Tokyo Mobility Show
Warum Japaner keine E-Auto-Enthusiasten sind

Japan ist ein fortschrittliches Industrieland, Gigant bei Unterhaltungselektronik und Hybrid-Fahrzeugen. Mit reinen E-Autos fremdeln zahlreiche Hersteller, was man auf der Messe in Tokio wieder beobachten konnte. Aber warum ist das so?

Nissan Hyper Force Concept Elektro-Sportwagen-Studie
Foto: Nissan Motor Corporation

Dort zeigte Mazda etwa eine Art Zukunfts-MX-5 – mit einem Zweischeiben-Wankelmotor als Range-Extender.

Obwohl der japanische Elektronikgigant Sony als erster einen Lithiumionen-Akku (in einer Videokamera) auf den Markt brachte, waren die japanischen Autohersteller lange sehr zurückhaltend bei der Elektromobilität, mit Ausnahme von Nissan vielleicht. Die Marke stellte tatsächlich 1995 mit dem Prairie Joy EV das erste E-Auto mit Lithium-Ionen-Akku (was einer Kooperation mit Sony entsprang) auf die Räder, 2010 folgte der Leaf.

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Nissan Leaf ZE0
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Trotzdem ist nicht Nissan als der E-Auto-Pionier des 21. Jahrhunderts bekannt, sondern Tesla. Vielleicht liegt die Erklärung in Faktoren, die von der Automobiltechnik nicht zu beeinflussen sind. E-Autos müssen Strom tanken, sprich aufgeladen werden – ohne das sind sie nur beschränkt einsetzbar. Tesla hat genau deswegen früh Milliarden in ein eigenes Ladenetzwerk investiert.

Wallboxen mit 6,7 kW?

Auf der Messe in Tokio (Highlights siehe Bildergalerie) findet man dieses Jahr Stände, die Wallboxen anpreisen. Auffällig ist die Ladeleistung, die wie ein sensationeller Spitzenwert auf Plakaten beworben wird: 6,7 kW. Deutsche Besucher erinnern sich, dass hierzulande 11 kW Standard und selbst 22 kW in der heimischen Garage machbar sind. Da hilft uns das dreiphasige Netz mit Spannungen bis 380 Volt beziehungsweise einphasig 230 Volt. In Japan beträgt die Spannung im Stromnetz besonders niedrige 100 Volt, zu allem Überfluss liegt seine Frequenz im Osten des Landes bei 50 Hz, im Westen (wie in den USA) bei 60 Hz. Geografie und Historie haben das Stromnetz in Japan sich wenig einheitlich entwickeln lassen.

Die elektrische Leistung errechnet sich als Produkt aus Spannung mal Stromstärke – je niedriger die Spannung, desto höher muss die Stromstärke seine, um hohe (Lade-)Leistung zu erzielen. Hohe Stromstärken erfordern große Kabelquerschnitte – auch deshalb führen immer mehr E-Auto-Hersteller die 800-Volt-Technik ein. Große Querschnitte sind in historisch gewachsenen Stromnetzen beziehungsweise Verkabelungen in Häusern eher die Ausnahme. Die lassen sich in Großstädten wie Tokio (37,5 Millionen Einwohner) nicht eben aufrüsten. Insofern kämpft der Aufbau einer Ladeinfrastruktur in Japan mit viel schlechteren Voraussetzungen als hierzulande.

03/2022_400- 800-Volt-Technik
auto motor und sport

Wenn der Strom nicht aus der Steckdose kommt

Hinzu kommt, dass Japan seinen Strom vorwiegend (zu 70 Prozent) aus fossilen Quellen schöpft, die Atomkraft hatte vor Fukushima einen Anteil von 25 Prozent, aktuell nur mehr 5 Prozent. Bei diesem Strommix ist nicht mal die CO₂-Bilanz des E-Autos besonders motivierend für dessen Einsatz.

Kein Wunder also, dass Toyota 1997 mit dem Prius den ersten Hybrid (mit Nickel-Metall-Hydrid-Akkus) in Serie brachte und bis heute Werbung macht mit dem Spruch "Elektrisch fahren ohne Laden". Der Range-Extender eingangs erwähnter Zukunftsvision eines Mazda-Sportwagens (Iconic SP) passt da ins Bild – mit kleiner Batterie, die für die kurzen Strecken des Alltags auch langsam über Nacht geladen werden kann, verlässt er sich, wie der Mazda MX-30, auf einen Verbrenner als Generator, der bei Bedarf Reichweite aus einer vorhandenen (Tankstellen-(Infrastruktur) nachladen kann. Und für emissionsfreies Fahren in Zukunft setzt Toyota beispielsweise immer noch auf Wasserstoff.

Allerdings: Auch der größte Autohersteller der Welt zeigte in Tokio vor allem vollelektrische Zukunftsvisionen und -modelle – darunter einen Sportwagen ähnlicher Größe wie der Mazda MX-5, aber vollelektrisch.

Klar, dass immer mehr Märkte außerhalb Japans auf E-Autos setzen und die japanischen Hersteller viele Autos exportieren. Auch verstärkt Japan seit einiger Zeit die Stromerzeugung aus regenerativen Quellen. Aber der Ausbau der Ladeinfrastruktur kommt womöglich eher einem Neuaufbau gleich und wird dauern.

Es sei denn, die Tüftler aus Fernost erfinden Ladeparks, die den Strom selbst erzeugen. Oder eine Möglichkeit, den Bahnstrom für die legendären Shinkansen anzuzapfen. Im Netz dieser Schnellzüge liegen 25.000 Volt an.

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Fazit

Der E-Antrieb ist als potenziell emissionsfreier Antrieb der Zukunft erste Wahl, weil er sehr effizient ist und wenig vom knappen Grünstrom braucht. Aber er ist ohne eine entsprechende Ladeinfrastruktur nicht denkbar. Die Voraussetzungen für den Aufbau einer solchen ist nicht überall so günstig wie in Europa und vor allem in Deutschland. Auch das ist eine interessante Erkenntnis, die der Blick auf Japan bringt.

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Erscheinungsdatum 25.04.2024

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