Deutsche Stände auf der Shanghai Auto Show
Mit der Professionalität der Vergangenheit​

Über den Paradigmenwechsel in China wurde in den letzten Tagen viel berichtet: VW verliert Marktanteil, die Elektroautos von Mercedes und Porsche in Form von EQE und EQS sowie Taycan laufen nicht wie gewünscht – was ist nur los im Reich der Mitte, das Marken wie Audi einst selbstbewusst als zweiten Heimatmarkt bezeichnet haben?

Die Auftritte der deutschen Hersteller verraten viel über die bittere Wahrheit: Während die chinesischen Hersteller ein Elektroauto-Feuer nach dem anderen zünden, findet sich bei Mercedes und Co. immer noch viel Verbrenner-Ware: V-, C-, E- und S-Klasse sowie die Langversion der A- Klasse können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei der Marke mit dem Stern vornehmlich noch um Benziner und Diesel geht, selbst wenn auf der Shanghai Auto Show im Rahmen der Pressekonferenz Modelle wie die Studie des elektrisch betriebenen G-Modells und die Maybach-Variante des EQS SUV in den Vordergrund geschoben wurden.

Die Highlights der China-Messe

Wer die Stände abläuft, spürt die innere Zerissenheit der Marken: Noch dominieren AMG, M und Audi Sport GmbH die Geschäfte, doch auf dem weltweit führenden Markt für Elektromobilität, und das ist aktuell eben China, wird das auf Dauer nicht reichen.

China Shanghai Auto Show 2023
Patrick Lang
Was Mercedes-Chef Ola Källenius hier wohl ins Smartphone tippt? Vielleicht so etwas wie "Memo an mich: Nächstes Mal mehr Elektroautos mitbringen."

Kühle Sachlichkeit prägt den VW-Stand, der natürlich die gesamte Bandbreite der ID-Familie in den Vordergrund stellt: ID.3,4 und 5 sowie die Studie ID.Next in einem Glaskasten – und natürlich als große Weltpremiere der neue ID.7 – der ehemalige Marktführer hat durchaus was zu bieten. Doch während der Ex-Designchef des Konzerns in Form von Wolfgang Egger bei BYD mehr auf cleane, kantige Formen setzt, fällt das recht rund geratene Styling der ID-Modelle nicht auf die gewünschte Gegenliebe beim chinesischen Kunden, der sich zudem ein höheres Maß an Konnektivität wünscht.

VW und Audi in Shanghai

Und wie bei Mercedes dürfen auch auf dem VW-Stand die Verbrenner nicht fehlen, die das Unternehmen in den letzten Jahren Milliarden haben verdienen lassen: Den auf China zugeschnittenen New Tharu als SUV auf dem MQB-Baukasten gibt es genauso als TFSI-Benziner wie den T-Roc beispielsweise. Reiner E-Antrieb bei diesen Modellen? Fehlanzeige.

Konzerntochter Audi bleibt ebenfalls in überraschender Nüchternheit hängen, präsentiert direkt gegenüber von VW in Halle 5.1 aber immerhin ausschließlich Elektromodelle: Das Formel 1 Showcar mit dem Audi Livery sowie die Studien A6 e-tron Avantgarde Concept und Audi urbanspehre Concept, die alle drei erstmals in China zu sehen sind. Mit dabei sind außerdem Q4 und Q5 als e-tron.

Porsche investiert viel bunte Standoptik, um ebenfalls davon abzulenken, dass es das Cayenne-Facelift zwar als Plug-in-Hybrid, nicht aber als Stromer gibt. Mini dagegen rückt seinen tierischen Freund Spike ganz in den Vordergrund des Standes, weil sein digitales Innenleben chinesische Besucher genauso in Verzücken versetzt wie die katzenförmige Gestalt. Ein gestiefelter Kater der Neuzeit, neudeutsch, so der Pressetext, "die moderne Neuinterpretation des Vierbeiners zu einer Art Toy, das als großformatige Skulptur im Stil urbaner Popkultur die Blicke auf sich zieht."

BMW: In China zuhause

Immerhin sorgt die lustige Kreatur für mehr Wärme und Leben auf dem Stand als bei VW und Audi. Ein weiteres, höchst beliebtes Fotomotiv: Das rein elektrisch betriebene Mini Cabrio. Keine Frage: Wenn es jemand geschafft hat, den chinesischen Zeitgeist einzufangen, dann ist es auf der Shanghai Auto Show Mini direkt neben dem Stand der Konzernmutter BMW. Die setzte mit der Studie i Vision Dee, die erstmals auf der CES in Las Vegas präsentiert wurde und dem i7 M70 xDrive als Luxusliner unter Vollstrom noch einen drauf.

Entwicklungsvorstand Frank Weber zum Engagement im der Mitte: "München ist, woher wir kommen. Aber in China sind wir zuhause." Das mag VDA-Präsidentin Hildegard Müller, die ebenfalls auf den Fluren unterwegs war, zu denken geben. Der noch recht neue VW-Chef Oliver Blume wirkte zumindest überaus nachdenklich, als er sich auf den Ständen der chinesischen Konkurrenz umschaute. Gehen wir mal davon aus, dass die deutschen Marken die Zeichen der Zeit nachhaltig erkannt haben.

Erschreckend normale Stände

Vorbei sind die Zeiten, zu denen auf den chinesischen Automessen sich die einheimischen Stände deutlich von denen der deutschen Importeure unterschieden haben. Speziell Marken wie BYD oder auch NIO präsentierten sich in einem professionellen Look, der weniger Lokalkolorit als eher weltweite Professionalität versprühte.

Shanghai Auto Show 2023 Ora
Patrick Lang
Ein paar Hersteller tanzen mit ihren Ständen aus der betont professionellen Reihe. Ora zum Beispiel - mit viel Glitzer und Kitsch.

Eine der wenigen Ausnahmen in diesem Orchester: Die Great Wall-Tochter Ora, die mit ihren Modellen im Stil des alten VW Käfer viel auf Tradition setzen: Ein über und über mit pastellfarbenen Blumen verzierter Stand, chinesische Modells in Ball- und Brautkleidern und kleine Schmuckstände, an denen sich Interessierte selber Ketten oder Armbänder basteln konnten, versprühten viel chinesischen Charme. Mit dieser geschickten Mischung auf China-Stil und deutscher Historie übt die Marke gerade den westlichen Markteintritt: Der Funky Cat taucht mittlerweile im deutschen Straßenbild auf – mit LED-Scheinwerfern, riesigem Panoramaschiebedach inklusive Sternenhimmel und großen Bildschirmflächen im Cockpit. Rein elektrisch betrieben, versteht sich, zu Preisen ab 38.990 Euro mit einem 48 kWH-Akku. Billig, das lernt man auf dieser Messe ebenfalls schmerzhaft, geht im Kleinwagensegment auch bei den chinesischen Herstellern mittlerweile nicht mehr viel. Qualität hat eben seinen Preis.

Beeindruckende Auftritte

Die Geely-Tochter Lynk & Co präsentiert sich mit ihrem Stand in einem Stil, der zum Charakter der Marke passt: Urban, cool, im Geist der Zeit. Vertrieben über ein spezielles Abomodell sind die Autos auf Basis des Volvo XC40 aus unserem Straßenbild mittlerweile nicht mehr wegzudenken, das Angebot wird in diesen Tagen noch vergrößert: Der Volvo XC60-Ableger Lynk & Co 08 kommt bei uns als Plug-in-Hybrid auf den Markt. Die Standfläche in Shanghai ist riesig, hält nicht nur reine Stromer, sondern mit dem 06 Remix weitere Plug in-Modelle vor und stapelt die Kompakt-Limousine 03 trendig in einem großen Messe-Regal. Standbesucher tauchen mittels cooler AR-Brillen tiefer in den Kern der Marke ein.

Shanghai Auto Show 2023 Lynk & Co
Lynk & Co packt die Limousine 03 lässig in ein Riesen-Regal.

Auch Nio präsentiert sich hochprofessionell: Helle Farben, eine üppige Standfläche und eine verglaste Oberetage, die den Besuchern einen Blick über die gesamte Halle erlaubt. CEO William Li, der gerne als chinesisches Pendant zu Tesla-Chef Elon Musk gehandelt wird, präsentiert in der Pressekonferenz die gesamte Bandbreite des Unternehmens, das seit Herbst letzten Jahres auch in Deutschland präsent ist. Speziell der ET7 versteht sich als ein Premiumprodukt, das mit seinem elektrischen Antrieb gegen den Porsche Taycan antritt, im Gegensatz dazu aber über ein Batteriewechselkonzept verfügt.

Wichtigste Botschaft von William Li: Nio knabbert immer mehr an den Marktanteilen der deutschen Hersteller und hat im 1. Quartal mehr Modelle vom ET5 (3619 Exemplare) verkauft als Mercedes mit der C-Klasse (1739) und BMW mit dem Dreier (1545). Hohe Besuch übrigens auf dem Stand: Der Parteisekretär von Shanghai schaute persönlich auf dem extra für ihn abgeriegelten Stand vorbei und machte sich mit den Neuerscheinungen wie dem ES6 vertraut, der als EL6 auch nach Deutschland kommt.

Neuer Marktführer in China

Cleaner Look, wenig verspielte Flächen: So präsentieren sich die Modelle von BYD, jenem Unternehmen, das in diesen Tagen in China die Marktführerschaft von VW übernommen hat. Dabei steckt hinter der Optik ein Deutscher: Wolfgang Egger, lange Designchef der Marke Audi, sorgt seit 2017 für den – sehr gelungenen – stilistischen Auftritt der Marke, die auf der Shanghai Auto Show mit der Studie Song L einen Ausblick auf einen rein elektrisch betriebenen Midsize-SUV gegeben hat. Nicht zu übersehen: Modelle wie Atto 3, Han und Tang, die mittlerweile auch bei uns angeboten werden.

Dafür, dass der Marktanteil in Deutschland wächst und wächst, fiel der Stand von MG eher bescheiden aus. Umso spektakulärer die Botschaft: Mit der Neuvorstellung des Cyberster zeigt MG, dass man wieder an die gute englische Tradition der Vorbesitzer anknüpfen möchte und Roadster fertigen will – dann allerdings mit E-Antrieb. MG sieht in dem Modell einen "Gamechanger", wobei diese Rolle vielen chinesischen Marken zugutekommt, denn ein steht fest: Nio, MG und Co werden auch künftig aus dem deutschen Straßenbild nicht mehr wegzudenken sein.

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Ja, die Technik ist genauso gut wie bei Handys aus China und als Konsument kann ich mir politische Entscheidungen nicht leisten.Sicher nicht. Ich möchte Staaten wie China wirtschaftlich nicht unterstützen und versuche Produkte aus solchen Ländern zu meiden.

Fazit

Im Elektromobilitäts-Feuerwerk an den hochwertig und selbstbewusst gestalteten Ständen der chinesischen Hersteller wirkt so manche deutsche Marke auf der Shanghai Auto Show 2023 reichlich blass. Es dürfte klar geworden sein: Deutschland braucht China mehr als umgekehrt. Drollige Kopien europäischer Modelle? Quasi nicht mehr existent. Stattdessen gefällig gezeichnete und top vernetzte Fahrzeuge der nächsten Generation. Mercedes, VW und BMW werden sich ordentlich anstrengen müssen, um hier langfristig Schritt halten zu können.

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Erscheinungsdatum 08.05.2024

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