Autofahrer-Abzocke
Millionen-Geschäft mit Bußgeldern

Städte und Gemeinden kassieren jährlich fast eine halbe Milliarde Euro aus Verwarnungs- und Bußgeldern – Tendenz steigend. Verkehrsüberwachung verkommt immer mehr zum Riesengeschäft, um leere Kommunal-Kassen zu füllen.

PoliScan
Foto: Vitronic

Das fehlte gerade noch: Nordrhein-Westfalen hat sich offiziell von dem Grundsatz verabschiedet, dass Tempokontrollen nur dort durchgeführt werden sollen, wo sich Unfälle häufen und vor Seniorenheimen, Schulen oder Kindergärten. Das stößt sogar der Polizei sauer auf: „Es besteht die Gefahr, dass die Städte und Kommunen vor allem da kontrollieren, wo die Blitzer das meiste Geld in die klammen Kassen spülen, und nicht an Unfallschwerpunkten“, warnt Arnold Plickert von der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen.

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Dass die Befürchtungen des Gewerkschafts-Funktionärs nicht aus der Luft gegriffen sind, belegen zahlreiche Beispiele: Vielerorts werden schon jetzt bevorzugt Blitzer dort in Position gebracht, wo am leichtesten Geld damit gemacht werden kann. In der hessischen Kleinstadt Wetter beispielsweise stehen auf einer Strecke von nur drei Kilometern vier hochmoderne Blitzanlagen des Typs Poliscan. Angeblich dienen sie der Verkehrsberuhigung, erweisen sich ganz nebenbei jedoch als wahre Goldesel: 1,2 Millionen Euro wurden von rund 70.000 Temposündern im vorigen Jahr in die Stadtkasse gespült. Ein Schelm, der Böses dabei oder gar an Abzocke denkt.

Rund 3.800 stationäre Tempofallen soll es in Deutschland geben. Hinzu kommen über 10.000 mobile Messgeräte, die nicht nur von der Polizei, sondern mancherorts auch von Privatfirmen im öffentlichen Auftrag aufgestellt werden. Denn die Jagd auf Temposünder ist auch für die Privatwirtschaft ein lukratives Geschäft. Es gibt mittlerweile sogar Unternehmen wie die German Radar GmbH aus dem brandenburgischen Crinitz, die interessierten Kommunen entsprechende Gerätschaften vermieten oder verleasen – wenn gewünscht mit dem passenden Überwachungsfahrzeug für mobile Einsätze.

Haushaltsplanung mit Bußgeldeinnahmen

Den Verlockungen des Rundum-Kassier-Services konnte auch die mittelhessische Kleinstadt Kirchhain nicht widerstehen: Dort werden künftig neun stationäre, laserbasierte Geschwindigkeitsmess-Systeme im Einsatz sein. Und wenn es blitzt, dann fließt danach ein Teil des Kirchhainer Geldsegens nach Crinitz – falldatenbasiertes Entgelt heißt das im Firmen-Jargon von German Radar.

Einnahmen aus Verwarnungs- und Bußgeldern, insbesondere aus Tempofallen, sind bundesweit eine verlässliche Größe bei der Haushaltsplanung, auf die Kreise, Städte und Gemeinden nicht mehr verzichten wollen. Doch wie viel wird durch die Verkehrssünder unter dem Strich wirklich in die kommunalen Kassen gescheffelt?

Verkehrssünder füllen Haushaltskassen

Die Macher des Internet-Portals Preisvergleich.de wollten es wissen und befragten 116 Städte, wie es um die Einnahmen bestellt ist. Wie heikel das Thema ist, zeigten die Reaktionen: Weit mehr als die Hälfte der Befragten drückten sich um eine Antwort, nur 48 Städte legten ihre Einkünfte offen. Doch die Statistik-Profis von Preisvergleich.de wendeten einen mathematischen Kniff an, um den Informations-Verweigerern auf die Schliche zu kommen, und stellten Hochrechnungen an. Das Ergebnis: Im Jahr 2011 haben die 116 größten deutschen Städte etwa 450 Millionen Euro an Falschparkern oder zu schnellem Fahren verdient – neun Prozent mehr als noch im Vorjahr.

Am Ende dürften die Summen, die Autofahrern abgeknöpft werden, sogar noch höher liegen. Bei den Berechnungen des Verbraucherportals blieben nämlich jene Beträge unberücksichtigt, die von der Polizei eingenommen wurden. Sie sind vielerorts, wie etwa in Rheinland-Pfalz, an die Bußgeldstellen der Landeskassen abzuführen. Dennoch kassieren vor allem die Großstädte in großem Stil: In Berlin, Hamburg und Köln klingelten 2011 insgesamt rund 90 Millionen Euro in den Haushaltskassen – den Verkehrssündern sei Dank. Das sind insgesamt fast eine viertel Million Euro pro Tag und im Schnitt 82.000 Euro pro Stadt und Tag. In der Knöllchen-Bilanz von Berlin, die im Vergleich zu 2010 um 21 Prozent zulegte, sind aber nur die Verwarnungsgelder enthalten – zu den Bußgeldern konnte der Berliner Senat angeblich keine Angaben machen.