdimensionalen Hall of Fame hängt.

Die Blade-Batterie macht Lithium-Eisen-Phosphat-Chemie konkurrenzfähig

Besonders wichtig: die so genannte Blade-Batterie (Klingen-Batterie), mit der BYD gerade den E-Auto-Markt aufmischt. Der Kniff, mit dem BYD eine ausreichende Energiedichte für Autos erreichen konnte, ist die spezielle Bauweise der vergleichsweise großen, länglichen Zellen, obwohl die Zellchemie an sich der von herkömmlichen Lithium-Nickel-Mangan-Kobalt-Akkus (Li-NMC) deutlich unterlegen ist. Denn BYD verwendet für Traktionsbatterien Lithium-Eisen-Phosphat (LFP). Es neigt weniger zum thermischen Durchgehen, sprich die Batterien haben ein geringeres Brandrisiko. BYD weist darauf hin, dass die Blade-Batterie die Einzige ist, die den Nageltest besteht. Dabei wird die Zelle von einem Nagel durchbohrt (siehe Video). Während die prismatische Li-NMC-Zelle dabei geradezu explodiert, verläuft der Test bei der Blade-Batterie unspektakulär: es passiert – nichts.

Außerdem ist LFP langlebiger; BYD verspricht nach 3.000 Zyklen noch eine Kapazität von mindestens 90 Prozent. Zudem ist die Temperaturempfindlichkeit erheblich geringer als bei Li-NMC. BYD sagt, die Blade Batterie funktioniere zwischen -35 und +55 Grad Celsius prima. Den Hauptvorteil dürften aber die Kosten bilden: Eisenphosphat ist günstig zu bekommen, während der E-Auto-Boom neben Lithium vor allem Nickel und Mangan stark verteuert hat.

Gigafactory – Vorsprung vor europäischen Autoherstellern

Die Leistung von BYD ist die Entwicklung des Aufbaus der Blade-Batterie, die die Chinesen in nächster Stufe bereits im Cell-to-body, also direkt in die Karosserie des Fahrzeugs einbauen, wie es auch BMW beispielsweise für die Neue Klasse angekündigt hat.

Bei der Produktion hingegen konnten die Chinesen auf ihr Know-how mit Li-NMC zurückgreifen, denn die Herstellung wirkt grundsätzlich nicht großartig anders. Das lässt sich bei einem Besuch in BYDs Giga-Factory beobachten.

Milliarden-Invest vor Jahrzehnten

Die BYD-Giga-Factory steht in Chongqing, gut zwei Flugstunden nordwestlich von Shenzen. Hier manifestiert sich Chinas Turbowachstum noch krasser: Die Stadt hat, zumindest wenn man nach den Verwaltungsgrenzen geht, gut 32 Millionen Einwohner. Die verteilen sich allerdings auf einer Fläche ähnlich groß wie Österreich und sind sehr unterschiedlich besiedelt beziehungsweise bebaut. Im Kern der Stadt (mit hoher Bebauungsdichte) leben laut Wikipedia rund sieben Millionen Menschen. Chongqing ist zudem eine der vier Städte Chinas, deren Verwaltung direkt der Zentral- und nicht einer Provinzregierung untersteht, was wohl einen moderierenden Einfluss auf die Immobilienpreise hat und somit den Zuzug begünstigt.

BYD Werksbesuch
Gerd Stegmaier

7-Millionen-Stadt am Jiangtse: Chongqing

In Chong-Qing treffen sich zwei Flüsse (Jangtsekiang und Jialing Jiang), aber wer daraus Hoffnung schöpft, es könnte dort weniger heiß sein, irrt. Dafür ist Luft eher noch feuchter. Etwas außerhalb der Kernstadt hat BYD hier bereits vor der Jahrtausendwende seine Giga-Factory binnen eines Jahres hochgezogen und dafür nach eigenen Angaben drei Milliarden Euro investiert. Die Bauzeit erstaunt vor allem, wenn man sich die Dimensionen vor Augen führt: Auf einer Fläche von gut 22 Quadratkilometern arbeiten und leben hier 17.000 Mitarbeiter, davon 7.000 Ingenieure – die Unterkünfte hat BYD gleich mitgebaut.

BYD Werksbesuch
BYD

Auf dem 6 Quadratkilometer großen Areal der Giga-Factory in Chonqing arbeiten und wohnen 17.000 Mitarbeiter.

Dank der Entwickler des Findreams genannten Tochter-Unternehmens hält BYD laut eigenen Angaben allein 8.000 Patente im Batterie-Bereich und hat 5.000 davon vergeben. Die Fabrik stößt jährlich Batterien mit einer Kapazität von 22 GWh aus und täglich im Zwei- bis Dreischichtbetrieb 90.000 Zellen – an sechs Tagen der Woche. Bezogen auf den BYD Han wären das 500 Akkupacks pro Tag. Laut Experten hatten LFP-Akkus 2022 bereits einen Marktanteil von 30 Prozent.

Noch günstiger herzustellen sind Natrium-Batterien, die entsprechend nicht mal mehr Lithium brauchen. Das geht an BYD nicht vorbei: Findreams hat ein Joint Venture mit der Huaihai Holding Group gegründet, um eine Produktion für Natrium-Ionen-Batterien in Xuzhou in der Provinz Jiangsu zu errichten. Medienberichten zufolge haben die beiden Unternehmen am 8. Juni 2023 in Shenzhen eine entsprechende strategische Kooperationsvereinbarung untzerzeichnet.

Und die Autos?

Während BYD die Giga-Factory zwar unter Verbot eigener Aufnahmen wohl recht stolz gezeigt hat, konnten die Besucher die Produktion der Autos selbst nicht besichtigen. In Shenzen ließen sich nur das Crash-Test-Center, das zum Prüfen der elektromagnetischen Kompatibilität (EMC) und das für NVH (Noise, Vibration, Harshness) besichtigen. NVH steht auf Deutsch für "Geräusch, Vibrationen, Rauigkeit") und bezeichnet Schwingungen, die (in diesem Fall) an und in einem Auto entstehen und für Menschen hör- oder spürbar sind. In den Aufbau der Testabteilungen flossen laut BYD keine Milliarden aber immerhin zweistellige Millionenbeträge, was zumindest die Ambitionen der Chinesen beim Automobilbau unterstreicht.

Der EMC-Testbereich, in dem sich unter anderem der womöglich störende Einfluss elektromagnetischer Strahlung eines Fahrzeugs (zum Beispiel eines E-Autos beim Laden) auf die Umgebung ermitteln lässt, ist laut BYD der größte in Asien. Das Crash-Zentrum wirkte eher hemdsärmelig – es ist in älteren Hallen ohne Klimatisierung untergebracht. Aber BYD führt hier nach eigenen Angaben pro neues Modell bis zu 100 Crashtests durch, um die internationalen Richtlinien erfüllen zu können. Auf der Beschleunigungsstrecke stand sogar ein leicht getarntes Exemplar des elektrischen Supersportwagens U9 – ein Hinweis, dass BYD diesen tatsächlich auf den Markt bringen will?

Im NVH-Raum mit seinen Akustikwänden hingegen stand ein Toyota. Die Limousine BZ3 für den chinesischen Markt entspringt einem Joint-Venture der beiden Unternehmen. Das Modell steht auf der BYDs E3-Plattform mit Blade-Batterien, ist also antriebstechnisch ein BYD – vergleichbar ist das etwa mit der Verwendung des Modularen Elektrobaukastens (MEB) von VW durch Ford beim neuen Europa-Explorer.

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Fazit

BYD ist erst 28 Jahre alt und baut erst seit 20 Jahren Autos. Aber über die Elektronikproduktion kamen die Chinesen zur Akkuherstellung und beschränkten die nicht auf Stationärspeicher.

Mit der Blade-Batterie haben sie ein bezahlbares Batteriekonzept nicht nur entwickelt, sondern produzieren es vor allem massenhaft. Das ist im E-Auto-Markt der entscheidende Punkt – von Wunderbatterien aus Laboren hört man oft, aber deren Produktion im großen Maßstab liegt oft in weiter Zukunft.

Weil 40 Prozent der Wertschöpfung von E-Autos auf den Akku zurückgeht, konnte sich BYD auf dem schnell wachsenden E-Automarkt in China eine marktbeherrschende Stellung erarbeiten: Jedes dritte E-Auto oder PHEV-Fahrzeug kam dort im ersten Halbjahr 2023 von BYD.

Den ersten Tests zufolge fehlt den Modellen noch der letzte Schliff, aber die Frage ist, wie wichtig das Kunden ist, die auf der Suche nach bezahlbaren E-Autos sind, die einfach nur fahren und dank üppiger Garantie eine gute Langlebigkeit versprechen.

Letztlich könnte vielfach der Preis entscheiden. Und auch wenn die Rendite bei BYD der vielen Investitionen wegen noch überschaubar ist, dürften die Verkaufspreise Luft haben – nach unten. An den Wachstumsraten ist absehbar, dass die Zeit für den Batteriehersteller mit Autoproduktion spielt.