McLaren-Ford M23 im Fahrbericht
Dauerbrenner von McLaren

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Der McLaren M23 war erstaunliche vier Jahre lang - von 1973 bis 1976 - konkurrenzfähig. Er bescherte dem Rennstall aus Colnbrook einen Konstrukteurs- und zwei Fahrer-WM-Titel und gehört damit zu den erfolgreichsten F1-Konstruktionen. Motor Klassik bewegte das Ex-Einsatzauto von Jochen Mass und James Hunt mit der Chassisnummer 6 auf dem Nürburgring.

Dauerbrenner von McLaren
Foto: Mutschler, Hardy

Dieses Handzeichen hat mich schon immer beeindruckt. Tausendfach habe ich es auf dem Fernsehschirm oder an der Rennstrecke bewundert; jetzt darf ich es endlich selbst geben.
Es ist ein Zeichen totaler Hingabe und Konzentration, alle Sinne sind geschärft.

Der 470 PS-V8 wird mir Pressluft gestartet

Der Körper ist mittels Sechspunktgurt fest mit dem Chassis des McLaren-Ford M 23 verbunden, die Schalter für Zündung und Benzinpumpe stehen auf On, die Öldrucklampe leuchtet, der linke Fuß betätigt das Kupplungspedal, der rechte lauert über dem Gas. Die linke Hand umfasst das Lenkkrad, die Augen sind auf einen fernen Punkt außerhalb der Boxengasse fixiert.

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Also: rechte Hand aus dem Cockpit und senkrecht nach oben - das Zeichen für den externen Starter. Hinter dem rot-weißen McLaren M23 steht der englische Rennmechaniker Colin Stretton von Lenham Motorsport, stöpselt einen Druckschlauch in den Anlasser und jagt aus zwei Behältern 180 psi Pressluft durch die Turbine, die über ein Zahnrad ins Schwungrad greift. Der Drei-Liter-Cosworth-V8 zündet sofort und hüllt die Umgebung in erwartungsvollen Lärm.

Ein paar kräftige Gasstöße, der Lärm wird ernsthafter. Die rote Nadel des Drehzahlmessers zuckt aus dem nur der Form halber skalierten Bereich bis 6.000 Touren. Der vorgewärmte Motor des McLaren-Ford M 23 reagiert auf die kleinsten Bewegungen des großen Zehs. Ein kurzer Ruck mit dem Schaltstummel auf der rechten Seite des Monocoques nach hinten links - der erste Gang ist eingelegt.

Vorsichtig rücke ich die Kupplung des McLaren-Ford M 23 ein, überraschend weich greifen die sieben Scheiben. Mit Anstand geht es aus der Boxengasse, ohne dass ich die rechte Hand nochmals heben muss - was in diesem Fall auch eher als Offenbarungseid gewertet würde.

Rennmotor mit lammfrommen Verhalten

Mit animalischer Wucht drängt der McLaren-Ford M 23 auf die Strecke und auf die Schikane am Ende der Start-Ziel-Geraden zu. In den langsamen Passagen überrascht der direkt im Rücken wummernde Cosworth-Motor mit lammfrommem Verhalten und beinahe hausfrauentauglicher Fahrbarkeit bei niedrigen Drehzahlen. Die in den schnellen Abschnitten folgende Beschleunigung ab 6.000 Touren bei voll geöffneten Schlunden ist hingegen schlicht atemberaubend.

470 PS bei 10.500 Umdrehungen leistete das Aggregat zu seiner aktiven Zeit, heute lässt man es bei ein paar Umdrehungen weniger bewenden. Angesichts eines Gewichts von lediglich 595 Kilogramm genügt die verbleibende Leistung immer noch für eine irrwitzige Verkürzung von Zeit und Raum im McLaren-Ford M 23.

155 Siege, zwölf WM-Titel - einer der erfolgreichsten Formel 1-Motoren

Und so erhält man bereits auf den ersten Runden im McLaren-Ford M 23 eine Ahnung davon, warum dieses von Mike Costin und Keith Duckworth gebaute Triebwerk zwischen 1967 und 1982 stolze 155 Grand Prix-Siege und zwölf WM-Titel sammeln konnte und somit nach wie vor der erfolgreichste F1-Motor aller Zeiten ist. Zu den Vorzügen des Vierventilers mit je zwei oben liegenden Nockenwellen zählten neben der Leistung und dem breiten nutzbaren Drehzahlband auch eine gewisse Robustheit und ein vergleichsweise geringer Spritkonsum.

Von ähnlichem Charakter wie der Motor zeigt sich das Chassis des McLaren-Ford M 23 , des ersten vollständig von McLaren-Techniker Gordon Coppuck konzipierten Formel 1. Keine revolutionäre Konstruktion, sondern mit Leichtmetall-Monocoque, seitlichen Kühlern, konventionellen Aufhängungen und hinten innen liegenden Bremsen eher Standardware, dafür sauber ausgeführt und gut für solide Entwicklungsarbeit.

Damit fährt sich der McLaren-Ford M 23 Vertrauen erweckend stabil und neutral. Er reagiert auf kleinste Drehungen am kindertellergroßen Lenkrad, folgt der einmal gewählten Linie mit präzisem Pflichtbewusstsein und verzögert ebenso atemberaubend, wie er beschleunigt. Einzig das Getriebe fühlt sich bei jedem Gangwechsel so an, als würde man einem Wienerwald-Hähnchen die Knochen brechen. Doch das ist typisch für die Hewland-Crashbox.

Der Pilot ist an drei Seiten von Sprit umgeben

Mit jedem Meter im McLaren-Ford M 23  wachsen Vertrauen und Fahrspaß. Der Unterschied zwischen einem Monoposto und einem normalen Auto ist ebenso groß wie zwischen einem Laser und einer Taschenlampe. Ein Formel 1 ist eben die Krönung aller Einsitzer - entsprechend potenziert sich die Dynamik.

Einzig das Wissen, auf drei Seiten von hochoktanigem Sprit und vor den Füßen von Nichts umgeben zu sein, dämpft den Enthusiasmus ein wenig. Ebenso die klaustrophobische Enge im Cockpit des McLaren-Ford M 23 - den linken Fuß muss ich aus Platzmangel ständig hochhalten, um nicht auf die Kupplung zu treten, und beim Wechsel vom Gas- zum Bremspedal kollidiert mein rechtes Knie regelmäßig mit dem Chassis-Oberteil.

Für Jochen Mass wurde mit dem Hammer Bewegungsfreiheit geschaffen

Dummerweise nämlich ist die Sitzposition im McLaren-Ford M 23 auf die derzeitige Fahrerin Lorina McLaughlin eingerichtet, und die Engländerin misst tatsächlich noch einige Zentimeter weniger als ich. Im Grunde wäre reichlich Platz vorhanden. Schließlich arbeiteten 1976 auch Jochen Mass und James Hunt in diesem Cockpit, und beide waren vergleichweise kräftig - wobei, so Jochen Mass, "zur Not mit dem Hammer noch etwas Bewegungsfreiheit geschaffen wurde."

1976 hätte Jochens Jahr werden können: Der vier Jahre zuvor präsentierte McLaren-Ford M 23 war nach wie vor konkurrenzfähig und hatte bereits 1974 den ersten Konstrukteurs-Titel für McLaren geholt sowie Emmerson Fittipaldi die zweite WM-Krone beschert. Jochen Mass gehörte seit mehr als einem Jahr zum McLaren-Team, hatte 1975 in Barcelona seinen ersten Grand Prix gewonnen und war ganz allgemein mit einer Riesenportion Talent gesegnet.

Hunt the shunt dominierte die Saison 1976

Dennoch: Der Star der Formel 1-Saison 1976 hieß James Hunt. Der Sohn eines Londoner Börsenmaklers war der Prototyp des britischen Popstars. Er stand barfuß auf der Boxenmauer, feierte wilde Parties und schredderte zeitweise so viel Material, dass man ihn "Hunt the Shunt" nannte - Hunt, der Verschrotter. 1976 aber fand er die richtige Balance zwischen Abwarten und Aggressivität und gewann sechs Große Preise - auch wenn er dabei von Niki Laudas Feuerunfall auf dem Nürburgring profitierte. Das Vereinigte Königreich jedenfalls fieberte dem ersten britischen Weltmeister seit Jackie Stewart entgegen, während Mass sich mit dem Nummer 2-Status und entsprechenden Problemen herumschlagen musste.

In der Saison 1976 wurde auch Lorina McLaughlins Leidenschaft für den McLaren geboren, genauer: am 18. Juli in Brands Hatch. Nach Rennabbruch beim British-GP wollten die Funktionäre Hunt nicht zum Neustart zulassen, doch das Publikum wehrte sich. "Alle Leute auf der Tribüne stampften mit den Füßen, bis er fahren durfte, das werde ich nie vergessen", erzählt sie. James gewann, und Lorina träumte fortan von dem McLaren-Ford M 23 mit der Chassisnummer 6. Als er 1989 in Amerika zum Verkauf stand, setzte sie Himmel und Hölle in Bewegung, um ihn zu erwerben.

Als ich nach der Probefahrt hereinkomme, steht die schnelle Britin in voller Montur in der Boxengasse. Routiniert klettert sie ins Cockpit des McLaren-Ford M 23, lässt sich festschnallen, schaltet die Zündung ein. Dann hebt sie die rechte Hand - es sieht irgendwie viel souveräner aus als bei mir. Ich muss wohl noch üben.     

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Erscheinungsdatum 11.04.2024

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