Blitzer-App Bamberg
Hier werden Sie gewarnt

Ein halbes Dutzend junger Leute der Generation Facebook betreiben für Bamberg und Umgebung eine Blitzer-App. auto motor und sport wollte wissen: Wie machen die das?

Blitzer-App Bamberg, Julian Brehm, Sebastian Kohn
Foto: Julian Brehm / Michael Hudler

Wer kommt bloß auf die Idee, für das beschauliche Bamberg eine Smartphone-App zu programmieren, die vor Blitzern und anderen Verkehrskontrollen warnt? Was sind das wohl für Typen?

Die Vermutung liegt nahe: Da können nur Vollgas-Junkies dahinterstecken, PS-Nerds und notorische Raser mit prall gefülltem Punktekonto in Flensburg, die sich einen Spaß daraus machen, vorzugsweise mit aufgemotzten 3er-BMW durch die oberfränkische Provinz zu brettern, ohne dass der Polizei ein Blitzlicht aufgeht.

Solch ein adrenalingetriebener Bursche muss Sebastian Kohn sein. Sein Name steht im i-Tunes-Store von Apple als Urheber der App "Blitzer – Bamberg und Landkreis". Und seine Mitstreiter sind bestimmt die gleichen Früchtchen.

Wie man sich täuschen kann. In Wirklichkeit ist Sebastian Kohn kein Verkehrsrowdy und hat eher eine Beziehung zu Computern und Software als zu Autos. Der 20-Jährige würde glatt als designierter Muster-Schwiegersohn durchgehen: erscheint auf die Minute pünktlich zum vereinbarten Treffen, wohnt noch bei den Eltern und zieht vor dem Betreten des Hauses die Schuhe aus, um sie akkurat im Flur zu parken.

Sebastian hat keine Punkte in der Verkehrssünderkartei. Ist noch nie geblitzt worden. Und wahrscheinlich noch nicht einmal als Fußgänger bei Rot über die Ampel gegangen. Er studiert Mechatronik, spielt gerne Basketball und macht Software-Programmierungen aus Zeitvertreib. Er hat die beiden Apps – eine für das i-Phone-Betriebssystem IOS, die andere für Android-Smartphones – jeweils innerhalb von drei Wochen geschrieben. "Zuvor hatte ich zu Schulzeiten eine App fürs Gymnasium programmiert, mit der die Oberstufenkameraden die Stundenausfälle und Vertretungslehrer abrufen konnten."

App-Management via Facebook

Sebastian Kohn gehört zu einem inzwischen sechsköpfigen Team von Twens, das die Bamberger Blitzer-App betreibt: fünf Männer und eine Frau, niemand älter als 22. Bis auf das neueste Mitglied der Gruppe, Lkw-Fahrer Oliver Gron, hat keiner beruflich oder privat groß was mit Autos zu tun. Svenja Weiser arbeitet als Kauffrau für Bürokommunikation. Julian Brehm ist Gesundheits- und Krankenpfleger. Michael Geuß und Fabian Pflefka studieren. Jura-Student Pflefka war es auch, der die Initialzündung für den Blitzer-Service gab. "Als ich im Autoradio mal wieder die Warnungen vor Radarkontrollen hörte, dachte ich mir: Blöd, wer die Warnungen des Senders nicht hört, kann sie nirgendwo nachlesen." Seine Folgerung: "Die Meldungen müsste man auf Facebook stellen und die Community an den Aktualisierungen beteiligen."

Das war im Juli 2011. Wenige Tage später war die Facebook-Seite "Blitzer – Bamberg und Landkreis" im Netz. Heute hat sie 11.500 Anhänger – nicht schlecht für eine Stadt mit 70.000 Einwohnern beziehungsweise 140.000 im gesamten Landkreis. Zumal im Sommer 2012 zusätzlich noch die beiden Apps online gegangen sind: 17.000 Mal bereits wurde die Version fürs i-Phone runtergeladen, 7.000 Mal die Android-Variante. Täglich kommen im Durchschnitt 80 neue User hinzu. Die Apps sind für die Nutzer kostenlos – ein lokales Autohaus fungiert als Sponsor und unterstützt die Jugendlichen mit ein wenig Werbegeld.

"Die Apps zusätzlich zur Facebook-Seite anzubieten, kam auf Wunsch der User", berichtet Julian, "für die ist es komfortabler, per App auf die Warnungen zuzugreifen oder selbst Meldungen zu posten, als erst über Facebook gehen zu müssen." Auch in der Clique hat natürlich jeder ein Smartphone und einen Facebook-Account. Über eine für die Öffentlichkeit nicht einsehbare Facebook-Gruppe organisieren sich die Jugendlichen, teilen täglich die Aufgaben untereinander auf – Schichtdienste, Urlaube, Sonn- und Feiertagsdienste sowie Prüfungstermine der Studierenden müssen mit der Administration der Facebook-Seite und der Apps unter einen Hut gebracht werden. Schließlich ist die Pflege der App-Inhalte für alle eine zeit-intensive Nebentätigkeit. Aber sie macht offensichtlich Spaß.

Noch nie eine Kontrolle verpasst

"Jeder im Team hat schwerpunktmäßig spezielle Aufgaben", erklärt Julian. Lastwagen-Fahrer Oliver kommt täglich viel im Landkreis herum und postet hauptsächlich Gefahrenmeldungen. Initiator Fabian kümmert sich zusammen mit Svenja und Michael um Administration und Organisation. Sebastian tritt nur in Erscheinung, wenn programmiert werden muss – beispielsweise "wenn wie jetzt ein Update der App auf die Erfordernisse des i-Phone 5 ansteht".
Julian bearbeitet die Warnmeldungen von Usern und postet sie dann korrigiert und koordiniert. Täglich können das im Landkreis bis zu 15 Gefahreninfos sein. "Wir melden ja nicht nur Blitzer, sondern auch allgemeine Verkehrskontrollen oder Warnungen vor Geisterfahrern sowie – ganz wichtig in der Universitätsstadt Bamberg – Fahrradkontrollen." Und wer steckt den App-Betreibern die ganzen Kontrollen? "Autofahrer, Radfahrer, Radiosender, aber auch Feuerwehrleute und Rettungsdienste", berichtet Julian.

Der kümmert sich auch um die foto-grafische Dokumentation von Radarfallen. Dutzende von Beweisfotos zeugen von getarnten Messgeräten auf Mülltonnen, hinter Büschen, unter Leitplanken oder in Kornfeldern. "In der Wahl der Kontrollzeiten ist die Polizei allerdings wenig kreativ", meint Julian. Die monatelangen Beobachtungen der Bamberger Blitzer-App-Betreiber und 8.500 Posts in der Datenbank zeigen ein klares Muster. "Werktags", rezitiert Brehm aus seiner Dokumentation, "werden zwischen 6.30 und sieben Uhr die Tempokontrollen aufgebaut, die dann bis zur Mittagszeit bleiben." Die Spätschicht der Beamten richtet ihre Kontrollen von 12.30 bis 13 Uhr ein, um dann bis 19 Uhr zu messen. Handy- und Gurtkontrollen werden meist zwischen acht und neun Uhr eingerichtet und dauern dann zwei bis drei Stunden. Die Abstandsmessungen auf den umliegenden Autobahnen A 70 und A 73 starten entweder zwischen 10.30 und elf Uhr morgens oder zwischen 14 und 15 Uhr nachmittags – Dauer jeweils drei bis vier Stunden. Besonders nachtaktiv sind die Kontrolleure im Kreis Bamberg hingegen nicht: "Unseren Aufzeichnungen zufolge wurden in den letzten Monaten nur zwei Nachtmessungen durchgeführt – am Wochenende auf der Autobahn."

Und was sagt die Polizei zu den Aktivitäten? "Anfangs haben die unsere Arbeit wohlwollend betrachtet", sagt Julian. "Die sahen das als Prävention gegen Raser. Da konnten wir schon mal mit im Messwagen sitzen und gemeinsam mit den Beamten Kaffee trinken." Mittlerweile aber sieht das die örtliche Polizei nicht mehr so locker, "weil denen die Kundschaft ausgeht – speziell den privaten Kontrolldiensten in den umliegenden Gemeinden", meint Julian. Die, so wissen die Bamberger Geistes-Blitzer, kassieren übrigens schon bei Übertretungen ab neun km/h ab, während die Polizei mit 13 km/h Toleranz wesentlich großzügiger ist.

Karitative Ader als Antrieb

Wie kann eine App für einen kleinen Landkreis wie Bamberg gegenüber großen, technisch viel anspruchsvolleren überregionalen Blitzer-Apps wie iCoyote oder Blitzer.de bestehen? "Die Fokussierung auf einen überschaubaren Umkreis sorgt dafür, dass unsere App viel schneller, verlässlicher und genauer ist als die deutschlandweite Konkurrenz", meinen Kohn und Brehm. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Leute darauf vertrauen, "dass uns seit Bestehen der App noch keine einzige Kontrolle durchgegangen ist."

Gleich muss Julian wieder los, trotz freiem Tag die Meldungen pflegen. Was treibt ihn an? "Ich habe irgendwie eine karitative Ader, das liegt mir im Blut – der Service für die App-Nutzer ist für mich ein ähnlicher Dienst wie die Pflege von Kranken im Hospital. Außerdem faszinieren mich die Blitzertechnik und die ganzen Geräte drumrum."

Auf der Heckscheibe seines Golf macht er Werbung für "Blitzer – Bamberg und Landkreis. Join us on Facebook". Der Job im Krankenhaus und das Kümmern um App und Facebook-Seite lassen sich wohl noch vereinbaren. Aber Julians Partnerschaft wird auf eine harte Probe gestellt. "Meine Freundin meinte schon: ,Seit ihr die App macht, hast du nur noch Blitzer im Kopf."

Blitzer-Apps im Alltag

Was bringen bundesweite Apps? auto motor und sport hat zwei der bestbewerteten Programme aus dem Apple-Appstore ausprobiert: iCoyote und Blitzer.de. Dabei zeigte sich schnell die größte Schwäche der Assistenten: Die Warnungen sind nicht immer aktuell, in beiden Fällen blieb sogar der Hinweis auf festinstallierte Tempokontrollen aus. Dafür wird schon mal auf Starenkästen neben der Autobahn hingewiesen, was nervt. Außerdem saugt die App den Akku leer, ein Ladekabel ist also Pflicht.