Stromversorgung
Strom besser verteilen

In den vergangenen Monaten wurde in den Medien häufig die Furcht thematisiert, die Elektromobilität könne eine sichere Stromversorgung in Deutschland gefährden. Ist das so? Eine Übersicht.

Electric vehicle charging
Foto: pikara via Getty Images

Auch wenn der Absatz von Elektrofahrzeugen stockt und im ersten Halbjahr der Anteil von E-Autos an allen Neuzulassungen bei lediglich etwas mehr als 16 Prozent lag, so gehört ihnen doch die Zukunft. Was Kritiker auf den Plan ruft: Sie glauben, dass dadurch die Stromversorgung in Deutschland negativ beeinflusst werde. Doch ist das so?

Die Antwort lautet: Jein. Fragt man bei der Deutschen Energie-Agentur (dena) nach, ist die Elektromobilität nicht das eigentliche Problem: "Heute liegt die gesamte Stromnachfrage in Deutschland bei etwas über 500 Terawattstunden. Im Zuge der Energiewende werden Anwendungen in allen Sektoren elektrifiziert, sodass sich die Stromnachfrage bis 2045 insgesamt mehr als verdoppeln wird." Der Verkehrsbereich trage also nur einen kleineren Teil zur zusätzlichen Stromnachfrage bei.

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Die Einschätzung des Energieversorgungsunternehmens E.ON klingt indessen nach Entwarnung: "Die Energiewende findet fast ausschließlich im Verteilnetz statt. Hier werden die meisten Anlagen der Strom-, Verkehrs- und Wärmewende angeschlossen. Dank des vorausschauenden Netzausbaus der letzten Jahrzehnte konnte die Branche im Netz Kapazitätsreserven aufbauen, die uns noch heute bei der Umsetzung der Energiewende zugutekommen", beruhigt E.ON-Sprecher Marvin Macke.

Strom
Netze BW
Der Leistungsbedarf eines E-Fahrzeugs übersteigt den normalen Haushaltsverbrauch deutlich. Laden sehr viele Stromer lokal gleichzeitig, kann es laut Netze BW zu „kritischen Belastungsspitzen“ im Stromnetz kommen.

Auch beim Netzbetreiber Netze BW spricht man von einer Herausforderung für das Verteilnetz: "Die zusätzlich für die Elektrifizierung des Individualverkehrs benötigten Strommengen sind heute eher keine Herausforderung und werden dies voraussichtlich auch zukünftig nicht sein", so Pressesprecher Jörg Busse. Einig sind sich die Energieanbieter darin, dass das Stromnetz weiter ausgebaut werden müsse, und dies zügig.

Laut dena rechnen die Übertragungsnetzbetreiber mit einem Bedarf von insgesamt 20.000 Kilometern Netzverstärkungs- und Ausbaumaßnahmen bis 2037. Einige Projekte sind in Planung, bei anderen haben die Baumaßnahmen begonnen. Beispiele sind die Gleichstromleitungen A-Nord (Emden–Osterath), Ultranet (Osterath–Philippsburg), SüdLink (Brunsbüttel–Großgartach und Wilster–Bergrheinfeld) sowie SüdOstLink (Wolmirstedt–Isar), die vor allem die Übertragungskapazität in Nord-Süd-Richtung verbessern sollen.

Das Schlagwort der Stunde heißt jedoch Netzoptimierung. Einer der möglichen Lösungsansätze dabei ist das bidirektionale Laden. Dabei dient der E-Auto-Akku als Interims-Stromspeicher für das eigene Haus oder für das Netz. Die Einführung dieses stabilisierenden Faktors gehört bei E.ON überdies zum jüngst in Berlin vorgestellten "Zukunftsindex", der CO₂-Einsparpotenzial in Haushalten und Verkehr aufzeigen soll.

Intelligentes Laden

Dass die wachsende Verbreitung der Elektromobilität aber durchaus ein komplexes Thema ist, wird nicht in Abrede gestellt. "Die Anzahl an Lade-Infrastruktur in unserem Netzgebiet steigt schnell und nachhaltig an. Maßgeblich findet der Hochlauf derzeit im Niederspannungsnetz statt. Das ist schon heute herausfordernd für die operativen Prozesse der Netze BW", sagt Markus Wunsch, Leiter Netzintegration Elektromobilität bei Netze BW. Bis 2025 werden 500 Millionen Euro zur Verstärkung des Mittel- und Niederspannungsnetzes investiert. Und es wird intelligentes Lademanagement forciert, um das Ladeverhalten steuern und Belastungsspitzen entzerren zu können.

Interessantes Detail: Möglicherweise ist noch nicht vielen bekannt, dass derzeit für einen schnellen Anschluss von Ladepunkten ans Stromnetz in der Niederspannung die Ausgestaltung des § 14a EnWG (Energiewirtschaftsgesetz) durch die Bundesnetzagentur erarbeitet wird. Es soll Anfang 2024 in Kraft treten.

Stromdrosselung möglich

Vorgesehen sei dabei, dass alle neuen steuerbaren Endgeräte wie Ladepunkte für E-Autos, Wärmepumpen und Batteriespeicher vom Netzbetreiber reguliert werden können, wenn Überlastungen des Netzes drohen, erläutert Katharina Umpfenbach, Leiterin Infrastruktur und Gesamtsystem im Fachbereich Zukunft der Energieversorgung der dena. Das bedeute, dass der Netzbetreiber dann den Strombezug von steuerbaren Verbrauchern temporär auf 4,2 kW reduzieren könne. Im Gegenzug bestehe eine unmittelbare Anschlussverpflichtung für neue steuerbare Verbraucher, die Netzkunden profitierten von geringeren Preisen.

Strom
Bundesnetzagentur

Diese Drosselung werde nur dann angewandt, wenn tatsächlich ein Engpass drohe. Umpfenbach: "Dies wird in den allermeisten Fällen nur während kurzer Zeiträume von höchstens wenigen Stunden der Fall sein, wenn etwa am Abend mehrere Elektroautos in einer Straße gleichzeitig laden und parallel der sonstige Strombezug der Haushalte hoch ist."

Ein Praxisbeispiel: Verfügt eine private Wallbox über eine Leistung von 11 kW, würde diese bei einer notwendigen Drosselung zeitweise auf 4,2 kW reduziert. Ein E-Auto mit einem Verbrauch von 15 kWh/100 km würde anstatt eineinhalb dann etwa dreieinhalb Stunden benötigen, um seine Reichweite um 100 Kilometer zu erhöhen. Das Laden dauert in diesem Fall mehr als doppelt so lang.

Auch wenn von der dena betont wird, dass der Steuerungsmechanismus nur so lange gebraucht werde, wie der nötige Netzausbau noch nicht erfolgen könne: Wirklich elektrisierende Aussichten sind das nicht.